Sanheribs spätere Jahre. Zerstörung Babylons

[60] Mit der Wiederunterwerfung Babyloniens und der Abwehr der Eingriffe aus dem Nillande war der Bestand des Reichs im wesentlichen gesichert. So folgte unter Sanherib nicht mehr, wie unter seinen Vorgängern, in jedem Jahr ein neuer Feldzug; aus manchen Jahren hat er in seinen Inschriften überhaupt nichts zu berichten, aus anderen oft nur kleine Unternehmungen, an denen er selbst nicht mehr beteiligt gewesen ist. Die Hauptschwierigkeit machte nach wie vor Babylonien. Während des Feldzugs in Palästina war hier ein neuer Aufstand ausgebrochen, den der von Sanherib eingesetzte König Bel-ibni mitmachen mußte; so ist Sanherib im J. 700 nach Akkad gezogen, hat den Bel-ibni und seine Magnaten gefangen fortgeführt und an seiner Stelle seinen ältesten Sohn Assurnadinšum zum König über Babel und Akkad eingesetzt126. Daran schloß sich eine weitere Verheerung des Chaldäerlandes [60] Bet-Jakin; Mardukbaliddin konnte sich hier nicht mehr halten, sondern flüchtete mit seinem Anhang und seinen Götterbildern über See an die Küste von Elam.

Darauf ist es mehrere Jahre lang ruhig geblieben. Erst 694 entschloß sich Sanherib, die Entwichenen, die immer für ihre Heimkehr gewühlt haben werden, hier aufzusuchen. Durch phönikische und cyprische Matrosen ließ er auf dem Tigris bei Ninive Schiffe bauen und von Opis aus über Land auf die Euphratkanäle bringen. An der Mündung des Stromes freilich erging es ihm ähnlich wie später so oft den Römern auf der Nordsee; eine Sturmflut hielt die Schiffe fünf Tage und Nächte in dem schlammigen Ufergelände fest und überschwemmte auch das Lager, in dem der König selbst Stellung genommen hatte. Dann ist der Schiffsmannschaft die Landung an der Mündung des Euläos gelungen127, und zahlreiche Chaldäer wurden niedergemetzelt oder samt ihren Göttern fortgeschleppt, die benachbarten Orte von Elam verwüstet. Indessen König Challusu von Elam128 war nicht gewillt, diesen Eingriff in sein Gebiet und gegen seine Schutzbefohlenen ruhig hinzunehmen; er brach in Akkad ein, eroberte Sippara und führte Sanheribs Sohn Assurnadinšum gefangen fort; an seine Stelle setzte er einen Babylonier, der den Namen Nergal-ušezib annahm. Zunächst hatte er einigen Erfolg und konnte Nippur besetzen; dann aber erlag er hier zusammen mit dem elamischen Heer den von Süden über Uruk vorrückenden Assyrern und wurde in Ketten »wie ein Bär« im Stadttor von Ninive eingesperrt (693)129. [61] König Challusu von Elam wurde von seinen Untertanen erschlagen, sein Nachfolger Kludurnachunde erlitt im nächsten Jahre, nach einem verheerenden Zuge Sanheribs, das gleiche Schicksal.

Sanherib wurde durch den mit starker Kälte, Regen und Schnee einsetzenden Winter an weiterem Vordringen ins Gebirge verhindert und kehrte nach Ninive zurück. So konnte der nächste König, Chumbanmenanu, nach Sanheribs Auffassung »ein Mann ohne Verstand und Einsicht«, den Krieg fortsetzen. Vor allem aber hielt Babel an dem Widerstand gegen Assyrien fest; die Herabdrückung der Stadt, die den Anspruch erhob, die legitime Stätte der Weltherrschaft zu sein, zum Sitz eines ihr aufgezwungenen Vasallenfürsten empörte die Bevölkerung, und das Regiment der Assyrer mag zwar vielfach eine verständige Ordnung geschaffen, aber eben dadurch zahlreiche Interessen und Ansprüche verletzt haben. So standen die Sympathien durchaus auf seiten der Chaldäer. Als Mušezibmarduk130, ein Häuptling aus dem Marschlande, der schon im J. 700 neben Mardukbaliddin eine führende Rolle gespielt hatte, dann mit diesem nach Elam geflüchtet und hier im J. 694 dem assyrischen Angriff entgangen war, jetzt nach Babel kam, wurde er mit offenen Armen aufgenommen und 692 als König von Sumer und Akkad eingesetzt. Aus den babylonischen Tempeln wurden reiche Geldmittel nach Elam geschickt; Chumbanmenanu konnte aus den Gebirgsländern auch [62] Parsua, Ellip und ihre Nachbarn schlossen sich an – und den aramäischen Beduinenstämmen östlich vom Tigris ein großes Heer zusammenbringen. Bei Chalûle am Tigris trat er den Assyrern entgegen. Sanherib schildert, wie er auf seinem Kriegswagen wie ein wütender Sturm über die Feinde hereingebrochen sei und gemordet habe; auch ihr General Chumbanudaš fiel, der König und die chaldäischen Fürsten hätten in wilder Flucht, die er mit den verächtlichsten Ausdrücken ausmalt, ihr Heil gesucht. Aber damit bricht er seine Erzählung jäh ab, von weiteren Ergebnissen hören wir nichts, sondern nur von den Bauten, die Sanherib jetzt in Ninive aufführt. Demnach wird es vollkommen zutreffend sein, wenn die babylonische Chronik die Schlacht als Niederlage der Assyrer verzeichnet131. So hat sich denn auch Mušezibmarduk noch jahrelang in Babel behaupten können. Erst als König Chumbanmenanu im Frühjahr 689 durch einen Schlaganfall gelähmt wurde132, hat Sanherib den Angriff auf die Stadt unternommen. Babel wurde von einem starken Heer umschlossen und bestürmt und ist am 1. Kislew (Dezember) 689 eingenommen. Der Chaldäerkönig und seine Familie wurden gefangen abgeführt, über die Stadt und ihre Bewohner aber, die er und seine Vorfahren so oft erobert hatten und die sich immer wieder empört hatte, erging ein furchtbares Strafgericht: sie wurde nicht nur ausgeplündert und zerstört, wie sonst die rebellischen Städte, sondern sie sollte für alle Zukunft vom Erdboden verschwinden, »so daß man künftig die Stätte dieser Stadt und ihrer Tempel nicht mehr auffinden könne«. Dieses Vernichtungsurteil hat Sanherib mit einer skrupellosen Brutalität durchgeführt, die, abgesehen [63] von dem Verfahren der Mongolen, in der Weltgeschichte nur in der Vernichtung Karthagos durch Rom wiederkehrt; die Bevölkerung wurde ausgemordet, die Stadt niedergebrannt, die Tempel bis auf die Fundamente zerstört, die Götterbilder, soweit sie nicht nach Assur überführt wurden, zerschlagen; die Ziegel und die Erdmassen der Mauern und der Tempeltürme wurden in den Euphrat133 geworfen, durch das Stadtgebiet wurde ein Kanal gezogen. Damit war auch das Königtum, das Marduk verlieh, beseitigt; der ptolemäische Kanon rechnet die acht Jahre 688 bis 681, in denen Babylonien unter Sanherib assyrische Provinz war, als »königslose Zeit (ἀβασίλευτον)«134.

In die Jahre vor dem Angriff auf die Chaldäerin Elam fallen Kämpfe in den Gebirgen am oberen Euphrat, in denen im J. 695 die schon von Sargon eroberte Stadt Tilgarimmu (Togarma) im späteren Kappadokien (o. S. 41) zerstört wurde135. In Verbindung damit steht wohl ein Zug gegen die Kiliker, auf dem Tarsos und die Bergfeste Illubru erobert und wieder aufgebaut, dem Häuptling die Haut abgezogen wurde. Von diesem Feldzug erzählt auch ein Fragment des Berossos; danach ist er veranlaßt [64] durch die Kunde, daß hier Griechen über See ins Land eingefallen seien; sie werden von Sanherib besiegt, und an der Stätte des Kampfes errichtet er sein Bildnis mit einer Ruhmesinschrift. Die Stadt Tarsos erbaut er nach dem Vorbild Babylons; denn durch sie strömt der Kydnos ebenso wie der Euphrat durch Babel136. Das Siegesdenkmal stand, als Alexander hier durchzog, an der Mauer der Stadt Anchiale (an der Küste westlich von Tarsos) und stellte den König in üblicher Weise mit befehlend ausgestrecktem Zeigefinger dar; als Wortlaut der Inschrift hat bereits ein alter ionischer Historiker angegeben: »Sardanapallos der Sohn des Anakyndaraxes hat Tarsos und Anchiale an einem Tage erbaut«137.

Aus den späteren Jahren Sanheribs erfahren wir noch von einem Kampf mit dem arabischen Häuptling Chaza'el138; sonst aber erhalten wir aus seinen letzten 8 Jahren nicht die mindeste Nachricht. Bei der babylonischen Chronik mag dies Schweigen durch den Haß veranlaßt sein, der auf seinem Andenken lag; der Hauptgrund aber ist, daß Sanherib keinen Trieb mehr zur Abfassung neuer Ruhmesinschriften empfand, sondern seine Tätigkeit [65] ebenso wie bei seinem Vater wesentlich seinen jetzt der Vollendung entgegengehenden Bauten gewidmet war, die bereits reichlich mit Inschriften und Reliefs ausgestattet waren. Daß der Bestand des Reiches gefestigt und unangefochten war, zeigt die Geschichte seines Sohnes; so wurden die Jahre häufiger, in denen militärische Unterbrechungen, abgesehen vielleicht von der Unterdrückung lokaler Empörungen und kleiner Fehden mit unbotmäßigen Stämmen, nicht mehr erforderlich waren und die Tätigkeit der Regierung sich in der Hauptsache auf die Erhebung der Abgaben und die Fortführung der Verwaltung beschränkte, die der König meist seinem Vezir und den übrigen hohen Beamten des Hofhaltes überlassen haben wird. Zur Residenz hat Sanherib an Stelle Kalachs und der Sargonstadt die Stadt Ninive (korrekt Ninua) erwählt, wo er sich einen gewaltigen Palast erbaut hat.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 60-66.
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