Kapitel V

Britannien

[155] Siebenundneunzig Jahre waren vergangen, seitdem römische Truppen das große Inselland im nordwestlichen Ocean betreten und unterworfen und wiederum verlassen hatten, bevor die römische Regierung sich entschloß die Fahrt zu wiederholen und Britannien bleibend zu besetzen. Allerdings war Caesars britannische Expedition nicht bloß, wie seine Züge gegen die Germanen, ein defensiver Vorstoß gewesen. So weit sein Arm reichte, hatte er die einzelnen Völkerschaften reichsunterthänig gemacht und ihre Jahresabgabe an das Reich hier wie in Gallien geordnet. Auch die führende Völkerschaft, welche durch ihre bevorzugte Stellung fest an Rom geknüpft und somit der Stützpunkt der römischen Herrschaft werden sollte, war gefunden: die Trinovanten (Essex) sollten auf der keltischen Insel dieselbe mehr vortheilhafte als ehrenvolle Rolle übernehmen wie auf dem gallischen Continent die Haeduer und die Remer. Die blutige Fehde zwischen dem Fürsten Cassivellaunus und dem Fürstenhaus von Camalodunum (Colchester) hatte unmittelbar die römische Invasion herbeigeführt; dieses wieder einzusetzen, war Caesar gelandet und der Zweck ward für den Augenblick erreicht. Ohne Zweifel hat Caesar sich nie darüber getäuscht, daß jene Tribute ebenso wie diese Schutzherrschaft zunächst nur Worte waren; aber diese Worte waren ein Programm, das die bleibende Besetzung der Insel durch römische Truppen herbeiführen mußte und herbeiführen sollte.

Caesar selbst kam nicht dazu die Verhältnisse der unterworfenen Insel bleibend zu ordnen; und für seine Nachfolger war Britannien eine Verlegenheit. Die reichsunterthänig gewordenen Britten entrichteten den schuldigen Tribut gewiß nicht lange, vielleicht überhaupt niemals; das Protectorat über die Dynastie von Camalodunum wird [155] noch weniger respectirt worden sein und hatte lediglich zur Folge, daß Fürsten und Prinzen dieses Hauses wieder und wieder in Rom erschienen und die Intervention der römischen Regierung gegen Nachbaren und Rivalen anriefen – so kam König Dubnovellaunus, wahrscheinlich der Nachfolger des von Caesar bestätigten Trinovantenfürsten, als Flüchtling nach Rom zu Kaiser Augustus, so später einer der Prinzen desselben Hauses zu Kaiser Gaius97.

In der That war die Expedition nach Britannien ein nothwendiger Theil der caesarischen Erbschaft; es hatte auch schon während der Zweiherrschaft Caesar der Sohn zu einer solchen einen Anlauf genommen und nur davon abgesehen wegen der dringenderen Nothwendigkeit in Illyricum Ruhe zu schaffen oder auch wegen des gespannten Verhältnisses zu Antonius, das zunächst den Parthern sowohl wie den Britannern zu Statten kam. Die höfischen Poeten aus Augustus früheren Jahren haben die britannische Eroberung vielfach anticipirend gefeiert; das Programm Caesars also nahm der Nachfolger an und auf. Als dann die Monarchie feststand, erwartete ganz Rom, daß der Beendigung des Bürgerkrieges die britannische Expedition auf dem Fuße folgen werde; die Klagen der Poeten über den schrecklichen Hader, ohne welchen längst die Britanner im Siegeszug zum Capitol geführt worden wären, verwandelten sich in die stolze Hoffnung auf die neu zum Reich hinzutretende Provinz Britannien. Die Expedition wurde auch zu wiederholten Malen angekündigt (727 [27]. [156] 728 [26]); dennoch stand Augustus, ohne das Unternehmen förmlich fallen zu lassen, bald von der Durchführung ab, und Tiberius hielt seiner Maxime getreu auch in dieser Frage an dem System des Vaters fest98. Die nichtigen Gedanken des letzten julischen Kaisers schweiften wohl auch über den Ocean hinüber; aber ernste Dinge vermochte er nicht einmal zu planen. Erst die Regierung des Claudius nahm den Plan des Dictators wieder auf und führte ihn durch.

Welche Motive nach der einen wie nach der andern Seite hin bestimmend waren, läßt sich theilweise wenigstens erkennen. Augustus selbst hat geltend gemacht, daß die Besetzung der Insel militärisch nicht nöthig sei, da ihre Bewohner nicht im Stande seien die Römer auf dem Continent zu belästigen, und für die Finanzen nicht vortheilhaft; was aus Britannien zu ziehen sei, fließe in Form des Einfuhr- und Ausfuhrzolles der gallischen Häfen in die Kasse des Reiches; als Besatzung werde wenigstens eine Legion und etwas Reiterei erforderlich sein und nach Abzug der Kosten derselben von den Tributen der Insel nicht viel übrig bleiben99. Dies alles war unbestreitbar richtig, ja noch keineswegs genug; die Erfahrung erwies später, daß eine Legion bei weitem nicht ausreichte, um die Insel zu halten. Hinzuzunehmen ist, was die Regierung zu sagen allerdings keine Veranlassung hatte, daß bei der Schwäche des römischen Heeres, wie sie durch die innere Politik Augusts einmal herbeigeführt war, es sehr bedenklich erscheinen mußte einen erheblichen Bruchtheil desselben ein für allemal auf eine ferne Insel des Nordmeers zu bannen. Man hatte vermuthlich nur die Wahl von Britannien abzusehen oder deßwegen das Heer zu vermehren; und bei Augustus hat die Rücksicht auf die innere Politik stets die auf die äußere überwogen.

Aber dennoch muß die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit der Unterwerfung Britanniens bei den römischen Staatsmännern vorgewogen haben. Caesars Verhalten würde unbegreiflich sein, wenn man sie nicht bei ihm voraussetzt. Augustus hat das von Caesar gesteckte [157] Ziel trotz seiner Unbequemlichkeit zuerst förmlich anerkannt und niemals förmlich verleugnet. Gerade die weitsichtigsten und folgerichtigsten Regierungen, die des Claudius, des Nero, des Domitian haben zu der Eroberung Britanniens den Grund gelegt oder sie erweitert; und sie ist, nachdem sie erfolgt war, nie betrachtet worden wie etwa die traianische von Dacien und Mesopotamien. Wenn die sonst so gut wie unverbrüchlich festgehaltene Regierungsmaxime, daß das römische Reich seine Grenzen nur zu erfüllen, nicht aber auszudehnen habe, allein in Betreff Britanniens dauernd bei Seite gesetzt worden ist, so liegt die Ursache darin, daß die Kelten so, wie Roms Interesse es erheischte, auf dem Continent allein nicht unterworfen werden konnten. Diese Nation war allem Anschein nach durch den schmalen Meeresarm, der England und Frankreich trennt, mehr verbunden als geschieden; dieselben Völkernamen begegnen hüben und drüben; die Grenzen der einzelnen Staaten griffen öfter über den Kanal hinüber; der Hauptsitz des hier mehr wie irgendwo sonst das ganze Volksthum durchdringenden Priesterthums waren von je her die Inseln der Nordsee. Den römischen Legionen das Festland Galliens zu entreißen vermochten diese Insulaner freilich nicht; aber wenn der Eroberer Galliens selbst und weiter die römische Regierung in Gallien andere Zwecke verfolgte als in Syrien und Aegypten, wenn die Kelten der italischen Nation angegliedert werden sollten, so war diese Aufgabe wohl unausführbar, so lange das unterworfene und das freie Keltengebiet über das Meer hin sich berührten und der Römerfeind wie der römische Deserteur in Britannien eine Freistatt fand100. Zunächst genügte dafür schon die Unterwerfung der Südküste, obwohl die Wirkung natürlich sich steigerte, je weiter das freie Keltengebiet zurückgeschoben ward. Claudius besondere Rücksicht auf seine gallische Heimath und seine Kenntniß gallischer Verhältnisse mag auch hierbei mit im Spiel gewesen sein101. Den Anlaß zum Kriege gab, daß eben [158] dasjenige Fürstenthum, welches von Rom in einer gewissen Abhängigkeit stand, unter der Führung seines Königs Cunobelinus – es ist dies Shakespeares Cymbeline- seine Herrschaft weit ausbreitete102 und sich von der römischen Schutzherrschaft emancipirte. Einer der Söhne desselben, Adminius, der gegen den Vater sich aufgelehnt hatte, kam schutzbegehrend zum Kaiser Gaius, und darüber, daß dessen Nachfolger sich weigerte dem brittischen Herrscher diese seine Unterthanen auszuliefern, entspann sich der Krieg zunächst gegen den Vater und die Brüder dieses Adminius. Der eigentliche Grund desselben freilich war der unerläßliche Abschluß der Unterwerfung einer bisher nur halb besiegten eng zusammenhaltenden Nation.

Daß die Besetzung Britanniens nicht erfolgen könne ohne gleichzeitige Vermehrung des stehenden Heeres, war auch die Ansicht derjenigen Staatsmänner, die sie veranlaßten; es wurden drei der Rhein-, eine der Donaulegionen dazu bestimmt103, gleichzeitig aber zwei neu errichtete Legionen den germanischen Heeren zugetheilt. Zum Führer dieser Expedition und zugleich zum ersten Statthalter der Provinz wurde ein tüchtiger Soldat, Aulus Plautius ausersehen; sie ging im J. 43 nach der Insel ab. Die Soldaten zeigten sich schwierig, wohl mehr wegen der Verbannung auf die ferne Insel als aus Furcht vor dem Feinde. Einer der leitenden Männer, vielleicht die Seele des Unternehmens, der kaiserliche Kabinetssecretär Narcissus wollte ihnen Muth einsprechen – sie ließen den Sclaven vor höhnendem Zuruf nicht zu Worte kommen, aber thaten wie er wollte und schifften sich ein.

Besondere Schwierigkeit hatte die Besetzung der Insel nicht. Die Eingeborenen standen politisch wie militärisch auf derselben niedrigen Entwickelungsstufe, welche Caesar auf der Insel vorgefunden hatte. Könige oder Königinnen regierten in den einzelnen Gauen, die kein äußeres Band zusammenschloß und die in ewiger Fehde mit einander [159] lagen. Die Mannschaften waren wohl von ausdauernder Körperkraft und von todesverachtender Tapferkeit und namentlich tüchtige Reiter. Aber der homerische Streitwagen, der hier noch eine Wirklichkeit war und auf dem die Fürsten des Landes selber die Zügel führten, hielt den geschlossenen römischen Reiterschwadronen ebenso wenig Stand wie der Infanterist ohne Panzer und Helm, nur durch den kleinen Schild vertheidigt, mit seinem kurzen Wurfspieß und seinem breiten Schwert im Nahkampf dem kurzen römischen Messer gewachsen war oder gar dem schweren Pilum des Legionars und dem Schleuderblei und dem Pfeil der leichten römischen Truppen. Der Heermasse von etwa 40000 wohlgeschulten Soldaten hatten die Eingebornen überall keine entsprechende Abwehr entgegen zu stellen. Die Ausschiffung traf nicht einmal auf Widerstand; die Britten hatten Kunde von der schwierigen Stimmung der Truppen und die Landung nicht mehr erwartet. König Cunobelinus war kurz vorher gestorben; die Gegenwehr führten seine beiden Söhne Caratacus und Togodumnus. Der Marsch des Invasionsheeres ward sofort auf Camalodunum gerichtet104 und in raschem Siegeslauf gelangte es bis an die Themse; hier wurde Halt gemacht, vielleicht hauptsächlich um dem Kaiser die Gelegenheit zu geben den leichten Lorbeer persönlich zu pflücken. Sobald er eintraf, ward der Fluß überschritten, das brittische Aufgebot geschlagen, wobei Togodumnus den Tod fand, Camalodunum selber genommen. Wohl setzte der Bruder Caratacus den Widerstand hartnäckig fort und gewann sich siegend oder geschlagen einen stolzen Namen bei Freund und Feind; aber das Vorschreiten der Römer war dennoch unaufhaltsam. Ein Fürst nach dem andern ward geschlagen und abgesetzt – elf brittische Könige nennt der Ehrenbogen des Claudius als von ihm besiegt; und was den römischen Waffen nicht erlag, das ergab sich den römischen Spenden. Zahlreiche vornehme Männer nahmen die Besitzungen an, die auf Kosten ihrer Landsleute der Kaiser ihnen verlieh; auch manche Könige fügten sich in die bescheidene Lehnstellung, wie denn der der Regner (Chichester) Cogidumnus und der der Icener (Norfolk) Prasutagus eine Reihe von Jahren als Lehnfürsten die Herrschaft geführt haben. Aber in den meisten Districten der bis [160] dahin durchgängig monarchisch regierten Insel führten die Eroberer ihre Gemeindeverfassung ein und gaben was noch zu verwalten blieb den örtlichen Vornehmen in die Hand; was denn freilich schlimme Parteiungen und innere Zerwürfnisse im Gefolge hatte. Noch unter dem ersten Statthalter scheint das gesammte Flachland bis etwa zum Humber hinauf in römische Gewalt gekommen zu sein; die Icener zum Beispiel haben bereits ihm sich ergeben. Aber nicht bloß mit dem Schwert bahnten die Römer sich den Weg. Unmittelbar nach der Einnahme wurden nach Camalodunum Veteranen geführt und die erste Stadt römischer Ordnung und römischen Bürgerrechts, die ›claudische Siegescolonie‹ in Britannien gegründet, bestimmt zur Landeshauptstadt. Unmittelbar nachher begann auch die Ausbeutung der britannischen Bergwerke, namentlich der ergiebigen Bleigruben; es giebt britannische Bleibarren aus dem sechsten Jahre nach der Invasion. Offenbar hat in gleicher Schleunigkeit der Strom römischer Kaufleute und Industrieller sich über das neu erschlossene Gebiet ergossen; wenn Camalodunum römische Colonisten empfing, so bildeten anderswo im Süden der Insel namentlich an den warmen Quellen der Sulis (Bath), in Verulamium (St. Albans nordwestlich von London) und vor allem in dem natürlichen Emporium des Großverkehrs, in Londinium an der Themsemündung bloß in Folge des freien Verkehrs und der Einwanderung sich römische Ortschaften, die bald auch formell städtische Organisation erhielten. Die vordringende Fremdherrschaft machte nicht bloß in den neuen Abgaben und Aushebungen, sondern vielleicht mehr noch in Handel und Gewerbe überall sich geltend. Als Plautius nach vierjähriger Verwaltung abberufen ward, zog er, der letzte Private, der zu solcher Ehre gelangt ist, triumphirend in Rom ein und Ehren und Orden strömten herab auf die Offiziere und Soldaten der siegreichen Legionen; dem Kaiser wurden in Rom und danach in anderen Städten Triumphbogen errichtet wegen des ›ohne irgend welche Verluste‹ errungenen Sieges; der kurz vor der Invasion geborene Kronprinz erhielt anstatt des großväterlichen den Namen Britannicus. Man wird hierin die unmilitärische, der Siege mit Verlust entwöhnte Zeit und die der politischen Altersschwäche angemessene Ueberschwenglichkeit erkennen dürfen; aber wenn die Invasion Britanniens vom militärischen Standpunkt aus nicht viel bedeuten will, so muß doch den leitenden Männern das Zeugniß gegeben werden, daß sie das Werk in energischer und folgerichtiger Weise angriffen und die peinliche und gefahrvolle Zeit des[161] Uebergangs von der Unabhängigkeit zur Fremdherrschaft in Britannien eine ungewöhnlich kurze war.

Nach dem ersten raschen Erfolg freilich entwickelten auch hier sich die Schwierigkeiten und selbst die Gefahren, welche die Besetzung der Insel nicht bloß den Eroberten brachte, sondern auch den Eroberern.

Des Flachlandes war man Herr, aber nicht der Berge noch des Meeres. Vor allem der Westen machte den Römern zu schaffen. Zwar im äußersten Südwest, im heutigen Cornwall hielt sich das alte Volksthum wohl mehr, weil die Eroberer sich um diese entlegene Ecke wenig kümmerten als weil es geradezu sich gegen sie auflehnte. Aber die Siluren im Süden des heutigen Wales und ihre nördlichen Nachbaren, die Ordoviker, trotzten beharrlich den römischen Waffen; die den letzteren anliegende Insel Mona (Anglesey) war der rechte Heerd der nationalen und religiösen Gegenwehr. Nicht die Bodenverhältnisse allein hemmten das Vordringen der Römer; was Britannien für Gallien gewesen, das war jetzt für Britannien und insbesondere für diese Westküste die große Insel Ivernia; die Freiheit drüben ließ die Fremdherrschaft hüben nicht feste Wurzel fassen. Deutlich erkennt man an der Anlegung der Legionslager, daß die Invasion hier zum Stehen kam. Unter Plautius Nachfolger wurde das Lager für die vierzehnte Legion am Einfluß des Ternin den Severn bei Viroconium (Wroxeter unweit Shrewsbury105 angelegt,) vermuthlich um dieselbe Zeit südlich davon das von Isca (Caerleon = castra legionis) für die zweite, nördlich das von Deva (Chester = castra) für die zwanzigste; diese drei Lager schlossen das wallisische Gebiet ab gegen Süden, Norden und Westen und schützten also das befriedete Land gegen das frei gebliebene Gebirge. Dorthin warf sich, nachdem seine Heimath römisch geworden war, der letzte Fürst von Camalodunum Caratacus. Er wurde [162] von dem Nachfolger des Plautius, Publius Ostorius Scapula im Ordovikergebiet geschlagen und bald darauf von den geschreckten Briganten, zu denen er geflüchtet war, den Römern ausgeliefert (51) und mit all den Seinen nach Italien geführt. Verwundert fragte er, als er die stolze Stadt sah, wie es die Herren solcher Paläste nach den armen Hütten seiner Heimath verlangen könne. Aber damit war der Westen keineswegs bezwungen; die Siluren vor allem verharrten in hartnäckiger Gegenwehr, und daß der römische Feldherr ankündigte, sie bis auf den letzten Mann ausrotten zu wollen, trug auch nicht dazu bei sie fügsamer zu machen. Der unternehmende Statthalter Gaius Suetonius Paullinus versuchte einige Jahre später (61) den Hauptsitz des Widerstandes, die Insel Mona in römische Gewalt zu bringen und trotz der wüthenden Gegenwehr, welche ihn hier empfing und in der die Priester und die Weiber vorangingen, fielen die heiligen Bäume, unter denen mancher römische Gefangene geblutet hatte, unter den Aexten der Legionare. Aber aus der Besetzung dieses letzten Asyls der keltischen Priesterschaft entwickelte sich eine gefährliche Krise in dem unterworfenen Gebiete selbst, und die Eroberung Monas zu vollenden war dem Statthalter nicht beschieden.

Auch in Britannien hatte die Fremdherrschaft die Probe der nationalen Insurrection zu bestehen. Was Mithradates in Kleinasien, Vercingetorix bei den Kelten des Continents, Civilis bei den unterworfenen Germanen unternahmen, das versuchte bei den Inselkelten eine Frau, die Gattin eines jener von Rom bestätigten Vasallenfürsten, die Königin der Icener Boudicca. Ihr verstorbener Gatte hatte, um seiner Frau und seiner Töchter Zukunft zu sichern, seine Herrschaft dem Kaiser Nero vermacht, sein Vermögen zwischen ihm und den Seinigen getheilt. Der Kaiser nahm die Erbschaft an, aber was ihm nicht zufallen sollte, dazu; die fürstlichen Vettern wurden in Ketten gelegt, die Wittwe geschlagen, die Töchter in schändlicherer Weise mißhandelt. Dazu kam andere Unbill des späteren neronischen Regiments. Die in Camalodunum angesiedelten Veteranen jagten die früheren Besitzer von Haus und Hof, wie es ihnen beliebte, ohne daß die Behörden dagegen einschritten. Die vom Kaiser Claudius verliehenen Geschenke wurden als widerrufliche Gaben eingezogen. Römische Minister, die zugleich Geldgeschäfte machten, trieben auf diesem Wege die britannischen Gemeinden eine nach der anderen zum Bankerott. Der Moment war günstig. Der mehr tapfere als vorsichtige Statthalter [163] Paullinus befand sich, wie gesagt wurde, mit dem Kern der römischen Armee auf der entlegenen Insel Mona, und dieser Angriff auf den heiligsten Sitz der nationalen Religion erbitterte ebenso die Gemüther wie er dem Aufstande den Weg ebnete. Der alte gewaltige Keltenglaube, der den Römern so viel zu schaffen gemacht, loderte noch einmal, zum letzten Mal, in mächtiger Flamme empor. Die geschwächten und weitgetrennten Legionslager im Westen und im Norden gewährten dem ganzen Südosten der Insel mit seinen aufblühenden römischen Städten keinen Schutz. Vor allem die Hauptstadt Camalodunum war völlig wehrlos, eine Besatzung nicht vorhanden, die Mauern nicht vollendet, wohl aber der Tempel ihres kaiserlichen Stifters, des neuen Gottes Claudius. Der Westen der Insel, wahrscheinlich niedergehalten durch die dort stehenden Legionen, scheint sich bei der Schilderhebung nicht betheiligt zu haben und ebenso wenig der nicht botmäßige Norden; aber, wie das bei keltischen Aufständen öfter vorgekommen ist, es erhob sich im J. 61 auf die vereinbarte Losung das ganze übrige unterworfene Gebiet auf einen Schlag gegen die Fremden, voran die aus ihrer Hauptstadt vertriebenen Trinovanten. Der zweite Befehlshaber, der zur Zeit den Statthalter vertrat, der Procurator Decianus Catus, hatte im letzten Augenblick, was er von Soldaten hatte, dieser zum Schutz gesandt: es waren 200 Mann. Sie wehrten sich mit den Veteranen und den sonstigen waffenfähigen Römern zwei Tage im Tempel; dann wurden sie überwältigt und was in der Stadt römisch war, umgebracht bis auf den letzten. Das gleiche Schicksal erfuhr das Hauptemporium des römischen Handels Londinium und eine dritte aufblühende römische Stadt Verulamium (St. Albans nordwestlich von London), nicht minder die auf der Insel zerstreuten Ausländer – es war eine nationale Vesper gleich jener mithradatischen und die Zahl der Opfer – angeblich 70000 – nicht geringer. Der Procurator gab die Sache Roms verloren und flüchtete nach dem Continent. Auch die römische Armee ward in die Katastrophe verwickelt. Eine Anzahl zerstreuter Detachements und Besatzungen erlag den Angriffen der Insurgenten. Quintus Petillius Cerialis, der im Lager von Lindum den Befehl führte, marschirte auf Camalodunum mit der neunten Legion; zur Rettung kam er zu spät und verlor, von ungeheurer Uebermacht angegriffen, in der Feldschlacht sein gesammtes Fußvolk; das Lager erstürmten die Briganten. Es fehlte nicht viel, daß den obersten FeldHerrn [164] das gleiche Schicksal erreichte. Eilig zurückkehrend von der Insel Mona rief er die bei Isca stehende zweite Legion heran; aber sie gehorchte dem Befehle nicht und mit nur etwa 10000 Mann mußte Paullinus den ungleichen Kampf gegen das zahllose und siegreiche Insurgentenheer aufnehmen. Wenn je der Soldat die Fehler der Führung gut gemacht hat, so war es an dem Tage, wo dieser kleine Haufen, hauptsächlich die seitdem gefeierte 14. Legion, wohl zu seiner eigenen Ueberraschung den vollen Sieg erfocht und die römische Herrschaft in Britannien abermals festigte; viel fehlte nicht, daß Paullinus Name neben dem des Varus genannt worden wäre. Aber der Erfolg entscheidet, und hier blieb er den Römern106. Der schuldige Commandant der ausgebliebenen Legion kam dem Kriegsgericht zuvor und stürzte sich in sein Schwert. Die Königin Boudicca trank den Giftbecher. Der übrigens tapfere Feldherr wurde zwar nicht in Untersuchung gezogen, wie anfangs die Absicht der Regierung zu sein schien, aber bald unter einem schicklichen Vorwand abgerufen.

Die Unterwerfung der westlichen Theile der Insel wurde von Paullinus Nachfolgern nicht sogleich fortgesetzt Erst der tüchtige Feldherr Sextus Iulius Frontinus unter Vespasian zwang die Siluren zur Anerkennung der römischen Herrschaft; sein Nachfolger Gnaeus Iulius [165] Agricola führte nach harten Kämpfen mit den Ordovikern das aus, was Paullinus nicht erreicht hatte, und besetzte im J. 78 die Insel Mona. Nachher ist von activem Widerstand in diesen Gegenden nicht die Rede; das Lager von Viroconium konnte, wahrscheinlich um diese Zeit, aufgehoben, die dadurch frei gewordene Legion im nördlichen Britannien verwendet werden. Aber die anderen beiden Legionslager von Isca und von Deva sind noch bis in die diocletianische Zeit an Ort und Stelle geblieben und erst in dem späteren Besatzungsstand verschwunden. Wenn dabei auch politische Rücksichten mitgewirkt haben mögen (S. 174), so ist doch der Widerstand des Westens wahrscheinlich, vielleicht gestützt auf Verbindungen mit Ivernia, auch später noch fortgeführt worden. Dafür spricht ferner das völlige Fehlen römischer Spuren in dem inneren Wales und das daselbst bis auf den heutigen Tag sich behauptende keltische Volksthum.

Im Norden bildete den Mittelpunkt der römischen Stellung östlich von Viroconium das Lager der neunten spanischen Legion in Lindum (Lincoln). Zunächst mit diesem berührte sich in Nordengland das mächtigste Fürstenthum der Insel, das der Briganten (Yorkshire); es hatte sich nicht eigentlich unterworfen, aber die Königin Cartimandus suchte doch mit den Eroberern Frieden zu halten und erwies sich ihnen gefügig. Die Partei der Römerfeinde hatte hier im J. 50 loszuschlagen versucht, aber der Versuch war rasch unterdrückt worden. Caratacus, im Westen geschlagen, hatte gehofft seinen Widerstand im Norden fortführen zu können, aber die Königin lieferte ihn, wie schon gesagt ward, den Römern aus. Diese inneren Zwistigkeiten und häuslichen Händel müssen dann in dem Aufstand gegen Paullinus, bei dem wir die Briganten in einer führenden Stellung fanden und der eben die Legion des Nordens mit seiner ganzen Schwere traf, mit im Spiel gewesen sein. Indeß war die römische Partei der Briganten einflußreich genug, um nach Niederwerfung des Aufstandes die Wiederherstellung des Regiments der Cartimandus zu erlangen. Aber einige Jahre nachher bewirkte die Patriotenpartei daselbst, getragen durch die Losung des Abfalles von Rom, welche während des Bürgerkrieges nach Neros Katastrophe den ganzen Westen erfüllte, eine neue Schilderhebung der Briganten gegen die Fremdherrschaft, an deren Spitze Cartimandus früherer von ihr beseitigter und beleidigter Gemahl, der kriegserfahrene Venutius stand; erst nach längeren Kämpfen bezwang Petillius Cerialis das mächtige Volk, derselbe, der unter Paullinus nicht [166] glücklich gegen eben diese Britten gefochten hatte, jetzt einer der namhaftesten Feldherren Vespasians und der erste von ihm ernannte Statthalter der Insel. Der allmählich nachlassende Widerstand des Westens machte es möglich die eine der drei bisher dort stationirten Legionen mit der in Lindum stehenden zu vereinigen und das Lager selbst von Lindum nach dem Hauptort der Briganten Eburacum (York) vorzuschieben. Indeß so lange der Westen ernstliche Gegenwehr leistete, geschah im Norden nichts weiter für die Ausdehnung der römischen Grenze; am caledonischen Walde, sagt ein Schriftsteller vespasianischer Zeit, stocken seit dreißig Jahren die römischen Waffen. Erst Agricola griff, nachdem er im Westen fertig war, die Unterwerfung auch des Nordens energisch an. Er schuf vor allem sich eine Flotte, ohne welche die Verpflegung der Truppen in diesen wenige Hülfsmittel darbietenden Gebirgen unmöglich gewesen sein würde. Gestützt auf diese gelangte er unter Titus (J. 80) bis an die Tava-Bucht (Frith of Tay) in die Gegend von Perth und Dundee und wandte die drei folgenden Feldzüge daran die weiten Landstriche zwischen dieser Bucht und der bisherigen römischen Grenze an beiden Meeren genau zu erkunden, den örtlichen Widerstand überall zu brechen und an den geeigneten Stellen Verschanzungen anzulegen, wobei namentlich die natürliche Vertheidigungslinie, welche durch die beiden tief einschneidenden Buchten Clota (Frith of Clyde) bei Glasgow und Bodotria (Frith of Forth) bei Edinburgh gebildet wird, zum Rückhalt ausersehen ward. Dieser Vorstoß rief das gesammte Hochland unter die Waffen; aber die gewaltige Schlacht, welche die vereinigten caledonischen Stämme den Legionen zwischen den beiden Buchten Forth und Tay an den graupischen Bergen lieferten, endigte mit dem Siege Agricolas. Nach seiner Ansicht mußte die Unterwerfung der Insel, einmal begonnen, auch vollendet, ja auch auf Ivernia ausgedehnt werden; und es ließ sich dafür mit Rücksicht auf das römische Britannien geltend machen, was mit Rücksicht auf Gallien die Besetzung der Insel herbeiführt hatte; hinzu kam, daß bei energischer Durchführung der Besetzung des gesammten Inselcomplexes der Aufwand an Menschen und Geld für die Zukunft wahrscheinlich sich verringert haben würde.

Die römische Regierung folgte diesen Rathschlägen nicht. Wie weit bei der Rückberufung des siegreichen Feldherrn im J. 85, der übrigens länger, als sonst der Fall zu sein pflegte, im Amte geblieben war, persönliche und gehässige Motive mitgewirkt haben, muß dahin [167] gestellt bleiben; das Zusammentreffen der letzten Siege des Generals in Schottland und der ersten Niederlagen des Kaisers im Donauland war allerdings in hohem Grade peinlich. Aber für das Einstellen der Operationen in Britannien107 und für die wie es scheint damals erfolgte Abberufung einer der vier Legionen, mit denen Agricola seine Feldzüge ausgeführt hatte, nach Pannonien, giebt die damalige militärische Lage des Staats, die Ausdehnung der römischen Herrschaft auf dem rechten Rheinufer in Obergermanien und der Ausbruch der gefährlichen Kriege in Pannonien, eine völlig hinreichende Erklärung. Das freilich ist damit nicht erklärt, warum hiemit dem Vordringen gegen Norden überhaupt ein Ziel gesetzt und Nordschottland sowohl wie Irland sich selber überlassen wurden. Daß seitdem die Regierung, nicht wegen Zufälligkeiten der augenblicklichen Lage, sondern ein für allemal von der Vorschiebung der Reichsgrenze absah und daran bei allem Wechsel der Persönlichkeiten festhielt, lehrt die gesammte spätere Geschichte der Insel und lehren insbesondere die gleich zu erwähnenden mühsamen und kostspieligen Wallbauten. Ob sie im rechten Interesse des Staates auf die Vollendung der Eroberung verzichtet hat, ist eine andere Frage. Daß die Reichsfinanzen bei dieser Erweiterung der Grenzen nur einbüßen würden, wurde auch jetzt ebenso geltend gemacht108 wie früher gegen die Besetzung der Insel selbst, konnte aber freilich nicht entscheiden. Militärisch durchführbar war die Besetzung so, wie Agricola sie gedacht hatte, ohne Zweifel ohne wesentliche Schwierigkeit. Aber ins Gewicht mochte die Erwägung fallen, daß die Romanisirung der noch freien Gebiete große Schwierigkeit bereitet haben würde wegen der Stammesverschiedenheit. Die Kelten im eigentlichen England gehörten durchaus zu denen des Festlands; Volksname, Glaube, Sprache waren beiden gemeinsam. Wenn die keltische Nationalität des Continents einen Rückhalt an der Insel gefunden hatte, so griff umgekehrt die Romanisirung Galliens nothwendig auch nach England hinüber, und diesem vornehmlich verdankte es[168] Rom, daß in so überraschender Schnelligkeit Britannien sich gleichfalls romanisirte. Aber die Bewohner Irlands und Schottlands gehörten einem andern Stamme an und redeten eine andere Sprache; ihr Gadhelisch verstand der Britte wahrscheinlich so wenig wie der Germane die Sprache der Scandinaven. Als Barbaren wildester Art werden die Caledonier – mit den Ivernern haben die Römer sich kaum berührt – durchaus geschildert. Andererseits waltete der Eichenprie ster (Derwydd, Druida) seines Amtes an der Rhone wie in Anglesey, aber nicht auf der Insel des Westens noch in den Bergen des Nordens. Wenn die Römer den Krieg hauptsächlich geführt hatten, um das Druidengebiet ganz in ihre Gewalt zu bringen, so war dieses Ziel einigermaßen erreicht. Ohne Frage hätten in anderer Zeit alle diese Erwägungen die Römer nicht vermocht auf die so nahe gerückte Seegrenze im Norden zu verzichten und wenigstens Caledonien wäre besetzt worden. Aber weitere Landschaften mit römischem Wesen zu durchdringen vermochte das damalige Rom nicht mehr; die zeugende Kraft und der vorschreitende Volksgeist waren aus ihm entwichen. Wenigstens diejenige Eroberung, die nicht durch Verordnungen und Märsche erzwungen werden kann, wäre, wenn man sie versucht hätte, schwerlich gelungen.

Es kam also darauf an die Nordgrenze für die Vertheidigung in geeigneter Weise einzurichten; und darum dreht sich fortan hier die militärische Arbeit. Der militärische Mittelpunkt blieb Eburacum. Das weite von Agricola besetzte Gebiet wurde festgehalten und mit Castellen belegt, die als vorgeschobene Posten für das zurückliegende Hauptquartier dienten; wahrscheinlich ist der größte Theil der nicht legionaren Truppen zu diesem Zweck verwendet worden. Später folgte die Anlage zusammenhängender Befestigungslinien. Die erste der Art rührt von Hadrian her und ist auch insofern merkwürdig, als sie in gewissem Sinn bis auf den heutigen Tag noch besteht und vollständiger bekannt ist als irgend eine andere der großen militärischen Bauten der Römer. Es ist genau genommen eine von Meer zu Meer in der Länge von etwa 16 deutschen Meilen westlich an den Solway Frith, östlich an die Mündung der Tyne führende nach beiden Seiten hin festungsmäßig geschützte Heerstraße. Die Vertheidigung bildet nördlich eine gewaltige ursprünglich mindestens 16 Fuß hohe und 8 Fuß dicke an beiden Außenseiten aus Quadersteinen erbaute, dazwischen mit Bruchsteinen und Mörtel ausgefüllte Mauer, vor welcher ein nicht minder imponirender [169] 9 Fuß tiefer, oben bis 34 Fuß und mehr breiter Graben sich hinzieht. Gegen Süden ist die Straße geschützt durch zwei parallele noch jetzt 6-7 Fuß hohe Erddämme, zwischen denen ein 7 Fuß tiefer Graben mit einem nach Süden aufgehöhten Rande sich hinzieht, so daß die Anlage von Damm zu Damm eine Gesammtbreite von 24 Fuß hat. Zwischen der Steinmauer und den Erddämmen auf der Straße selbst liegen die Lagerplätze und Wachthäuser, nehmlich in der Entfernung einer kleinen Meile von einander die Cohortenlager, angelegt als selbständig wehrfähige Castelle mit Thoröffnungen nach allen vier Seiten; zwischen je zweien derselben eine kleinere Anlage ähnlicher Art mit Ausfallsthoren nach Norden und Süden; zwischen je zweien von diesen vier kleinere Wachthäuser in Rufweite von einander. Diese Anlage von großartiger Solidität, welche als Besatzung 10000-12000 Mann erfordert haben muß, bildete seitdem das Fundament der militärischen Operationen im nördlichen England. Eigentlicher Grenzwall war sie nicht; vielmehr haben nicht bloß die schon seit Agricolas Zeit weit darüber hinaus vorgeschobenen Posten daneben fortbestanden, sondern es ist späterhin, zuerst unter Pius, dann in umfassenderer Weise unter Severus gleichsam als Vorposten für den Hadrianswall109 die schon von Agricola mit einer [170] Postenreihe besetzte um die Hälfte kürzere Linie vom Frith of Clyde zum Frith of Forth in ähnlicher, aber schwächerer Weise befestigt worden. Der Anlage nach war diese Linie von der hadrianischen nur insofern verschieden, als sie sich auf einen ansehnlichen Erdwall mit Graben davor und Straße dahinter beschränkte, nach Süden also nicht zur Vertheidigung eingerichtet war; im Uebrigen schloß auch sie eine Anzahl kleinerer Lager in sich. An dieser Linie endigten die römischen Reichsstraßen110, und obwohl auch jenseit dieser noch römische Posten standen – der nördlichste Punkt, auf dem der Grabstein eines römischen Soldaten sich gefunden hat, ist Ardoch zwischen Stirling und Perth-, kann die Grenze der Züge Agricolas, der Frith of Tay, auch später noch als die Grenze des römischen Reiches angesehen werden.

Weniger als von diesen imponirenden Vertheidigungsanlagen wissen wir von der Anwendung, die sie gefunden haben und überhaupt den späteren Ereignissen auf diesem fernen Kriegsschauplatz. Unter Hadrian ist eine schwere Katastrophe hier eingetreten, allem Anschein nach ein Überfall des Lagers von Eburacum und die Vernichtung der dort stehenden Legion111, derselben neunten, die im Boudiccakrieg so unglücklich gefochten hatte. Wahrscheinlich ist diese nicht durch feindlichen Einfall herbeigeführt, sondern durch den Abfall der nördlichen als reichsunterthänig geltenden Völkerschaften, insbesondere der Briganten. Damit wird in Verbindung zu bringen sein, daß der Hadrianswall ebenso gegen Süden wie gegen [171] Norden Front macht; offenbar war er auch dazu bestimmt das nur oberflächlich unterworfene Nordengland niederzuhalten. Auch unter Hadrians Nachfolger Pius haben hier Kämpfe stattgefunden, an denen die Briganten wieder betheiligt waren; doch läßt sich Genaueres nicht erkennen112. Der erste ernstliche Angriff auf diese Reichsgrenze und die erste nachweisliche Ueberschreitung der Mauer – ohne Zweifel derjenigen des Pius – erfolgte unter Marcus und weiter unter Commodus; wie denn auch Commodus der erste Kaiser ist, der den Siegesbeinamen des Britannikers angenommen hat, nachdem der tüchtige General Ulpius Marcellus die Barbaren zu Paaren getrieben hatte. Aber das Sinken der römischen Macht tritt seitdem hier ebenso hervor wie an der Donau und am Euphrat. In den unruhigen Anfangsjahren des Severus hatten die Caledonier ihre Zusage sich nicht mit den römischen Unterthanen einzulassen gebrochen und auf sie gestützt ihre südlichen Nachbaren, die Maeaten, den römischen Statthalter Lupus genöthigt gefangene Römer mit großen Summen zu lösen. Dafür traf sie Severus schwerer Arm nicht lange vor seinem Tode; er drang in ihr eigenes Gebiet ein und zwang sie zur Abtretung beträchtlicher Strecken113, aus welchen freilich, nachdem der alte Kaiser im J. 211 im Lager von Eburacum gestorben war, seine Söhne die Besatzungen sofort freiwillig zurückzogen, um der lästigen Vertheidigung überhoben zu sein. – Aus dem dritten Jahrhundert wird von den Schicksalen der Insel kaum etwas gemeldet. Da keiner der Kaiser bis auf Diocletian und seine Collegen den Siegernamen von der Insel geführt hat, mögen ernstere Kämpfe hier nicht stattgefunden haben, und wenn auch in dem Landstrich zwischen den Wällen des Pius und des Hadrianus das römische Wesen wohl nie festen Fuß gefaßt hat, scheint doch wenigstens der Hadrianswall was er [172] sollte, auch damals geleistet und hinter ihm die fremdländische Civisation gesichert sich entwickelt zu haben. In der Zeit Diocletians finden wir den Bezirk zwischen beiden Wällen geräumt, aber den Hadrianswall nach wie vor besetzt und das übrige römische Heer zwischen ihm und dem Hauptquartier Eburacum cantonnirend zur Abwehr der seitdem oft erwähnten Raubzüge der Caledonier, oder wie sie jetzt gewöhnlich heißen, der Tättowirten (picti) und der von Ivernia hereinströmenden Scoten. – Eine ständige Flotte haben die Römer in Britannien gehabt; aber wie das Seewesen immer die schwache Seite der römischen Wehrordnung geblieben ist, war auch die brittische Flotte nur unter Agricola vorübergehend von Bedeutung.

Wenn, wie dies wahrscheinlich ist, die Regierung darauf gerechnet hatte nach erfolgter Besetzung der Insel den größten Theil der dorthin gesandten Truppen zurücknehmen zu können, so erfüllte diese Hoffnung sich nicht: nur eine der entsendeten vier Legionen ist, wie wir sahen, unter Domitian abberufen worden; die drei anderen müssen unentbehrlich gewesen sein, denn es ist nie der Versuch gemacht worden sie zu verlegen. Dazu kamen die Auxilien, die zu dem wenig einladenden Dienst auf der abgelegenen Nordseeinsel dem Anschein nach im Verhältniß stärker als die Bürgertruppen herangezogen wurden. In der Schlacht am graupischen Berge im J. 84 fochten außer den vier Legionen 8000 zu Fuß und 3000 zu Pferde von den Hülfssoldaten. Für die Zeit von Traian und Hadrian, wo von diesen in Britannien 6 Alen und 21 Cohorten, zusammen etwa 15000 Mann standen, wird man das gesammte britannische Heer auf etwa 30000 Mann anzuschlagen haben. Britannien war von Haus aus ein Commandobezirk ersten Ranges, den beiden rheinischen und dem syrischen vielleicht im Rang, aber nicht an Bedeutung nachstehend, gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts wahrscheinlich die angesehenste aller Statthalterschaften Es lag nur an der weiten Entfernung, daß die britannischen Legionen in der Corpsparteiung der früheren Kaiserzeit in zweiter Reihe erscheinen; bei dem Corpskrieg nach dem Erlöschen des antoninischen Hauses fochten sie in der ersten. Darum aber war es auch eine der Consequenzen des Sieges des Severus, daß die Statthalterschaft getheilt ward. Seitdem standen die beiden Legionen von Isca und Deva unter dem Legaten der oberen, die eine von Eburacum und die Truppen an den Wällen, also die Hauptmasse der Auxilien, unter dem der unteren [173] Provinz114. Wahrscheinlich ist die Verlegung der ganzen Besatzung nach dem Norden, die, wie oben bemerkt ward, nach bloß militärischen Rücksichten wohl zweckmäßig gewesen sein würde, mit deßwegen unterblieben, weil sie einem Statthalter drei Legionen in die Hand gegeben hätte.

Daß finanziell die Provinz mehr kostete als sie eintrug (S. 157), kann hiernach nicht verwundern. Für die Wehrkraft des Reiches dagegen kam Britannien erheblich in Betracht; das Compensationsverhältniß von Besteuerung und Aushebung wird auch für die Insel in Anwendung gekommen sein und die brittischen Truppen galten neben den illyrischen für die besten der Armee. Gleich anfänglich sind dort sieben Cohorten aus den Eingeborenen aufgestellt und diese weiter bis auf Hadrian stetig vermehrt worden; nachdem dieser das System aufgebracht hatte, die Truppen möglichst aus ihren Garnisonbezirken zu recrutiren, scheint Britannien dies für seine starke Besatzung wenigstens zum großen Theil geleistet zu haben. Es war ein ernster und tapferer Sinn in den Leuten; sie trugen die Steuern und die Aushebung willig, nicht aber Hoffart und Brutalität der Beamten.

Für die innere Ordnung Britanniens bot als Grundlage sich die dort zur Zeit der Eroberung bestehende Gauverfassung, welche, wie schon bemerkt ward, von derjenigen der Kelten des Continents sich nur darin wesentlich entfernte, daß die einzelnen Völkerschaften der Insel, es scheint sämmtlich, unter Fürsten standen (3, 233). Aber diese Ordnung scheint nicht beibehalten und der Gau (civitas) in Britannien wie in Spanien ein geographischer Begriff geworden zu sein; wenigstens ist es kaum anders zu erklären, daß die britannischen Völkerschaften genau genommen verschwinden, so wie sie unter römische Herrschaft gerathen, und von den einzelnen Gauen nach ihrer Unterwerfung so gut wie gar nicht die Rede ist. Wahrscheinlich sind die einzelnen Fürstenthümer, wie sie unterworfen und eingezogen wurden, in kleinere Gemeinden zerschlagen worden; es ward dies dadurch erleichtert, daß auf der Insel sich nicht, wie auf dem Continent, eine ohne monarchische Spitze geordnete Gauverfassung vorfand. Damit hängt auch wohl zusammen, daß, während die gallischen Gaue eine gemeinsame Hauptstadt und in dieser eine politische und religiöse [174] Gesammtvertretung besessen haben, von Britannien nichts Aehnliches gemeldet wird. Gefehlt hat der Provinz ein Concilium und ein gemeinsamer Kaisercultus nicht; aber wäre der Altar des Claudius in Camalodunum115 auch nur annähernd gewesen, was der des Augustus in Lugudunum, so würde davon wohl etwas verlauten. Die freie und große politische Gestaltung, welche dem gallischen Lande von Caesar gewährt und von seinem Sohne bestätigt worden war, paßt in den Rahmen der späteren Kaiserpolitik nicht mehr. – Von der mit der Invasion ziemlich gleichzeitigen Gründung der Colonie Camalodunum war schon die Rede (S. 161), wie es auch bereits hervorgehoben wurde, daß die italische Stadtverfassung früh in einer Reihe britannischer Ortschaften eingeführt worden ist. Auch hierin ist Britannien mehr nach dem Muster Spaniens als nach dem des keltischen Continents behandelt worden.

Die inneren Zustände Britanniens müssen, trotz der allgemeinen Gebrechen des Reichsregiments, wenigstens im Vergleich mit anderen Gebieten nicht ungünstige gewesen sein. Kannte man im Norden nur Jagd und Weide und waren hier die Einwohner wie die Anwohner zu Fehde und Raub jederzeit bei der Hand, so entwickelte sich der Süden in dem ungestörten Friedensstand vor allem durch Ackerbau, daneben durch Viehzucht und Bergwerksbetrieb zu mäßiger Wohlfahrt: die gallischen Redner der diocletianischen Zeit preisen den Reichthum der fruchtbaren Insel und oft genug haben die Rheinlegionen ihr Getreide aus Britannien empfangen. – Das Straßennetz der Insel, das ungemein entwickelt ist und für das namentlich Hadrian in Verbindung mit seinem Wallbau viel gethan hat, hat natürlich zunächst militärischen Zwecken gedient; aber neben, ja vor den Legionslagern nimmt Londinium darin einen Platz ein, welcher seine leitende Stellung im Verkehr deutlich vor Augen bringt. Nur in Wales gab es Reichsstraßen allein in der nächsten Nähe der römischen Lager, von Isca nach Nidum[175] (Neath) und von Deva zur Ueberfahrt nach Mona. – Zu der Romanisirung verhielt sich das römische Britannien ähnlich wie das nördliche und mittlere Gallien. Die nationalen Gottheiten, der Mars Belatucadrus oder Cocidius, die der Minerva gleichgesetzte Göttin Sulis, nach welcher die heutige Stadt Bath hieß, sind auch in lateinischer Sprache noch vielfach auf der Insel verehrt worden. Ein exotisches Gewächs ist die aus Italien eindringende Sprache und Sitte auf der Insel noch mehr gewesen als auf dem Continent; noch gegen das Ende des ersten Jahrhunderts lehnten die angesehenen Familien dort sowohl die lateinische Sprache ab wie die römische Tracht. Die großen städtischen Centren, die eigentlichen Herde der neuen Cultur, sind in Britannien schwächer entwickelt; wir wissen nicht bestimmt, welche englische Stadt für das Concilium der Provinz und die gemeinschaftliche Kaiserverehrung als Sitz gedient und in welchem der drei Legionslager der Statthalter der Provinz residirt hat; wenn, wie es scheint, die Civilhauptstadt Britanniens Camalodunum gewesen ist, die Militärhauptstadt Eburacum116, so kann dieses sich so wenig mit Mainz messen wie jenes mit Lyon. Die Trümmerstätten auch der namhaften Ortschaften, der claudischen Veteranenstadt Camalodunum und der volkreichen Kaufstadt Londinium, nicht minder die vielhundertjährigen Legionslager von Deva, Isca, Eburacum haben Inschriftsteine nur in geringfügiger Zahl, namhafte Städte römischen Rechts wie die Colonie Glevum (Gloucester), das Municipium Verulamium bis jetzt nicht einen einzigen ergeben; die Sitte des Denksteinsetzens, auf deren Ergebnisse wir für solche Fragen großentheils angewiesen sind, hat in Britannien nie recht durchgeschlagen. Im inneren Wales und in anderen weniger zugänglichen Strichen sind römische Denkmäler überhaupt nicht zum Vorschein gekommen. Daneben aber stehen deutliche Zeugen des von Tacitus hervorgehobenen regen Handels und Verkehrs, so die zahllosen Trinkschalen, die aus den Ruinen Londons hervorgegangen sind, und das Londoner Straßennetz. Wenn Agricola bemüht war den municipalen Wetteifer in der Ausschmückung der eigenen Stadt durch [176] Bauten und Denkmäler, wie er von Italien sich auf Africa und Spanien übertragen hatte, auch nach Britannien zu verpflanzen und die vornehmen Insulaner zu bestimmen in ihrer Heimat die Märkte zu schmücken und Tempel und Paläste zu errichten, wie dies anderswo üblich war, so ist ihm das für die Gemeindebauten nur in geringem Umfang gelungen. Aber in der Privatwirthschaft ist es anders; die stattlichen römisch angelegten und geschmückten Landhäuser, von denen jetzt nur noch die Mosaikfußböden übrig geblieben sind, finden sich im südlichen Britannien bis in die Gegend von York hinauf117 ebenso häufig wie im Rheinland. Die höhere schulmäßige Jugendbildung drang von Gallien aus allmählich in Britannien ein. Unter Agricolas administrativen Erfolgen wird angeführt, daß der römische Hofmeister in die vornehmen Häuser der Insel anfange seinen Weg zu finden. In hadrianischer Zeit wird Britannien als ein von den gallischen Schulmeistern erobertes Gebiet bezeichnet, und ›schon spricht Thule davon sich einen Professor zu miethen‹. Diese Schulmeister waren zunächst Lateiner, aber es kamen auch Griechen; Plutarchos erzählt von einer Unterhaltung, die er in Delphi pflog mit einem aus Britannien heimkehrenden griechischen Sprachlehrer aus Tarsos. Wenn im heutigen England, abgesehen von Wales und bis vor kurzem von Cornwall, die alte Landessprache verschwunden ist, so ist sie nicht den Angeln oder den Sachsen, sondern dem römischen Idiom gewichen; und wie es in Grenzländern zu geschehen pflegt, in der späteren Kaiserzeit stand keiner treuer zu Rom als der britannische Mann. Nicht Britannien hat Rom aufgegeben, sondern Rom Britannien – das letzte, was wir von der Insel erfahren, sind die flehentlichen Bitten der Bevölkerung bei Kaiser Honorius um Schutz gegen die Sachsen, und dessen Antwort, daß sie sich selber helfen möchten wie sie könnten.


Quelle:
Theodor Mommsen: Römische Geschichte. Berlin 1927, Bd. 5, S. 155-178.
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