Anklagepunkt drei – Kriegsverbrechen

[57] (Artikel 6, insbesondere 6 (b) des Statuts.)


VIII. Gegenstand der Anklage. Sämtliche Angeklagten begingen vom 1. September 1939 bis 8. Mai 1945 Kriegsverbrechen in Deutschland und in allen von deutschen Truppen seit dem 1. September 1939 besetzten Ländern und in Österreich, der Tschechoslowakei, Italien und auf hoher See.

Sämtliche Angeklagten entwarfen und führten im Zusammenwirken mit anderen einen gemeinsamen Plan oder eine Verschwörung aus, Kriegsverbrechen zu begehen, wie sie in Artikel 6 (b) des Statuts definiert sind. Dieser Plan sah u. a. die Führung eines »totalen Krieges« vor, sowie Kampf- und militärische Okkupationsmethoden, die in direktem Widerspruch zu Kriegsrecht und Kriegsbräuchen standen, ferner die Begehung von Verbrechen auf dem Schlachtfeld beim Zusammenstoß mit feindlichen Armeen, gegen Kriegsgefangene, und in besetzten Gebieten gegen die Zivilbevölkerung dieser Gebiete.

Die besagten Kriegsverbrechen wurden von den Angeklagten begangen und von anderen Personen, für deren Handlungen die Angeklagten einzustehen haben (unter Artikel 6 des Statuts), da diese Personen bei Begehung der in Frage stehenden Kriegsverbrechen in Ausführung eines gemeinsamen Planes bzw. Verschwörung zur Begehung besagter Kriegsverbrechen handelten, und da die Angeklagten beim Entwurf und der Ausführung dieses Planes bzw. Verschwörung sämtlich als Führer, Organisatoren, Anstifter und Mittäter beteiligt waren.

Diese Methoden und Verbrechen stellen Verletzungen internationaler Konventionen, einheimischer Strafgesetze und der allgemeinen Grundsätze des Strafrechts dar, wie sie sich aus dem Strafrecht sämtlicher zivilisierter Völker herleiten, und bilden einen Bestandteil systematischen Vorgehens.


[57] (A) Ermordung und Mißhandlung der Zivilbevölkerung von oder in besetzten Gebieten und auf hoher See.


Die Angeklagten haben während der ganzen Zeit ihrer Besetzung der von ihren Armeen überrannten Gebiete zwecks systematischer Terrorisierung der Einwohnerschaft Zivilisten ermordet und gefoltert, sie mißhandelt und ohne Gerichtsverfahren ins Gefängnis geworfen.

Die Ermordungen und Mißhandlungen wurden auf verschiedene Weise ausgeführt, wie durch Erschießen, Erhängen, Vergasen, Aushungern, übermäßige Zusammenpferchung, systematische Unterernährung, systematische Aufbürdung von Arbeit über die Kraft derer, die sie auszuführen hatten, durch unzureichende ärztliche Betreuung und Hygiene, durch Fußtritte, Prügel, Brutalität und Folter jeder Art, einschließlich des Gebrauchs glühender Eisen, Ausreißens von Fingernägeln und Vornahme von Experimenten durch Operationen und so weiter an lebenden Menschen. In einigen besetzten Gebieten störten die Angeklagten die Gottesdienste, verfolgten Angehörige der Geistlichkeit und von Mönchsorden und enteigneten Kirchengut. Sie verübten vorsätzlichen und systematischen Massenmord, d.h. die Ausrottung von Gruppen einer bestimmten Rasse oder Nationalität unter der Zivilbevölkerung gewisser besetzter Gebiete, um bestimmte Rassen, Volksklassen und nationale, rassische oder religiöse Gruppen, insbesondere Juden, Polen und Zigeuner zu vernichten.

Zwecks Erlangung von Informationen wurden Zivilisten systematisch jeder Art Folterung unterworfen.

Zivilisten in den besetzten Gebieten wurden systematisch in »Schutzhaft« genommen, d.h. verhaftet und ohne jedes Gerichtsverfahren und unter Versagung des üblichen Rechtsschutzes ins Gefängnis geworfen und unter höchst unhygienischen und unmenschlichen Bedingungen in Haft gehalten.

In den Konzentrationslagern gab es viele Häftlinge, die man »Nacht- und Nebelhäftlinge« nannte. Diese waren völlig von der Außenwelt abgeschnitten und durften weder Briefe empfangen noch schreiben. Sie verschwanden spurlos und die deutschen Behörden gaben nichts darüber bekannt, was mit ihnen geschehen war.

Diese Verbrechen und Mißhandlungen stehen im Widerspruch zu internationalen Konventionen, insbesondere zu Artikel 46 der Haager Vorschriften aus dem Jahre 1907, zum Kriegsrecht und Kriegsbräuchen, zu den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts, wie sie sich aus den Strafgesetzen aller zivilisierten Völker herleiten, zu einheimischen Strafgesetzen der Länder, in denen diese Verbrechen begangen wurden, und zu Artikel 6 (b) des Statuts.

Die folgenden und alle weiterhin in diesem Anklagepunkt aufgeführten Einzelheiten dienen nur als Beispiele und schließen nicht [58] andere Fälle aus. Das Recht der Anklagebehörde, Beweis für andere Fälle der Ermordung und Mißhandlung von Zivilisten nachzuliefern, bleibt ausdrücklich vorbehalten.


1. In Frankreich, Belgien, Dänemark, Holland, Norwegen. Luxemburg, Italien und auf den Kanalinseln (im folgenden genannt die »westlichen Länder«) und in dem Teil Deutschlands, der westlich einer von Norden nach Süden durch die Mitte Berlins verlaufenden Linie liegt (im folgenden genannt »westliches Deutschland«).


Solche Morde und Mißhandlungen wurden verübt in Konzentrationslagern und ähnlichen von den Angeklagten geschaffenen Einrichtungen, besonders in den Konzentrationslagern von Belsen, Buchenwald, Dachau, Breendonck, Grini, Natzweiler, Ravensbrück, Vught und Amersfoort und in zahlreichen Städten, Orten und Dörfern einschließlich Oradour- sur-Glane, Trondheim und Oslo.

Verbrechen folgender Art wurden in Frankreich oder gegen französische Bürger begangen:

Willkürliche Verhaftungen wurden unter politischen oder rassischen Vorwänden, vorgenommen; sie betrafen Einzelpersonen und Gruppen, vornehmlich in Paris (Razzia gegen das 18. Arrondissement durch die Feldgendarmerie, Razzia gegen die jüdischen Bewohner des 11. Arrondissements im August 1941; Razzia im Juli 1942), in Clermont-Ferrand (Razzia gegen Professoren und Studenten der Universität Straßburg, die am 25. November 1943 nach Clermont-Ferrand gebracht wurden), in Lyon, in Marseille (Razzia auf 40000 Personen im Januar 1943), in Grenoble (Razzia am 24. Dezember 1943), in Cluny (Razzia am 24. Dezember 1943), in Figeac (Razzia im Mai 1944), in Samt Pol de Leon (Razzia im Juli 1944), in Locminé (Razzia am 3. Juli 1944), in Eysieux (Razzia im Mai 1944) und in Meaux-Moussey (Razzia im September 1944). Diesen Verhaftungen folgten brutale Behandlung und Folterungen unter Anwendung verschiedenster Methoden, wie Eintauchen in eiskaltes Wasser, Erstickung, Ausrenkung von Gliedern, Benutzung von Folterwerkzeugen, wie des eisernen Helms und elektrischen Stroms. Dies geschah in allen Gefängnissen Frankreichs, vornehmlich in Paris, Lyon, Marseille, Rennes, Metz, Clermont-Ferrand, Toulouse, Nizza, Grenoble, Annecy, Arras, Bethune, Lille, Loos, Valenciennes, Nancy, Troyes und Caen, und in den Folterkammern der Gestapo-Zentren.

In den Konzentrationslagern war das Hygiene- und Arbeitssystem derart, daß die Sterblichkeitsziffer (angeblich durch natürliche Ursachen) riesige Ausmaße erreichte, z.B.:

1. Von einem Transport von 230 französischen Frauen, die von Compiegne nach Auschwitz im Januar 1943 deportiert wurden, starben 180 an Erschöpfung innerhalb von 4 Monaten.

[59] 2. 143 Franzosen starben vor Erschöpfung zwischen dem 23. März und 6. Mai 1943 in Block 8 in Dachau.

3. 1797 Franzosen starben vor Erschöpfung zwischen dem 21. November 1943 und dem 15. März 1945 in dem Block von Dora.

4. 465 Franzosen starben an allgemeiner Schwäche im November 1944 in Dora.

5. 22761 Deportierte starben vor Erschöpfung in Buchenwald zwischen dem 1. Januar 1943 und 15. April 1945.

6. 11560 Häftlinge starben vor Erschöpfung im Lager von Dachau (die Mehrzahl in dem für Schwache und Kranke reservierten Block 30) zwischen dem 1. Januar und 15. April 1945.

7. 780 Priester starben vor Erschöpfung in Mauthausen.

8. Von 2200 Franzosen, die im Lager von Flossenburg registriert waren, starben 1600 eines angeblich natürlichen Todes.

Die zur Ausrottung angewendeten Methoden in Konzentrationslagern waren: schlechte Behandlung unter dem Vorwand pseudowissenschaftlicher Experimente (Unfruchtbarmachung von Frauen in Auschwitz und Ravensbrück, Studium der Entwicklung von Gebärmutterkrebs in Auschwitz, von Typhus in Buchenwald, anatomische Untersuchungen in Natzweiler, Herzinjektionen in Buchenwald, Verpflanzung von Knochen und Entfernung von Muskeln in Ravensbrück usw.); Gaskammern, Gaswagen und Einäscherungsöfen. Von mindestens 228000 Franzosen, die aus politischen oder rassischen Gründen in Konzentrationslager verbracht worden waren, gab es nur 28000 Überlebende.

In Frankreich wurde auch eine systematische Ausrottung betrieben, insbesondere in Asq am 1. April 1944, in Colpo am 22. Juli 1944, in Buzet-sur Tarn am 6. Juli 1944 und 17. August 1944, in Pluvignier am 8. Juli 1944, in Rennes am 8. Juni 1944, in Grenoble am 8. Juli 1944, in Saint Flour am 10. Juni 1944, in Ruisnes am 10. Juni 1944, in Nimes, Tulle und in Nizza, wo im Juli 1944 die Gefolterten der Bevölkerung zur Schau gestellt wurden, und in Oradour-sur Glane, wo die gesamte Ortsbevölkerung erschossen oder lebendig in der Kirche verbrannt wurde.

Zahlreiche mit Knochen gefüllte Gruben legen Zeugnis ab von anonymen Massakern. Am bemerkenswertesten sind die Knochengruben von Paris (Cascade du Bois de Boulogne), Lyon, Saint-Genis-Laval, Besançon, Petit Saint-Bernard, Aulnat, Caen, Port-Louis, Charleval, Fontainebleau, Bouconne, Gabaudet, L'hermitage-Lorges, Morlaas, Bordelongue, Signe.

Im Verlaufe des geplanten Terrorfeldzuges, der von den Deutschen in der zweiten Hälfte des Jahres 1943 in Dänemark ins Werk gesetzt wurde, wurden 600 Dänen ermordet und ferner während [60] der deutschen Besetzung Dänemarks eine große Anzahl von Dänen Folterungen und Mißhandlungen jeder Art unterworfen. Außerdem wurden etwa 500 Dänen durch Folterungen und auf andere Weise in deutschen Gefängnissen und Konzentrationslagern hingemordet.

In Belgien, und zwar in Brüssel, Lüttich, Mons, Gent, Namur, Antwerpen, Toumai, Arlon, Charleroi und Dinant, fanden zwischen 1940 und 1944 an jedem Platz die gleichen Folterungen mannigfaltiger Art statt.

In Vught (Holland) wurden bei Räumung des Lagers ungefähr 400 Personen durch Erschießen hingemordet.

In Luxemburg wurden während der deutschen Besetzung 500 Personen ermordet und außerdem weitere 521 auf Anordnung von besonderen Gerichtshöfen, sogenannten »Sondergerichte«, gesetzwidrig hingerichtet. Zahlreiche andere Personen in Luxemburg wurden von der Gestapo gefoltert und mißhandelt. Während der deutschen Besetzung waren nicht weniger als 4000 Luxemburger im Gefängnis, von denen zumindest 400 ermordet wurden.

Von März 1944 bis April 1945 wurden in Italien von dem deutschen Militär in Civitella, in den Ardeatinischen Höhlen in Rom und an anderen Plätzen zumindest 7500 Männer, Frauen und Kinder jeden Alters ermordet.


(B) Deportation der Zivilbevölkerung von und in besetzten Ländern zur Sklavenarbeit und für andere Zwecke.


Die Politik der deutschen Regierung und des deutschen Oberkommandos bestand während der ganzen Dauer der Besatzung sowohl der westlichen als auch der östlichen Länder darin, dienstfähige Bürger solcher besetzten Länder nach Deutschland oder nach anderen besetzten Ländern zu verschleppen, um sie zu Arbeiten an Verteidigungswerken, in Fabriken und zu anderen mit dem deutschen Kriegseinsatz verbundenen Aufgaben zu zwingen.

In Verfolgung dieser Politik fanden Massendeportationen aus allen westlichen und östlichen Ländern während der ganzen Dauer der Besatzung zu den genannten Zwecken statt.

Solche Deportationen verletzten die internationalen Konventionen, insbesondere Artikel 46 der Haager Bestimmungen von 1907, die Kriegsgesetze und -gebräuche, die allgemeinen Grundsätze des Strafrechtes, wie sie sieh aus den Strafgesetzen aller zivilisierten Nationen herleiten, die Strafgesetze jener Länder, in denen solche Verbrechen verübt wurden und Artikel 6 (b) des Statuts.

Einzelheiten dieser Deportationen, die als Beispiele dienen sollen, ohne jedoch die Vorlage von Beweismaterial für andere Fälle zu beeinträchtigen, sind folgende:

[61] 1. Aus den westlichen Ländern:

Die folgenden Deportationen von Personen aus politischen und rassischen Gründen – jede von ihnen bestand aus 1500-2500 Deportierten – wurden aus Frankreich vorgenommen:

1940 3 Transporte

1941 14 Transporte

1942 104 Transporte

1943 257 Transporte

1944 326 Transporte

Diese Deportierten wurden auf barbarische Weise zusammengepfercht; sie waren mit völlig unzureichenden Kleidungsstücken ausgestattet und erhielten mehrere Tage hindurch wenig oder gar keine Nahrung.

Die Transportbedingungen waren solcher Art, daß viele der Deportierten während der Reise starben, zum Beispiel:

In einem der Eisenbahnwagen des Zuges, der am 17. September 1943 von Compiegne nach Buchenwald abging, starben 80 von 130 Menschen.

Am 4. Juni 1944 wurden 484 Leichen in Saarburg aus einem Eisenbahnzug genommen.

In einem Zug, der am 7. Juli 1944 Compiegne verließ und nach Dachau ging, wurden mehr als 600 Tote, d.h. ein Drittel der Gesamtzahl, bei seiner Ankunft aufgefunden.

In einem Zug, der am 16. Januar 1944 aus Compiegne nach Buchenwald abfuhr, waren mehr als 100 Menschen in jedem Waggon eingeschlossen. Die Toten und Verwundeten wurden während der Reise im letzten Waggon aufgehäuft.

Nur 4000 von den 12000 im April 1945 von Buchenwald evakuierten Internierten waren noch am Leben, als die marschierenden Kolonnen in der Nähe von Regensburg anlangten.

Während der deutschen Besetzung von Dänemark wurden 5200 dänische Untertanen nach Deutschland deportiert und dort in Konzentrationslagern oder anderen Orten eingesperrt.

In und nach 1942 wurden 6000 Luxemburger aus ihrem Lande unter so bedauernswürdigen Bedingungen deportiert, daß viele von ihnen zugrunde gingen.

Mindestens 190000 Zivilpersonen wurden in den Jahren von 1940 bis 1944 aus Belgien nach Deutschland deportiert und als Sklavenarbeiter verwendet. Diese Deportierten wurden Mißhandlungen ausgesetzt, und viele von ihnen wurden gezwungen, in Waffenfabriken zu arbeiten.

Fast eine halbe Million von Zivilpersonen wurde in den Jahren von 1940 bis 1944 aus Holland nach Deutschland und anderen besetzten Ländern deportiert.


[62] (C) Mord und Mißhandlung von Kriegsgefangenen und anderen Angehörigen der Streitkräfte solcher Länder, mit denen Deutschland im Kriege stand, und von Personen auf hoher See.


Die Angeklagten ermordeten und mißhandelten Kriegsgefangene, indem sie ihnen angemessene Verpflegung, Behausung, Kleidung, ärztliche Versorgung und Betreuung versagten, indem sie sie zu Arbeit unter unmenschlichen Bedingungen zwangen, indem sie sie folterten, menschenunwürdigen Erniedrigungen aussetzten und töteten. Die deutsche Regierung und das deutsche Oberkommando sperrten Kriegsgefangene in verschiedenen Konzentrationslagern ein, wo sie getötet oder unmenschlicher Behandlung nach den verschiedenen in Abschnitt VIII (A) erläuterten Methoden ausgesetzt wurden. Angehörige von Streitkräften jener Länder, die mit Deutschland im Kriege standen, wurden häufig, während sie gerade dabei waren, sich zu ergeben, ermordet. Diese Morde und Mißhandlungen standen im Widerspruch zu den internationalen Konventionen, insbesondere zu Artikel 4, 5, 6 und 7 der Haager Bestimmungen von 1907 und zu Artikel 2, 3, 4 und 6 der Genfer Kriegsgefangenen-Konvention von 1929, zu den Gesetzen und Bräuchen des Krieges, zu den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts, wie sie sich aus den Strafgesetzen aller zivilisierter Nationen herleiten, zu den Strafgesetzen jener Länder, in denen solche Verbrechen begangen wurden und zu Artikel 6 (b) des Statuts.

Einzelheiten, die als Beispiele dienen sollen, ohne die Vorlage von Beweismaterial in anderen Fällen zu beeinträchtigen, sind folgende:

In den westlichen Ländern:

Französische Offiziere, die aus Oflag XC entflohen, wurden der Gestapo übergeben und verschwan den; andere wurden von ihren Bewachungsmannschaften ermordet, wieder andere in Konzentrationslager geschickt und umgebracht. Die Insassen von Stalag VI C wurden unter anderem nach Buchenwald verschickt.

Oftmals wurden an der Westfront gefangengenommene Soldaten gezwungen, nach ihren Lagern zu marschieren, bis sie zusammenbrachen. Einige von ihnen marschierten mehr als 600 Kilometer, fast ohne Verpflegung zu erhalten; ohne jede Verpflegung marschierten sie ununterbrochen 48 Stunden; eine Anzahl von ihnen starb an Erschöpfung oder Hunger; Zurückbleibende wurden systematisch ermordet.

Dieselben Verbrechen wurden 1943, 1944 und 1945 begangen, als die Insassen der Lager angesichts des alliierten Vormarsches zurückgezogen wurden, insbesondere während der Rückverlegung der Gefangenen aus Sagan am 8. Februar 1945.

Körperstrafen wurden über Unteroffiziere und Kadetten verhängt, die Arbeit verweigerten. Drei französische Unteroffiziere [63] wurden am 24. Dezember 1942 aus diesem Grunde in Stalag IV A ermordet. Viele Mißhandlungen wurden ohne Begründung über andere Mannschaften verhängt, wie Stechen mit Bajonetten, Schlagen mit Gewehrkolben und Peitschen; in Stalag XX B wurden selbst Kranke wiederholt von Wachtposten geschlagen; in Stalag III B und Stalag III C wurden erschöpfte Gefangene ermordet oder schwer verletzt. Im Militärgefängnis von Graudenz z.B. und in Straflagern wie in Rawa-Ruska war die Nahrung so unzureichend, daß die Gefangenen mehr als 15 Kilogramm in wenigen Wochen abnahmen. Im Mai 1942 wurde nur 1 Laib Brot an jede Gruppe von 35 Leuten in Rawa-Ruska verteilt.

Es wurde angeordnet, französische Offiziere, die zu entfliehen versucht hatten, in Ketten nach dem Lager von Mauthausen zu überführen. Als sie im Lager ankamen, wurden sie durch Erschießung oder Gas ermordet. Ihre Leichen wurden im Krematorium verbrannt.

Amerikanische Gefangene, Offiziere und Mannschaften wurden in der Normandie während des Sommers 1944 und in den Ardennen im Dezember 1944 ermordet. Amerikanische Gefangene wurden in zahlreichen Stalags in Deutschland und in den besetzten Ländern ausgehungert, geschlagen und mißhandelt, besonders 1943, 1944 und 1945.


(D) Tötung von Geiseln.


Im Laufe der Führung von Angriffskriegen wendeten in den von deutschen Streitkräften besetzten Gebieten die Angeklagten in großem Ausmaß die Methode an, Geisern aus der Zivilbevölkerung zu neh men und zu töten. Diese Handlungen widersprachen den internationalen Vereinbarungen, besonders Artikel 50 der Haager Bestimmungen von 1907, den Kriegsgesetzen und Kriegsbräuchen, den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts, wie sie sich aus den Strafrechten aller zivilisierten Völker ergaben, den inneren Strafrechten jener Länder, in welchen solche Verbrechen begangen worden sind und dem Artikel 6 (b) des Statuts.

Einzelheiten, die als Beispiele dienen sollen, ohne das Vorbringen in anderen Fällen zu beeinträchtigen, sind die folgenden:

In den westlichen Ländern:

In Frankreich wurden Geiseln entweder einzeln oder gruppenweise hingerichtet; diese Exekutionen haben in allen großen Städten Frankreichs stattgefunden, unter anderem in Paris, Bordeaux, Nantes und Chateaubriant.

In Holland wurden viele Hunderte von Geiseln erschossen, unter anderem in Orten wie Rotterdam, Apeldoorn, Amsterdam, Benshop und Haarlem.

[64] In Belgien wurden viele Hunderte von Geiseln in dem Zeitraum von 1940 bis 1944 erschossen.

M. CHARLES GERTHOFFER, HILFSANKLÄGER DER FRANZÖSISCHEN REPUBLIK:


(E) Plünderung öffentlichen und privaten Eigentums.


Die Angeklagten nutzten die Einwohner und die materiellen Hilfsquellen der von ihnen besetzten Länder rücksichtslos aus, um die Nazi-Kriegsmaschine zu stärken, das übrige Europa zu entvölkern und zu verarmen, sich selbst und ihre Anhänger zu bereichern und die wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands in Europa zu fördern.

Die Angeklagten machten sich unter anderem folgender Handlungen und Praktiken schuldig:

1. Sie setzten den Lebensstandard der besetzten Länder herab und verursachten Hungersnot, indem sie die besetzten Länder ihrer Lebensmittel beraubten, um sie nach Deutschland zu verbringen.

2. Sie beschlagnahmten in allen besetzten Ländern Rohstoffe und industrielle Maschinen, schafften sie nach Deutschland und benutzten sie im Interesse des deutschen Kriegseinsatzes und der deutschen Volkswirtschaft.

3. Sie beschlagnahmten in verschiedenem Ausmaß in den besetzten Ländern Geschäftsunternehmungen, Fabriken und anderen Besitz.

4. In dem Versuche, dem ungesetzlichen Erwerb von Besitztum einen Schein von Recht zu geben, zwangen sie die Eigentümer, die Formalitäten »freiwilliger« und »gesetzlicher« Übertragungen zu erfüllen.

5. Sie führten eine ausgedehnte Kontrolle über die Volkswirtschaft der besetzten Länder ein, leiteten deren Hilfsquellen, Produktion und Arbeitskraft im Interesse der deutschen Kriegswirtschaft und entzogen auf diese Weise den Einwohnern die Erzeugnisse der lebenswichtigen Industrien.

6. Durch verschiedene Finanzmechanismen beraubten sie die besetzten Länder ihrer wichtigsten Güter und ihres angesammelten Reichtums, setzten den Wert der Landeswährung herunter und brachten die Wirtschaft des Landes zum Verfall. Sie finanzierten ausgedehnte Ankäufe in besetzten Ländern durch ein Verrechnungssystem, durch das sie Anleihen von besetzten Gebieten eintrieben. Sie legten Besatzungssteuern auf, forderten finanzielle Beiträge und gaben ein Besatzungsgeld heraus, das die Kosten der Besatzung weit überschritt. Sie benützten die überschüssigen Gelder, um den Ankauf von Geschäftsunternehmungen und Waren in den besetzten Ländern zu finanzieren.

[65] 7. In den besetzten Teilen der USSR, in Polen und in anderen Ländern schafften sie die Rechte der Landesbewohner, landwirtschaftlichen und industriellen Besitz zu entwickeln und zu verwalten ab und behielten das Gebiet für die ausschließliche Ansiedlung, den Ausbau und Besitz von Deutschen und ihren sogenannten rassischen Brüdern vor.

8. In weiterer Entwicklung ihres Planes verbrecherischer Ausbeutung zerstörten sie in den besetzten Gebieten Industriestädte, Kulturdenkmäler, wissenschaftliche Institute und Besitz aller Art, um so die Möglichkeit einer Konkurrenz mit Deutschland auszuschalten.

9. Aus ihrem Programm der Schreckensherrschaft, Sklaverei, Plünderung und organisierter Gewalttaten schufen die Nazi-Verschwörer ein Werkzeug für ihren persönlichen Gewinn und für ihre eigene Bereicherung und die ihrer Anhänger. Sie verschafften sich und ihren Anhängern:


a) Führende Stellungen in der Geschäftsverwaltung, die Macht, Einfluß und lukrative Nebeneinkünfte mit sich brachten.

b) Die Verwendung billiger Zwangsarbeitskräfte.

c) Die Erwerbung von ausländischem Besitztum, Geschäftsinteressen und Rohstoffen zu günstigen Bedingungen.

d) Die Grundlage für die industrielle Vorherrschaft Deutschlands.


Diese Handlungen widersprachen den internationalen Vereinbarungen, besonders den Artikeln 46 bis 56, einschließlich der Haager Bestimmungen von 1907, den Gesetzen und Bräuchen des Krieges, den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts, wie es sich aus den Strafrechten aller zivilisierten Völker ergibt, den einheimischen Strafrechten jener Länder, in welchen solche Verbrechen verübt wurden, und dem Artikel 6 (b) des Statuts.

Einzelheiten sind, ohne das Beweisvorbringen für andere Fälle beeinträchtigen zu wollen, z.B. folgende:

1. Westliche Länder:

Aus den westlichen Ländern wurden von 1940 bis 1944 Kunstwerke, kunstgewerbliche Gegenstände, Bilder, Plastiken, Möbel, Textilien, Antiquitäten und ähnliche Dinge von ungeheurem Wert geplündert, im ganzen 21903 Gegenstände.

[66] In Frankreich zeigt die Statistik folgende Zahlen:


Fortschaffung von Rohstoffen:

Kohle: 63.000.000 Tonnen

Elektrische Energie: 20.976 MkwH

Benzin und andere Treibstoffe: 1.943.750 Tonnen

Eisenerz: 74.848.000 Tonnen

Eisenspatprodukte: 3.822.000 Tonnen

Bauxit: 1.211.800 Tonnen

Zement: 5.984.000 Tonnen

Kalk: 1.888.000 Tonnen

Produkte ans Steinbrüchen: 25.872.000 Tonnen

und verschiedene andere Produkte im Gesamtwert von

Frs. 79.961.423.000.


Fortschaffung von Industrieeinrichtungen:

Gesamtsumme: Frs. 9.759.861.000, davon Werkzeugmaschinen im Werte von Frs. 2.626.479.000.


Fortschaffung von landwirtschaftlichen Produkten:

Gesamtsumme: Frs. 126.655.852.000, und zwar für die wichtigsten Produkte:

Weizen: 2.947.337 Tonnen

Hafer: 2.354.080 Tonnen

Milch: 790.000 Hektoliter

Milch (in konzentrierter Form und Pudermilch.): 460.000 Hektoliter

Butter: 76.000 Tonnen

Käse: 49.000 Tonnen

Kartoffeln: 725.975 Tonnen

Verschiedene Gemüse: 575.000 Tonnen

Wein: 7.647.000 Hektoliter

Champagner: 87.000.000 Flaschen

Bier: 3.821.520 Hektoliter

Verschiedene Spirituosen.: 1.830.000 Hektoliter


Fortschaffung von fertigen Erzeugnissen

im Gesamtwert von Frs. 184.640.000.000.


Plünderungen:

Frs. 257.020.024.000 von Privatunternehmen,

Frs. 55.000.100.000 vom französischen Staat.


Finanzielle Ausbeutung:

Zwischen Juni 1940 und September 1944 wurde das französische Schatzamt gezwungen, an Deutschland Frs. 631.866.000.000 zu zahlen.


[67] Plünderung und Zerstörung von Kunstwerken:

Die Museen von Nantes, Nancy und Alt-Marseille wurden ausgeraubt.

Privatsammlungen von großem Wert wurden gestohlen. Auf diese Weise verschwanden Bilder von Raphael, Vermeer, Van Dyck und Werke von Rubens, Holbein, Rembrandt, Watteau und Boucher. Deutschland zwang Frankreich, das ihm von Belgien anvertraute Bild von Van Dyck »Das Osterlamm« auszuliefern.

In Norwegen und anderen besetzten Ländern wurden Erlasse herausgegeben, kraft derer das Eigentum vieler Zivilpersonen, Gesellschaften usw. konfisziert wurde. Eine ungeheure Ausplünderung von Eigentum jeder Art fand in Frankreich, Belgien, Norwegen, Holland und Luxemburg statt.

Als Resultat der wirtschaftlichen Ausplünderung Belgiens zwischen 1940 und 1944 stieg der erlittene Schaden auf 175 Billionen belgische Franken.


(F) Kollektiv-Strafen.


Die Deutschen verfolgten in allen besetzten Ländern eine systematische Politik der Kollektiv-Strafen in Geld und anderen Werten. Sie legten sie der Bevölkerung für Handlungen von Einzelpersonen auf, für die diese nicht gesamtverantwortlich war. Dies geschah an vielen Orten wie Oslo, Stavanger, Drontheim und Rogaland.

Das gleiche ereignete sich in Frankreich, unter anderem in Dijon, Nantes und hinsichtlich der jüdischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten. Die Gesamtsumme der Bußen, die französischen Gemeinden auferlegt wurden, beläuft sich auf 1.157.179.484 Francs und setzt sich wie folgt zusammen:

Eine Buße, aufzubringen von der jüdischen

Bevölkerung: 1.000.000.000

Verschiedene Bußen: 157.179.484

Diese Handlungen verletzten den Artikel 50 der Haager Bestimmungen von 1907, die Gesetze und Bräuche des Krieges, die allgemeinen Prinzipien des Strafrechts wie sie sich aus den Strafrechten aller zivilisierten Völker ableiten, die einheimischen Strafrechte der Länder, in denen diese Verbrechen begangen wurden, und den Artikel 6 (b) des Statuts.


(G) Mutwillige Zerstörung von großen und kleinen Städten und Dörfern und Verwüstungen ohne militärisch begründete Notwendigkeit.


Die Angeklagten zerstörten mutwillig große und kleine Städte und Dörfer und begingen andere Verwüstungen ohne militärische [68] Rechtfertigung oder Notwendigkeit. Diese Handlungen verletzten die Artikel 46 und 50 der Haager Bestimmungen von 1907, die Gesetze und Bräuche des Krieges, die allgemeinen Prinzipien des Strafrechts, wie sie sich aus den Strafrechten aller zivilisierten Völker herleiten, sowie die einheimischen Strafrechte der Länder, in welchen diese Verbrechen begangen wurden, und den Artikel 6 (b) des Statuts.

Die folgenden Einzelheiten werden beispielsweise und mit dem Vorbehalt weiteren Beweisvorbringens aufgeführt:


1. Westliche Länder:

Im März 1941 wurde ein Teil der Lofoten in Norwegen zerstört.

Im April 1942 wurde die Stadt Telerag in Norwegen zerstört.

In Frankreich wurden ganze Dörfer zerstört, u. a. Oradour-sur-Glane, Saint-Nizier in der Gascogne, Lamure, Vassieux, La Chapelleen-Vercors. Die Stadt St. Die wurde niedergebrannt und zerstört. Der Alte-Hafen-Bezirk von Marseille wurde zu Beginn des Jahres 1943 in die Luft gesprengt und Kurorte an der atlantischen und Mittelmeerküste, insbesondere die Stadt Sanary, wurden in Trümmer gelegt.

In Holland war die ohne militärische Rechtfertigung und Notwendigkeit angerichtete Zerstörung besonders weitgehend und ausgedehnt. Betroffen waren insbesondere Häfen, Schleusen, Deiche und Brücken. Ungeheure Verwüstungen wurden auch durch Überflutungen angerichtet, die ebenso wenig durch militärische Notwendigkeiten gerechtfertigt waren.


(H) Aushebung von Zivilarbeitern.


Überall in den besetzten Gebieten rekrutierten die Angeklagten die Einwohner zwangsweise zur Arbeit und verlangten ihre Dienstleistungen für Zwecke, die mit den Bedürfnissen der Besatzungsarmeen nichts zu tun hatten, und zwar in einem Ausmaß, das in keinem Verhältnis zu den Kräften der betroffenen Länder stand. Alle auf diese Weise ausgehobenen Zivilbewohner wurden gezwungen, für die deutschen Kriegsrüstungen zu arbeiten. Die Zivilpersonen mußten sich registrieren lassen und viele von ihnen wurden gezwungen, in die Organisation Todt oder in die Legion Speer einzutreten, beides halbmilitärische Organisationen mit einer gewissen militärischen Ausbildung. Diese Handlungen verletzten die Artikel 46 und 52 der Haager Bestimmungen von 1907, die Gesetze und Bräuche des Krieges, die allgemeinen Prinzipien des Strafrechts, wie sie sich aus den Strafrechten aller zivilisierten Völker herleiten, sowie die einheimischen Strafrechte der Länder, in welchen diese Verbrechen begangen wurden, und den Artikel 6 (b) des Statuts.

[69] Die folgenden Einzelheiten werden beispielsweise und mit dem Vorbehalt weiteren Beweisvorbringens aufgeführt:


1. Westliche Länder:


In Frankreich wurden von 1942 bis 1944963.813 Personen gezwungen, in Deutschland und 737.000 in Frankreich für die deutsche Armee zu arbeiten.

In Luxemburg wurden allein im Jahre 19442500 Männer und 500 Mädchen für Zwangsarbeit rekrutiert. (I) Zwang für Zivilbewohner besetzter Gebiete, einer feindlichen Macht den Treueid zu leisten.

Von Zivilpersonen, die in die Speer-Legion eintraten, wie dies in Absatz (H) oben ausgeführt ist, wurde unter Androhung des Entzuges von Lebensmitteln, Geldmitteln und Ausweispapieren verlangt, daß sie einen feierlichen Eid leisteten, durch den sie Adolf Hitler, dem Führer Deutschlands, unbedingte Treue gelobten, des Landes, das für sie eine feindliche Macht war.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hebt jetzt die Sitzung bis 2 Uhr nachmittags auf.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 2, S. 57-71.
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Gedichte (Die Ausgabe von 1844)

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Nach einem schmalen Band, den die Droste 1838 mit mäßigem Erfolg herausgab, erscheint 1844 bei Cotta ihre zweite und weit bedeutendere Lyrikausgabe. Die Ausgabe enthält ihre Heidebilder mit dem berühmten »Knaben im Moor«, die Balladen, darunter »Die Vergeltung« und neben vielen anderen die Gedichte »Am Turme« und »Das Spiegelbild«. Von dem Honorar für diese Ausgabe erwarb die Autorin ein idyllisches Weinbergshaus in Meersburg am Bodensee, wo sie vier Jahre später verstarb.

220 Seiten, 11.80 Euro

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