Sanheribs Ermordung. Assarhaddon. Wiederherstellung Babylons

[66] Aus der Zahl seiner Söhne hat Sanherib, nachdem der Erstgeborene, Assurnadinšum, als König von Babel zugrunde gegangen war (o. S. 61), den Assarhaddon zum Thronfolger ausersehen, nach Einholung günstiger Orakel feierlich proklamiert und ihm in der alten Reichshauptstadt Assur das »Haus der Empfängnis« (bît ridûti), »den grausigen Ort, in dem sich das Geschick des Königtums befindet«139, als Residenz zugewiesen; auch seine Brüder mußten ihm Treue schwören. Seinen Namen Assur-ach-iddin »Assur hat einen Bruder gegeben« wandelte er in Assur-etil-ilâni-mukinbal »Assur, Herrscher der Götter, ist Einsetzer des Sohnes«140. Assarhaddon war mit der Politik seines Vaters gegen [66] Babylon nicht einverstanden und hat den Plan, die Stadt und den Tempel Marduks wieder aufzubauen, offenbar schon als Kronprinz gefaßt und vorbereitet: gleich nach seiner Thronbesteigung, als er noch den neuen, alsbald wieder aufgegebenen Namen führt, nennt er sich nicht nur »Erbauer des Tempels des Assur«, sondern auch »Erbauer von Esagila und Babel«. Diese Absichten mögen in Assyrien Mißstimmung erzeugt haben und werden von seinen Stiefbrüdern benutzt worden sein, um bei seinem Vater gegen ihn zu intrigieren und seine Ernennung rückgängig zu machen; als sie damit nicht zum Ziel kamen, haben sie Sanherib am 20. 10. 681 in Ninive im Tempel erschlagen141.

[67] Die Mörder fanden unter der Bevölkerung Ninives viel Anhang, waren aber nicht imstande, dem Assarhaddon, als dieser mitten im Winter eiligst heranrückte, Widerstand zu leisten. Sie zogen sich nach Chanigalbat am oberen Tigris zurück, und hier brach ihre zusammengeraffte Streitmacht vollends zusammen. Sie selbst flohen nach Urarṭu. In wenig mehr als einem Monat hatte Assarhaddon dem Aufstand ein Ende gemacht; am 18. 12. konnte er, nach dem üblichen Strafgericht, in Ninive den Thron besteigen.

Sofort nach Sicherung seiner Herrschaft hat Assarhaddon, der jetzt seinen neuen Namen wieder ablegte, den Wiederaufbau Babylons in Angriff genommen142. Die brutale Zerstörung der großen, betriebsamen Stadt, die durch zweitausendjährige Tradition geheiligt war, mag er als ein Unrecht empfunden haben; die Hauptsache aber war offenbar, daß für ihn Marduk wirklich ein großer Gott war, der das Königtum verlieh so gut wie Assur; da durfte sein Tempel nicht länger in Trümmern liegen. Daß sein Vater ihn zerstört hat, verschweigt er in seinen Inschriften; er behilft sich damit, daß Marduk entrüstet war, weil die Babylonier seine Tempelschätze nach Elam gesandt hatten (o. S. 62), und deshalb die Stadt durch die Wasserfluten zerstörte und die Bewohner in Knechtschaft führte, während alle Götter sich in den Himmel zurückzogen. Nach seiner Bestimmung sollte Babel siebzig Jahre [68] lang öde daliegen; jetzt aber erbarmt er sich und hat die Wiederherstellung im elften Jahr beschlossen143 und den Assarhaddon aus der Zahl seiner Brüder für das Werk ausersehen. Assarhaddon verschaffte sich günstige Sprüche von den Wahrsagern; auch die Konstellation der Planeten war verheißungsvoll, und so wurde das Werk begonnen. Für die Erdarbeiten und die Herstellung der Lehmziegel wurden große Scharen von Arbeitern aus dem ganzen Lande zusammengetrieben; der König selbst hat nach dem seit der ältesten sumerischen Zeit vorgeschriebenen Ritual einen Ziegel geformt und bei der Grundsteinlegung auf dem Haupt herangetragen. Die Stadtmauern mit dem Uferkai und vor allem Esagila, der Tempel Marduks mit dem Terrassenturm Etemenanki wurden wieder aufgebaut. Die Überreste der alten Bevölkerung wurden wieder angesiedelt und erhielten ihre früheren Privilegien zurück. Die Statuen des Marduk (Bêl) und der übrigen Götter sind freilich erst unter Assurbanipal im J. 668 aus Assur nach Babel zurückgeführt worden144; Assarhaddon nannte sich daher zwar König von Sumer und Akkad, aber in Babel nicht König, sondern nur Regent (šakkanakku). Die Chaldäerstaaten im Süden sind dem wiederhergestellten Reich von Babel nicht einverleibt worden, sondern blieben tributäre Fürstentümer unter der Aufsicht der assyrischen Statthalter, vor allem des von Ur.

Die Wiederherstellung Babylons hat einen günstigen Eindruck von der Persönlichkeit Assarhaddons erweckt; man pflegt ihn moralisch und intellektuell weit über seinen Vater und die meisten anderen Assyrerkönige zu stellen. Ob diese Beurteilung berechtigt ist, erscheint doch recht fraglich. Trotz der Phrasen von seiner unwiderstehlichen Tapferkeit im Kampfe, die auch bei ihm nicht [69] fehlen, ist der kriegerische Geist, der seinen Großvater und seinen Vater beseelte, auf ihn nicht übergegangen; die Angabe ist für ihn bezeichnend, daß er auf die Kunde von der Usurpation seiner Brüder sich vor Schnee und Eis des Wintermonats nicht gefürchtet habe, sondern trotz aller Strapazen eiligst nach Ninive gezogen sei. An dem letzten Feldzug gegen Ägypten im J. 669 hat er persönlich teilgenommen; in der Regel aber blieb er, wie schon sein Vater in seinen späteren Jahren, in Ninive, nahm hier die Beute in Empfang und ließ den gefangenen Königen, wenn er sie nicht am Stadttor in einen Käfig mit Hunden und Schweinen einsperrte, die Köpfe abschlagen; im J. 676 ließ er diese ihren gefangenen Magnaten um den Hals hängen, um sie beim Triumphzug unter Musik und Gesang dem Volk der Hauptstadt vorzuführen.

Daß Assur, Marduk und die übrigen Götter ihn aus der Zahl seiner Brüder zum König ausersehen haben und daß jeder Widerstand ein todeswürdiges Verbrechen ist, ist auch für ihn selbstverständlich. Vorzeichen und Gottessprüche hat man immer eingeholt und beobachtet; aber man wird sich schwer vorstellen können, daß Herrscher wie Tiglatpileser und Sanherib in der Weise, wie das Assarhaddon tut, bei jedem Anlaß und jeder Unternehmung ein Orakel des Sonnengottes eingeholt hätten, oft genug mit Setzung einer mehrmonatigen Frist für den Zeitraum, über den eine Weisung erbeten wird145. Oft sind außerdem die Ergebnisse der Leberschau beigefügt; weiteren Anlaß zu Anfragen geben dann die sonstigen Omina und die astrologischen Beobachtungen. Welches Gewicht Assarhaddon diesen Erkundungen des göttlichen Willens und den Offenbarungen beilegte, die ihm die Götter im Gebet gewährten, ist auch in seinen Inschriften mehrfach ausgesprochen. Wir besitzen denn auch eine Sammlung von Orakeln, die ihm die Wahrsager und Wahrsagerinnen, meist im Namen der Ištar von Arbela, gegeben haben146, freilich von so armseliger[70] Mache, daß man kaum begreift, wie selbst ein geistig ganz beschränkter Fürst sie gläubig hat hinnehmen können.

Im Innern ist die Regierung Assarhaddons nichts weniger als friedlich verlaufen. Vielfach wird der Sonnengott gefragt, ob der König einer bestimmten Persönlichkeit trauen darf oder ob von ihm Aufruhr oder ein Attentat zu erwarten ist. Die babylonische Chronik verzeichnet unter den Jahren 680, 678 und 675, daß ein hoher in Babylonien angestellter assyrischer Beamter nach Assyrien abgeführt und dort hingerichtet wurde, und unter dem J. 670, daß der König in Assyrien viele seiner Magnaten mit der Waffe, also offenbar bei einem Aufstand, erschlagen habe. Weiteres über diese Vorgänge erfahren wir nicht; aber deutlich zeigt sich, daß die innere Zersetzung des Reichs bereits unter Assarhaddon begonnen hat.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 66-71.
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