Ausgang des Reichs von Akkad. Sumerische Reaktion. Dynastie von Uruk

[537] 406. Die ersten sechs Könige der Dynastie von Akkad haben nach der SCHEILschen Königsliste zusammen 158 Jahre (ca. 2775-2618) regiert. Nach Šarganišarri II. sind dann vier Herrscher genannt, die zusammen nur 3 Jahre regieren, mit der Bemerkung »wer König war, wer nicht König war, [ist nicht zu sagen]«; das sind also Praetendenten gewesen, die sich den Thron streitig machten. Auf sie folgen noch zwei Könige, Vater und Sohn, mit längeren Regierungen. Mit ihnen schließt die Dynastie von Akkad, und ein neues Herrscherhaus aus Uruk, begründet von Urnigin, tritt an ihre Stelle. Zu fester Gestaltung freilich ist diese Dynastie nicht gelangt; sie umfaßt fünf kurzlebige Herrscher mit im ganzen 26 Jahren (ca. 2578-2552), von denen nur der zweite als Sohn seines Vorgängers bezeichnet wird. Vor Auffindung der SCHEILschen Liste waren alle diese Herrscher gänzlich unbekannt; wir besitzen von ihnen auch jetzt noch kein einziges Denkmal. Vermutlich ist die Dynastie von Akkad schon unter Šarganišarri II., dem Nachfolger Naramsins, in innere Schwäche versunken, die durch Thronstreitigkeiten noch gesteigert wurde. So ist sie einer neuen Reaktion der Sumerer erlegen, die abermals von der Königsstadt Lugalzaggisis ausgegangen ist. Aber wenn jetzt auch Jahrhunderte vergehen, ehe die Semiten des Nordens wieder zu selbständiger Macht gelangt sind, so ist die Wirkung des Reichs von Akkad trotzdem andauernd und sehr nachhaltig gewesen. Nicht nur treffen wir fortan auch im Süden ein starkes semitisches [537] Element, das ständig anwächst, so daß zahlreiche semitische Lehnwörter ins Sumerische eindringen, ja sogar viele der späteren sumerischen Könige semitische Namen tragen, sondern die Sumerer haben die Kultur des akkadischen Reichs vollständig in sich aufgenommen und beibehalten. Die sumerische Kunst der Folgezeit ist gänzlich von dem Einfluß der Schöpfungen Sargons und Naramsins beherrscht. Die semitischen Götter dringen in ihr Pantheon ein (§ 396), und alle heimischen Götter werden fortan in Gestalt und Tracht als Semiten gebildet (§ 362). Auch die alte Tracht der Sumerer selbst hat sich gewandelt: an Stelle des alten Zottenrocks tritt zwar nicht das semitische Plaid, wohl aber ein großer mit Fransen besetzter Mantel, der ähnlich wie jener über die linke Schulter geworfen wird und vom linken Arm lang herabhängt, während die rechte Schulter bloß bleibt. Außerdem bedecken die Könige und Patesis ihr kahl geschorenes Haupt mit einer turbanartigen Kappe. Trotz der starken Unterschiede in Sprache, äußerer Erscheinung und Sitte besteht offenbar kein schroffer nationaler Gegensatz mehr; sondern über demselben hat sich eine einheitliche Kultur erhoben, die zwar auf altsumerischer Grundlage beruht, aber durch die Akkadier umgeprägt und weiter gebildet ist. Diese Tatsachen sprechen sehr für die Vermutung, daß die alten Sumerer immer nur ein Herrenvolk inmitten einer semitischen Bevölkerung gewesen sind, das jetzt, wo diese sich durch neue Elemente fortdauernd verstärkt, trotz der noch einmal wiedergewonnenen Oberherrschaft von ihr allmählich aufgesogen wird. – Auch die von den Königen von Akkad geschaffene Verbindung mit dem Westen, speziell mit den Amoritern, hat sich in den folgenden Jahrhunderten dauernd erhalten, ebenso zunächst noch die Beziehungen zu Magan und Melucha. Wie weit freilich die Könige von Uruk die Machtstellung ihrer Vorgänger behauptet haben mögen, wissen wir nicht. Schon nach einem Vierteljahrhundert ist die Dynastie einem Angriff der Gutaeer, des von Šarganišarri besiegten Gebirgsvolks aus dem Zagros, erlegen.


[538] Durch zwei Siegel seiner Schreiber kennen wir einen Sohn Naramsins Bingàni-śarri (TH.-D. S. 168); ob derselbe aber König geworden ist, wissen wir nicht. Auf einer Tafel über Lieferung von Schafen bei THUREAU-DANGIN, Rev. d'Ass. IX 81 erscheinen neben der Königin auch Šarganišarri und Binganišarri als Königssöhne; ersterer könnte der Šarganišarri der Liste, der sechste König der Dynastie sein. – Derselbe publiziert ib. IX 35 das Fragment einer Inschrift (in späterer Abschrift) eines »Königs von Akkad und der vier Weltteile«, das könnte ein Nachfolger Naramsins sein. Die Vase aus Nippur HILPRECHT, Bab. Inscr. I 119. TH.-D. S. 170a wird Sargon oder Naramsin angehören. – Die Deutung der in der SCHEILschen Liste auf Šarganišarri folgenden Zeile, in der man zuerst einen Königsnamen Abâilum zu finden glaubte, hat POEBEL, Orient. Lit.-Z. XV 482 gegeben. – In den Urkunden der folgenden Zeit aus Tello (REISNER, Tempelurkunden aus Telloh, Mitteil. aus den Berl. oriental. Samml. XI) und sonst (vgl. die § 370 A. genannten Werke) sind semitische Namen sehr häufig. Semiten auf Denkmälern aus Tello: Kleiner runder Untersatz Déc. pl. 21, 5. Musikantenstele Déc. pl. 23, beide Male neben Sumerern. Von den drei kleinen Fragmenten der Epoche Gudeas, welche von Kampfdarstellungen stammen, zeigen Déc. pl. 22, 6 und 26, 10 b sumerische, pl. 26, 10a semitische Feinde oder Gefangene. – Da beide Volkstypen in den Denkmälern scharf geschieden neben einander stehen, ist die Verkehrtheit der weitverbreiteten Annahme evident, die Sumerer seien damals bereits ausgestorben und ihre Sprache eine tote Sprache gewesen. Im übrigen vgl. meine Sumerier und Semiten, namentlich auch über die Unterschiede der Nationaltrachten.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 537-539.
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