Dionysios in Italien

[121] Diese Verhältnisse fand Dionys vor, als er sich alsbald nach dem Friedensschluß mit Karthago der Abrechnung mit Rhegion zuwandte. Im J. 390 setzte er mit 100 Schiffen, 20000 Mann und 1000 Reitern nach Lokri über und fiel von hier aus verheerend in das Gebiet von Rhegion ein. Die Rheginer waren bereits, um Schutz zu gewinnen, in den Bund der Italioten eingetreten, und dieser konnte sie nicht zurückweisen, wenn er die Unabhängigkeit Italiens behaupten wollte. Denn der Gedanke, sich freiwillig der neuerstandenen hellenischen Großmacht unterzuordnen, lag den freiheitsstolzen Republiken noch völlig fern; sollten die Griechen gerettet werden, so mußten sie hier wie überall mit Gewalt dazu gezwungen werden. Zunächst hatten die Italioten vollen Erfolg. 60 Schiffe von Kroton kamen Rhegion zu Hilfe. Dionys wollte sie auf der Fahrt abfangen und drängte sie ans Land; hier aber werden sie von den rheginischen Truppen unterstützt, und zugleich geriet Dionys durch einen Sturm in so arge Not, daß er den Kampf mit schweren Verlusten aufgeben mußte. Die Folge war, daß er mit den Lukanern ein Bündnis schloß. So gerieten die Ita lioten zwischen zwei Feuer. Im nächsten Jahr 389 fielen die Lukaner ins Gebiet von Thurii ein; die Thuriner aber zogen mit 14000 Mann und 1000 Reitern aus, ohne den Zuzug der Bundesgenossen abzuwarten, und drangen zunächst erfolgreich vor. Als sie aber Laos am Westmeer wieder erobern wollten, wurden sie in dem bergigen [121] Terrain an der Küste von dem Gesamtaufgebot der Lukaner – 30000 Mann und 4000 Reiter – umzingelt und größtenteils zusammengehauen. Gleichzeitig traf die syrakusanische Flotte unter Leptines, dem Bruder des Tyrannen, ein. Er fing die Flüchtlinge auf, die sich ins Meer warfen, und vermittelte nicht nur den Loskauf der Gefangenen, sondern auch einen Frieden zwischen den Lukanern und Italioten. Auch Dionys hatte die Griechen nicht vernichten, sondern für sich gewinnen wollen; aber der Friedensschluß war nicht nach seinem Sinn; er entfernte Leptines vom Kommando und ersetzte ihn durch seinen zweiten Bruder Thearidas206.

Jetzt ging Dionys aufs neue zum Angriff vor. Während Thearidas die Liparischen Inseln besetzte und hier zehn Schiffe von Rhegion abfing, begann Dionys die Belagerung von Kaulonia. Zwölf Schiffe unter Aristides, die Elea sandte, gelangten durch eine List glücklich in den Hafen; die Führung des Entsatzheeres übernahm Kroton, wohin sich jetzt mit der Masse der übrigen Exulanten aus Syrakus auch Heloris (o. S. 112) begeben hatte; ihm wurde der Oberbefehl über das Bundesheer anvertraut. Mit 25000 Mann und 2000 Reitern zog er zum Entsatz von Kaulonia. Aber im Morgengrauen überfiel Dionys am Fluß Eleporos seine Vorhut, und als das Gros eintraf, konnte es die Schlacht nicht mehr herstellen. Heloris selbst fiel tapfer kämpfend, mit ihm ein großer Teil seiner Truppen; die übrigen wurden auf einem Hügel eingeschlossen und durch Wassermangel zu bedingungsloser Ergebung gezwungen207. Jetzt bewies Dionys, daß er nicht aus Blutdurst Leptines' Verhalten getadelt hatte; wie er auf Sizilien Milde geübt hatte, wo immer es ratsam erschien, so entließ er hier die Gefangenen, über 10000 an Zahl, ohne Lösegeld. Die Folge war,[122] daß überall die Stimmung umschlug; die Städte baten um Frieden und überhäuften den Sieger mit Ehren. Dionys gewährte billige Bedingungen; er verlangte für sich nur den südlichsten Ausläufer der Halbinsel, das älteste Italien bis zu den Buchten von Skyletion und Hipponion. Daraufhin trat der Bund vom Kriege zurück. Kaulonia mußte sich ergeben; die Einwohner wurden nach Syrakus übergeführt und erhielten Bürgerrecht und Steuerfreiheit auf fünf Jahre, die Stadt selbst wurde zerstört, ihr Gebiet den Lokrern geschenkt, ebenso das nördlich davon gelegene Skyletion, das Kroton hatte abtreten müssen. Im nächsten Jahre, 388, erfuhr Hipponion das gleiche Schicksal208.

Noch blieb die Züchtigung Rhegions. Die Stadt, von allen Bundesgenossen verlassen und allein dem mächtigen Herrscher gegenüber wehrlos, hatte gleich nach der Schlacht am Eleporos einen erträglichen Frieden zu erlangen gesucht, und Dionys hatte denselben auch einstweilen gewährt gegen Auslieferung sämtlicher Schiffe (angeblich 70), Zahlung von 300 Talenten und Stellung von 100 Geiseln. Aber er war nicht gewillt, auf seine Rache zu verzichten; er reizte die Stadt durch Forderungen für die Verpflegung seines Heeres so lange, bis sie erklärte, sie sei zu weiteren Lieferungen nicht mehr imstande. Da sandte er ihr die Geiseln zurück und erklärte den Krieg (Sommer 388). Die Stadt wehrte sich unter dem Kommando Phytons bis aufs äußerste. Die Stürme wurden abgeschlagen, Dionys selbst schwer verwundet. Aber es war ein Verzweiflungskampf ohne Hoffnung auf Rettung. Nach elf Monaten gingen die Lebensmittel aus; die Kräfte waren erschöpft, der Rest der Verteidiger, noch über 6000 Einwohner, mußte sich der Gnade des Siegers ergeben. Wer sich gegen eine Mine (91 M.) lösen konnte, behielt die Freiheit; die übrigen wurden verkauft, der tapfere Feldherr und seine Kinder unter Martern hingerichtet. Die Stadt selbst wurde zerstört und auf den Trümmern ein Lustgarten [123] angelegt (Sommer 387)209. – Damit hatte Dionys die Meerenge in sicherem Besitz. Den syrakusanischen Emigranten war die letzte Stütze entzogen und bei einem neuen Kriege mit Karthago ein unmittelbarer Angriff in seinem Rücken nicht mehr zu befürchten. Zugleich hatte Dionys auf der Halbinsel festen Fuß gefaßt. Lokri war völlig an ihn gefesselt. Er konnte den Plan fassen, das auf das Doppelte vergrößerte Gebiet der treuen Bundesgenossen durch eine über den Isthmos von Skyletion nach Hipponion gezogene Mauer zugleich gegen die Einfälle der Lukaner zu schützen und von dem Gebiet der freien Griechenstädte völlig loszutrennen, ein Unternehmen, das allerdings nicht zur Vollendung gelangt ist210.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 51965, Bd. 5, S. 121-124.
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