Zweiter karthagischer Krieg

[100] In Karthago hat man über das Ziel der Rüstungen des Dionys kaum in Zweifel sein können. Aber die Seuche, welche dem vorigen [100] Kriege ein Ende gemacht hatte, wütete jetzt verheerend in Afrika178 und in der Hauptstadt und steigerte die Kriegsscheu der Regierung; man sah der Entwicklung tatenlos zu und war völlig unvorbereitet, als die syrakusanische Gesandschaft eintraf, deren Forderung man doch unmöglich erfüllen konnte. Jetzt wurde schleunigst gerüstet und Werber nach allen Richtungen entsandt; der Oberbefehl wurde aufs neue dem für das nächste Jahr zum Suffeten erwählten Himilko übertragen. Bis er ein Heer nach Sizilien führen konnte, hatte Dionysios freie Hand. Gleich nach dem Kriegsbeschluß hatte sich überall auf Sizilien der Nationalhaß in wilden Ausbrüchen entladen; in Syrakus so gut wie in den karthagischen Griechenstädten fiel der Pöbel über die phönikischen Händler her, plünderte ihre Magazine und Schiffe und vergalt ihnen selbst mit Martern aller Art, was Karthago an den Griechen verübt hatte. Inzwischen war Dionys mit seiner Armee, ohne Widerstand zu finden, in die karthagische Provinz eingerückt. Alle Griechenstädte begrüßten ihn als Befreier und sandten ihm Zuzug; auch die Elymer von Eryx traten zu ihm über, das Landvolk mußte sich unterwerfen; nur die alten Phönikerstädte sowie Entella, Halikye, Segesta hielten bei Karthago aus. Auf 80000 Mann und über 3000 Reiter soll sein Heer angewachsen sein, dazu gegen 200 Kriegsschiffe und etwa 500 Transportschiffe, welche die Belagerungsmaschinen und den Proviant herbeiführten. Dionys' Ziel war Motye179, das auf einem Felseiland in dem lagunenartigen Meer an der Westspitze der Insel gelegene Hauptbollwerk der karthagischen Herrschaft. Die kleine Stadt, ein getreues Abbild von Tyros, Arados und Gades, war stark befestigt und sehr dicht bevölkert, dabei außerordentlich wohlhabend. Dionys' Flotte fuhr in die Bucht ein. Der Damm, der die Insel mit dem Festland verbunden hatte, war von den Bewohnern zerstört worden; so ließ Dionys einen neuen sechs Stadien langen Damm in das seichte Meer werfen. Himilko versuchte Hilfe zu bringen. Ein paar karthagische Triëren drangen bei Nacht in den [101] Hafen von Syrakus ein und richteten unter den überraschten Fahrzeugen argen Schaden an. Dann wiederholte er selbst das gleiche Manöver im Hafen von Motye. Plötzlich erschien er mit 100 Schiffen früh morgens im Eingang der Bucht und vernichtete eine Anzahl der feindlichen Schiffe. An weiterem Vordringen hinderte ihn die Landarmee und vor allem der Steinhagel der neuen Geschütze; aber er durfte hoffen, wenn die feindliche Flotte, die am Strande lag, in See ginge, die Schiffe in dem engen Raum einzeln angreifen und vernichten zu können, andernfalls aber die Stadt von der Seeseite her zu schirmen. Indessen Dionys ließ seine Schiffe auf einer Schleppbahn über die schmale Landzunge bringen, die damals noch die Bucht im Norden abschloß, und gewann so die offene See. Dadurch wurde Himilkos Stellung unhaltbar, da er viel schwächer war als die Feinde. Er mußte nach Karthago zurückkehren und Motye seinem Schicksal überlassen. Dionys vollendete den Damm, brachte seine Maschinen heran und legte Bresche in die Mauer. Die Einwohner wehrten sich verzweifelt; mehrere Tage dauerte der Straßenkampf zwischen den hohen Häusern in den engen Gassen. Schließlich wurden sie überwältigt, und nun begann das Morden nach dem Beispiel, das Karthago in den Griechenstädten gegeben hatte. Was gefangen war, wurde verkauft, die reiche Beute den Soldaten überlassen; eine Schar griechischer Söldner, die in der Stadt Dienste genommen hatte, ließ Dionys als Hochverräter an der hellenischen Nation ans Kreuz schlagen. Über diesen Kämpfen war der Winter herangekommen; Dionys ließ den Flottenkommandanten, seinen Bruder Leptines, mit 120 Schiffen und genügenden Landtruppen zurück, um die Insel gegen einen feindlichen Angriff zu decken und womöglich den Rest der karthagischen Besitzungen zu erobern.

Im nächsten Frühjahr (396) zwang Dionys Halikye zur Unterwerfung und begann die Belagerung von Segesta. Inzwischen aber hatten die Karthager ein gewaltiges Heer zusammengebracht. Die Gefahr war freilich groß, daß die widerstandsunfähigen Transportschiffe von der starken feindlichen Flotte aufgefangen würden. Himilko ließ sie deshalb, ganz gegen die Gewohnheit des Altertums, möglichst auf hoher See bleiben und wies ihnen durch versiegelte [102] Ordres Panormos als Landungsplatz an; er selbst fuhr, um sie zu decken, mit der Kriegsflotte an der sizilischen Küste entlang. Eine Anzahl Schiffe, angeblich 50, wurde trotzdem von Leptines abgefangen und in den Grund gebohrt; der Mehrzahl gelang es, glücklich Panormos zu erreichen. Von hier ausrückte Himilko nach Westen vor und gewann Eryx und Motye zu rück; Dionys war gezwungen, die Belagerung von Segesta aufzuheben, und sah sich plötzlich in eine sehr schwierige Lage versetzt. Er stand mitten in Feindesland; die einheimische Bevölkerung neigte in dem Nationalkrieg durchweg zu Karthago, auch wenn sie sich vorübergehend den Griechen hatte unterwerfen müssen. Ein Versuch, die Sikaner durch große Versprechungen zum Eintritt in sein Heer zu bewegen, mißlang, dagegen strömten sie in Massen den Karthagern zu; auch Halikye fiel sofort wieder ab. Entscheidend war, daß die Verpflegungsschwierigkeiten sich immer fühlbarer machten. So wagte Dionys trotz des Drängens der Griechen nicht, dem an Zahl vielleicht von Anfang an stärkeren und durch Zuzüge sich täglich vermehrenden Feinde die Schlacht zu bieten und damit alles aufs Spiel zu setzen; er entschloß sich zum Rückzug auf Syrakus. Damit gab er nicht nur seine Eroberungen preis, sondern auch sein eigenes Machtgebiet. Himilko folgte ihm nach, wandte sich aber zunächst nicht gegen Syrakus, sondern rückte längs der Nordküste vor. Himera (d.i. Thermä) und Kephalödion unterwarfen sich, die Liparischen Inseln wurden gebrandschatzt; dann ging er gegen Messana vor. Ein Teil der Bevölkerung verzweifelte am Widerstand, zumal die Mauern verfallen waren, und flüchtete nach Syrakus; der Rest ließ sich zu einem Ausfall gegen die Karthager im Norden der Stadt beim Vorgebirge Peloron verlocken und ermöglichte dadurch der karthagischen Flotte, den Hafen zu überfallen und über die schwachen Mauern in die Stadt einzudringen. Die Messanier flüchteten in die befestigten Dorfschaften ihres Gebiets und in die Nachbarstädte; ihre Stadt erlitt dasselbe Schicksal wie ihre Schwestern: sie wurde auf Himilkos Befehl von Grund aus zerstört180. Von dem blühenden Kranz griechischer Städte, der [103] ehemals Sizilien umschlossen hatte, stand jetzt nur noch Syrakus unversehrt aufrecht. Das zerstörte Motye dagegen ersetzte Himilko durch eine neue Phönikerstadt auf dem flachen Westkap der Insel, Lilybäon181, das heutige Marsala, das mit starken Mauern und Festungsgräben umgeben wurde und durch einen ins Meer geworfenen Molo einen künstlichen Hafen erhielt.

Auf die Kunde von dem Fall Messanas traten alle Sikeler mit Ausnahme der Stadt Assoros (nordöstl. von Henna) aufs neue zu Karthago über, auch die von Dionys im Gebiet von Naxos Angesiedelten, die jetzt auf der steilen Berghöhe nördlich von den Trümmern der alten Griechenstadt die Festung Tauromenion182 anlegten. So war Dionys' Macht arg zusammengeschmolzen. Er ergriff alle Mittel, der Gefahr zu begegnen; er fuhr fort mit der Freilassung von Sklaven und gewann dadurch die Ruderer für 60 Schiffe; er warb weitere Söldner im Peloponnes; er befestigte die Ortschaften des Landgebiets und die beiden Burgen des zerstörten Leontini; er verpflanzte die in Katana angesiedelten Kampaner nach dem festen Ätna; er brachte möglichst viel Proviant zusammen. Dann nahm er mit Landheer und Flotte, 30000 Mann, 3000 Reitern, 180 Schiffen, Stellung bei dem Vorgebirge Tauros (bei Augusta) 4 Meilen nördlich von Syrakus, um den Angriff der Feinde zu erwarten. Himilko rückte von Messana aus längs der Küste vor, von der Flotte unter Mago begleitet. Aber am Fuß des Ätna hinderten gewaltige Lavamassen von einer vor kurzem erfolgten Eruption seinen Vormarsch; er mußte das Bergmassiv in weitem Bogen durch das Binnenland umschreiten. [104] Dadurch wurde die Flotte isoliert; Dionys rückte bis Katana vor und befahl seinem Bruder Leptines, mit der Flotte, meist Tetreren und Penteren, Mago anzugreifen. Die feindliche Seemacht war an Zahl überlegen, aber sie bestand nur aus Triëren und hatte zahlreiche Lastschiffe bei sich, so daß Mago den Kampf gern vermieden hätte. Indessen Leptines griff ihn mit den 30 besten Schiffen an und bohrte zunächst eine Anzahl feindlicher Triëren in den Grund. Bald jedoch geriet er durch die Überzahl in arge Bedrängnis und mußte auf die offene See entweichen; die übrigen syrakusanischen Schiffe, die so rasch nicht hatten folgen können, wurden beim Herankommen in aufgelöster Ordnung überfallen und meist genommen. Über 100 Schiffe fielen den Karthagern zur Beute; die Mannschaften fanden größtenteils im Meer den Tod, die syrakusanische Seemacht war so gut wie vernichtet. Dionys wagte jetzt nicht mehr, dem Landheer unter Himilko entgegenzutreten, da inzwischen die feindliche Flotte, trotz eines ausgebrochenen Sturms183, in den Hafen von Syrakus eindringen und die von Verteidigern entblößte Stadt erobern konnte, wie kurz vorher Messana; so entschloß er sich zu eiligem Rückzug. Die Folge war allerdings, daß seine Macht noch weiter zusammenschrumpfte; überall wurden Vorwürfe laut gegen den Feldherrn, der trotz seiner unumschränkten Tyrannengewalt, die er so rücksichtslos ausübte, nicht imstande sei, die Feinde zu besiegen, sondern eine Niederlage nach der andern erleide. Zahlreiche Truppen verließen ihn; die Städte, mit Ausnahme der Kampaner in Ätna, unterwarfen sich den Karthagern. Auch in Syrakus gab es, namentlich unter den Vornehmen, gar viele, denen die Partei über die Nationalität ging und die sich gern den Karthagern unterworfen hätten, wenn sie sich dadurch von der Herrschaft des Tyrannen befreien konnten.

Indessen Dionys verzweifelte nicht. Noch einmal erließ er einen Hilferuf an ganz Hellas, nicht tatenlos zuzuschauen, wie [105] das Griechentum in Sizilien vollständig vernichtet werde; sein Schwager Polyxenos ging nach Unteritalien und dem Peloponnes, um Söldner zu werben. Sparta, gerade im Kampf gegen Persien für die Freiheit der Hellenen begriffen, ließ auch im Westen die nationale Sache nicht im Stich; es sandte seinem alten Verbündeten ein Hilfskorps von 30 Triëren unter dem Kommando des Nauarchen Pharakidas184 (u. S. 200). Diesem gelang es, unterwegs eine Anzahl karthagischer Schiffe abzufangen und, indem er sie seinen eigenen Schiffen voranfahren ließ, die Feinde zu täuschen, so daß er mit den von Polyxenos geworbenen Truppen ungehindert in den Hafen von Syrakus einlaufen konnte185. Währenddessen hatte Himilko die Belagerung von Syrakus begonnen. Es wiederholten sich die Vorgänge, welche sich neunzehn Jahre zuvor beim Angriff der Athener abgespielt hatten; nur war nicht nur die belagernde Armee, sondern auch die Festung weit größer und überdies in ganz anderer Weise für die Verteidigung vorbereitet als damals. Die Flotte lief in den großen Golf im Süden der Stadt ein, in dem die Athener den Untergang gefunden hatten; das Landheer nahm in der Anaposebene Stellung, gedeckt durch drei Kastelle auf dem Plemmyrion, dem Höhenrücken im Süden des Golfes, wo Nikias sich eine Zeitlang festgesetzt hatte, im Tempel des olympischen Zeus, den damals die syrakusanischen Reiter behauptet hatten, und zwischen beiden am Vorgebirge Daskon. Zur Schlacht ließen sich die Syrakusaner weder zu Lande noch zur See verlocken, und ein Sturm war zur [106] Zeit noch aussichtslos; man mußte versuchen, die Stadt auszuhungern. Freilich reichte die karthagische Macht, so stark sie war, nicht aus, die Riesenfestung von allen Seiten einzuschließen; vor allem den Kriegshafen im Norden der Stadt, zwischen der Insel und der Achradina, konnte die feindliche Flotte wohl durch Angriffe belästigen, aber eine regelrechte Blockade war hier, vor der stark befestigten Einfahrt, mitten zwischen den Festungsmauern im Norden und im Süden, für sie so wenig möglich wie für die Athener. So kam der Krieg zum Stehen; einen Monat lang mußte Himilko sich mit Demonstrationen und gründlicher Verwüstung des Landgebiets und der Heiligtümer und Wohnhäuser vor den Stadtmauern begnügen. Die Hoffnungen der Syrakusaner belebten sich; während Dionys und Leptines ausfuhren, um Proviant herbeizuführen, griffen sie ein Geschwader von 40 Schiffen an, das vor dem Hafen demonstrierte, und nahmen 25 von ihnen. Durch diesen ohne Mitwirkung des Herrschers erfochtenen Sieg schwoll den Bürgern der Mut; die Waffen hatten sie in der Hand, ihre Kriegstüchtigkeit hatten sie erwiesen; war es nicht möglich, sich jetzt des Zwingherrn zu entledigen? Die Sache schien nicht aussichtslos, zumal auch die Söldner schwierig zu werden begannen, vermutlich weil Dionys den Sold nicht mehr regelmäßig zahlen konnte186. Als Dionys zurückkehrte und in einer Volksversammlung die bestimmte Erwartung aussprach, er werde den Krieg bald zu Ende führen können, stellte Theodoros, ein angesehener Mann aus der Ritterschaft, den Antrag, den Feldherrn, der das Vertrauen der Bürgerschaft schmählich getäuscht habe, abzusetzen und ins Exil zu schicken. Er fand viel Zustimmung, wenn man auch wird annehmen dürfen, daß es unter der Bürgerschaft genug Leute gab, welche vor einer derartigen selbstmörderischen Handlung zurückscheuten. Den Ausschlag gab der spartanische Nauarch Pharakidas; er erklärte, von seiner Regierung entsandt zu sein, um den Syrakusanern und Dionys beizustehen, nicht aber um Dionys zu stürzen. Da wagten die Republikaner nicht, weiter zu gehen; Dionys konnte sich im Regiment behaupten. In seinem Verhalten gegen die Bürger [107] hat er nichts geändert: weder jetzt noch später erfahren wir von einem Einschreiten gegen Theodoros und seinen Anhang. Daß Pharakidas wegen seiner Erklärung, durch die er Syrakus und die Griechen auf Sizilien gerettet hat, von Timäos und seinen Gesinnungsgenossen aufs schwerste getadelt wird, ist nicht wunderbar, wohl aber, daß es auch jetzt noch Historiker gibt, die ihm das nachsprechen187.

Die Belagerung von Syrakus fiel in die heißesten Sommermonate des J. 396. Wie bei den Athenern im J. 414 erzeugte auch bei den Karthagern die Anhäufung einer gewaltigen Menschenmasse in dem Sumpfland des Anapos verheerende Seuchen; und alsbald wuchsen dieselben zu einer Epidemie an – vielleicht war es diesmal wirklich die Beulenpest –, welche an Furchtbarkeit die Pest in Athen und die Epidemie des J. 405 vielleicht noch übertraf. In wenigen Wochen wurde ein großer Teil des Heeres hinweggerafft, so daß die Leichen nicht mehr bestattet werden konnten; alle Mittel, sich gegen die Ansteckung zu schützen, versagten. Die Überlebenden wurden vollständig demoralisiert. Trotzdem hielt Himilko aus; war ihm doch auch im J. 406 die Eroberung von Agrigent trotz der Seuche und trotz der Niederlage durch Daphnäos gelungen. Aber diesmal zeigte sich Dionys der Situation gewachsen. In einer dunklen Nacht umging er mit seinen Kerntruppen die feindliche Stellung, ließ sie am nächsten Morgen durch eine Söldnerschar, deren Untergang ihm nicht unwillkommen war, in der Front angreifen und fiel ihnen selbst in den Rücken. Während er die Kastelle und das Lager erstürmte, drang eine Flotte von [108] 80 Schiffen unter Pharakidas und Leptines in den Golf ein und überfiel die karthagischen Triëren, während sie noch bemannt und flott gemacht wurden. Die Feinde suchten sich zu wehren, so gut es ging; aber durch den plötzlichen Angriff von allen Seiten waren sie überrascht und verwirrt, und als nun Dionys Feuer in die Schiffe werfen ließ und der Sturm dies alsbald zu einem ungeheuern Brande anfachte, war ihre Stellung vollends verloren. An derselben Stelle, wo die athenische Invasion in wochenlangen verzweifelten Kämpfen zugrunde gegangen war, haben Dionys und Pharakidas mit einem einzigen Schlage die karthagische Invasion vernichtet. Himilko versuchte zu retten, was noch zu retten war; er begann um freien Abzug zu verhandeln. Dionys erklärte, daß er das nicht bewilligen könne; nur die karthagischen Bürger wollte er, gegen eine Zahlung von 300 Talenten, entkommen lassen. Himilko ging darauf ein, und Dionys hat Wort gehalten; als in der vierten Nacht die Karthager auf 40 Triëren davonfuhren, hielt Dionys seine Truppen zurück. Nur die unter den peloponnesischen Hilfstruppen befindlichen Korinther, die in diesem Verhalten Verrat sahen, bestiegen die Schiffe und bohrten noch einige der feindlichen Triëren in den Grund. In Wirklichkeit war Dionys' Verfahren, das dem des Demosthenes bei den Kämpfen um Ambrakia (Bd. IV 2, 76.) entsprach, politisch sehr richtig berechnet: indem er die Karthager veranlaßte, ihre Söldner und die sizilischen Hilfstruppen preiszugeben, tat er weit mehr zur Diskreditierung ihrer Herrschaft, als er durch ihre Vernichtung hätte erreichen können. Am nächsten Tage griff er den Rest der Feinde an. Den Sikelern gelang es zu entkommen, die übrigen wurden umzingelt und gezwungen, bedingungslos die Waffen zu strecken; nur die Spanier hielten fest zusammen, bis ihnen ein Vertrag gewährt wurde, durch den sie als Söldner in Dionys' Dienste übertraten.

Auch der erste Feldzug Himilkos auf Sizilien hatte durch eine Seuche ein vorzeitiges Ende gefunden; jetzt aber war, als er das letzte Ziel schon fast erreicht zu haben glaubte, sein ganzes Heer vernichtet worden. Er wollte den Untergang seines Ruhms nicht überleben; als er den dürftigen Rest seiner Truppen nach Karthago zurückgeführt und den Göttern die Sühneopfer dargebracht hatte, [109] schloß er sich in sein Haus ein und rührte keine Speise mehr an188. – Die nächste Folge der Niederlage war nicht nur der Verlust des größten Teils Siziliens, sondern zugleich eine große Insurrektion189 in Afrika selbst. Die Libyer sehnten längst eine Gelegenheit herbei, den harten Druck ihrer Herrn abzuschütteln; die Treulosigkeit, mit der Himilko die nichtbürgerlichen Truppen den Feinden aufgeopfert hatte, steigerte die Erbitterung, die schwere Niederlage Karthagos gab die Hoffnung auf Erfolg. In gewaltigen Massen rotteten sich die Libyer zusammen, zahlreiche Sklaven strömten ihnen zu; sie besetzten Tunes vor den Toren Karthagos, schlugen die Bürger zurück und sperrten die Stadt völlig von der Verbindung mit dem Binnenlande ab. Die Bürgerschaft geriet in die größte Angst: durch Opfer und Gebete suchte man die erzürnten Götter zu besänftigen, der Demeter und ihrer Tochter, deren Tempel vor Syrakus Himilko zerstört hatte, errichtete man ein Heiligtum mit griechischen Priestern. Allmählich gewann dann Karthago dank seiner politischen Überlegenheit und der Beherrschung der See das Übergewicht über die unorganisiserten und uneinigen Insurgenten zurück. Die Lebensmittel gingen ihnen aus, und das karthagische Geld begann seine Wirkung zu üben; es fanden sich Verräter, manche Landstädte traten zu Karthago zurück, das libysche Heer löste sich auf. Nach dreijährigem Kampf (396-393) war Karthagos Herrschaft über die afrikanischen Untertanen im wesentlichen wiederhergestellt.

Währenddessen190 erntete Dionys die Früchte des Sieges. Er verhaftete den Rädelsführer der widerspenstigen Söldner, Aristoteles, um ihn zur Aburteilung in seine Heimat Sparta zu schicken. [110] Als dann die anderen sich zusammenrotteten und ihren Lohn forderten, wußte er sie durch das Versprechen einer Landanweisung zu gewinnen: er hat sie, 10000 Mann, in dem zerstörten Leontini angesiedelt191. Dann stellte er Messana wieder her und verstärkte es durch Ansiedler aus den italischen Griechenstädten. Eine Schar der von Sparta aus Griechenland verjagten Messenier (o. S. 48f.) siedelte er Sparta zu Gefallen nicht hier an, sondern 7 Meilen weiter westlich in Tyndaris, auf einer festen Höhe an der Nordküste, wo sie sich als bald durch zugezogene Fremde zu einem ansehnlichen Gemeinwesen verstärkten. In den nächsten Jahren wurden sämtliche Sikelerstädte der Reihe nach unterworfen, wenn sie nicht wie das treugebliebene Assoros und die Dynasten Agyris von Agyrion (o. S. 88) und Damon von Kentoripä192 freiwillig auf seine Seite traten. Auch Herbita, das bisher noch immer seine Unabhängigkeit gewahrt hatte (o. S. 89), fügte sich jetzt der Oberhoheit von Syrakus. Die Griechenstädte an der Südküste waren von den Karthagern vielleicht überhaupt nicht wieder besetzt worden; an der Nordküste entriß er ihnen Kephalödion und schloß einen Vertrag mit den Himeräern von Thermä. Als diese ihn dann aber bei den weiteren Kämpfen gegen die kleineren Ortschaften nicht genügend mit Proviant unterstützten, griff er sie an und legte eine Besatzung in die Stadt193. Schließlich fiel auch Solunt durch Verrat in seine Hände. Am weiteren Fortschreiten gegen den Rest der karthagischen Besitzungen wurde er durch einen Angriff der Rheginer gehindert. Diese alten Feinde von Syrakus, welche die Emigranten bei sich aufgenommen hatten (o. S. 89), hätten offenbar Sizilien lieber in den Händen Karthagos als in denen eines griechischen Einheitsstaats gesehen, der ihnen unmöglich machte, auf der Insel Fuß zu fassen, wie ehemals unter Anaxilaos. Durch die Wiederherstellung von Messana sahen sie [111] sich unmittelbar bedroht; sie griffen unter Führung des Heloris194, eines syrakusanischen Exulanten, die neue Kolonie an und besetzten westlich von derselben die Landzunge von Mylä mit den Flüchtlingen aus Naxos und Katana. Indessen noch ehe Dionys selbst eingriff, wurden sie von den Messeniern zurückgeschlagen und die Kolonie in Mylä aufgelöst (Herbst 394). Dionys rüstete sich, mit ihnen abzurechnen, wollte aber vorher die Sikeler aus Tauromenion (o. S. 104) verjagen, um den Rücken frei zu haben. Mitten im Winter, in tiefem Schnee, suchte er bei Nacht die Feste zu erstürmen und drang auch bis auf die Höhe vor; aber im Straßenkampf wurde er zurückgedrängt und entging mit Mühe der Gefangenschaft. Die Folge war, daß Agrigent und die Messenier von Tyndaris195 dem Tyrannen aufsagten: so unausrottbar war der Partikularismus der Griechenstädte.

Inzwischen hatten die Karthager ihre Macht so weit gekräftigt, daß sie zu Anfang des J. 393 wieder einen Versuch der Offensive machen konnten. Ihr Feldherr Mago bemühte sich, durch humanes Auftreten den Haß gegen Karthago zu beschwichtigen und die Städte zu sich herüberzuziehen, und es gelang ihm auch, einen Teil der Sikeler zu gewinnen. Dann ging er verheerend gegen Messana vor; aber bei Abakainon (im Gebirge oberhalb Tyndaris) wurde er von Dionys geschlagen. Dieser ging jetzt mit 100 Triëren gegen Rhegion vor und steckte bei Nacht die Tore in Brand. Aber die Flamme, die Heloris, der Strateg der Rheginer, absichtlich schüren ließ, hinderte sein Eindringen; und als die Belagerung nicht von der Stelle rückte, schloß er einen Waffenstillstand auf ein Jahr, um gegen Karthago freie Hand zu haben. Hier hatte man noch einmal durch Werbungen in Afrika und Sardinien sowie bei den Oskern in Italien ein starkes Heer zusammengebracht, mit dem Mago im J. 392 durch die Mitte Siziliens vorrückte196. Die [112] meisten Sikeler unterwarfen sich; aber Agyris von Agyrion hielt am Bunde mit Syrakus fest. Er war zur Zeit der mächtigste der sikelischen Dynasten; nach dem Beispiel des Dionys hatte er in der Stadt seine Gegner beseitigt, die umliegenden Ortschaften unterworfen, Agyrion durch neue Ansiedler verstärkt, einen wohlgefüllten Schatz und eine große Kriegsmacht gesammelt. Dionys führte 20000 Mann aus Syrakus herbei und vereinigte sich mit ihm. Dadurch war Mago an weiterem Vordringen gehindert und geriet alsbald in eine mißliche Lage; die ortskundigen Feinde schnitten ihm die Zufuhr ab und belästigten ihn unaufhörlich durch erfolgreiche Scharmützel. Die Syrakusaner forderten eine Schlacht; aber Dionys, so kühn er vorging, wenn es sein mußte, war nach seinen bisherigen Erfahrungen nicht geneigt, ohne Not in einer Entscheidungsschlacht nochmals alles aufs Spiel zu setzen, zumal offenbar bereits Friedensverhandlungen angebahnt waren. Das nächste Ziel; die Befreiung der Griechen von der Fremdherrschaft, war jetzt erreicht; denn auch die Karthager sahen ein, daß sie die im vorigen Frieden gewonnene Position nicht behaupten konnten, und wollten Magos Heer nicht der Gefahr der Vernichtung aussetzen. Eine Eroberung der Westspitze der Insel, wie er sie 397 versucht hatte, war jetzt, nach den schweren Verlusten des Kriegs, für Dionys um so weniger erreichbar, da er der Treue der Griechenstädte keinen Augenblick sicher sein konnte. Als Dionys sich weigerte anzugreifen, kehrten die Bürgertruppen entrüstet nach Hause zurück, und er machte schon Miene, zum Ersatz die Sklaven zur Freiheit aufzurufen. Indessen das war nicht mehr nötig; kurz darauf traf eine Gesandtschaft aus Karthago ein, um den Frieden abzuschließen. Karthago verzichtete auf alle Eroberungen und beschränkte sich auf seine alten Besitzungen – Solunt ist ihm vermutlich zurückgegeben worden – und die Elymerstädte197; außerdem erkannte es die Herrschaft des Dionys über sämtliche Sikeler ausdrücklich an198.

[113] Damit war nach sechsjährigem Kampf der Friede wieder hergestellt. Mit gewaltigen Schlägen hatte der Krieg eingesetzt; auf den verheerenden Vorstoß der Griechen war ein noch verhängnisvollerer Rückschlag von seiten Karthagos erfolgt; dann aber, als ihre Offensive vor Syrakus zusammenbrach, hatte der Krieg seinen Charakter geändert und war schließlich langsam im Sande verlaufen, da jeder der beiden Gegner erkennen mußte, daß seine Kräfte nicht ausreichten, den anderen zu vernichten. Dionys hat seine letzten Pläne nicht aufgegeben, sondern nur vertagt. Das Wesentlichste hatte er doch schon erreicht; etwa fünf Sechstel der Insel waren ihm untertan, sämtliche Griechenstädte mit Einschluß von Selinus und der Himeräer von Thermä und das ganze Sikelerland. Agrigent und Tyndaris haben sich ihm offenbar ohne Kampf unterworfen; die Sikeler von Tauromenion wurden jetzt mit leichter Mühe bewältigt und größtenteils verjagt und durch Söldner ersetzt. Dionys durfte sich fortan, mit Recht den Herrscher Siziliens nennen. Aber er hatte erfahren, daß seine Herrschaft über die Insel nicht sicher stand, so lange er nicht auch in Unteritalien festen Fuß gefaßt hatte; die Abrechnung mit Rhegion war die nächste Aufgabe, die ihm gestellt war.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 51965, Bd. 5, S. 100-115.
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