Der Angriffskrieg gegen Jugoslawien

und Griechenland.

[235] Am 12. August 1939 hatte Hitler eine Unterredung mit Ciano und dem Angeklagten Ribbentrop auf dem Obersalzberg. Er sagte damals:

»Ganz allgemein gesprochen sei es überhaupt das beste, wenn die falschen Neutralen einer nach dem anderen liquidiert würden. Dies ließe sich verhältnismäßig einfach durchführen, wenn jeweils der eine Partner der Achse dem anderen, der gerade einen der unsicheren Neutralen erledigte, den Rücken deckte und umgekehrt. Für Italien sei wohl Jugoslawien als ein derartiger unsicherer Neutraler anzusehen.«

Diese Bemerkung wurde nur zwei Monate nach der Zusicherung Hitlers an Jugoslawien gemacht, daß er seine Grenzen als endgültig und unverletzbar ansehe. Anläßlich des Besuches des Prinzregenten von Jugoslawien in Deutschland am 1. Juni 1939 sagte Hitler in einer öffentlichen Ansprache:

»Das fest begründete vertrauensvolle Verhältnis Deutschlands zu Jugoslawien wird nun – da wir durch die geschichtlichen Ereignisse Nachbarn mit für immer festgelegten gemeinsamen Grenzen geworden sind – nicht nur einen dauernden Frieden zwischen unseren beiden Völkern und Ländern sichern, sondern kann darüber hinaus auch ein Element der Beruhigung für unseren nervös erregten Kontinent darstellen. Dieser Friede aber ist das Ziel all jener, die wirklich aufbauende Arbeit zu leisten gewillt sind.«

Am 6. Oktober 1939 wiederholte Deutschland diese Zusicherung an Jugoslawien, nachdem Hitler und Ribbentrop erfolglos versucht hatten, Italien zu einem Eintritt in den Krieg auf der Seite Deutschlands durch einen Angriff auf Jugoslawien zu bewegen. Am 28. Oktober 1940 fiel Italien in Griechenland ein, aber die Kampfhandlungen blieben erfolglos.

Im November schrieb Hitler an Mussolini bezüglich des Angriffs auf Griechenland und die Ausbreitung des Krieges auf den Balkan und erklärte, daß militärische Operationen auf dem Balkan nicht vornächsten März stattfinden könnten, und daß deshalb Jugoslawien, falls überhaupt möglich, durch andere Mittel und auf andere Weise gewonnen werden müsse. Am 12. November 1940 erließ Hitler jedoch eine Weisung zur Fortführung des Krieges, die folgende Worte enthielt:

[235] »Balkan: Ob.d.H. trifft Vorbereitungen, um im Bedarfsfalle aus Bulgarien heraus das griechische Festland nördlich des Ägäischen Meeres in Besitz zu nehmen.«

Am 13. Dezember erließ er eine Weisung bezüglich der Operation »Marita« (Deckname für die Invasion Griechenlands), in der er erklärte:

»1. Der Ausgang der Kämpfe in Albanien läßt sich noch nicht übersehen. Angesichts der bedrohlichen Lage in Albanien ist es doppelt wichtig, daß englische Bestrebungen, unter dem Schutze einer Balkanfront eine vor allem für Italien, daneben für das rumänische Ölgebiet, gefährliche Luftbasis zu schaffen, vereitelt werden.

2. Meine Absicht ist daher: a) in den nächsten Monaten in Südrumänien eine sich allmählich verstärkende Kräftegruppe zu bilden,

b) nach Eintreten günstiger Witterung – voraussichtlich im März – diese Kräftegruppe über Bulgarien hinweg zur Besitznahme der ägäischen Nordküste und – sollte dies erforderlich sein – des ganzen griechischen Festlandes anzusetzen.«

Anläßlich einer Begegnung zwischen Hitler und Mussolini am 20. Januar 1941, bei der unter anderem auch die Angeklagten Ribbentrop, Keitel und Jodl anwesend waren, erklärte Hitler folgendes:

»Der Aufmarsch in Rumänien verfolgt einen dreifachen Zweck:

a) eine Operation gegen Griechenland;

b) Schutz Bulgariens gegen Rußland und Türkei;

c) Sicherstellung der Garantie Rumäniens... Er wünscht, daß dieser Aufmarsch ohne feindliche Einwirkung zu Ende geführt wird. Deshalb die Karten so spät als möglich aufdecken. Tendenz wird sein, so spät als möglich über die Donau gehen, und darnach so früh als möglich zum Angriff antreten.«

Am 19. Februar 1941 erklärte eine OKW-Anweisung, betreffs Operation »Marita«:

»Der Führer hat am 18. Februar über die Durchführung Marita entschieden: Folgende Termine sind vorzusehen: Beginn des Brückenschlagens: 28. Februar; Donauübergang: 2. März.

Am 3. März landeten britische Truppen in Griechenland, um den Griechen in ihrem Widerstand gegen die Italiener beizustehen; am 18. März, anläßlich eines Zusammentreffens zwischen Hitler und dem Angeklagten Raeder, dem auch die Angeklagten Keitel und Jodl beiwohnten, bat der Angeklagte Raeder um Bestätigung, daß »ganz Griechenland besetzt werden soll, auch bei friedlicher Regelung«. [236] Hitler antwortete darauf: »Die völlige Besetzung ist Vorbedingung für jede Regelung.«

Anläßlich des Beitritts Jugoslawiens zum Dreimächtepakt am 25. März bestätigte der Angeklagte Ribbentrop bei einer Zusammenkunft in Wien namens der deutschen Regierung den festen Entschluß Deutschlands, die Souveränität und territoriale Unantastbarkeit Jugoslawiens zu allen Zeiten zu respektieren. Am 26. März wurden die jugoslawischen Minister, die dem Dreimächtepakt beigetreten waren, bei ihrer Rückkehr von Wien nach Belgrad durch einen Staatsstreich, gestürzt, und die neue Regierung kündigte den Pakt. Darauf verkündete Hitler am 27. März bei einer Konferenz in Berlin mit dem Oberkommando, bei der die Angeklagten Göring, Keitel und Jodl, und zeitweise auch der Angeklagte Ribbentrop, anwesend waren, daß Jugoslawien in Anbetracht des beabsichtigten Angriffs auf Griechenland und mehr noch in Anbetracht des für später geplanten Angriffs auf Rußland ein unsicherer Faktor sei. Hitler sagte, daß er entschlossen sei, alle Vorbereitungen zu treffen, um Jugoslawien militärisch und als nationale Einheit zu vernichten, ohne auf eventuelle Loyalitätserklärungen der neuen Regierung zu warten. Er führte aus, daß er »mit unbarmherziger Härte« handeln würde.

Am 6. April fielen deutsche Streitkräfte, ohne vorherige Warnung, in Griechenland und Jugoslawien ein, und Belgrad wurde von der Luftwaffe bombardiert. So schnell fand diese Invasion statt, daß nicht einmal mehr Zeit war, irgendwelche »Zwischenfälle« als üblichen Auftakt zu organisieren oder geeignete »politische« Vorwände zu finden und zu veröffentlichen. Als der Angriff am 6. April begann, verkündete Hitler dem deutschen Volk, daß dieser Angriff not wendig sei, weil die britischen Streitkräfte in Griechenland (die den Griechen halfen, sich gegen die Italiener zu verteidigen) einen britischen Versuch darstellten, den Krieg auf den Balkan auszudehnen.

Aus dieser Ausführung geht klar hervor, daß ein Angriffskrieg gegen Griechenland und Jugoslawien schon lange ins Auge gefaßt worden war, sicherlich schon seit August 1939. Die Tatsache, daß Großbritannien den Griechen zu Hilfe gekommen war und später in der Lage sein könnte, deutschen Interessen großen Schaden zuzufügen, wurde als Vorwand für die Besetzung beider Länder genommen.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 1, S. 235-237.
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