Verbrechen gegen den Frieden.

[314] Von dem Augenblick im Jahre 1922 an, da er der Partei beitrat und die Befehlsgewalt über die Straßenkampforganisation – die SA – übernahm, war Göring der Ratgeber, der tatkräftige Handlanger Hitlers und einer der allerersten Führer der Nazi-Bewegung. Als Hitlers politischer Stellvertreter trug er weitgehend dazu bei, die Nationalsozialisten im Jahre 1933 an die Macht zu bringen; er war damit betraut, diese Macht zu befestigen und die deutsche militärische Stärke zu erweitern. Er baute die Gestapo auf und schuf die ersten Konzentrationslager, um sie im Jahre 1934 an Himmler [314] abzugeben, führte im selben Jahre die Röhm-Säuberungs-Aktion durch und leitete die schmutzigen Vorgänge ein, die zu der Entfernung von Blombergs und von Fritschs aus dem Heere führten. 1936 wurde er Beauftragter für den Vierjahresplan und war theoretisch und praktisch der wirtschaftliche Diktator des Reiches. Kurz nach dem Münchner Abkommen gab er bekannt, er werde eine Erweiterung der Luftwaffe aufs Fünffache in die Wege leiten, auch die Aufrüstung beschleunigen, wobei besonderes Gewicht auf Angriffswaffen gelegt werde.

Göring war einer der fünf bedeutenden Führer, die an der Hoßbach-Konferenz am 5. November 1937 teilnahmen und er wohnte den anderen bedeutsamen Konferenzen bei, die in diesem Urteil bereits erörtert wurden. Beim Anschlusse Österreichs war er sogar die Hauptfigur, der Rädelsführer. Vor dem Gerichtshofe erklärte er: »Ich muß die Verantwortung zu 100 % auf mich nehmen... Ich überwand sogar Einwände des Führers und brachte alles zu seinem endgültigen Abschluß.« Bei der Inbesitznahme des Sudetenlandes spielte er einmal eine Rolle als Chef der Luftwaffe, indem er eine Luftoffensive plante, die sich als unnötig erwies, und zum andern eine Rolle als Politiker, indem er die Tschechen mit falschen Freundschaftsversprechungen einlullte. In der Nacht vor dem Einfall in die Tschechoslowakei und der Einverleibung Böhmens und Mährens drohte er bei einer Konferenz zwischen Hitler und dem Präsidenten Hacha, Prag zu bombardieren, falls Hacha nicht nachgebe. Diese Drohung gab er in seiner Zeugenaussage zu.

Göring wohnte der Sitzung in der Reichskanzlei vom 23. Mai 1939 bei, als Hitler seinen militärischen Führern sagte: »Es entfällt also die Frage, Polen zu schonen...« und war anwesend, als am 22. August 1939 auf dem Obersalzberg die entsprechenden Weisungen erteilt wurden. Die Beweisführung hat weiter ergeben, daß er an den darauf folgenden diplomatischen Manövern tätigen Anteil nahm. Mit Hitlers Kenntnis benützte er den schwedischen Geschäftsmann Dahlerus als Mittelsmann zu den Engländern; wie Dahlerus vor diesem Gerichtshof darstellte, versuchte er damit, die britische Regierung daran zu hindern, ihre Garantie gegenüber den Polen zu erfüllen.

Er befehligte die Luftwaffe beim Angriff auf Polen und während aller Angriffskriege die darauf folgten.

Selbst wenn er sich, wie er behauptete, Hitlers Plänen gegen Norwegen und die Sowjetunion widersetzt hat, ist es doch klar, daß er dies nur aus strategischen Gründen tat; sobald Hitler einmal die Entscheidung getroffen hatte, folgte er ihm aber ohne Zögern. Aus seiner Zeugenaussage geht deutlich hervor, daß diese Meinungsverschiedenheiten niemals weltanschaulicher oder rechtlicher Natur waren. Er war »wütend« über den Einfall in Norwegen, aber nur, [315] weil er nicht früh genug verständigt worden war, um die Offensive der Luftwaffe vorzubereiten. Er gab zu, daß er den Angriff billigte, und zwar mit den Worten: »Meine Einstellung war vollkommen bejahend«. Er nahm tätigen Anteil an der Vorbereitung und Durchführung der Feldzüge gegen Jugoslawien und Griechenland und sagte aus, daß der Plan »Marita«, der Angriff auf Griechenland, von langer Hand vorbereitet gewesen war. Er betrachtete die Sowjetunion als »die gefährlichste Bedrohung Deutschlands«, erklärte aber, daß keine unmittelbare militärische Notwendigkeit für den Angriff bestanden hätte. In der Tat richtete sich sein Einwand hinsichtlich des Angriffskrieges gegen die USSR nur gegen den Zeitpunkt; aus strategischen Gründen wünschte er ihn bis zur Niederringung Englands hinauszuschieben. Er sagte hierzu aus: »Meine Anschauung wurde lediglich von politischen und militärischen Gründen bestimmt.«

Nach seinen eigenen Eingeständnissen vor diesem Gerichtshof kann im Hinblick auf seine Stellungen, die er bekleidete, auf die Besprechungen, bei denen er beteiligt war und auf seine öffentlichen Äußerungen kein Zweifel bestehen, daß Göring die treibende Kraft für die Angriffskriege war und in diesem Punkte nur Hitler nachstand. Er schmiedete die Pläne und war der Haupttreiber der militärischen und diplomatischen Kriegsvorbereitungen Deutschlands.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 1, S. 314-316.
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