4. Die Stationen der Wüstenwanderung der Israeliten.

[354] In den letzten Jahren hat die geographische und topographische Kenntnis der Sinaïhalbinsel, des Schauplatzes vieljähriger Wanderungen der Israeliten nach ihrem Auszug aus Ägypten, eine bedeutende Bereicherung erfahren. Die »große und furchtbare Wüste«, welche früher nur strichweise bekannt war, beginnt ihren Charakter als terra incognita zu verlieren. Sie muß es sich gefallen lassen, daß ihre Geheimnisse nach und nach verraten werden. Interessant ist es, daß gerade die Bibelforschung die Erweiterung der geographischen Kenntnisse dieser Halbinsel angeregt hat. Im Jahre 1868-1869 hat eine englische Gesellschaft, die Sinaï survey expedition, eine Forschungsreise durch die Halbinsel bis zu den nördlichen Ausläufern des Sinaïgebirgstockes unternommen, einzig und allein zu dem Zwecke, die Stationen der Wüstenwanderung zu konstatieren. Es waren die Ingenieurkapitäne Wilson und E. H. Palmer, der Geistliche J. W. Holland, der Naturforscher Wyatt und noch vier Offiziere. In den Jahren 1869-1870 unternahm dann Palmer in Begleitung von Tyrwhitt Drake eine zweite Reise von den nördlichen Ausläufern des Sinaï durch die ganze Wüste et-Tih bis Jerusalem, dann wieder zu rück und südlich und östlich durch das peträische Gebirge bis zur Ostseite des toten Meeres; es geschah auf Anregung der Palestine Exploration Fund. Das Resultat dieser beiden Forschungsreisen ist das Buch »The desert of Exodus ... in the wilderness of the forty years Wanderings« von Palmer (Cambridge 1871). Gerade die pessimistische Bibelkritik, die in England durch Bischof Colenso soviel Staub aufgewirbelt hat, hat die neuesten Forschungen angeregt, um die Authentizität der pentateuchischen Relationen über den Aufenthalt der Israeliten in der Wüste, ihre Wanderungen, Stationen und längere Pausen, über ihre Subsistenzmittel für Kinder und Herden zu retten. – Der Ägyptologe Prof. Georg Ebers unternahm anfangs 1871 eine Reise durch die Landschaft Gosen und einen Teil der Sinaïhalbinsel, nämlich bis zum G'ebel Musa und G'ebel Katherin, dem Mittelpunkte des Gebirgsstockes des Sinaï, um einige im Exodus genannte Lokalitäten durch den Augenschein kennen zu lernen und zu verifizieren. Das Resultat seiner Forschung hat Ebers in seinem Buch »Durch Gosen zum Sinaï« niedergelegt (Leipzig 1872). Durch diese beiden Schriften ist der Schauplatz der Wanderungen der Israeliten mehr bekannt und mancher dunkle Punkt erhellt worden. Indessen ist die Expedition Palmers bei weitem ergiebiger, weil sie einen weiten Landstrich, der auf den Karten ein leerer Flecken war, mit Bergen, Wadys, Quellen, Ruinen gefüllt hat, während Ebers eine bereits durch Vorgänger bekannte Route besichtigt hat. Beide stellen indessen Behauptungen als sicher auf, welche die Kritik noch nicht als zuverlässig akzeptieren kann. Hier soll untersucht werden, welche Resultate der neueren Forschungen sicher und welche noch zweifelhaft sind. Im ganzen ist die Ausbeute nicht sehr reich.

Wir beginnen mit den Stationen östlich vom roten Meere, da der Punkt des Durchganges bereits in der vorangegangenen Note behandelt worden ist.

Die erste Station, welche im Kataloge der Routen in Exodus und Numeri genannt wird, ist Marah nach dreitägiger Wanderung in der Wüste Schur [354] oder Etham. Man hat seit Burkhardt damit die salzigbitteren Quellen bei Bir-Hawwara verglichen. Dasselbe nehmen auch Palmer und Ebers an. Neues fügt der erstere hinzu, daß die Araber es Hawwaraw (nicht Hawara oder Hamara, Haara) nennen, daß dieses die Bedeutung eines versickerten Wasserpfuhls habe (S. 40), und daß die Bitterkeit des Wassers von dem natronhaltigen Boden herstamme (273). Übrigens wenn diese Touristen und ihre Vorgänger die Identität von Marah und Hawwara dadurch gesichert glauben, weil die Entfernung von Ajun- (Ojun-) Musa [Furrer bei Riehm-Bäthgen S. 967 hält Ajun Musa für Marah] an dem nordöstlichen Gestade des roten Meeres, eine Stunde südlich von dem Parallelpunkte Suez, wo die Israeliten durchgegangen sein sollen, bis H. 151/2–161/2 Kamelstunden oder drei Tagereisen beträgt, so ist der Beweis nicht strenge geführt. Im Exodus ist lediglich angegeben, daß sie in der Wüste nach dem Durchzuge drei Tage ohne Wasser zugebracht haben, die Reise kann mithin länger gedauert haben. Sie können von dem Punkte des Durchzuges bis Marah mehr als drei Tage gebraucht haben. Was den Wasserbedarf für die Wüstenreise betrifft, so ist die Bemerkung Hollands (Palmer S. 272) nicht unwichtig, daß die Karawanen sich damit in Schläuchen aus Quellen für die weitere Reise versehen. Das mitgeführte Wasser kann auf einige Tage vorhalten; nur wenn dieses ausgegangen ist, und sich keine neue Quelle zur Füllung bietet, entsteht Wassermangel. Auch die Israeliten mögen es so gehalten haben; daher kommt in der Erzählung die Klage über Wassermangel seltener vor als man voraussetzen sollte.

Die Identifizierung von Elim, wo Quellen und Palmen waren, mit der Oase Gharandel (Ghurundel), wo noch gegenwärtig eine Quelle, Palmen und Tamarisken vorhanden sind, wird fast allgemein angenommen. Von da an beginnt der Zweifel, welchen die beiden jüngsten Touristen nicht zu heben vermochten. Nach Numeri war die nächste Station das Schilfmeer, d.h. die Israeliten näherten sich dem Gestade des roten Meeres; der Punkt ist aber nicht genau zu bestimmen. Ob es Ras Abu Zenimeh am Meere war? Das Vergleichungsmoment fehlt. Die Identifizierung der Station Dophkah (הקפד) mit Mafkat im Wady Maghara, wo Türkise gefunden werden und ehemals auch Erz gegraben wurde (Ebers S. 135 ff.), ist eine etymologische Spielerei. [Nach Seetzen a.a.O. S. 325 findet sich der Name id at-Tabbaccha im Wadi Gné wieder.] Ebensowenig Gewißheit bietet die Identifizierung von Rephidim mit dem fruchtbaren Wady Feiran.

Die Sinaï-Serbal-Frage ist durch die jüngsten Forscher nur wenig ihrer Lösung entgegengeführt. Das Dafür und Dawider bleibt unverrückt. Ebers spricht sich für den Serbal und Palmer mit seinen Reisegefährten für den G'ebel Musa aus. Doch sind die Argumente der letzteren beachtenswerter als die von Ebers vorgebrachten. Da die englische Expedition sämtliche Höhen des Sinaïstockes genau und lange untersucht hat, so sind ihre Ausstellungen gegen den Serbal von Gewicht. Sie lassen sich dahin zusammenfassen, daß dieser Berg fast unzugänglich ist und an seinem Fuße keinen bequemen Raum für Aufschlagen von Zelten und Lagerplätzen bietet. Palmer bemerkt (S. 169 ff.): »An der Südseite senkt er (der Serbal) sich gegen die Ebene El-G'a'ah in steilen und fast unzugänglichen Böschungen. Von den äußersten Enden seiner Nordfront laufen zwei rauhe und steinige Täler zum Wady Feiran hinunter, östlich Aleyat und westlich Ajeleh (הלגע). Der [355] Raum zwischen beiden ist eine zerworfene und chaotische Masse von Bergen, die sich zur höchsten Spitze Abu Schiah bis zur Höhe von 2 500 Fuß über Feiran erheben. Es gibt da keine Ebene an seiner Basis und durchaus keinen Platz, um Raum für den Standort einer Menge von Personen zu gewähren, nicht einmal innerhalb des Gesichtskreises dieses Berges. Weder der Wady Aleyat, noch der Raum zwischen diesem und dem anderen Wady sind für Lagerstätten geeignet. Der erstere ist so voll von großen Steinwellen, und so zerrissen und durchbrochen von den Strömen, welche von Zeit zu Zeit hindurchgestürzt sind, daß es schwer ist, den Weg hindurch zu nehmen, und im ganzen Tale sind nur wenige Stellen, wo auch nur wenige Zelte aufgeschlagen werden können. Der Zwischenraum zwischen beiden Tälern eignet sich noch weniger zum Lagerplatz.« Palmer fügt noch hinzu, daß man den Serbal von keinem Punkte aus ganz übersehen könne, man hat nur einen einseitigen Anblick davon, man kann also nicht von ihm sagen, daß »das Volk vor dem ganzen Berge stand«, während der G'ebel Musa einen Rundblick gewährt. Palmer widerlegt noch (S. 179) mit Recht die Etymologie des Namens Serbal, die Rödiger versucht hat, nämlich Ser-Bàl »Palme des Baal«, arabisch לעב ברש und auch die andere ist dadurch widerlegt, welche לעב-רש [sar-baal] »Herr Baal« daraus macht. Wäre die Ableitung richtig, meint P., so müßte das ע (Ain) im Worte deutlich erkennbar sein, da die Araber es in der Aussprache nie verwischen. Man kann noch hinzufügen, daß Serb, Sirb הברש ברש nicht Palme, sondern eine Menge von Palmen und ebenso eine Menge oder Reihe von Weinstöcken bedeutet, eigentlich copia, agmen. Nun, viele Palmen gibt es am Serbal keineswegs. Lächerlich findet Palmer auch Hitzigs Hypothese, daß der Serbal mit dem indischen Gott Schiwa, Çiva sachlich und sprachlich in Verbindung stehe. In der Schrift, Urgeschichte und Mythologie der Philister, 1845, hat nämlich Hitzig so viel auf den Serbal aufgetürmt, daß er ihn zu einem Götterberg erhoben hat. P. leitet die Benennung von dem arabischen Worte לאברש ab, welches ursprünglich ein »Hemd« bedeutet und übertragen wird auf eine Menge Wasser, welches über sanft gerundete Flächen fließt, wie sie die Spitze des Serbal zeigt.

Nach der negativen Seite ist Palmers Argument von Serbal ein Gewinn, daß dieser Berg nicht der Sinaï oder Horeb sein kann. Nach der positiven Seite dagegen war er nicht imstande, die Schwierigkeit zu widerlegen, die sich der Annahme entgegenstellt, daß der G'ebel Musa der einzelne Berg Sinaï sein soll. Denn in Numeri ist deutlich angegeben und in Exodus (19, 1-3) ist es angedeutet, daß die Israeliten nur eine Station von Rephidim bis zum »Berge« gemacht haben. Rephidim lag jedenfalls im Wady Feiran, was auch Palmer zugibt, aber die Entfernung auch vom Endpunkte des Feiran bis G'ebel Musa kann in einem Tage nicht zurückgelegt werden, wohl aber zum Serbal. Was Palmer zur Hebung der Schwierigkeiten vorbringt (S. 160 f.) ist nicht befriedigend. Es wird überhaupt unmöglich sein, zu ermitteln, welche Kuppe des höhenreichen Sinaïgebirges der Gottesberg oder Berg der Gesetzgebung war. Palmer gibt eine genaue Höhenmessung der Kuppen, welche die Gesellschaft aufgenommen hat (S. 10): Das Katherinenkloster 5020 engl. F.: das Kloster El-Arbain 5 624; Serbal 6 734; höchste Spitze des G'ebel Musa 7 359; G'ebel Katharina 8 826 F. Nur um einige Fuß niedriger ist der südlich von Katharinenberg liegende Umm-Schomer. Es gibt aber noch viele Kuppen, die niedriger liegen und leicht zugänglich [356] sind. Warum mußte denn gerade die höchste Bergspitze der auserwählte Berg gewesen sein? Auf Josephus' Angabe, daß es die höchste Spitze gewesen sei, kann man doch nicht so viel Gewicht legen, nicht mehr als auf die Legenden der Mönche, welche teils den G'ebel Musa und teils den Serbal heilig gesprochen haben. Palmer und seine Reisegefährten waren von dem Anblick der Kuppe Es-Sened und ihrer Umgebung betroffen, und sie schien ihnen viel geeigneter für die Situation der Sinaïszenerie (S. 255). Es-Sened liegt um einige Meilen nördlicher als G'ebel Musa. Allein die Abwesenheit jedweder Tradition (der Mönche) »verbot ihnen, dem Traume nachzuhängen«.

Für die Wanderungen vom Sinaïgebirge nordwärts, um sich den Grenzen Kanaans zu nähern, hat Palmer glücklichere Entdeckungen gemacht. Bisher war nur eine einzige Station identifiziert worden, nämlich Ainel-Chadhra mit Chazerot (zum ersten Male von Burkhardt). Hier stimmt nicht bloß die Benennung ה"רצח [hebr. mit arab. Vokalisation] arabisch, תורצח hebräisch, sondern auch die Beschaffenheit der Gegend, eine perennierende Quelle und ein Palmenhain. Palmer und sein Gefährte haben aber nicht bloß diesen Platz genau besichtigt (Robinson war nur in der Nähe), sondern auch eine Station vorher entdeckt, die Station »Gräber der Lust« הואתה תורבק (S. 257 f.). Eine Tagereise südlicher als Ain el-Chadhra ist eine Erhöhung einige Meilen weit bedeckt mit Steineinhegungen, welche Spuren eines ehemaligen Lagerplatzes und Zeichen von Feuerstellen und Holzkohlen zeigen. Außerhalb des Lagerplatzes befindet sich eine Zahl von Steinhügeln, welche nach Gestalt und Lage nichts anders als Gräber sein können. Diesen Platz nennen die Araber Erweis el-Erbeig. Diese weite Lagerstätte mit Grabsteinhaufen hält Palmer für die Station Kibrot ha Taawah, und es hat auch Wahrscheinlichkeit für sich. Die arabische Legende von dieser Lokalität, die Palmer auch als Hilfsargument anführt, hat indes keine Spur von Beweiskraft. Die Steineinhegungen seien Überreste einer großen Pilgerkarawane (Hagg), welche vor sehr alter Zeit auf ihrem Wege nach Ain el-Chadhrah hier ihre Zelte aufgeschlagen und sich nachher in der Wüste et-Tih verloren habe, ohne daß man je etwas von ihr gehört hätte. So erzählen die Araber. Palmer bezieht diese Sage auf den Hagg der Israeliten von Sinaï nach Kanaan. Darauf ist nun allerdings wenig zu geben. Allein wenn die Israeliten von dem Gebirgskamme durch die Wadys Es-Scheikh, Abu-Suweirah und Sa'al in die Ebene zu den niedrigen Hügelzügen nach Ain el-Chadhrah hinabgestiegen sind, so können sie eine Station auf dem Gräberplatz Erweis el-Erbeig gemacht haben. Vom Sinaï bis zu den Gräbern der Lust brauchten die Israeliten drei Tage (Numeri 10, 33; 11, 4-34). Aus dieser Relation scheint hervorzugehen daß dieselbe Station auch Tabera (הרעבת) genannt wurde; in Deuteronom. 9, 22 dagegen werden diese als zwei verschiedene aufgeführt. Die Station Ain el-Chadhrah-Hazerot, wo sie mindestens sieben Tage verweilten – eben weil sie hier Wasser hatten – ist von Palmer anschaulicher geschildert, als von seinen Vorgängern (S. 261 f.). Über eine Sandebene, untermischt mit ausgetretenen Sandsteinklippen, führt der Weg nach Ain el-Chadhrah. Es liegt in einer Tiefe, umgeben von phantastisch geformten Sandsteinwällen, die in verschiedenen Farben schimmern, in verwittertem Weiß, mattem Rot oder Violett, dann wieder in glänzendem Gelb und Scharlach, untermischt mit reichen, dunklen Purpurtinten. Auch Grünstein und Rosengranit kommt in demselben vor. In der Mitte unter einer hohen Klippe liegt ein dunkelgrüner [357] Palmenhain. In einem Felsen hinter diesem entspringt eine Quelle; diese wird durch eine aus Granit gehauene Wasserleitung in ein Reservoir geführt, aus welchem das Wasser durch eine rohe Schleuse hindurchgelassen wird, um Gärten zu bewässern, welche die Araber bebauen. Mauerreste zeugen für einen ehemaligen Wohnplatz, und es sind noch Spuren vorhanden, daß eine christliche Bevölkerung da gewohnt hat. Hier in dieser von Felswänden eingeschlossenen Oase ist Mirjam vom Aussatz befallen worden, und das Volk zog nicht weiter, als bis sie geheilt war. Ain el-Chadhra liegt 28° 51' nördlicher Breite und 34° 25' Länge Greenwich. Von Ain el-Chadhra bis zur Nordspitze des Meerbusens von Aila (Akabah) beträgt die Entfernung etwa 30 Wegstunden.

Haben die Israeliten diese nordöstliche Richtung eingeschlagen oder haben sie sich nordwestlich zur Wüste et-Tih gewendet? Diese Frage ist schwer, wo nicht unmöglich zu beantworten. In Numeri 12, 16 sind die Zwischenstationen, welche das. 33, 18 ff. in dem Katalog verzeichnet sind, übersprungen von Chazerot bis Paran d.h. Kadesch. Aber auch in dem Katalog fehlt die Station תליא und רבג ןויצע. Freilich, wäre es sicher daß die Station Rissa (הסר) identisch ist mit Rasa auf der Peutingerschen Tafel, wie Palmer geneigt ist anzunehmen (S. 508), dann hätten die Israeliten den Norden des ailanitischen Golfes berührt; denn nach der Tafel sind von Hailah (Aila) nach Diana 16 römische Meilen und von hier nach Rasa ebensoviel = 32 Meilen = 52/5 geographische Meilen oder etwa zehn Wegstunden. Die Israeliten hätten dann die Pilgerstraße (Dharb-el-Hagg) eingeschlagen von Aila-Akabah nach Ägypten zu. Man müßte dann annehmen, daß im Katalog der Stationen Aila fehlt, oder daß diese Station durch einen anderen Namen bezeichnet ist, wozu man auch sonst genötigt ist. Es spricht auch dafür, daß die Israeliten am Aila-Golf waren, die Stelle Numeri 14, 25, wo es heißt, daß sie nach der Auflehnung bei Kadesch im zweiten Jahre bedeutet wurden, den Weg zum Schilfmeere, d.h. zum östlichen Meerbusen des roten Meeres, zu wandern (vgl. Deuteron. 2, 1). Allein das alles gibt keine Gewißheit. Die Identifizierung Palmers der Station תחת mit dem Wady Elthi und der Station הדרח mit G'ebel Aradah (הדרע S. 514 f.) ist durchaus unannehmbar.

Einige Gewißheit gibt erst Palmers Forschungsreise für die Lage von Kadesch oder Kadesch-Barnea. Mit Recht betrachtet er diesen Punkt als den Schlüssel zum Verständnis wichtiger historischer und topographischer Verhältnisse der Bibel. Bisher hat man an der Lage herumgeraten. Robinson wollte es einige Stunden südlich vom toten Meere in einer wasserreichen Oase bei Ain el-Waibeh gefunden haben. John Rowland glaubte Kadesch etwa 15 Meilen östlich davon entdeckt zu haben und schrieb triumphierend an seinen Freund: εὕρƞκα! Im SSO des G'ebel Meilahi (Muwileh) entspringe aus einer isolierten Felsenmasse ein Strom, den die Beduinen ihm Kudes nannten. Sie wußten nämlich, daß er Jagd auf eine Lokalität Kadesch machte, und taten ihm den Gefallen, irgendeine Quelle mit diesem Namen zu belegen. Rowland konnte sich in dieser Gegend nicht zurechtfinden. Dazu kam noch die Sucht, biblische Namen mit entfernt ähnlichen Klängen aus dem Munde der Araber zu identifizieren; so Mailahi mit Lachai-Roi יאר יחלימ! Am meisten verfallen Engländer in solche Irrtümer, weil sie die hebräischen Namen radebrechen. Palmer war glücklicher, er fand in der Gegend, die er wissenschaftlich durchforschte und trigonometrisch aufnahm, ein Tal, das [358] noch jetzt Wady Gadisch heißt, und auf der Höhe desselben entspringt eine Quelle, Ain Gadisch genannt. Er identifiziert sie mit Recht mit Kadesch. Die Gegend liegt 6-7 Meilen in der Luftlinie südlich von Khulasa (Khalasa), dem alten Cusa. Ain Gadisch besteht aus drei Quellen oder seichten Teichen (welche die Araber Themail = לימת [hebr. m. arab. Vokalisation] nennen); einer derselben steigt in der Regensaison über und erzeugt einen Wasserstrom (Palmer S. 349 f.). Ain Gadisch liegt ungefähr in der Mitte zwischen der vom toten Meere südlich laufenden Arabah und dem Strom Ägyptens (Wady el-Arisch). So ist auch in Numeri und Josua die Grenze Judäas angegeben: südlich vom toten Meere die Ostgrenze, der Fluß Ägyptens und das Mittelmeer die Westgrenze und in der Mitte Kadesch. Ähnlich in Ezechiel (47, 19) von Thamar (Zoar, der Palmenstadt) im Südost des toten Meeres bis Kadesch, hin zum Nachal (dem langgestreckten לחנ םירצמ) und zum Mittelmeere [vgl. jetzt Riehm-Bäthgen a.a.O. S. 818 ff.]. Wichtiger noch als die Entdeckung von Kadesch ist die Orientierung in der Gegend, welche bis jetzt eine terra incognita oder nur dunkel bekannt war, deren genaue Kenntnis durch Palmer angebahnt ist. Man hat die große Strecke, welche von dem Rundwinkel des Sinaïgebirges durch mehrere Pässe (Nagb) nördlich abfällt, mit dem allgemeinen Namen Badiet et-Tih »Wüste der Wanderungen« genannt, ohne die südliche von der nördlichen, welche bis an die Grenze Palästinas reicht, zu unter scheiden. Die nördliche Gegend hat aber einen ganz anderen Charakter. Sie beginnt mit 30° 15' nördlicher Breite, während der Winkel der Badiet et-Tih um fast 1° 20' südlicher liegt. Diese ist meistens flach, hat nur hier und da einige isolierte Höhen, es findet sich in ihr keine Ruine, kein Zeichen früherer Wohnungen oder Fruchtbarkeit. Dagegen erhebt sich im Norden derselben in der Zone 30° 15' eine Hochebene etwa 18 Meilen von Süd nach Nord, bis zu den Wadys, welche die Höhe von Bir-Saba (עבש ראב) von diesem Plateau scharf abscheiden. Die Hochebene ist 12-13 Meilen breit. Sie führt den Namen G'ebel Magráh. Sie beginnt mit einem Berge, welcher ungefähr 2000 m hoch ist, dem G'ebel Araif (ףירע), und fällt terrassenförmig ab bis zur Gegend von Bir-Saba. Das angesammelte Wasser fließt durch Wadys westlich in den El-Arisch und östlich in die Arabah. Der Zentralstrich dieses Plateaus wird Gebirge der Azazimeh genannt. Diese ganze nördliche Gegend von Wady Gadisch = Kadesch, welche im Unterschiede von der südlichen Oasen hat und Ruinen aufweist, umfaßte nach Palmer (S. 292) in der Sprache der Hebräer der Name Negeb (בגנ). Hier findet man noch Spuren alter Zivilisation, deren Namen sich erhalten haben. In Wady Lussan sind noch römische Ruinen zu sehen, und Palmer identifiziert den Platz mit Lysa auf der Peutingertafel (S. 347). 41/2 Meilen in der Luftlinie nördlich davon entfernt liegt Ain Gadisch = Kadesch. Von Ain Gadisch weiter nach Norden sind die Wadybette eingedeicht, Felder angelegt und Dämme sind darüber geworfen, um die Kraft des Wassers zu brechen und es zu benutzen. Die Berglehnen sind mit Fußpfaden und Terrassen bedeckt (S. 358). Selbst Spuren von ehemaligem Weinbau an den Hügelabhängen fand Palmer. Nördlich von Ain Gadisch ist ein Platz El-Birein, welcher Trümmer alter Wohnungen zeigt. Einige Stunden östlich davon liegt Abdeh, das alte Eboda, das Ptolemäus und die Peutingertafel als eine Ortschaft, an einer Römerstraße liegend, nennen (nicht El-Augah, wie Robinson fälschlich angenommen hat), und wo noch Bautrümmer gut erhalten angetroffen werden [359] (S. 410 f.). Im Norden liegt Khulasa (Kalasa Elusa) gerade in der Entfernung, wie die Peutingertafel angibt, 48 römische Meilen, etwa 10 Meilen nördlich von Eboda, und von da führt der Weg nach Bir-Saba. Das Plateau von G'ebel Magráh ist der Schauplatz der Völkerschaften, welche in der Bibel genannt werden, ohne daß man wüßte, wo man sie placieren soll, die Amalekiter, Kenisiter, Geschuriter, Keniter (vgl. Note 10). Auch Spuren des alten Zephat fand Palmer, für welches die Lage von Kadesch den Schlüssel bietet. [Vgl. hierzu Riehm-Bäthgen S. 901.]

Daß Kadesch in der Wüste oder richtiger in der Trift, der Weidegegend von Paran, gelegen hat, geht aus vielen biblischen Stellen hervor. Poetisch wird daher diese Wüste auch שדק רבדמ genannt (Ps. 29, 8). Folglich ist das Gebirge, zu welchem Kadesch gehörte, der Berg Paran (Deuteron. 33, 2, wo noch die Parallele genannt wird שדק תבברמ התאו ןראפ רהמ עיפוה gleich שדק תבירמ [meribat kadesch], auch Habakuk 3, 3). Man braucht also nicht mit Palmer (S. 510) die Wüste Paran vom Berge zu unterscheiden, als ob jene die ganze Tih umfaßte. Sie sind vielmehr identisch. Im Gebirge Paran, in der Gegend von Kadesch, hielt sich der idumäische Königssohn Hadad auf, ehe er nach Ägypten entfloh (o. S. 330). Denn obwohl Kedesch oder Kadesch im Verzeichnis der Städte Judas aufgezählt wird (Josua 15, 23), so gehörte es doch faktisch niemals dazu, da die äußerste Grenze im Süden stets Beer-Seba genannt wird. [Vgl. jedoch den Artikel »Kades« bei Riehm-Bäthgen S. 837.] Anderseits wird Kadesch auch als in der Wüste Zin gelegen angegeben. Um diesen scheinbaren Widerspruch zu heben, nimmt Palmer an (S. 509), daß Zinder südöstliche Winkel der Tih sei zwischen Akabah und dem Kalkhügel von Contellet-Garaieh, noch südlicher als G'ebel Araif (o. S. 359). Das ist aber falsch; denn Zin wird, wie gesagt, mit Kadesch zusammen genannt, nicht bloß in der Relation von den ausgesandten Kundschaftern, wo es heißt (Num. 13, 3), Mose habe sie von Paran, und (V. 21), er habe sie von Zin aus gesendet, und (V. 26), sie seien nach Paran und Kadesch zurückgekehrt, sondern auch an anderen Stellen. Numeri 27, 14: ןיצ רבדמ שדק תבירמ ימ םה; 33, 36 שדק אוה ןיצ רבדמב ונחיו6; 20, 1 בשיו ... ןצ רבדמ ... ואביו שדקב םעה; Deuteron. 32, 51 ןצ רבדמ שדק תבירמ ימב. Aus allen diesen Stellen geht hervor, daß Kadesch in der Wüste Zin gelegen war, aber auch in der Wüste Paran. An zwei Stellen ist angegeben, daß die Wüste Zin bei oder neben oder an der Seite von Edom gelegen hat. (Numeri 34, 3: םודא ידי לע ןיצ רבדממ; Josua 15, 1: ןיצ רבדמ םודא לובג לא.) Folglich hieß die ganze Gegend westlich von der Arabah, welche zu Edom gehörte, die Wüste Zin, d.h. die östliche Seite des Magráhgebirges. Da nun auch Kadesch in der Wüste Zin lag, so umfaßte diese auch das westliche Gebirge. Folglich ist die Wüste oder Trift Zin identisch mit dem Magrahplateau. Paran dagegen war ein engeres Gebiet, Berg und Trift nahe bei Kadesch. Die Wüste Paran gehörte zur Wüste Zin und bildete nur einen Teil der letzteren7. [Vgl. auch die Artikel »Paran« und »Zin« bei Riehm-Bäthgen S. 1154 f.u. 1867 f.][360] Dadurch ist der Widerspruch ausgeglichen, und wir sind berechtigt, diesen Ausgleich als Ausgangspunkt zu nehmen, daß Paran ein engbegrenztes Gebiet in der Nähe von Kadesch bezeichnete. Wenn es heißt (Genesis 21, 21), daß Ismael in der Wüste Paran wohnte, so können wir daraus schließen, daß die Ismaeliten in der Gegend von Ain Gadisch (Kadesch) ihren Aufenthalt hatten. War die Gegend von Kadesch ganz unbewohnt, als die Israeliten dort eine Zeitlang weilten? Schwerlich. Die Ismaeliten hausten daselbst, ließen aber die Israeliten friedlich weiden. Es wird auch nirgends in der Bibel ein Konflikt zwischen ihnen und den Söhnen Ismaels angeführt. Nördlich von Kadesch oder Paran wohnten die Amalekiter (Numeri 13, 29; 14, 43-45). Genau läßt sich die Gegend nicht bestimmen, da in I. Samuel 15, 15 die קלמע ריע nicht näher bezeichnet ist. In Genesis 14, 7 ואביו ובשיו יקלמעה הדש לכ תא וכיו שדק אוה טפשמ ןיע לא ist offenbar der Rückzug der vier Könige von Süd nach Nord angegeben, während in den vorangegangenen Versen der Zug von Nord nach Süd geschildert wird. Auf der Umkehr kamen sie zuerst nach Ain-Mischpat oder Kadesch, schlugen dann die in der Nähe hausenden Amalekiter, noch mehr nördlich bei En-Gedi die Emoriter und die Könige aus dem Tale Siddim. Daraus folgt auch, daß die Amalekiter in der Nähe von Kadesch ihren Sitz hatten. Zu untersuchen wäre noch die Lage von Chawilah (הליוח), wo sowohl Ismaeliten als auch Amalekiter gewohnt haben.

Lag Kadesch, wie angegeben, zwischen der Arabah und dem Wady el-Arisch, so mußten die Israeliten es oft berühren, sobald sie von Negeb aus zur Grenze Palästinas vordringen wollten. Daher wird mit Recht nach Numeri Kap. 12 und Kap. 20 angenommen, daß sie mindestens zweimal in Kadesch waren, im ersten und im letzten Jahre der Wanderung. Wer diese Tatsache ableugnet, hat keine rechte Vorstellung von den Terrainverhältnissen. Zwar fehlt im Stationenkatalog Numeri der Aufenthalt in Kadesch. Allein da daselbst zum Schlusse V. 35 die Station Ezion-Geber angegeben ist und diese am ailanitischen Meerbusen lag, so müssen in diesem Katalog notwendigerweise die Stationen hin und zurück verzeichnet sein. Von den Stationen von Chazerot unweit des Sinaï bis Ezion-Geber gehört die Hälfte zur Reise von Chazerot bis zur Grenze und die andere Hälfte zur Rückreise von der Grenze bis Ezion-Geber. Das ist übersehen worden. Wenn also Kadesch in der Mitte fehlt, so ist es entweder ausgefallen oder es ist durch einen anderen Namen bezeichnet, z.B. durch תולהקמ (V. 25, 26). Denn beim Haderwasser von Kadesch heißt es (Num. 20, 2): להקה תא ... וליהקיו ... השמ לע ולהקיו. Von diesem Zusammenrotten mag Kadesch Makhelot genannt worden sein. Auf dem zweiten Zug von Ezion-Geber zur Grenze bis Kadesch sind die Stationen nicht genannt, nur summarisch ist angegeben: רבג ןויצעמ ועסיו שדק אוה ןצ רבדמב ונחיו. Dazu gehörten beinahe elf Tagereisen. Wir müssen also zwei Hin- und Rückzüge annehmen.

Daß ein Teil der Stationen im Kataloge dem Rückzuge von Kadesch zum Golfe angehört, folgt auch aus der Vergleichung derselben mit Deuteron. 10, 6-7. Ahron starb auf dem zweiten Rückzuge am Berge Hor (Numeri 20, 22-28; 33, 37-39). Im Deuteron. ist angegeben, Ahron starb in Moßera, d.h. also beim Berge Hor. Folglich lagen die zwei daselbst genannten Stationen weiter südlich von Moßera auf dem Rückzuge nach Ezion-Geber. ועסנ (הרסוממ) םשמ םימ ילחנ ץרא התבטי הדגדגה ןמו הדגדגה [361] . Dieselben werden auch im Kataloge in derselben Reihenfolge verzeichnet: ונחיו ... דגדגה רהב ונחיו ... תורסוממ ועסיו התבטיב. Dadurch ist auch der scheinbare Widerspruch in der Reihenfolge von תורסומ und ןקעי ינב gelöst; die Ordnung im Kataloge ist die vom ersten Rückzuge, die im Deuteron. die vom zweiten Rückzuge. Vermittelst dieser Annahme, daß im Stationenkataloge ein Teil dem Zuge von Chazerot nach Kadesch und der andere Teil dem ersten Rückzuge angehört, und der Annahme, daß darin einige Stationen ausgelassen sind, die in dem kürzeren Kataloge (Numeri 21) genannt sind, und hier wieder andere fehlen, welche in dem längeren aufgezählt werden, sind sämtliche Schwierigkeiten beseitigt. In beiden Verzeichnissen fehlen jedenfalls einige Stationen, die im Deuteron. 1, 1 aufgeführt sind, לפת und בהז יד (s.o. S. 47, Anm. 3).


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1908], Band 1, S. 354-362.
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