Wesen und Bedeutung des Dualismus

[118] Es ist begreiflich, daß die modernen Parsen Indiens, um sich in der Konkurrenz mit dem Christentum sowie mit dem Islam und den indischen Religionen zu behaupten, bestreiten, daß ihre Religion dualistisch sei: sie verkünde lediglich die Allmacht des guten Gottes und Weltschöpfers sowie die Verantwortung nach dem Tode; Ahriman und die Dämonen seien keine selbständigen Wesen, sondern lediglich die bösen Triebe in der Menschenseele, zu deren Bekämpfung ihre im Awesta enthaltene Religion die richtige Weisung gebe241. Auch manche wohlmeinende europäische Gelehrte, für die ein ethischer Deismus oder Theismus das höchste Ideal ist, haben ähnliche Ansichten vertreten; sie erblicken in dem Dualismus einen Makel, von dem sie Zoroaster zu reinigen streben. Aber damit wird nicht nur seine Religion, sondern überhaupt das große religiöse Problem, das hier vorliegt, gänzlich verkannt. Mit vollem Recht haben nicht nur die Griechen die persische (richtiger die iranische) Religion immer als Dualismus dargestellt, sondern ebenso, abgesehen von den erwähnten modernen Schriftstellern, die parsischen Gelehrten durchweg; so besonders [118] nachdrücklich Martânfaruch (etwa im 9. Jahrhundert) in dem sehr interessanten Werk »Zweifel vertreibende Darlegung«242. Mit allem Nachdruck betont er, daß Ahuramazda zwar der allmächtige, weise und gütige Schöpfer ist, daß aber eben dadurch seiner Macht Schranken gesetzt sind: er kann nicht wollen und schaffen, was seinem Wesen widerspricht243, und daher nicht der Urheber der Übel und des Bösen sein, denn dann wäre er mitschuldig und nicht weise und gütig. Somit ist es notwendig, eine ihm entgegenstehende Macht anzunehmen, deren Natur das Gegenteil der seinigen ist; und da die Gegensätze nicht zusammengehen können, ist hierin der Kampf von selbst gegeben.

Damit ist das entscheidende Moment scharf formuliert. Das Dilemma ist unausweichlich: entweder ist Gott allmächtig und der alleinige Schöpfer aller Dinge – dann hat er auch alles Böse geschaffen, sowohl das physische wie das moralische, einschließlich der bösen Triebe der von ihm geschaffenen Geister und Menschen, und ist daher nicht allgütig, sondern erbarmungslos wie die Natur und, falls die größte Weisheit mit dem höchsten Gut identisch ist, auch nicht allweise. Oder, wenn er allweise und allgütig und daher allerbarmend ist, so ist er nicht allmächtig, sondern eben diese [119] Eigenschaften setzen seiner Allmacht Schranken, und das physische Übel wie das moralisch Böse stammen von einer diametral entgegengesetzten, ihm von Anfang an feindlich gegenüberstehenden Macht. Daß im Verlauf der irdischen Entwicklung, im Geschick des einzelnen Menschen wie im Gang der Weltgeschichte und ebenso in den kleinen und großen Katastrophen der Natur nicht die Gerechtigkeit waltet, sondern die blinde Willkür der Kräfte, ist die Folge davon, daß die Schöpfungen und Gegenwirkungen des Bösen in alle Kreaturen eingedrungen sind. Seitdem dauert der Kampf ununterbrochen und wechselvoll fort. Auch die Sündhaftigkeit der Menschen beruht darauf, daß der »Verführer der Seelen« bei ihnen Eingang findet und sie von der Pflicht abzieht, die wahre Religion zu bekennen und zu befolgen244. Das ethische Postulat, das unabweislich einen guten und gerechten [120] Gott fordert, wird dadurch befriedigt, daß die Entscheidung ins Jenseits und in eine Schlußkatastrophe verlegt wird, in der die gute und weise Macht endlich den vollen Sieg erlangt, die entgegenstehende Macht vernichtet – und nach den Lehren des Parsismus, in voller Konsequenz der Idee allerbarmender Güte zugleich läutert, so daß sie sich bekehrt – und nun die Welt dem Ideal entsprechend umgestaltet.

Darauf, daß sie diese Gedanken in den Mittelpunkt gestellt und konsequent durchgeführt hat, beruht die fundamentale Bedeutung und die weltgeschichtliche Wirkung der Religion Zoroasters, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. In der Gestalt des Teufels und der diese Welt beherrschenden Mächte des Bösen, in der gesamten Dämonologie, in dem Glauben an das Jüngste Gericht über jede Einzelseele und die Auferstehung des Fleisches, in der gesamten Erlösungslehre sind ihre Grundanschauungen eingedrungen in die Religionen der westlichen Welt und durch ihre Verschmelzung mit dem Judentum maßgebend geworden für Christentum und Islam und nicht minder für Gnosis, Neuplatonismus und Manichäismus. Das spätere Judentum und das auf ihm fußende Christentum sind trotz des offiziellen Monismus, der auf der aus ganz andern Anschauungen erwachsenen Schrift beruht, in der Praxis des realen Lebens durchaus dualistische Religionen: nach der Kirchenlehre des theologischen Systems ist Gott der allmächtige Schöpfer und Regierer der Welt, aber tatsächlich ist der Teufel »der Herrscher dieser Welt«, der Kampf der beiden Mächte, zwischen die der Mensch gestellt ist, dauert ununterbrochen fort. Die Allmacht Gottes ist in Wirklichkeit beschränkt, das Gottesreich, die civitas Dei, ist ein Ideal, das sich, solange die gegenwärtigen Verhältnisse bestehen, niemals voll durchsetzen kann; sein Kommen wird im Gebet erfleht, aber Wirklichkeit wird es erst in der Zukunft, wenn Gott im Endkampf gewaltig eingreift, die Macht des Bösen vernichtet und die ideale Welt neu aufbaut. Mit dem inneren Widerspruch, der dadurch geschaffen ist, hat die Theologie ununterbrochen gerungen, ohne je eine wirkliche Lösung finden zu können. Eine Zusammenstellung der Äußerungen Luthers über den Teufel liest sich ganz wie ein [121] Abschnitt aus einem parsischen Werk: »er herrscht durch die Dämonen, böse Menschen und Ketzer in der Welt und hat ein Reich der Sünde und des Ungehorsams gegründet, aus dem nur Gottes Herrschaft erlösen kann Er ist der Inbegriff alles Bösen; er kann nur Böses tun. Will man ihn erkennen, so überlege man nur: diabolus est antithesis decalogi. Und als solcher tut er den Menschen Böses an, indem er durch Sinnestäuschungen und Halluzinationen oder andere Mittel verblendet und verführt, Sturm, Gewitter, Feuer oder Krankheiten und Kriege über sie kommen läßt und durch diese Leiden den Menschen zu Sünde, wie zu Mißtrauen gegen Gott, Traurigkeit, Hader untereinander, Unkeuschheit usw. zu verleiten trachtet«245.

Gebrochen hat mit diesen Anschauungen erst die fortschreitende Aufklärung und die Rationalisierung der Religion, die ihren Höhepunkt im Deismus erreicht. Aus dem Mythus vom Paradies und Sündenfall, in dem die natürliche Empfindung von den Nöten des Daseins ihre Erklärung findet in der Eifersucht der neidischen Gottheit, die den Menschen die Erkenntnis nicht gönnen wollte und, als sie diese doch gewannen, ihnen wenigstens die Unsterblichkeit vorenthielt, hat das Christentum das Dogma von der angeborenen Sündhaftigkeit des Menschen und der Erbsünde entwickelt; die Aufklärung dagegen greift zu dem naiven Rationalismus der Schöpfungsgeschichte Gen. 1, daß die Schöpfung gut sei, und sucht sie bis in alle Einzelheiten als das Werk eines allweisen und allgütigen Gottes zu erweisen. Aber damit verfällt sie dem unwiderleglichen Einwand: die unbestreitbare Tatsache des in der Welt vorhandenen Übels und eines Weltregiments, das dem Postulat der Gerechtigkeit in keiner Weise entspricht, widerstreitet der Annahme entweder eines allgütigen und allerbarmenden oder eines allweisen und allmächtigen Gottes. Es kommt hinzu, daß er den Menschen nun einmal so geschaffen hat, daß er der Versuchung zur Sünde nicht nur erliegen kann, sondern trotz alles Bemühens, die sittlichen Gebote restlos zu erfüllen, immer wieder [122] erliegen muß246. Der von Leibniz und seinen Nachfolgern aus der Weisheit und Allmacht Gottes gezogene Schluß, daß die bestehende Welt die bestmögliche sei und das in ihr vorhandene Übel nur die unvermeidliche und auch für Gott nicht abänderbare Ergänzung und Folie des Guten, ist ein offenkundiger Sophismus, der das Problem nicht löst, sondern durch eine kalte Formel die Einwendungen des Verstandes beiseitezuschieben versucht. Und so ist es geblieben: dem Problem des Ursprungs des Bösen und der Sündhaftigkeit des Menschen geht die moderne Religionslehre, soweit sie vom alten Dogma abweicht und den Teufel preisgegeben hat, nach Möglichkeit aus dem Wege; sie begnügt sich, die Gottesvorstellung nach den Forderungen des ethischen Postulats im einzelnen auszumalen, ohne zu fragen, wie sich die Gestaltung des wirklichen Lebens damit verträgt.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 118-123.
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