9. Frühestes Vorkommen der Juden in Spanien und Frankreich.

[416] Von den gehäuften Notizen, die man herangezogen hat, um das frühe Vorkommen der Juden auf der pyrenäischen Halbinsel zu beweisen, haben nur wenige Beweiskraft33. In Leviticus Rabba (c. 69) deutet R' Meïr »das Land der Gefangenschaft« auf Gallien und Spanien: אימפסאו הילגמ היבש ץראמ ךערזו שירד ריאמ 'ר. Indessen, da niemand für die Lesart ריאמ 'ר bürgen kann, so kann man streng genommen davon nicht beweisen, daß Juden in der Mitte des zweiten Jahrhunderts in diesen beiden Ländern bereits angesiedelt waren. Die übrigen Stellen, wo im Talmud oder Midrasch אימפסא vorkommt, beweisen für die Sache gar nichts. Denn entweder bezeichnet das Wort die weiteste Entfernung des Kontinents, gewissermaßen das finis terrae, oder es ist korrumpiert aus אימפא-Apamea in Syrien oder Chaldäa. Der Beweis von der Notiz aus dem Talmud, daß ein Exilarch R' Isaak von אבוטרוק nach אימפסא gereist und dort gestorben ist, und man in Babylonien über die Indentität der Person verhandelt hat, beweist nur die logische Beschränktheit desjenigen, der ihn zuerst aufgestellt: הוה ... אתולג שיר קחצי ןנישייח ימ ... םתהמ וחלש ביכשו אימפסאל אבוטרוקמ ליזאק קחצי ירתל (Jebamot 115 b). Wie kommt ein babylonischer Exilarch nach Spanien? Und was soll das bedeuten: Er reiste von Cordova nach Spanien? Und wie hat man über den Befund des Verstorbenen in Spanien ein Verhör in Babylonien aufnehmen können? Hier, wie an mehreren Stellen, haben spanische Kopisten, die bei אבוטרוק an die ehemalige spanische Hauptstadt Cordova erinnert wurden, aus אימפא gemacht אימפסא. Der babylonische Exilarch ist nicht von Cordova nach Spanien, sondern von Corduene (in dem karduchischem Gebirge) nach Apamea in Mesene oder Südbabylonien gereist und dort gestorben34.

Es bleiben also nur drei, allerdings nicht sehr kräftige Beweise für den frühesten Aufenthalt der Juden in Spanien. Der Apostel Paulus schrieb an die judenchristliche Gemeinde von Rom von Korinth aus: er werde auf seiner Reise nach Spanien auch zu ihnen kommen (Römerbrief 15, 24, 28): ὡς ἐὰν πορεύωμαι εἰς τὴν Σπανίαν, (ἐλεύσομαι πρὸς ὑμᾶς)35 ἀπελεύσομαι δἰ ὑμῶν εἰς Σπανίαν. Es muß also, wenn der Brief echt paulinisch ist, damals bereits jüdische Gemeinden in Spanien gegeben haben. Denn Paulus reiste nur dahin, wo Juden wohnten oder, was auf dasselbe hinausläuft, wo [416] unter den Heiden das Judentum durch Vermittelung der Juden bereits einigermaßen bekannt war, und wo er Anknüpfungspunkte für seine Heilslehre, die er auf Abraham zurückführte, zu finden hoffte. Daraus würde folgen, daß schon im Anfang der christlichen Zeit Juden in Spanien ansässig waren. Den zweiten Beweis liefert das Targum zu den Propheten, das zwischen 330 und 600 verfaßt wurde. Es erklärt nämlich »die Verbannten Jerusalems in Sepharad« durch »die Verbannten in Spanien« תולגו אימפסאב יד םלשורי (zu Obadia V. 20). Der dritte Veweis ist aus dem Seder Olam Suta (verfaßt um 806), welches berichtet, daß Vespasian viele Israeliten nach Spanien verbannt hat: הלגהו תיבה בירחהו םוניספסא אב אימפסאל (הדוהיו דוד תיבמ הברה םיתבו) לארשי תא. Die eingeklammerten Worte sind wohl als Zusatz eines spanischen Kopisten zu betrachten, der dadurch die Abstammung jüdisch-spanischer Familien vom Hause Davids begründen wollte (vgl. darüber Rapoport, Erech Millin, S. 156 ff.). Aus kirchengeschichtlichen Notizen erfahren wir, daß zur Zeit des illiberitanischen Konzils (vor 320) schon Juden in Südspanien vorhanden waren und Einfluß auf die christliche Bevölkerung übten, so daß das Konzil sich veranlaßt sah, zu warnen: possessores (terrae) non pateantur fructus suos quos a Deo percipiunt, cum gratiarum actione a Judaeis benedici. – Über den frühen Aufenthalt der Juden in Gallien haben wir keine Spur. Denn in dem Bericht, daß R'Akiba in אילג war: אביקע 'ר רמא אילגל יתכלהשכ, darf אילג nicht als das eigentliche Gallien, sondern muß als Gallien in Kleinasien gefaßt werden, wie Fürst im Orient richtig verstanden hat36.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1909, Band 5, S. 416-417.
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