[214] So bleibt als gesichert nur, daß der Stamm Israel bereits im 13. Jahrhundert in Palaestina gesessen hat, wohl zweifellos im Gebirge Ephraim, daß er daher zu den Scharen der Chabiri der Amarnabriefe oder der Šos der ägyptischen Inschriften gehört, die im 14. Jahrhundert Syrien und Palaestina überschwemmt haben; dadurch erklärt sich, daß die Ausländer im AT. nie Israel, sondern immer nur Hebraeer sagen. In den Sagen gelten die Aramaeer als ihre nächsten Verwandten, die Ahnen sollen aus Charrân, dem Hauptsitz der Aramaeer in Mesopotamien, oder ursprünglich aus dem »Ostlande« (Qedem), der syrischen Wüste, eingewandert sein.488
Indessen der Stammname Israel »El streitet« – zu ergänzen ist »für sein Volk« –, der sich zu Jišma'-el »El erhört« und Jerachm-el »El erbarmt sich« stellt489, weist eher auf Herkunft [214] aus der Wüste im Süden; noch entschiedener spricht dafür, daß die Israeliten den Gott Jahwe vom Sinai als ihren Stammgott mitgebracht haben490. In den genealogischen Stammsagen ist Israel eng verbunden mit den übrigen Stämmen vom Rande der Wüste; allerdings stammen diese Sagen von Abraham und Lot, von Ismael und Isaak, von den zu Stammvätern von Israel und Edom gemachten Heroen Jakob und Esau aus dem äußersten Süden und geben dessen Anschauungen und Lebensformen wieder. Überhaupt ist es nur eine Fiktion, daß der Stamm Juda zu Israel gehöre. Im theologischen Sprachgebrauch der Propheten und Gesetzbücher wird sie festgehalten, aber im realen Leben ist bis auf die im 19. Jahrhundert aufgekommene Prüderie niemals ein Jude als Israelit bezeichnet worden. Vielmehr steht Juda selbständig neben Israel; im Deboraliede, das deutlich eine vollständige Aufzählung der israelitischen Stämme geben will, kommt Juda (und ebenso Simeon und Lewi) nicht vor, bis auf die Philisterzeit ist von ihm nie die Rede; nach der Äußerung der Israeliten Sam. II 19, 44 ist Juda ihr jüngerer Bruder. Das übliche Schema der zwölf Söhne Jakobs kann sich erst in der Königszeit gebildet und allmählich durchgesetzt haben. Es spricht alles dafür, daß das Vordringen Judas vom Süden aus stattgefunden hat, ohne Zusammenhang mit Israel (den Josephstämmen), von denen es durch einen kana'anaeischen Festungsgürtel getrennt war. In enger Verbindung steht es dagegen mit Edom; edomitische Clans wie Qenaz mit den Zweigen Kaleb in Hebron und 'Otniel in Debîr491, ferner Jerachm'el und [215] Qain schließen sich unmittelbar an Juda an und sind früh darin aufgegangen; auch in Juda selbst findet sich ein Clan Zerach, der ebenso in Edom vorkommt. In der Sage, die Esau- Edom zum älteren Bruder Jakobs macht, repräsentiert dieser in Wirklichkeit nicht Israel, sondern Juda.
Und doch zeigt die Verehrung Jahwes in Israel, daß auch hier enge Beziehungen zum Süden bestanden haben müssen. Es steht nichts der Annahme im Wege, daß in der großen Bewegung der Chabirizeit auch Beduinenstämme aus dem Süden bis nach Midian und der Sinaihalbinsel hin in die Kulturländer verschlagen sind; werden doch von den Ägyptern die Kämpfe mit den Beduinen (Šos) immer wieder hervorgehoben; auch im Chetiterheer bei Qadeš finden wir sie in der für das Sinaigebiet charakteristischen Gestalt und Tracht dargestellt492. Vielleicht erklärt sich auf diese Weise auch der Name Ja'udi eines aramaeischen Fürstentums am Amanos (s.u. S. 427f.), der mit Jehûda identisch zu sein scheint. Sollte hier ein Teil desselben Stammes versprengt sein, der im Süden Palaestinas sitzt, so würde man annehmen müssen, daß er im Norden den aramaeischen Dialekt angenommen habe; denn zu der umgekehrten Annahme liegt kein Grund vor. Überhaupt haben offenbar alle Stämme dieses Gebiets, auch die Edomiter, ebensogut einen kana'anaeischen Dialekt gesprochen wie die Israeliten und Moabiter.
Nach Gen. 36493 wären auch die Edomiter Eindringlinge in ihre geschichtlichen Wohnsitze im Gebirge Se'îr östlich der 'Araba; vor ihnen hätten die Choriter hier gesessen, von denen eine Anzahl von Clans, vielfach mit Tiernamen, genealogisch geordnet überliefert werden; sie werden meist an den Brunnen der Sinaiwüste gesessen haben, wie die bnê Ja'aqan (Deut. 10, 6). Hier werden also die Edomiter in derselben Weise von den Choritern unterschieden, wie sonst494 die Israeliten. Weiter kontrollieren [216] können wir die Angabe nicht495; wenn sie richtig ist, würden die Edomiter ebenso zu den das Kulturland überschwemmenden Beduinen gehören wie die Israeliten und wie Juda und die übrigen zugehörigen Stämme, und ihre enge Verbindung ergäbe sich daraus von selbst.
Weiter läßt sich über die Invasion Palaestinas durch die Israeliten nichts ermitteln. Die Vorstellung unserer Berichte, daß das Volk bei Jericho geschlossen über den Jordan (oder vielmehr durch ihn) gezogen sei, ist jedenfalls ganz unhistorisch, und die hierher gesetzte Eroberung von Jericho gehört wahrscheinlich in weit spätere Zeit, in das Vordringen der Josephstämme vom Gebirge aus in die Jordanaue496.