3. Kapitel. Die letzten Jehuiden und die Usianische Zeit. (Um 805-758.)

[68] Elende Lage Juda's, erschreckende Naturereignisse: Erdbeben, Dürre und Heuschreckenverwüstung. Usia's Regierung. Unterwerfung der Nachbarvölkerschaften. Befestigung Jerusalems. Neue Schifffahrt auf dem Rothen Meere. Jerobeam's II. Machtvergrößerung. Reichthum in beiden Reichen. Sittenverderbniß im sameritanischen Reiche. Die Prophetenjünger. Der Prophet Amos; die prophetische Beredsamkeit. Joël und seine prophetische Redekunst und Verheißungen. Der Prophet Hosea, Sohn Beeri's. Die Prophezeihung vom ewigen Frieden. Ein Psalm aus dieser Zeit. Verschwörung gegen den letzten Jehuiden, Zacharia, ermordet durch Schallum. Menahem, Mörder Schallum's, Bürgerkrieg. Usia's letzte Regierungsjahre. Reibung zwischen dem Königthum und dem Hohenpriesterthum. Usia's Anmaßung, als Priester zu fungiren. Seine Aussatzkrankheit und Entfernung von der Regierung.


Das Reich Juda, oder das Haus Jakob war nach Amazja's gewaltsamem Tode durch Zerrissenheit im Innern und Angriffe von Außen so außerordentlich geschwächt, daß es zur Schmach unter den Völkern geworden war. Ein zeitgenössischer Prophet nannte es daher die »einstürzende Hütte David's« und rief öfter aus: »Wer wird Jakob aufrichten, da es doch so klein ist«1? Und aus dieser Schwäche und Niedrigkeit hat es sich wieder aufgerafft und sich zu einer so bedeutenden Macht erhoben, daß es den feindlichen Nachbarn Schrecken einflößte. Zunächst mußte im Innern die Zerrüttung beseitigt werden. Gegen die vornehmen Geschlechter, welche zum zweiten Male einen Königsmord begangen und dadurch Verwirrung erzeugt hatten, stand das ganze Volk Juda's auf und rief den jungen Königssohn Asaria oder Usia zum König aus. Dieser sechzehnjährige König, der ebenfalls wie sein zeitgenössischer König Jerobeam II. lange regierte (um 805-755), besaß Thatkraft, Entschlossenheit und Umsicht, und dadurch ist es ihm gelungen, die zusammenstürzende Hütte David's wieder aufzurichten. Seine erste Sorge war, den Leichnam seines Vaters, welcher in Lachisch beigesetzt war, nach Jerusalem zu bringen und ihn [68] in dem Grabgewölbe der davidischen Könige beizusetzen2. Ob er die Mörder seines Vaters bestraft hat, ist nicht überliefert. Dann machte er sich daran, die tiefen Wunden des Landes zu heilen. Schwer war die Aufgabe, denn er hatte nicht nur gegen Feinde im Innern und in der Nachbarschaft, sondern auch gegen die Ungunst der Umstände zu kämpfen. Als hätte sich der Himmel gegen das Land verschworen, brach nämlich eine Reihe von zerstörenden Naturereignissen über dasselbe herein, die geeignet waren, auch den Muthigsten niederzubeugen und sich stumpf und widerstandslos den Zufällen zu überlassen.

Zunächst erzitterte die Erde in Usia's Zeit und erschreckte die Bevölkerung Palästina's durch die Ungewohntheit der Erscheinung. Die leichten Häuser stürzten ein und manche Städte wurden in Trümmerhaufen verwandelt. Die Einwohner rannten unter Jammergeschrei in wilder Flucht auf dem schwankenden Boden hin und her, jeden Augenblick gewärtig, von einem Abgrund verschlungen zu werden. Die begleitenden Erscheinungen des Erdbebens erhöhten noch das Entsetzen. Die Sonne war durch dichte Nebel, die sich plötzlich gebildet hatten, verdunkelt, und diese hüllten Alles in eine Finsterniß ein, die von Zeit zu Zeit durch zuckende Blitze erhellt wurde und das Grausen noch vermehrte. Mond und Sterne schienen ihr Licht eingebüßt zu haben. Das Meer brauste und tobte in Folge des Aufruhrs in seinem Bette und ließ seine betäubende Stimme weithin vernehmen. Der Schrecken des Erdbebens erregte in den Gemüthern um so mehr Entsetzen, als ein Prophet im Zehnstämmereich zwei Jahre vor dem Eintreffen desselben es im Voraus verkündet hatte. Im Namen Gottes sprach der Prophet Amos: »Sieh', ich werde unter euch den Boden knarren lassen, wie der Wagen knarrt, der voller Garben ist. Und Flucht wird den Leichtfüßigen schwinden, und der Held wird sich nicht retten können, der Bogenschütze wird nicht Stand halten, der Reiter sein Leben nicht retten, und der Beherzteste unter den Helden wird an jenem Tage nackt entfliehen«3. Das Eintreffen der drohenden Verkündigung erfüllte die Gemüther mit Angst, der Weltuntergang schien nah.

Kaum war dieser Schrecken vorüber, als ein neues Unglück hereinbrach. Die regelmäßigen Regenniederschläge blieben aus, auch der Thau erfrischte nicht die Felder, eine anhaltende Dürre ließ die Gräser vertrocknen, die Wasserbehälter versiegten, die Sonne glühte wie Feuer und verwandelte Trist und Ackerland in Wüste. Nicht bloß die Menschen, sondern auch das Vieh lechzten nach Erquickung und Nahrung, [69] und die wilden Thiere des Walddickichts irrten verschmachtend umher4. Die Bewohner der Städte, in denen völliger Wassermangel herrschte, wanderten verschmachtet zur nächsten Stadt, wo sie mehr Vorrath zu finden hofften, konnten ihren Durst aber nicht genügend löschen5. Diese Trockenheit herrschte über weite Strecken, auch in Gegenden, wo Heuschreckenschwärme regelmäßig hausten, im Nordosten Palästinas, in der Lavagegend des Hauran. Die Heuschrecken, welche in ihrer Heimath keine Nahrung fanden, flogen über den Jordan und nagten im Zehnstämmereich und im Lande Juda Alles ab, was die Dürre nicht vertrocknet hatte. In dichten Haufen, welche die Sonne verfinsterten, schwärmten sie heran, und mit einem Male waren Weinstöcke, Feigen- und Granatbäume, Palmen und Aepfelbäume kahl abgenagt. Diese Heuschreckenverwüstung wiederholte sich mehrere Jahre hinter einander und erzeugte die Noth der Verzweiflung6.

Im Lande Juda, das durch die Kriegsunfälle an den Rand des Untergangs gebracht war, hatte die Niedergeschlagenheit einen hohen Grad erreicht. Es schien, als hätte Gott sein Erbe, Volk, Land und Tempel aufgegeben und sie der Schmach und dem Elend überlassen. Oeffentliche Trauer und Bittgänge um Abwendung des Unglücks wurden reichlich angestellt. Viel hat wohl der Prophet Joël, Sohn Petuel's, der zur Zeit der Noth öffentlich sprach und bessere Tage verkündete, zur Hebung des gesunkenen Muthes beigetragen. Ohne Eindruck blieb seine markige und tiefeindringliche Rede gewiß nicht, zumal die Dürre und die Heuschreckenverwüstung ein Ende nahmen, der Regen wieder Flur und Gärten zur prangenden Blüthe trieb, Bäche und Cisternen wieder füllte und Wassermangel und Hungersnoth ein Ende nahmen. Der junge König Usia benützte sofort die eingetretene Besserung, um die Feinde Juda's zu züchtigen. Zunächst wendete er sich gegen die Idumäer, welche sein Land verwüstet hatten; er schlug sie, weil sie vielleicht da mals nicht mehr von Aegypten aus unterstützt wurden, und brachte Edom wieder in Abhängigkeit. Selbst die Stadt Ailat am Busen des Rothen Meeres brachte er wieder an Juda, und dadurch konnte die einträgliche Schifffahrt nach Arabien und Ophir (Indien) wieder aufgenommen werden7. Die Maonäer oder Minaer, welche ein kleines Gebiet innerhalb Idumäa um die Stadt Maon (Maan) inne hatten, unterwarf Usia und machte sie tributpflichtig. Die Philister züchtigte er, weil sie während seiner Minderjährigkeit Feindseligkeiten [70] gegen die Judäer ausgeübt und die Flüchtlinge und Auswanderer an die Idumäer ausgeliefert hatten. Er eroberte die Städte Gath, Asdod und Javneh (Jammia), welche dem Lande Juda näher lagen, und ließ deren Mauern schleifen. Theile vom Philisterlande riß er los, vereinigte sie mit seinem Lande und ließ feste Städte darin erbauen8.

Ganz besonders ließ er es sich angelegen sein, Jerusalem wieder zu befestigen. Die Nordmauer war in Folge des Krieges seines Vaters gegen Jeboasch von Israel vierhundert Ellen lang zertrümmert (oben S. 64). Dadurch konnte die Hauptstadt keinem Feinde Widerstand leisten. Diese Nordmauer ließ Usia wieder herstellen, vielleicht noch widerstandsfähiger machen. Wahrscheinlich stellte er sich in ein freundliches Verhältniß zu Jerobeam II., sonst hätte er ohne Krieg die Befestigung nicht durchführen können. An drei Stellen ließ Usia hohe Thürme von hundert und fünfzig Ellen Höhe aufrichten, im Norden am Zinnenthor, im Süden am Thor, das zum Thal Hinnom führt und noch an einem dritten Orte, vielleicht im Nordostwinkel, den Thurm Chananel9. Auf den Thürmen und Zinnen der Mauern wurde eine Art Maschinen (Chischbonôt) angebracht, vermittelst welcher schwere Steine weit geschleudert werden konnten10. Ueberhaupt hat Usia vielen Eifer für Kriegsrüstungen entwickelt; die Krieger wurden mit Schilden, Panzern und Speeren versehen11. Auch Reiterei und Kriegswagen wurden wieder eingeführt und zwar wie zu Salomo's Zeit aus Aegypten12. Usia scheint sich überhaupt Salomo's Regierung zum Muster genommen zu haben; die Schifffahrt auf dem Rothen Meere von dem Hafen Ailat, den er den Idumäern entrissen hatte, wurde wieder aufgenommen und dazu wieder große Schiffe (Tarschisch-Schiffe) ausgerüstet13. Dadurch kam wieder Reichthum nach Juda und Jerusalem. »Das Land füllte sich mit Silber und Gold und kein Ende war seiner Schätze, und es füllte sich mit Rossen und kein Ende war seiner Kriegswagen«14. Usia hob so sehr das Land durch kriegerische Rüstungen und Reichthum, daß es den Nachbarn wieder Schrecken einflößte, selbst in Aegypten war Usia's Namen geachtet15.

[71] Das Zehnstämmereich gelangte in derselben Zeit zu noch größerer Machtentfaltung unter Jerobeam II., der eben so kriegerisch wie Usia war. Im weiteren Verlauf seiner langen Regierung führte er stets Fehden mit den Aramäern, eroberte die aramäische Hauptstadt Damaskus und drang erobernd vor bis zur Stadt Hamath, die er ebenfalls einnahm und seinem Reiche unterwarf. Die Völkerschaften, welche vom Libanon bis zum Euphrat wohnten und bis dahin dem Reiche Damaskus unterworfen waren, wurden in Folge dieser Eroberungen dem König von Israel zinsbar. Jerobeam hatte keine nebenbuhlerische Macht mehr in dieser Gegend, welche ihm die Herrschaft hätte streitig machen können. Die Phönicier waren durch innere Aufstände in der Hauptstadt Tyrus gegen die Nachkommen des Königs Ithobal (o. S. 20) in außerordentliche Schwäche gerathen. Während Jerobeam's II. Regierung scheint ein Bürgerkrieg in Tyrus ausgebrochen zu sein, indem eine Partei es mit dem jungen König Pygmalion und eine andere mit dessen Schwester Elissa (Dido?) hielt, welche mit einem Oberpriester des Götzen Melkart verheirathet war. Dieser hatte wohl die Absicht, seinen Schwager zu entthronen und sich die Krone aufzusetzen, wurde aber erschlagen. Die unterlegene Partei entfloh mit der Königstochter Elissa nach Afrika und gründete oder vergrößerte dort die phönicische Colonie Karthago (um 812)16. In Folge dieser Auswanderung vornehmer Geschlechter nach dem Nordostrand Afrikas erlangte das bis dahin unterdrückte Volk in Tyrus mehr Macht. Die Städte, welche, seitdem Tyrus die Obmacht an sich gerissen hatte, von ihm abhängig waren, benutzten dessen Schwäche, um sich von ihm unabhängig zu machen. Phönicien, das eine geraume Zeit eine gebietende Stellung hatte, büßte seit der Zeit seinen bedeutenden Einfluß ein. Jerobeam II. konnte daher seine Herrschaft nach dieser Seite ungehemmt ausdehnen. Reichthum war auch in Samaria verbreitet von der Beute, vielleicht auch von erneuerter Handelsblüthe. Nicht bloß der König, auch die Vornehmen und die Wohlhabenden machten großen Aufwand, vielleicht noch mehr als unter Salomo. Der König Jerobeam besaß einen Sommer- und einen Winterpalast; Häuser aus großen Steinquadern mit Elfenbein verziert und Sitze aus Elfenbein waren alltäglich geworden17. Man konnte, wenn man den Blick nur auf die Machtvergrößerung beider Reichshälften richtete, sich der Täuschung überlassen, daß die Salomonische Zeit noch fortdauerte und daß keine weitere Veränderung vorgefallen sei, als [72] daß anstatt eines zwei Könige herrschten, daß der Bruch nicht eingetreten oder die Wunden wieder geheilt seien. Jerobeam und Usia scheinen mit einander Frieden gehalten zu haben, sonst hätten beide nicht solche Erfolge erringen können. Israeliten durften ungehindert nach der geheiligten Stätte in Veerseba wallfahrten18. Wahrscheinlich besuchten auch Manche den Tempel in Jerusalem. Es war der letzte Schimmer einer politisch glücklichen Zeit. Denn innere Gebrechen, welche in Folge des Wohlstandes in dem Zehnstämmereich noch mehr als im judäischen Reich zum Vorschein kamen, machten den glücklichen Tagen bald ein Ende und beschleunigten den Verfall.

Im Zehnstämmereich dauerte nicht nur der Stierkultus in Bethel und Dan fort, sondern erhielt eine noch größere Verbreitung. In Samaria und in Gilgal wurden ebenfalls Bildnisse des Stieres aufgestellt19. Bethel scheint Jerobeam zur Residenz erhoben zu haben. Hier wurde das Hauptheiligthum errichtet20. Hier waltete eine Art Oberpriester, Amazja, der auf sein Amt recht eifersüchtig war. Dieser hatte um Bethel seine Felder, eine reiche Pfründe21, ungleich den ahronidischen Priestern in Judäa. Als hätte diese Verirrung noch nicht genügt, oder als hätte sie die Gemüther nicht befriedigt, oder als hätte die in Folge des Reichthums eingerissene Ueppigkeit eine andere Religionsform zum Bedürfniß gemacht, fanden der häßliche Baalkultus und die unzüchtige Astartenverehrung wieder Eingang. Hat der König selbst diese zugleich Körper und Geist aufreibende Afterreligion begünstigt oder sie nur geduldet? Auffallend genug ist es, daß der Kultus, den Jehu mit so vielem Eifer und mit Blut gebannt hatte, unter seinem Enkel wieder in Aufnahme und Aufschwung kam. Das neueingeführte Götzenthum hatte selbstverständlich Sittenlosigkeit, Unzucht und Verderbniß im Gefolge. Um die Lüste zu befriedigen, war der Sinn nur auf Reichthum gerichtet. Die Besitzenden machten Wuchergeschäfte und trieben ihre Schuldforderungen mit solcher Härte ein, daß sie ihre verarmten und zahlungsunfähigen Schuldner oder deren Kinder zu Sklaven machten und sie als solche verkauften. Ganz besonders trieben die Reichen Getreidewucher. In Nothjahren öffneten sie ihre Vorrathskammern, verkauften Lebensmittel – wandten auch dabei falsches Maß und Gewicht an – und wenn die Verarmten außer Stande waren, das Geliehene zurückzuerstatten, so pfändeten sie [73] mit herzloser Härte deren Kleider und auch deren Personen22. Wenn die Unglücklichen in der Volksversammlung ihre Klagen über Ungerechtigkeit erhoben, fanden sie kein Gehör, die Richter waren Mitschuldige oder bestochen und taub gegen die Stimme des Rechtes23. Die angehäuften Schätze verpraßten die Besitzenden in täglich sich wiederholender Schwelgerei. Drastisch schildert der zeitgenössische Prophet Amos dieses üppige Leben der Reichen und Vornehmen unter Jerobeam in den Residenzstädten: »Sie liegen auf Elfenbeinbetten und strecken sich auf ihren Lagern, verzehren Fettschafe und junge Rinder von der Mast, klimpern auf dem Nablium, wie David haben sie Saitenspiel erdacht; sie trinken aus Krügen Wein und salben sich mit den feinsten der Oele«24. Die Weiber der Vornehmen ahmten dem schlechten Beispiel ihrer Männer nach oder überboten es noch, stachelten diese zur Hartherzigkeit gegen die Armen auf und riefen ihnen zu: »Bringet, bringet nur, wir wollen trinken!«25

Im israelitischen Volksthum konnte aber die sittliche Unordnung nicht so sehr um sich greifen, daß sie hätte als die Ordnung gelten und gebieten können. Die Sittlichkeit, die Gerechtigkeit und die lautere Gottesverehrung hatten auch ihre Vertreter, die gegen die Verdorbenheit der Großen entschieden und immer entschiedener ihre warnenden und strafenden Stimmen erhoben und, wenn auch in unscheinbarem Gewande, sich doch Gehör zu verschaffen wußten. Ein Jahrhundert war zwar beinah abgelaufen, seitdem der Prophet Eliahu mit wallendem Haar gegen Achab's und Isebel's Frevelthaten aufgetreten war, aber die von ihm zum Leben erweckte Prophetenjüngerschaft bestand noch, um in seinem Geiste und mit seinem Eifer weiter zu wirken. Die Jugend, welche in der Regel für ideale Bestrebungen empfänglicher ist, empfand einen Widerwillen gegen die einreißende Sittenverderbniß und sammelte sich zahlreich um den Kern der Prophetenjünger in Bethel, Gilgal und Jericho. Die Generation, welche Elisa erzogen und belehrt hat26, nahm zwar das äußere Abzeichen derselben, die nasiräische, enthaltsame Lebensweise und das wallende Haar an, ließ es aber nicht bei dieser Aeußerlichkeit bewenden, sondern eiferte gegen die religiöse Verkehrtheit, die Ueppigkeit und die Sittenlosigkeit. Die Söhne traten als Sittenrichter gegen die Väter auf. [74] Die Jünglinge entsagten dem Weine, während die Männer und die Greise an Gelagen bei großen Weinkrügen schwelgten. Die jugendliche Schaar der Prophetenjünger vertrat das mahnende Gewissen. Vor dem Könige und den Großen eiferten sie laut in Volksversammlungen gegen den Baalkultus, die Herzensverhärtung der Reichen. Hat sie ihre große Zahl vor Verfolgung geschützt? Oder waren unter den Prophetenjüngern Söhne vornehmer Eltern, gegen welche Strenge nicht gut angewendet werden konnte? Oder war der König Jerobeam duldsamer als jene verruchte Isebel, welche die Prophetenjünger zu Hunderten umbringen ließ? Oder schlug er ihre Worte in den Wind? Es ist jedenfalls bemerkenswerth, daß den eifernden Jünglingen nichts zu Leide gethan wurde. Die Zecher zwangen sie nur, Wein zu trinken und verboten ihnen das rügende Wort27. Sie haßten zwar diese Sittenrichter, welche ihre Blößen aufdeckten, aber sie verfolgten sie nicht28.

Von dieser Redefreiheit im Zehnstämmereich machte ein Prophet Gebrauch, welcher die Reihe der großen, dichterischen, Gedankengehalt mit ebenmäßiger Form verbindenden Propheten eröffnet, die den Königen, den Großen und dem Volke mit schneidenden Worten die Wahrheit sagten. Es war Amos aus der Stadt Thekoa oder Eltheke29. Er gehörte nicht zu der Prophetenzunft, war nicht Prophetenjünger, trug wohl nicht ein härenes Gewand wie Eliahu, ließ sich auch wohl nicht das Haar lang wachsen, sondern war ein schlichter Heerdenbesitzer und Pflanzer von Sykomoren30, welche in der Ebene (Schephela) zahlreich wuchsen. Während er seine Herden wartete, ergriff ihn einst der prophetische Geist so gewaltig, daß er nicht widerstehen konnte, in die Oeffentlichkeit zu treten. Gott sprach zu ihm, in ihm, wie sollte er nicht prophezeien?31 Der prophetische Geist trieb ihn, nach Bethel zu gehen, dort beim königlichen Heiligthum und in der zeitweiligen Residenz des Königs Jerobeam II. die Verkehrtheiten und Laster der Großen zu rügen und ihnen die Folgen ihrer Missethaten vor Augen zu führen. Es muß in Bethel einiges Aufsehen erregt haben, daß ein Mann vom Lande, der an seiner Tracht als Hirte kenntlich war, es wagte, öffentlich zu sprechen. Ein hoher Bildungsgrad muß damals auch im samaritanischen Reiche verbreitet gewesen sein, daß ein Hirte wohlgesetzte Reden im schönsten Ebenmaße halten konnte und vom Volke verstanden wurde, wenigstens vorausgesetzt hat, daß er verstanden [75] werden würde. War Amos der erste, welcher diese Beredtsamkeit, eine ganz neue Gattung, eingeführt hat? So weit sich die Reihe der Propheten bis Samuel rückwärts übersehen läßt, sprachen sie ihre mahnenden und rügenden Worte in schlichter Rede, ohne poetischen Schwung, flochten höchstens einmal eine Parabel ein und begleiteten sie mit einer bedeutungsvollen Handlung. Die erhaltene Rede Micha's, des Sohnes Jimla's (o. S. 35) nahm schon einen Ansatz zu dichterischer Gliederung. Amos' Reden und die seiner Nachfolger sind aber doch anderer Art; sie vereinen den Fluß und die Gemeinverständlichkeit der Prosa mit der Gliederung, dem Gleichmaß und Wohllaut der Poesie. Durch Gleichnisse und phantasievolle Lebendigkeit haben sie den dichterischen Schwung noch mehr gehoben. Man ist daher in Verlegenheit, ob man diese Gattung zur Prosa oder zur Poesie zählen soll. Man kann sie nur nothbehülflich als schön geformte dichterische Beredtsamkeit bezeichnen. Amos' Reden ließen zwar seinen Stand nicht verkennen. Er gebrauchte Gleichnisse, die dem Hirtenleben entnommen sind. Man hörte es ihm an, daß er bei seiner Herde öfter das Brüllen des Löwen gehört und daß er in den Nächten die Sternbilder beobachtet haben muß. Aber durch diese Eigenheiten verlieh er seinen Reden nur noch mehr Reiz.

Amos trat in Bethel noch vor dem Erdbeben auf und verkündete es in prophetischer Vorschau mit deutlichen Worten. Er begann einleitend:


»Der Herr wird von Zion ausdonnern

Und von Jerusalem seine Stimme hören lassen.

Darob werden der Hirten Tristen trauern

Und des Karmels Spitze verdorren.«


Die Zuhörer in Bethel mögen nach dieser Einleitung eine Strafpredigt erwartet haben; es folgte auch eine Verkündigung von Unglück, aber nicht eine Androhung gegen das eigene Land, sondern gegen die Nachbarländer, gegen Damaskus, Gaza und das Philisterland, gegen Tyrus, Edom, Ammon und Moab, stets mit den Einleitungsworten: »Wegen dreifacher Sünde und vierfacher werde ich es nicht abwenden.« Durch diese Abschweifung lauschten die Zuhörer immer gespannter, da sie scheinbar aus dem Spiele gelassen wurden. Amos rückte ihnen aber immer näher, sprach auch von der dreifachen und vierfachen Sünde Juda's und endlich kam er auf das samaritanische Reich zu sprechen:


»Wegen dreifacher Sünde Israel's

Und wegen vierfacher

Werde ich es nicht abwenden.

Weil sie Unschuldige um Geld

Und Arme um Schuhe verkauften.

[76] Weil sie in dem Staube der Erde

Die Köpfe der Armen zertreten,32

Den Weg der Sanftmüthigen verlegen,

Sohn und Vater zu Dirnen gehen.

Um meinen heiligen Namen zu entweihen.

Auf gepfändeten Gewändern lagern sie neben jedem Altar

Und trinken Wein von Strafgeldern im Tempel ihres Gottes.«


Wegen dieser vielfachen Sünden verkündete Amos als Strafgericht über sie, daß die Erde unter ihnen knarren werde, so daß selbst die Leichtfüßigen, die Reiter und die Helden sich nicht werden retten können.


»Wie der Hirt aus des Löwen Rachen

Rettet zwei Kniestücke oder ein Ohrlappen,

So werden die Israeliten in Samaria

Sich nur retten

Mit dem Stück einer Lagerstätte

Und mit eines Bettes Zeug,

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Am Tage, wenn ich Israels Sünde ahnden werde,

Werde ich die Altäre in Bethel heimsuchen,

Des Altars Spitzen werden umgehauen werden

Und zur Erde fallen

Ich werde das Winterhaus sammt dem Sommerhause zertrümmern,

Untergehen werden die Häuser von Elfenbein

Und große Häuser werden schwinden.

Das ist Gottes Spruch.«33


Das Erdbeben war darauf mit allen Schrecknissen in seiner Begleitung eingetreten und hatte Verwüstungen angerichtet. Von den darauf folgenden Plagen der Dürre, der Unfruchtbarkeit, der Heuschreckenverheerung wurde das Zehnstämmereich eben so heimgesucht wie das Reich Juda. Amos und die Bessergesinnten erwarteten davon eine Umkehr zum Besseren, das Einstellen der Frevelthaten, der Bedrückungen und der gemüthsverhärteten Verfolgungen gegen die Verarmten. Allein es zeigte sich keine Besserung. Gegen diese Unbußfertigkeit sprach Amos später (4, 4 fg.) in noch herberer Weise:


»Geht nur hin nach Bethel und sündigt,

In Gilgal sündigt nur noch mehr,

Bringet jeden Morgen eure Opfer,

Jeden dritten Tag eueren Zehnten,

Bringet nur vom Raube Dankopfer,

Rufet freiwillige Gaben laut, recht laut aus,

[77] Denn so liebt ihr es doch, Haus Israel!

Ich habe euch zwar Leere der Zähne gegeben in allen euren Städten,

Mangel an Brod in allen euren Plätzen,

Und ihr seid nicht zu mir zurückgekehrt.

Ich habe euch den Regen versagt drei Monate vor der Ernte,

Habe auf eine Stadt regnen lassen,

Auf eine andere nicht.

Ein Feld wurde beregnet,

Und ein anderes, nicht beregnet, verdorrte.

Es wandelten zwei, drei Städte zu einer Stadt und wurden nicht satt.

Und ihr seid nicht zu mir zurückgekehrt.

Ich habe euch mit Brand und Unreife geschlagen,

Den Wuchs eurer Gärten, Weinberge, Feigen und Oliven fraß die Heuschrecke,

Und ihr seid nicht zu mir zurückgekehrt.

Ich habe über euch die Seuche geschickt, wie einst über Aegypten,

Habe durchs Schwert umkommen lassen eure Krieger

Und noch dazu die Pracht eurer Rosse34,

Ließ den Mißgeruch eures Lagers in eure Nase steigen,

Und ihr seid nicht zu mir zurückgekehrt.

Ich habe in eurer Mitte Zerstörung angerichtet

Wie die Zerstörung von Sodom und Gomorrha,

Und ihr waret wie ein Scheit dem Feuer entzogen,

Und ihr seid nicht zu mir zurückgekehrt.

Das ist der Spruch Gottes:

›Darum werde ich dir, Israel, das anthun.

Weil ich dir das anthun werde,

So rüste dich, deinem Gott entgegen, Israel!‹


Amos verkündete darauf einen furchtbaren Tag.


Eine Stadt, die tausend stellt,

Wird nur hundert behalten,

»Und die hundert stellt

Wird nur zehn behalten.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Weil ihr auf die Armen tretet

Und selbst geliehenes Getreide35 ihm abnehmt,

Darum die Quaderhäuser, die ihr erbaut,

Sollt ihr nicht bewohnen,

Von den Weinbergen, die ihr gepflanzt,

Sollt ihr nicht den Wein trinken.«


Gegen die starken Geister, welche spöttische Bemerkungen über des Propheten Androhung gemacht hatten oder welche auf ihre Kraft, ihre [78] Frömmigkeit oder ihre Abstammung stolz waren und sich unverletzlich dünkten, sprach er:


»Ihr wünschet den Tag des Herrn herbei!

Was soll euch der Tag des Herrn?

Er bedeutet Finsterniß und nicht Licht.

Wie, wenn man vor dem Löwen flieht,

Und von dem Bären angefallen wird,

In's Haus geht, sich an die Wand lehnt,

Und von der Schlange gebissen wird.

Wahrlich, Finsterniß ist der Tag des Herrn

Und nicht Licht,

Mitternächtiges Dunkel

Und nicht Sternenhelle.

Ich hasse, verachte euer Festopfer

Und mag nicht euer Weihopfer.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Entferne von mir deiner Lieder Gebraus

Und deiner Harfen Spiel mag ich nicht hören.«36


Je unverbesserlicher sich die Vornehmen zeigten, desto herber und heftiger sprach Amos. Anfangs deutete er die Strafe, welche sie treffen sollte, nur leise an, dann drückte er sich bestimmter aus: daß die Bewohner des Zehnstämmereiches über Damaskus hinaus vertrieben werden würden. Von dem Volke, von welchem der Untergang ausgehen werde, gab er nur eine Andeutung, ohne es zu nennen. Zuletzt rückte Amos mit der Sprache heraus:


»Verödet werden Isaak's Altäre sein,

Israel's Heiligthümer verwüstet,

Gegen das Haus Jerobeam werde ich mit dem Schwerte aufsteh'n.

Israel wird von seinem Boden vertrieben werden.«


Dieser kühnen Sprache, selbst gegen das Königshaus, glaubte der Oberpriester von Bethel Einhalt thun zu müssen. Amazja machte dem König Jerobeam Anzeige davon. Dieser scheint bis dahin entweder aus Gleichgültigkeit oder aus Rücksicht auf den Propheten keine Strenge gegen ihn haben walten lassen. Auch dieser Strafandrohung gegenüber blieb Jerobeam, wie es scheint, ruhig und ließ Amos keineswegs verfolgen. Wohl in seinem Namen sagte ihm nur Amazja: »Du Seher, gehe eilends nach Juda, iß dort Brod und prophezeie dort, in Bethel aber sollst du nicht mehr prophezeien, denn es ist das Heiligthum des Königs und die Residenz des Reiches.« Amos ließ sich aber dadurch nicht in seiner Rede stören und fuhr fort: »Nicht Prophet bin ich und nicht Prophetenjünger, sondern ein Herdenbesitzer und ein Pflanzer. Aber der Herr sprach zu mir: ›Gehe, [79] prophezeie meinem Volke Israel‹37. In den starksten Ausdrucken vollendete er darauf seine Strafandrohung:


An jenem Tage werde ich die Sonne am Mittaa untergehen lassen

Und die Erde am hellen Tage verdunkeln,

Werde eure Feste in Trauer verwandeln,

Eure Jubellieder in Trauergesang.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ich werde Hunger [und Durst]38 in das Land senden,

Nicht Hunger nach Brod,

Nicht Durst nach Wasser,

Sondern den Spruch Gottes zu hören.

Sie werden wandern von Meer zu Meer,

Und von Nord nach Süd,

Und von West nach Ost werden sie streifen,

Das Wort Gottes zu suchen,

Und es nicht finden.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ich sah den Herrn stehend auf dem Altar und er sprach:

Schlage den Knauf,

Daß die Schwellen erbeben!

Ich werde die an der Spitze Aller zerschmettern39

Und ihre Nachkommen durch Schwerter umkommen lassen.

Niemand soll mir entfliehen,

Keiner sich retten.

Wenn sie sich in's Grab wühlen,

Wird sie meine Hand von dort holen,

Wenn sie in die Höhe steigen,

Werde ich sie von da hinunterstürzen,

Wenn sie sich auf des Karmels Spitze verbergen,

Werde ich sie von dort aufsuchen und holen,

Und wenn sie sich vor meinem Auge in des Meeres Boden verstecken,

Werde ich die Schlange entbieten,

Sie dort zu beißen.

Wenn sie in Gefangenschaft vor dem Feinde gehen,

Werde ich von dort das Schwert entbieten,

»Sie zu tödten.

Ich werde mein Auge auf sie zum Unglück und nicht zum Gluck tichten.«


Es ist bemerkenswerth, daß der prophetische Hirte von Thekoa seine herbe Entrüstung mehr gegen die sittlichen Missethaten, als gegen die religiösen Sünden richtete. Wohl spottet er über den Sündengott [80] von Samaria, über den Götzen von Dan, über die Altäre von Bethel und Gilgal, über die Wallfahrten nach Beerseba. Aber am meisten entbrannte sein prophetischer Eifer gegen die Ungerechtigkeit und Hartherzigkeit, unter welcher die Verarmten zu leiden hatten. Amos war der erste eifervolle Kämpfer für die Hülflosen. Beachtenswerth ist es auch, daß er die Missethaten in Juda nicht mit demselben Eifer bekämpfte, sondern eine gewisse Schonung gegen das dem davidischen Hause unterworfene Reich an den Tag legte. Er bezeichnete die Sünden, welche hier im Schwange waren, nicht näher, sprach nur im Allgemeinen von ihnen:


»Wegen dreifacher Sünden Juda's

Und wegen vierfacher werde ich es nicht abwenden.

Weil sie die Lehre Gottes verachten,

Und seine Satzungen nicht beachten,

Ihre Täuschungen sie irre führen,

Denen ihre Vorfahren nachgingen«40.


Dem Reiche Juda verkündete er vielmehr eine glückliche Zukunft. Wenn er von dem Hause Israel sagte:


»Sieh, die Augen Gottes sind auf das sündhafte Reich gerichtet,

Ich werde es von der Oberfläche der Erde vertilgen,


so fügte er hinzu:


Aber nicht vertilgen werde ich das Haus Jakob«41.


In seiner prophetischen Schau, daß neue Plagen über das Land hereinbrechen sollten, legte er eine Fürbitte für das Reich Juda ein: »Ich sprach: Herr Gott, unterlaß es doch, denn wer könnte Jakob aufrichten, das so klein ist«42!

Die Schwäche, in welche Juda nach dem Tode Amazja's gerathen war, und von der es sich in den ersten Regierungsjahren Usia's noch nicht erholt hatte, stimmte den Propheten Amos zum Mitleid für dasselbe. Er wollte Volk und Königshaus, welche sich aufraffen sollten, nicht noch mehr entmuthigen. Amos lebte der Ueberzeugung, daß von Juda aus das Heil für die Zukunft ausgehen würde. Er prophezeite daher die einstige Vereinigung der Bruderstämme unter dem Hause David's:


»An jenem Tage werde ich David's eingestürzte Hütte aufrichten,

Ihre Mauerrisse wieder ergänzen;

Ihre Trümmer wieder erheben

Und sie aufbauen wie in früheren Zeiten.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

[81] Ich werde auch die Gefangenen Israel's wieder heimführen,

Sie werden öde Städte aufbauen und bewohnen,

Weinberge pflanzen und den Wein trinken,

Gärten anbauen und die Früchte genießen.

Ich werde sie in ihren Boden einpflanzen,

Und sie sollen nicht mehr daraus verbannt werden.«43


Das waren die letzten zukunftsfrohen Worte des großen Propheten von Thekoa. Von seinem Leben und seinem Ende ist nichts bekannt geworden.

Zur selben Zeit trat ein anderer Prophet in Jerusalem auf, von dem noch viel weniger, oder eigentlich gar nichts bekannt ist, Joël, der Sohn Petuël's. Die meisten Propheten traten aus dem Dunkel heraus und kehrten in das Dunkel zurück, ohne eine Spur ihrer Persönlichkeit zu hinterlassen. Diese gingen in ihrem Wirken und in ihren Werken vollständig auf. Joël trat in der Zeit auf, als die Gemüther durch die auf einander folgenden Unglücksfälle durch die Idumäer und Nachbarvölker, durch die andauernden Plagen des Erdbebens, der Dürre und der Heuschreckenverwüstung verzagt und fast bis zur Stumpfheit verzweifelt waren. Die Bevölkerung Jerusalems und des Landes erschöpfte sich in Fasten und Klagen, zerriß die Kleider als Zeichen der Trauer, sammelte sich um den Tempel mit Wehklagen und Thränen, den göttlichen Zorn abzuwenden. Die Priester waren von derselben Verzagtheit ergriffen, da sie nicht einmal im Stande waren, das einfachste Opfer aus Mehl und Wein darzubringen. Joël hatte daher eine andere Aufgabe als Amos; er durfte nicht rügen und eifern, sondern er mußte die Gemüther aufrichten und ermuthigen und der erschlaffenden Verzweiflung steuern. Die Sünden und Verkehrtheiten des Volkes durfte er nicht aufdecken, sondern nur leise darauf hinweisen, nur anspielen auf die Trunkenbolde, denen der Wein fehlte, auf die äußerliche Buße, welche sich im Zerreißen der Kleider äußerte aber das Herz ungebessert ließ, auf die verkehrte Vorstellung, daß ohne Opfer die Gottheit nicht versöhnt werden könnte. Die ganze Kraft seiner Beredtsamkeit mußte Joël anwenden, um im Volke von Juda und Jerusalem die Ueberzeugung zu erwecken, daß Gottes Gnade nicht von ihm gewichen sei, Zion noch sein heiliger Berg bleibe, daß er sein Volk nicht der Schmach preisgeben werde, daß er langmüthig, voller Gnade sei und auch ohne Opfer und Fasten das Unglück abwenden werde.

Joël's Redekunst war vielleicht noch bedeutender als diejenige Amos'. Seine zur Erhöhung des Eindrucks angebrachte Schilderung der Heuschreckenverwüstung und der sie begleitenden Plagen ist von [82] ergreifender Anschaulichkeit. Der Leser glaubt Augenzeuge derselben zu sein. Seine prophetische Beredtsamkeit hält ebenfalls die Mitte zwischen Poesie und Prosa, hat Ebenmaß und Gliederung und fast eine Art Strophenbau. Die einzige Rede, die sich von ihm erhalten hat, zerfällt in zwei Hälften; in der einen schildert er das Unglück, rügt andeutend die verkehrte Vorstellung und giebt zu verstehen, wie die Sinnesänderung beschaffen sein müsse, und in der andern sucht er die Gemüther mit froher Hoffnung für die Zukunft zu erfüllen. Seine Schilderung beginnt:


»Höret das, ihr Greise,

Vernehmt, alle Bewohner des Landes!

Ist solches je in euren Tagen gewesen

Oder in den Tagen eurer Vorfahren?

Ihr möget davon euren Söhnen erzählen,

Und diese wieder ihren Söhnen

Und diese den spätsten Geschlechtern.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ein Völkchen zog über mein Land,

Mächtig und ohne Zahl,

Seine Zähne sind Löwenzähne,

Und es hat das Gebiß einer Löwin.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Vor ihm verzehrte das Feuer,

Und hinter ihm loderte die Flamme,

Wie ein Edengarten war das Land vor ihm,

Und hinter ihm eine vereinsamte Wüste,

Und keine Rettung vor ihm.

Rossen gleicht sein Aussehen,

Und wie Reiter rennen sie,

Wie das Geräusch von Kriegswagen,

Wie das Knistern verzehrender Feuerflammen,

Wie ein mächtiges Volk, zum Krieg gerüstet.

Die Menschen erschrecken vor ihm.

Jedes Gesicht verliert den Glanz.

Wie Helden rennen sie,

Wie Kriegsleute ersteigen sie die Mauer.

Ein jedes geht seinen Weg,

Schlagen keinen krummen Weg ein,

Eins drängt das Andere nicht,

Fallen sie durch's44 Schwert,

Werden sie nicht verwundet.

In der Stadt tummeln sie sich,

Auf der Mauer rennen sie,

[83] »Hinter der Fensteröffnung steigen sie wie Diebe ein

Vor ihm erzitterte die Erde, erbebte der Himmel,

Sonne und Mond verdunkelten sich,

Und die Sterne zogen ihren Glanz ein.

Der Herr hat seine Stimme vor seinen Heeren ertönen lassen;

Denn zahlreich ist sein Lager,

Denn gewaltig sind seines Wortes Vollstrecker,

Denn groß ist der Tag des Herrn und furchtbar,

Wer könnte ihn ertragen?«


Joël suchte dann seine Zuhörer, die angsterfüllt, jammernd und verzweifelt auf dem Tempelberg versammelt waren, aus der Spannung des Augenblicks und der Enge der gegenwärtigen Leiden zu einer höheren Anschauung zu erheben. Die Plagen habe Gott als Vorläufer einer ernst grausigen Zeit, eines großen und furchtbaren Tages gesendet, welcher läuternd wirken soll, um eine höhere sittliche Ordnung herbeizuführen. Die Leiden des Augenblickes werden bald vorüber und vergessen sein. Dann werde die große Zeit anbrechen:


»Ich werde Zeichen am Himmel und auf Erden geben,

Blut, Feuer und Rauchsäulen.

Die Sonne wird in Finsterniß,

Der Mond in Blut verwandelt werden

Vor dem Eintreffen des großen und furchtbaren Tages des Herrn.

Jeder, der Gottes Namen anrufen wird,

Wird gerettet werden.

Denn auf dem Berge Zion und in Jerusalem wird Rettung sein

Unter den Ueberbleibseln, die Gott beruft.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Sonne und Mond verdunkeln sich,

Die Sterne ziehen ein ihr Licht,

Und der Herr wird von Zion donnern

Und von Jerusalem seine Stimme vernehmen lassen,

Himmel und Erde werden erbeben.

Der Herr wird seinem Volke Schutz sein

Und Israel's Söhnen Zuflucht.«


Joël prophezeite einen politischen Umschwung. Die Gefangenen Juda's und Jerusalems, welche Philister und Tyrier an die Jonier verkauft und welche diese Menschenhändler weithin zerstreut hatten (o. S 67), werden wieder zurückkehren. Ueber die Völker, welche Grausamkeiten verübt haben, werde ein strenges Strafgericht hereinbrechen »im Thale der Entscheidung« (Emek Jehoschaphat), wo Gott Gericht über alle Völker halten werde. Aegypten und Idumäa werden zur Einöde werden, sie, welche unschuldiges Blut in Juda vergossen haben (o. S. 66). Juda und Jerusalem aber werden für Geschlecht und Geschlecht bevölkert sein. Dann werde eine höhere, sittliche Ordnung [84] eintreten. Alle Creatur wird des göttlichen, prophetischen Geistes voll sein.


»Ich werde meinen Geist über alle Creatur ausgießen,

Eure Greise werden prophetische Träume haben,

Eure Jünglinge werden Gesichte schauen.

Und auch über Sklaven und Sklavinnen

Werde ich in jenen Tagen meinen Geist ausgießen.«45


Der Wunsch, der Mose in den Mund gelegt wird: »Wer wollte, daß das ganze Volk Gottes Propheten wäre, daß Gott seinen Geist auf es gäbe«46, wird nach Joël's Prophezeiung sich einst verwirklichen. Und nicht bloß die geborenen Israeliten, sondern auch die Fremden, welche als Sklaven und Sklavinnen in deren Familien lebten und am Gottesreiche Antheil haben, werden des prophetischen Geistes und der sittlichen Lebensgemeinschaft gewürdigt werden. Der prophetische Blick schweifte bereits über die nationale Schranke hinüber. Joël war der erste Prophet, welcher den Segen Abraham's für alle Völker der Erde zum Bewußtsein brachte.

Der dritte Prophet aus der Zeit Jerobeam's und Usia's sprach noch entschiedener gegen das Zehnstämmereich und für das Haus Jakob, Hosea, Sohn Beeri's. Auch aus seinem Leben und Wirken ist nichts bekannt, nicht einmal, in welchem Reiche er gesprochen hat. Doch läßt es sich vermuthen, daß er in Bethel oder Samaria aufgetreten ist. Während Amos lediglich die sittlichen Fehler zum Gegenstand seiner Rüge und seines Spottes machte, eiferte Hosea gegen den religiösen Abfall, als das Zehnstämmereich wieder dem Baal huldigte. Er besaß nicht die Fülle, noch das Ebenmaß und die feine Gliederung seiner beiden Zeitgenossen; seine Beredtsamkeit nähert sich mehr der Prosa. Sie hat mehr Ausführlichkeit und rednerischen Fluß, auch mehr Künstlichkeit; sie flicht sinnbildliche Namen ein, wie es wohl in der Prophetenschule üblich war, aus welcher Hosea hervorgegangen zu sein scheint. Ein Gleichniß führte er nach zwei Seiten hin durch. Die Einführung des Baalkultus im Zehnstämmereich stellte er als Treulosigkeit einer Ehefrau gegen ihren Gatten dar, und die Rückkehr des Volkes zu Ihwh, welche für die Zukunft in Aussicht gestellt wird, verglich er mit der reuigen Rückkehr einer beschämten Ehebrecherin zu ihrem Jugendgeliebten. Dieser Auseinandersetzung schickte Hosea eine [85] Einleitung voran. In einem prophetischen Gesichte sei ihm der göttliche Befehl zugegangen, ein ehebrecherisches Weib heimzuführen und mit ihr Kinder zweifelhafter Vaterschaft zu zeugen47. Er sei auch diesem Befehl nachgekommen und habe ein übelberüchtigtes Weib geheirathet, die ihm drei Kinder geboren, zuerst einen Sohn, den er »Jesreel« genannt, dann eine Tochter, der er den Namen »Nichtgeliebte« (Lo-Ruchamah) gegeben, und endlich einen zweiten Sohn, den er »Nicht-mein-Volk« (Lo-Ammi) genannt. Darauf erläuterte der Prophet diese sinnbildlichen Namen. Jesreel bedeute zweierlei, einmal, daß Gott an dem Hause Jehudas in Jesreel von dem Urahnen vergossene Blut ahnden werde, da es sich hinterher als reiner Mord erweise, indem das Haus Jehu in dieselbe Sünde zurückgefallen sei, wie das Haus Omri, und dann bedeute Jesreel noch, daß Gott die Kriegsmacht Israel's im Thale Jesreel zerbrechen werde. Der Name der Tochter bedeute, daß Gott das Haus Israel nicht mehr lieben werde, und endlich der Name des zweiten Sohnes habe die Bedeutung, daß Gott Israel als Volk verwerfe, nicht mehr sein Gott sein wolle48. Nach dieser Einleitung und Erläuterung begann der Prophet Hosea seine Anrede.


»Zanket mit eurer Mutter, zanket,

Denn sie ist nicht mein Weib,

Und ich bin nicht ihr Gatte mehr,

Daß sie entferne ihre Untreue von sich

Und ihre Buhlschaft von ihrem Busen,

Auf daß ich sie nicht nackt entkleide,

Sie hinstelle, wie zur Zeit ihrer Geburt,

Sie in die Wüste versetze,

Sie in das Land der Einöde verweise

Und sie in Durst umkommen lasse,

Ihrer Kinder mich nicht erbarme;

Denn sie sind Kinder der Untreue.«


Darauf schildert der Prophet den ganzen Umfang der Treulosigkeit des Hauses Israel unter dem Bilde einer Ehebrecherin, wie sie ihrem Buhlen nachlief, im Wahne, daß ihr Reichthum und ihre Fülle ihr von dem Buhlen, dem Baal, zugekommen sei, vergessend, daß Gott [86] ihr Getreide und Wein, Silber und Gold gespendet, das sie für den Götzen Baal verschwendet. Gott werde ihr aber Alles entziehen, ihr auch nicht so viel lassen, ihre Blöße zu bedecken. In der Noth werde sie zur Erkenntniß kommen und sprechen: »Ich will zu meinem ersten Gatten zurückkehren, denn damals ging es mir besser als jetzt.«

Dann schildert der Prophet die Rückkehr. Das reuige Weib werde zur Einsicht ihrer ganzen Schlechtigkeit gelangen und sich wieder ihrem Gatten zuwenden, ihn »meinen Mann« und nicht »meinen Herrn« nennen, denn auch schon der Name Herr (Baal) werde ihr verhaßt sein. Gott werde sich mit der Reuigen aussöhnen.


»Ich werde dich mir wieder antrauen auf ewig,

Werde dich antrauen in Recht und Gerechtigkeit,

Dich antrauen in Liebe und Erbarmen,

Dich antrauen in Treue und Gotteserkenntniß«49.


Der ausgesöhnten Gattin, der Nation, werde Gott wieder Gnade erweisen, wie zur Zeit des Auszuges aus Aegypten. Aus der Wüste werde er sie wieder in das Heimathland führen, und sie werde wieder Loblieder anstimmen50, wie in der Zeit ihrer Jugend und am Tage als sie aus Aegypten zog. Das Bündniß, das Gott mit ihr von Neuem schließen wird, werde sie gegen wildes Gethier schützen und Bogen, Schwert und Krieg werden aufhören. Jesreel, der verhängnißvolle Name, werde eine gute Bedeutung erhalten (im Lande wieder eingesäet werden), die Nichtgeliebte wird wieder geliebt und das Nichtmein-Volk wieder Gottes Volk werden und es wird seinen Gott wieder erkennen51.

Wenn Hosea eine glänzende Zukunft für die in Gnaden wieder aufgenommenen Zehnstämme aufrollte, wollte er seine Zuhörer nicht in der Täuschung lassen, als stände diese Zeit nahe bevor. In einer zweiten Rede, die sich wahrscheinlich nicht ganz erhalten hat, prophezeite er, daß viele, viele unglückliche Tage vorübergehen werden, ehe diese Umkehr der Zehnstämme und ihre Versöhnung eintreten werde. Auch diese Rede leitete er durch die Erzählung eines Gesichtes ein: Gott habe ihm wieder aufgegeben, er möge ein von ihrem Gatten geliebtes und doch treuloses Weib in sein Haus aufnehmen. Mit ihr [87] sollte er nicht Kinder zeugen, sondern sich von ihr fern halten52 und auch nicht zugeben, daß sie sich andern Männern zuwende. Dieses Gesicht sollte bedeuten, daß, obwohl Gott die israelitische Nation liebte, sie sich doch, ehr- und pflichtvergessen, andern Göttern zuwendete und Astartenbilder und Chammongötzen liebte53. Und weiter sollte es bedeuten, daß Israel's Söhne lange sitzen werden ohne König und Fürsten, ohne Altar und Spitzsäule, ohne Ephod und Mumien-Hausgötter (Theraphim)54. Dann durch harte Drangsale belehrt, werden sie zu Gott zurückkehren – am Ende der Tage. Dem Königthum des Zehnstämmereiches prophezeite Hosea völligen Untergang. Dagegen betonte er noch mehr als die zeitgenössischen Propheten den Fortbestand des davidischen Hauses und überhaupt des Reiches Juda.


»Dann werden die Söhne Israel's umkehren,

Aufsuchen Ihwh, ihren Gott,

Und David, ihren König,

Und werden zu Gott und seinem Gute eilen,

Am Ende der Tage.«


Nebenher rügte Hosea die Kriegsmittel, auf welche der König Usia so viel Werth legte.


»Das Haus Juda werde ich lieben

Und durch mich selbst ihnen beistehen,

Nicht werde ich ihnen beistehen durch Bogen, Schwert und Krieg,

Nicht durch Rosse und Reiter.«


Die Verkehrtheit in dem einen Reiche und das Unglück in dem andern haben aus der Verborgenheit und Tiefe das Edelerz der prophetischen Beredtsamkeit an den Tag gebracht, welche, durch Inhalt und Form ausgezeichnet, eine weitreichende Wirkung erlangen sollte. Achab's und Isebel's Frevelthaten haben Eliahu geweckt, und die Missethaten Jerobeam's II. und seiner Großen haben Amos von der Hirtentrift und Hosea aus dem Stillleben in die Oeffentlichkeit gezogen, die Gedanken, die ihr Inneres durchwühlten, in fesselnder Form mitzutheilen. Ihre Schmerzen und ihre Hoffnungen, ihre Gedanken und ihre Ueberzeugungen wurden fortan Gemeingut eines größeren Kreises und wirkten anregend und veredelnd. Lauschende Prophetenjünger prägten deren Worte ihrem Gedächtnisse ein oder bewahrten [88] sie schriftlich auf. Es waren die ersten Blätter der prophetischen Litteratur, welche später die stumpfen Völker der Erde aufrütteln sollte. Indem Amos, Hosea und auch Joël in prophetischer Schau das Bild einer besseren Zukunft in, wenn auch nur schwachen Umrissen gezeichnet haben, haben sie damit dem Volke, dem sie entstammten, die Zukunft gesichert. Denn ein Volk, das einer glücklichen Zukunft entgegensieht, ist gegen Untergang gefeit und läßt sich von der noch so grausigen Gegenwart nicht erdrücken. Einer dieser Propheten, Joël oder Hosea, hat von der Zukunft ein Bild entworfen, woran sich die edelsten Geister festgeklammert haben und noch festklammern.


»Und es wird sein am Ende der Tage

Wird der Berg Gottes an der Spitze der Berge aufgerichtet

Und höher als Bergkegel sein,

Und Völker werden zu ihm strömen,

Und große Völker werden wallen und sprechen:

›Wohlan! wir wollen hinaufziehen zum Berge Gottes.

Zum Tempel des Gottes Jakob's,

Daß er uns über seine Wege belehre,

Daß wir in seinen Pfaden wandeln.‹

Denn von Zion wird die Lehre ausgehen,

Und das Wort Gottes von Jerusalem.

Er wird zwischen Völkern entscheiden

Und mächtige Nationen in der Ferne zurechtweisen,

Daß sie zerschlagen ihre Schwerter zu Pflugscharen

Und ihre Speere zu Winzermessern.

Ein Volk wird nimmer gegen das andere das Schwert erheben

Und sie werden nicht mehr den Krieg erlernen55


Dieses hehre Bild von dem ewigen Frieden, welcher durch die Lehre Israel's, von Zion ausgehend, begründet werden und die Werkzeuge des Krieges in Hülfsmittel fruchtbarer Thätigkeit verwandeln wird, überstrahlt alle Kunstgebilde, welche das Auge und den Sinn der Menschen fesseln. Wer nicht an der Veredlung der Menschen verzweifelt, hält an dieser Hoffnung fest, daß der Tag nicht ausbleiben werde, an dem die blutigen Kriege und die selbstmörderische Zerfleischung der Völker unter einander aufhören und friedlicher Beschäftigung Raum geben werden. Der ewige Friede kann aber nur durch hohe sittliche Gesinnung herbeigeführt werden und Bestand haben; Unsittlichkeit und Gewalt sind die Mütter des Krieges. Die israelitischen Propheten haben verkündet, daß diese sittliche Gehobenheit [89] durch die Lehre erzeugt werden werde, welche ihnen von Zion aus gepredigt ward. Der Verlauf der Geschichte hat ihre Weissagungen nicht Lügen gestraft. Für die damalige Gegenwart hat das von den Propheten entworfene Ideal die Wirkung gehabt, daß der ihnen nahe stehende Kreis sein Inneres mit dem Gedanken erfüllt hat, daß die Lehre von Zion zu etwas Außerordentlichem berufen sei und eine Umwandlung bewirken werde. Es war ein schmeichelhafter und zugleich erhebender Gedanke.

Uebrigens waren diese drei Propheten in ihrer Zeit nicht die einzigen Träger einer sittlichen Lebensanschauung und der erhebenden Poesie. Es lebte damals noch ein begabter Dichter, welcher die Schrecknisse in Folge des Erdbebens unter Usia schilderte und sie als Mittel zur Erhebung der Gemüther benutzte. Er hat einen Psalm gedichtet, der in Form und Inhalt diejenigen übertrifft, welche aus der davidischen Zeit erhalten sind. Dieser Psalm sollte zur Zeit des Erdbebens beruhigend und erhebend wirken. Er schildert, wie Gottes Stimme über mächtige Fluthen donnerte, wie sie mit Kraft und Majestät die Cedern des Libanon zerschmetterte, den Libanon wie ein junges Rind und den Hermon wie ein junges Riesenthier hüpfen machte, Feuerflammen schlug, die Wüste Kadesch erzittern machte und Wälder entlaubte. In Gottes Tempel soll aber ihm Ehre und Preis gegeben werden.


»Der Gott, welcher zur Zeit der Sündfluth [auf dem Throne] saß

Wird ewig als König sitzen.

Er wird seinem Volke Macht geben

Und es mit Frieden segnen56


Für den Fortgang der Geschichte blieb das feindliche Auftreten der beiden Propheten aus dem Zehnstämmereich gegen das Haus Jehu nicht ohne Wirkung. Wie Elisa und sein Jünger gegen den letzten Omriden einen Ehrgeizigen bewaffnet haben, so mag auch Amos' und Hosea's Eifer einen Feind gegen den letzten Jehuiden aufgestachelt haben. Jerobeam II. starb in Frieden in hohem Greisenalter nach langer und glücklicher Regierung, aber sowie sein Sohn Zacharia den Thron bestiegen hatte (um 769), wurde eine Verschwörung gegen ihn angezettelt, an deren Spitze Schallum, Sohn Jabesch's, stand. Er tödtete den vierten Nachkommen Jehu's in Jibleam57, an der [90] Westseite der Ebene Jesreel. Zacharia hat (nur sechs Monate regiert. Sein Mörder wüthete eben so gegen die königliche Familie Jerobeam's II., wie einst Jehu gegen das Haus Achab. Selbst Frauen und Kinder wurden zerschmettert58. Schallum begab sich sofort nach Samaria, um Thron und Reich in Besitz zu nehmen; aber er konnte sich nur einen Monat behaupten. Denn auch gegen ihn bildete sich eine Verschwörung, welche von einem Bewohner der ehemaligen Residenz Thirza, von Menahem, Sohn Gadi's, ausging. Er zog gegen Samaria, und die Hauptstadt ließ ihn und seine Mitverschworenen [91] ohne Widerstand ein; darauf tödtete er Schallum (768). Menahem fand aber mehr Widerstand, als er erwartet haben mag. Wenn ihm auch die Hauptstadt die Thore geöffnet hatte, so mochten sich ihm andere Städte nicht sofort ergeben. Ganz besonders setzte sich die Stadt Tipsach [Tappuch]59, östlich von Thirza, zur Wehr und verschloß ihm die Thore. Menahem war indeß kühner als sein Vorgänger und verband mit der Kühnheit dessen grausame Herzenshärte. Die ungefügige Stadt belagerte er so lange, bis sie sich ergeben mußte, und dann ließ er die ganze Bevölkerung, Männer, Weiber und Kinder mit der Schärfe des Schwertes erschlagen und schonte nicht einmal die Schwangeren, welche sonst auch dem härtesten Herzen Mitleid oder eine Art Scheu vor dem Unbekannten in deren Schoße einzuflößen pflegen. Auch die Bevölkerung des Grenzgebietes dieser Stadt ließ Menahem ohne Schonung vertilgen. Nach dieser Blutarbeit begab er sich nach Samaria und nahm den Thron der Jehuiden ein. Ein so grausamer König hat wohl schwerlich die Herzen für sich gewinnen können. Den Baalskultus scheint indeß Menahem abgeschafft zu haben, der Stierkultus dagegen blieb fortbestehen. Was er sonst noch geleistet hat, ist nicht bekannt geworden; denn er regierte nur zehn Jahre (768-758). Auch griff während seiner Regierung ein mächtiges Reich in die Geschicke der Zehnstämme ein, das berufen war, dem Hause Israel ein Ende zu machen.

Wenn die Bessern in diesem Hause, angeekelt von dem verkehrten Treiben, und von den Propheten darauf hingewiesen, sich dem Hause Juda oder Jakob zuwendeten, so wurden sie auch hier durch häßliche Vorgänge abgestoßen. In Jerusalem fielen unter Usia innere Kämpfe vor, über welche, wie es scheint, geflissentlich ein Schleier gebreitet [92] wurde. Usia's Augenmerk war einzig und allein auf kriegerische Kräftigung, auf Bogen, Schild und Schwert gerichtet, geistige Interessenlagen ihm fern oder mögen ihm sogar widerwärtig gewesen sein. Den Ahroniden mag er manchen Anstoß gegeben haben, besonders da seit seinem Großvater Joasch das friedliche Verhältniß zwischen dem Königthum und dem Priesterthum erschüttert worden war. Wollte sich die Gewalt des Königs auf den Tempel erstrecken, so fand sie auf diesem Wege die Hohenpriester, die auch eine Macht waren, ebenso gesalbt, wie die Nachkommen David's. Die Leviten scheinen Veranlassung zu einer Spannung zwischen Usia und dem Hohenpriester gegeben zu haben. Sie scheinen nämlich mit ihrer untergeordneten Stellung am Tempel und mit der dadurch bedingten Verkürzung ihrer Einnahmen unzufrieden gewesen zu sein. Selbst die Sängerklasse, welche den edelsten Theil des Gottesdienstes mit Saitenspiel und Psalmen leitete, hat durch die von Salomo eingeführte Ordnung keine ebenbürtige Stellung eingenommen, sondern stand nur um eine Stufe höher als die Tempelsklaven, die Gibeoniten. Darüber mögen sich die Sänger und sämmtliche Leviten beim König beschwert und dieser mag Partei für sie genommen haben. Was auch die Veranlassung gewesen sein mag, Thatsache ist es, daß in den letzten Regierungsjahren Usia's zwischen ihm und dem damaligen Hohenpriester Asarja Reibungen ausgebrochen sind, wie zwischen Joasch und Zacharia (o. S. 57). Der König mag sich erinnert haben, oder Andere haben ihn darauf aufmerksam gemacht, daß in uralter Zeit die Erstgeborenen, d.h. die Familien- und Stammhäupter, Priesterdienst verrichten durften. Was ehemals Gesetz und Gewohnheit war, das konnte doch wohl aufgefrischt werden. Um den Hohenpriester um sein Ansehen zu bringen, that Usia den kühnen Schritt, die alte Ordnung wieder einzuführen. Er begab sich in das Allerheiligste mit einer Weihrauchschale und begann auf dem goldenen Altar den Weihrauch anzuzünden, gerade diejenige Function, welche dem Hohenpriester allein vorbehalten blieb. Die Entrüstung darüber unter den Ahroniden war gewaltig. Der Hohepriester Asarja, welcher mit achtzig Priestern ihm in's Allerheiligste nacheilte, sprach drohend zum König: »Nicht dir gebührt es, o Usia, Räucherwerk darzubringen, sondern dem geweihten Priester aus Ahron's Familie. Verlasse eilig das Heiligthum, denn du begehst eine Entweihung und es wird dir nicht zum Ruhme gereichen«60.

[93] Was darauf erfolgt ist, ist in Dunkel gehüllt. Da Usia in den letzten Jahren seiner Regierung mit einem unheilbaren Aussatz behaftet war und in einem besondern Hause bis an sein Lebensende untergebracht werden mußte61, so hat das Volk die häßliche Krankheit als göttliche Strafe für seine Sünde angesehen, weil er sich angemaßt hat, Priesterdienst zu verrichten. Der Hohepriester Asarja hat ohne Zweifel die günstige Gelegenheit benutzt, um das Volk über die besondere Heiligkeit der Priesterschaft zu belehren und darauf hinzuweisen, daß der Vorrang der Ahromden und die Unterordnung der Leviten von Mose selbst als unverbrüchliches Gesetz eingeschärft worden sei. Die Geschichte von Korach und seiner Rotte ist wohl damals öffentlich vorgelesen worden, welche eine entschiedene Aehnlichkeit mit dem Vorgang unter Usia hat. Korach, aus der edelsten Levitenfamilie, und Abkömmlinge des ersten Stammes, die Rëubeniten, haben sich einst in der Wüste gegen Mose und Ahron aufgelehnt und Gelüste nach der Priesterwürde getragen. Korach hatte die Aeußerung gethan: »Die ganze Gemeinde ist heilig und Ihwh ist in ihrer Mitte, warum erhebt ihr euch über das Volk Gottes?« Und das Ende war, daß die Rotte Korach's, als sie Weihrauch darbringen wollte, von der Erde verschlungen wurde. Die Weihrauchschalen sind daher für den Altar verwendet worden, zum Andenken für die Israeliten, daß ein Laie, der nicht von Ahron's Nachkommen ist, sich nicht dem Heiligthum nähern dürfe, um Weihrauch darzubringen. Als das Volk über den Untergang Korach's und seines Anhangs murrte, brach eine Pest aus, die Ahron allein abzuwenden vermocht hat. Der Vorzug und die Wahl Ahron's hat sich dann auch durch das Blühen des Ah ronstabes bewährt. Dieses Alles ist wohl damals dem Volk in Erinnerung gebracht worden und auch die Gesetze, die sich daran knüpften, und die sich in dem Punkte zuspitzen, daß ein Laie, der sich dem Tempel zum Dienste nähern sollte, des Todes sei. Die Ahroniden sind dafür verantwortlich gemacht, daß Niemand diese Schranken übertrete. Die Leviten sollten lediglich den Ahroniden beigegeben sein, ihnen beizustehen, Hilfe zu leisten und das Heiligthum zu bewachen, aber dem Altare sollten auch sie sich nicht nähern. Die Ahroniden sollten Theile von Opfern und Weihegeschenke erhalten, Erstlinge von Oliven, Wein und Getreide, die Erstgeborenen von Menschen und Thieren gehören ihnen, doch sollen die menschlichen Erstgeborenen ausgelöst werden. Dagegen sollen die Ahroniden eben so wenig wie die Leviten Bodenbesitz haben. Die Leviten sollten für ihre Dienstleistungen den Zehnten von Getreide und Wein erhalten, davon [94] sollten sie den zehnten Theil an die Ahroniden abliefern62. Aus dem Kampfe zwischen dem Königthum und dem Priesterthum ging dieses siegreich hervor; es hatte das belehrende Wort zu seiner Waffe, und diese bewahrte sich besser als das Schwert. Eine andere geistige Macht sollte gegen das Priesterthum in den Kampf treten. Damals waren die Propheten Jesaia, Zacharia I., Micha II. und Hosea II. schon geboren, welche dem selbstischen Priesterthum ebenso, wie dem sich überhebenden Königthum den Krieg erklären sollten.


Fußnoten

1 S. Note 3.


2 Könige II, 14, 20, 22; vgl. I, S. 473 fg.


3 Amos 2, 13-16.


4 Joël 1, 17-20.


5 Amos 4, 6-8.


6 Joël 1, 4-12; 2, 4-9; Amos 4, 9, vgl Note 3.


7 S Note 3.


8 Chronik II, 26, 6-8.


9 Das. V. 9; vgl. Josephus, Alterth. IX, 10, 3.


10 Das. V. 15.


11 Das. V. 14.


12 Folgt aus Jesaia 2, 7b und aus Micha 5, 9.


13 Folgt aus Jesaia 2, 16; s. Note 3.


14 Jesaia 2, 7.


15 Chronik das. 26, 8.


16 S. Movers, Phönicien II, 1, S. 352 fg.; 2, 150 fg. [u. dagegen Pietschmann a.a.O. S. 133 ff., 299. Meyer, Gesch. des Alterthums I, S. 341.]


17 Hosea 2, 10; Amos 3, 15; 5, 11; 6, 4.


18 Amos 5, 5; 8, 14


19 Das. 8, 14.


20 Folgt aus Amos 7. 13.


21 Das. 7, 10, 17.


22 Amos, 2, 6-8; 8, 4-6.


23 Das. 5, 7. 12.


24 Das. 6, 4-6.


25 Das. 4, 1.


26 Zwischen Elisa's Tod um 840 und Amos' Auftreten im Anfange der Regierung Usia's 805-800 liegt nur eine Generation.


27 Folgt aus Amos 2, 11-12.


28 Das. 5, 10.


29 Vgl. darüber B. I. S. 402 fg.


30 Das. 7, 14.


31 Das. 3, 8b; 7, 15.


32 Das. 2, 7; 8, 4, םילד שארב םיפאשה und ןויבא םיפאשה kann unmöglich von ףאש, schnappen, schnaufen, abgeleitet werden, sondern von ףוש, zerreiben, zertreten, wie es die Peschito richtig wiedergiebt ןושדד. Dafür spricht ja auch 5, 11 לד לע םכסשוב gleich שארב םיפאשה םילד.


33 Das. 3, 12-15


34 Amos, 4, 4-13. V. 10 kann םכיסוס יבש nicht richtig sein, weil das Wort יבש in der klassischen Sprache nur vor Menschen gebraucht wird (nur der Chronist gebraucht es vor Thieren). Man darf wohl dafür יבצ substituiren.


35 Das. 5, 11 fg. Statt תאשמ, das keinen Sinn giebt, muß man wohl lesen תאשמ von אשנ = השנ »leihen«. [Vgl. VM. 24, 10 und Emendationes z. St.]


36 Das. 5, 18 fg.


37 Das. 7, 9 fg.


38 Zu das. 8, 11 muß nach בער ergänzt werden אמצו, sowie in V. 12 nach ןופצמ nothwendigerweise ergänzt werden muß: חרזמ דעו [םימו בגנ דעו] ןופצמ. [Anders in den Emendationes z. St.]


39 Zu 9, 1 muß םעצבו als םעצבאו genommen werden, parallel zu גרהא und den folgenden Verben. שארב absolut »an der Spitze«, wie Chronik I. 16, 7 II. 13, 12. תירחא bedeutet die »Nachkommen«.

40 Das. 2, V. 4.


41 Das. 9, 8.


42 Das. 7, 2. 5, vgl. Note 3


43 Das. 9, 11 fg.


44 Joël 2, 8 ולפי חלשה דעבו ist unverständlich, da die Präposition דעב nur »hinter« und »zum Schutze« bedeutet. Man muß wohl dafür דיב oder ידיב lesen, da man sagt בדח ידי לע und בדח ידימ. Das Verbum ועצבי muß in Niphal arm vokalisirt werden ועצבי [jibazu] von עצב = עצפ, verwundet werden.


45 Die Schilderung Joël's von dem erwarteten, großen Tage, Kap. 3-4, verfolgt nicht eine chronologische Ordnung, wie die meisten prophetischen Improvisationen nicht chronologisch gehalten sind. Das Zusammengehörige wird öfter getrennt, wenn ein anderer Gedanke sich hervordrängt. Vgl. über die Gliederung der Joël'schen Prophetie, Programm des jüdisch-theol. Seminars, Ig. 1873.


46 Numeri 11, 29.


47 Vgl. Note 3, wo nachgewiesen ist, daß nur Kap. 1-3 diesem älteren Propheten angehören können, die folgenden Kapitel dagegen nothwendig von einem späteren Propheten stammen. Zu Hosea 1, 2 muß nach םינונז ידליו ergänzt werden דילות oder דלות [tuled]. [Die Einheit des Buches Hosea ist inzwischen von Kuenen, hist.-krit. Einleitung in die Bücher des Alten Testaments II 323 f.u. Ed König, Einl. in das alte Testament, S. 308 fg. mit guten Gründen nachgewiesen worden.]


48 Zu Hosea 1, 9 םכל היהא אל יכנאו muß ergänzt werden םיהלאל. [Vgl. dagegen Nowack, der Prophet Hosea (Berlin 1880) z. St.]


49 Hosea 2, 21 muß statt 'ה תא תעדיו gelesen werden 'ה תא תעדו, da zur Symmetrie ein Substantivum erforderlich ist.


50 Wie sehr quält sich Ewald ab, ימיכ המש התנעו הירוענ das. 2, 17 zu erklären, während es ganz einsach: »Lied in Wechselgesängen anstimmen« heißt.


51 Das. 2, 25 zu יהלא רמאי אוהו muß ergänzt werden: Ihwh, wie in Zacharia 13, 9b, das geradezu Hosea entlehnt ist.


52 Das. 3, 3 muß zu ךילא ינא םגו ergänzt werden: םגו ךילא [אובא אל] ינא.


53 Das. 3, 1b םיבנע ישישא יבהא giebt durchaus keinen Sinn, wie sehr sich auch die Ausleger seit den ältesten Zeiten damit abgequält haben. [Vgl. jedoch Nowack und Orelli z. St.] Man muß wohl dafür lesen יבהאו םינמחו םירשא wie Jesaia 17, 8 und 27, 9.

54 Das. 3, 4. Statt חבז muß man wohl lesen חבזמ, LXX und Syr. haben statt הבצמ das Wort חבזמ.


55 Jesaias 2, 1 fg. Micha 4, 1 fg. Einige Ausleger nehmen an, daß Joël, dieses messianische Bild der Zukunft entworfen hat; wahrscheinlicher ist es aber, daß es von Hosea stammt, der auch sonst vom ewigen Frieden gesprochen und die Wendung םימיה תירחאב [3, 5] gebraucht hat.


56 Ps. 29, vgl. Frankel-Graetz' Monatsschrift, Jahrg. 1873, S. 290 fg. Psalm 93 scheint zu Psalm 29 zu gehören. Beide behandeln dasselbe Thema, was in diesem durch בשי לובמל 'ה (nämlich אסכ לע ), ist in jenem durch זאמ ךאסכ ןוכנ ausgedrückt.


57 Könige II. 15, 10 heißt es םע לבק ... והכיו, was gewöhnlich übersetzt wird: vor dem Volke. Allein das Wort לבק »vor« ist nicht hebräisch, sondern aramäisch, und dann müßte es heißen םעה לבק. Ewald, mit Recht von dieser Uebersetzung unbefriedigt, macht daraus einen Personennamen und einen neuen Königsmörder; allein dagegen spricht das Folgende, wo lediglich von Schallum die Rede ist. םע לבק kann daher nur Stadtname sein, verschrieben statt םעלבי, also םעלביב והכיו Jibleam lag zwischen Jesreel und Megiddo. [Wird bestätigt durch die La. ἐν Ἰεβλαάμ in der Sept., ed. Lagarde, zur Stelle und von Schrader-Winckler, Keilinschrift a.d.A. T., 3. Aufl., S. 263, einfach als Thatsache acceptiert.]


58 Auffallend ist es, daß im Buch der Könige nichts von dem Verfahren Schallum's gegen die Jehuiden erwähnt wird. Eine Andeutung ist aber vorhanden, daß dieser nicht hinter der Grausamkeit Jehu's gegen die Omriden zurückgeblieben ist. Für den dunklen Vers, Hosea 10, 14 םויב לאברא תיב ןמלש דשכ דשוי ךירצבמ לכו השטר םינב לע םא המחלמ hat die griechische Uebersetzung etwas anderes, woraus hervorgeht, daß sie eine andere L.-A. vor sich hatte: ὤς ἄρχων Σαλαμὰν ἐκ τοῠ οἴκου Ἰεροβοάμ. Eine Variante hat Ἰεροβαάλ statt Ἰεροβοάμ, was gewiß ein Fehler ist. Diese L.-A. ist alt, Hieronymus kannte sie schon, wenn er sie auch, als für ihn ungeeignet, verwarf. So viel geht aus dieser Uebersetzung hervor, daß sie weder den Eigennamen ןמלש von einem assyrischen König, noch תיב לאברא von einem Ortsnamen verstanden hat. Aehnlich lautet die syrische Uebersetzung: אתזב ךיא ןעזבתנ אברקד אמויב ליאתיב ןמ אמלשד. Auch diese hatte nicht d.L.-A. ןמלש vor sich, sondern םולש. Auch die chaldäische Version las םלש. Ohnehin ist es bedenklich anzunehmen, daß Hosea von dem Wüthen eines assyrischen Königs in Arbela in der Tigrisgegend gesprochen haben sollte. Solche Detailnachrichten von Vorgängen in Assyrien sind schwerlich nach Palästina gedrungen, und wenn der Eine oder der Andere auch etwas davon gewußt haben sollte, so konnte der Redner es nicht als bei allen Zuhörern bekannt voraussetzen. Konnte sich ein Zuhörer in Jerusalem oder Samaria getroffen von dem Gleichniß des Propheten fühlen: »In deinen Festungen wird gewüthet werden, wie Salman wüthete gegen das Haus Arbela?« Zudem kommt noch, daß ein König, Namens Salman, in der assyrischen Geschichte gar nicht untergebracht werden kann. Man müßte ihn denn als Abkürzung von Salmanassar nehmen, was durchaus gezwungen ist. Die richtige Erklärung drängt sich auf, wenn man םולש und םעברי תיב liest statt לאברא תיב. »So wie Schallum in dem Hause Jerobeams II. wüthete, Mütter und Kinder wurden zerschmettert«. Dieses Gleichniß war verständlich, es spielte auf eine Thatsache an, welche dem Volke noch im Gedächtnisse war. Daß דש auch »wüthen«, bedeutet, braucht nicht bewiesen zu werden. [Siehe jedoch Nowack und Oxelli (bei Struck-Zöckler) zur Stelle und Schrader, die Keilschriften u. das Alt. Testament, 2. Aufl. S. 440 fg].


59 Das. 15, 16 תאו הב רשא לכ תאו חספת תא םחנמ הכי זא עקב היתורהה לכ תא ךיו חתפ אל יכ הצרתמ הילובג bietet manche Schwierigkeit. Tipsach ist Thapsakus am Euphrat, diese Stadt kann hier nicht gemeint sein. Eine Stadt dieses Namens im Zehnstämmereich gab es nicht. Man muß wohl dafür mit Thenius und Anderen חופת lesen, das van der Velde in den Ruinen eines Dorfes Atuf, etwa 2 St. östlich von Thirza gefunden zu haben glaubt. Bei Tappuach ging die Grenze zwischen Manasse und Ephraim. Es bildete den Vorort eines Territoriums חופת ץרא (Josua 16, 8; 17, 7-8). [Vgl. Buhl, a.a.O. S. 178]. הצרתמ kann nicht bedeuten: von Thirza aus, das wäre eine schlechte Construktion, sondern es erfordert nachher die Präposition דעו. Der Name der Stadt, bis wohin Menahem verheerend drang, ist ohne Zweifel ausgefallen, wahrscheinlich חיפת. Dann lautete die Konstruktion; םחנמ הכי זא וחתפ אל יכ (?) חיפת דעו הצרתמ הילובג תאו... חופת תא. So muß das Verbum lauten. Die Versionen haben statt des Singular den Plural. Hinter ךיו haben dieselben התוא, und dann עקב היתרהה לכ תאו. [Aehnlich Klostermann u. Benzinger a.a.O. zur Stelle].


60 Chronik II, 26, 16-18. Die Relation ist gewiß historisch, denn der Chronist kann sie unmöglich erfunden haben, und es lag auch kein Grund vor, Usia zu verdächtigen. Sie scheint im Buch der Könige ausgefallen oder geflissentlich weggelassen zu sein.


61 Das. V. 19 fg; Könige II, 15, 5.


62 Rumeri, Kap. 16–18.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1902, Band 2.1, S. 96.
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