Nachmittagssitzung.

[122] MAJOR ELWYN JONES: Zeuge, ich möchte jetzt einige Fragen über den Angeklagten Frank an Sie richten. Frank ist ein Freund von Ihnen, nicht wahr?

LAMMERS: Es kommt nichts durch. Ich bitte, die Frage zu wiederholen.


MAJOR ELWYN JONES: Der Angeklagte Frank ist ein Freund von Ihnen, nicht wahr?


LAMMERS: Frank?


MAJOR ELWYN JONES: Ja.


LAMMERS: Nein, besonders nahe steht mir Herr Frank nicht. Ich bitte mir aber zu gestatten, ehe ich diese Frage beantworte, noch einmal zurückzukommen auf das Dokument, das Sie mir vorhin vorgelegt haben und das ich erst jetzt habe durchlesen können. Ich möchte dazu nur zwei Sätze sagen.


MAJOR ELWYN JONES: Wenn es der Verteidiger wünscht, daß Sie darauf zurückkommen, wird er ohne Zweifel Ihre Aufmerksamkeit zur rechten Zeit auf die Sache lenken.

Wollen Sie jetzt auf die Frage eingehen, die ich Ihnen hinsichtlich des Angeklagten Frank gestellt habe. Sie sagen, daß er nicht mit Ihnen befreundet war?


LAMMERS: Ich kannte ihn nicht besonders gut und ich habe ihm nicht besonders nahegestanden, nicht näher wie die anderen Leute von der Reichsregierung.


MAJOR ELWYN JONES: Könnte man wohl sagen, daß er, so wie Sie selbst, einer der führenden nationalsozialistischen Juristen war?


LAMMERS: Ja, als führenden nationalsozialistischen Juristen habe ich mich an sich nie betrachtet.


MAJOR ELWYN JONES: Wollen Sie sagen, daß Sie niemals ein führender Jurist waren oder daß Sie kein Nationalsozialist waren?


LAMMERS: Ich habe mich zuerst betrachtet als Wissenschaftler, als Staatsrechtler, der ich seit vielen Jahren schon bin, schon seit dem Jahre 1920 und unter anderen Regierungen; ich bin dann der Nationalsozialistischen Partei beigetreten und habe selbstverständlich in meiner Stellung im nationalsozialistischen Staat mir Mühe gegeben, auch die nationalsozialistischen Rechtsideen zu vertreten.


MAJOR ELWYN JONES: Sie haben über Hans Frank gesagt, daß er ein Jurist war, der gegen die willkürliche Gewalt der Polizei eingestellt war?

LAMMERS: In verschiedenen Reden hat er das getan, die die Mißbilligung des Führers gefunden haben.


[122] MAJOR ELWYN JONES: Er war ein Mann, der für ein gerechtes Prozeßverfahren eintrat. Stimmt das?


LAMMERS: Für was für Prozesse? Ich kann hier nicht verstehen, es sind so laute Geräusche vorhanden.


MAJOR ELWYN JONES: Strafprozesse.


LAMMERS: Ich habe das Wort nicht verstanden.


MAJOR ELWYN JONES: Er war für gerechte Prozesse und gegen die willkürliche Gewalt der SS. Ist das Ihre Aussage?


LAMMERS: Er hat mir das wiederholt ausgesprochen und hat das auch in seinen Reden vielfach zum Ausdruck gebracht.


MAJOR ELWYN JONES: Und Sie sagen, er war ein Mann, der für eine liberale Verwaltung des Gebiets war, dessen Generalgouverneur er war? Ist es so?


LAMMERS: Es tut mir leid, aber ich kann nicht folgen, es ist so viel Lärm, daß ich kaum die Hälfte verstehe von dem, was Sie sagen, die andere Hälfte verschwindet vollständig.


MAJOR ELWYN JONES: Gut, wir wollen es noch mal versuchen. Haben Sie jemals von der AB-Aktion gehört, für die Frank im Generalgouvernement verantwortlich war?


LAMMERS: Das ist eine Aktion, die mir völlig unbekannt ist. Vor etwa acht Tagen allerdings hat mir ein Herr diesen Namen genannt und daß Frank damit belastet sein soll. Eine AB-Aktion kenne ich nicht.


MAJOR ELWYN JONES: Sie haben häufig Berichte durch Frank über die Verwaltung seines Gebiets bekommen, nicht wahr?


LAMMERS: Es sind hie und da Berichte eingegangen.


MAJOR ELWYN JONES: Wollen Sie nun sagen, daß Frank Sie nie über die AB-Aktion informiert hat?


LAMMERS: Ja, ich weiß nicht, was die AB-Aktion ist.


MAJOR ELWYN JONES: Dann möchte ich Ihr Erinnerungsvermögen unterstützen. Es war eine Aktion, die zur Folge hatte, daß die Blüte des Polentums, die polnische Intelligenz, abgeschlachtet wurde.


LAMMERS: Von einer solchen Aktion ist mir nichts bekannt.


MAJOR ELWYN JONES: Wollen Sie sich bitte das Dokument 2233-PS ansehen, das als Beweisstück USSR-223 vorgelegt wurde, es ist Franks Tagebuch; Sie werden die Geschichte dieser Aktion nachlesen können und vielleicht werden Sie sich an die Umstände erinnern.


LAMMERS: Welche Seite soll es sein, bitte?


[123] MAJOR ELWYN JONES: Seite 8 des Anhanges zu diesem Text. Da steht auf der Seite, daß die Aktion am 16. Mai mit einer Besprechung begann, bei der der Generalgouverneur Frank, Reichsminister Seyß-Inquart, Staatssekretär Bühler, SS-Brigadeführer Streckenbach und ein Oberst Müller anwesend waren. Sie werden dort finden, daß Frank mit sofortiger Wirkung verfügte, die Aufgabe eines außerordentlichen Befriedungsprogramms solle dem Chef der Sicherheitspolizei übertragen und sofort eingeleitet werden. Die wichtigeren Einzelheiten dieser Aktion wurden dann besprochen und dem Brigadeführer Streckenbach wurden die nötigen Vollmachten in aller Form durch den Generalgouverneur erteilt. Der Generalgouverneur ordnete eine ausführliche Berichterstattung für den 30. Mai an.

Und dann verweise ich Sie auf Seite 2 dieses Textes; es ist ein Bericht über die Konferenz vom 30. Mai, woran Sie – und was noch viel wichtiger ist, der Gerichtshof – den Charakter der Rechtswissenschaft beurteilen können, der sich die nationalsozialistischen Juristen befleißigten.

Sie sehen auf Seite 43 des englischen Textes des Dokuments 2233-PS einen Bericht über die Polizeibesprechung vom 30. Mai, wo Frank und Krüger und andere anwesend waren und...


LAMMERS: Bei diesen Sitzungen der Regierung bin ich ja nie zugegen gewesen.


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte nur, daß Sie mal sehen, wie wenig Frank, der Apostel der Anständigkeit, in Verwaltungsangelegenheiten mit dem wahren Frank, dem Generalgouverneur von Polen gemeinsam hatte. Sie werden dort sehen, daß Frank erklärt: Wenn ich hier im Lande nicht die alte nationalsozialistische Kämpfergarde der Polizei und SS hätte, mit wem wollten wir dann diese Politik machen?

Der Bericht, der dem Gerichtshof bereits bekannt ist, geht dann weiter und beschreibt, wie jetzt, als die deutschen Angriffe im Westen in vollem Gange waren, es Frank möglich war, diese Aktion gegen die polnische Intelligenz durchzuführen.


LAMMERS: Wenn der Generalgouverneur mit seinen Tagebuchnotizen im Widerspruch steht zu dem, was ich aus seinen Reden, die er öffentlich gehalten hat, entnommen hatte, so kann ich dazu keine Stellung nehmen. Ich weiß ja nicht, was er dazu gesagt hat. Es mag ja sein, daß viele seiner Reden im Widerspruch stehen zu Reden die er zu einer anderen Zeit gehalten hat. Was ich bekundet habe ich habe nur über die Reden gesprochen, die der Führer gemißbilligt, die er beanstandet hat, die zur Folge hatten, daß er ein Redeverbot bekam und daß ihm der Druck der Reden verboten [124] worden ist. Über diese Reden habe ich gesprochen. Was der Generalgouverneur sonst für Reden gehalten und Notizen in seinen Tagebüchern niedergelegt hat, kann ich hier im Augenblick überhaupt nicht beurteilen.


MAJOR ELWYN JONES: Wollen wir ganz offen sprechen. Wissen Sie, daß die Regierung Franks im Generalgouvernement ein Mordregime war?


LAMMERS: Davon ist mir nie etwas bekanntgeworden.


MAJOR ELWYN JONES: Haben Sie irgendwelche Berichte von ihm oder einer anderen Quelle über die Mißregierung im Generalgouvernement erhalten?


LAMMERS: Über Mißwirtschaft im Generalgouvernement sind häufig Beschwerden eingegangen sowohl von Frank wie auch von anderen Stellen gegen Frank.


MAJOR ELWYN JONES: War Ihnen die absolute Rücksichtslosigkeit der Frankschen Methoden im Generalgouvernement bekannt?

LAMMERS: Ich habe nur halb verstanden.


MAJOR ELWYN JONES: Sie haben doch Berichte von Frank über seine Tätigkeit im Generalgouvernement bekommen, nicht wahr?


LAMMERS: Ja, es trafen häufig Berichte ein, die ich als Durchgangssache schleunigst weitergegeben habe an den Führer, die meist an den Reichsleiter Bormann gegangen sind oder an die Adjutantur des Führers. Das waren Berichte...


MAJOR ELWYN JONES: Einen Augenblick. Wollen Sie bitte die Fragen beantworten, die ich an Sie richte, dann kommen wir viel schneller vorwärts. Antworten Sie nur kurz auf die Fragen, die ich gestellt habe. Ich frage Sie jetzt über einen Bericht, der auf Grund des Frankschen Tagebuches bei Ihnen eingegangen ist.

Auf Seite 41 des englischen Textes in Franks Tagebuch steht folgende Eintragung vom 5. August 1944:

»Der Herr Generalgouverneur richtet folgendes Fernschreiben an Reichsminister Dr. Lammers:

›Die Stadt Warschau steht zum größten Teil in Flammen. Die Niederbrennung von Häusern ist auch das sicherste Mittel, den Aufständischen Schlupfwinkel zu entziehen. Nach diesem Aufstand und seiner Niederschlagung wird Warschau dem verdienten Schicksal seiner völligen Vernichtung mit Recht anheimgefallen sein oder unterzo gen werden.‹«

Können Sie sich erinnern, daß Sie ein solches Fernschreiben bekamen?

[125] LAMMERS: Eine solche Meldung ist meines Wissens eingegangen und von mir Sofort dem Führer weitergeleitet worden. Mit der Aktion selber hatte ich ja nichts zu tun. Das war eine militärische Maßnahme und normalerweise kamen die militärischen Meldungen an den Führer unmittelbar. Ich habe dieses Fernschreiben wahrscheinlich nicht nur an den Führer, sondern ich habe es wahrscheinlich auch an den Chef des OKW weitergeleitet.

MAJOR ELWYN JONES: Es interessiert mich nicht, was Sie unter diesen Umständen unternommen haben. Ich frage Sie nur, ob Sie davon etwas wissen. Sie haben nämlich immer wieder dem Gerichtshof erklärt, daß Sie niemals etwas von den Greueltaten gewußt hatten, die unter dem Nazi-Regime begangen wurden? Beschränken Sie sich im Moment bitte nur auf Ihr Wissen.

Sie haben gesagt...


LAMMERS: Ich weiß, daß das Schreiben eingegangen ist.


MAJOR ELWYN JONES: Und das war eine charakteristische Meldung Franks, nicht wahr?

LAMMERS: Und daß in Warschau Vernichtungsaktion angeordnet wird, daß in Warschau gekämpft wird. Ich hatte ja dem Generalgouverneur nichts zu befehlen. Ich konnte ja nur seine Meldung an den Führer weitergeben, die Meldung war ja nicht für mich persönlich, sondern für den Führer bestimmt.


MAJOR ELWYN JONES: Sie sagen, daß Frank gegen die Errichtung von Konzentrationslagern gewesen sei. Das ist Ihre Aussage, nicht wahr? Haben Sie ausgesagt, daß Frank gegen Konzentrationslager gewesen sei?


LAMMERS: Ja, Frank hat sich mir persönlich gegenüber generell gegen die Verhaftung in Konzentrationslagern ausgesprochen, weil er mit mir übereinstimmend der Auffassung war, daß ein solches Verfahren mindestens eine Rechtsgrundlage haben muß.


MAJOR ELWYN JONES: Das hat er zu Ihnen gesagt?


LAMMERS: Ja, das hat er gesagt, ja.


MAJOR ELWYN JONES: Dann möchte ich Ihnen einen kurzen Auszug aus seinem Tagebuch verlesen, um zu zeigen, warum er gegen Konzentrationslager war. Ich lese von Seite 45 des Tagebuches. Er bezieht sich auf die polnische Intelligenz und sagt:

»Wir brauchen diese Elemente nicht erst in die Konzentrationslager des Reiches abzuschleppen, denn dann hätten wir nur Scherereien und einen unnötigen Briefwechsel mit den Familienangehörigen, sondern wir liquidieren die Dinge im Lande.«

Und dann sagt er weiter:

[126] »Was die Konzentrationslager anlangt, so waren wir uns klar, daß wir hier im Generalgouvernement Konzentrationslager im eigentlichen Sinne nicht einrichten wollen. Wer bei uns verdächtig ist, der soll gleich liquidiert werden. Was sich draußen in den Konzentrationslagern des Reiches an Häftlingen aus dem Generalgouvernement befindet, das soll uns zur AB-Aktion zur Verfügung gestellt oder dort erledigt werden. Wir können nicht die Reichskonzentrationslager mit unseren Dingen belasten.«

Deswegen war Frank gegen die Errichtung der Konzentrationslager. Er war für sofortigen Mord, nicht wahr?

LAMMERS: Es mag sein, daß die Tagebücher von Frank und seine Handlungen nicht mit dem übereinstimmen, was er mir gesagt hat. Ich weiß nur, was er mir über Konzentrationslager als seine Auffassung gesagt hat. Was er in seinen Tagebüchern geschrieben hat, das weiß ich nicht, und wie er praktisch gehandelt hat, das weiß ich auch nicht. Ich habe ja über das Generalgouvernement kein Aufsichtsrecht gehabt.

MAJOR ELWYN JONES: Sie haben von dem Kampf zwischen Frank und verschiedenen anderen Reichskommissaren und Reichsministern und der SS gesprochen. Ich möchte behaupten, daß der Kampf zwischen Frank und dem SS-General Krüger nur ein Kampf um die Macht, ein Kampf zwischen zwei Persönlichkeiten war, und keineswegs mit dem Wunsch Franks zusammenhing, Anstand und Gerechtigkeit in der Verwaltung des Generalgouvernements herrschen zu sehen.


LAMMERS: Ja, wenn Sie meinen, daß das nicht im Einklang steht, was Frank mir gesagt hat und wie er gehandelt hat, dann müssen Sie Herrn Frank darüber hören. Ich bin ja nicht verantwortlich für das, was er getan hat. Ich kann nur aussagen, was Herr Frank mir gesagt hat.


MAJOR ELWYN JONES: Sie haben doch nicht nur von Frank selbst, sondern auch von der SS Meldungen bekommen, nicht wahr?


LAMMERS: Es sind sehr viele Meldungen bei mir eingegangen, die meist schematisch weitergegeben worden sind, denn ich war ja für solche Meldungen nur die Durchgangsstelle und übrigens, die Meldungen der SS sind meist nicht über mich gekommen.


MAJOR ELWYN JONES: Sie waren also auch eines dieser hochpostierten Postämter, auf denen das Nazi- Reich aufgebaut war, nicht wahr?


LAMMERS: Verzeihung, ich habe das nicht verstanden.


[127] MAJOR ELWYN JONES: Erinnern Sie sich, daß Sie sich wegen der Lage im Generalgouvernement mit Himmler in Verbindung gesetzt haben?


LAMMERS: Ja, sicher. Ich weiß, daß Himmler den Generalgouverneur Frank aus dem Generalgouvernement gern entfernt hätte. Er hätte gern einen anderen Generalgouverneur gesehen.


MAJOR ELWYN JONES: Sie haben Himmler einen Bericht auf Grund einer Diskussion vorgelegt, die Sie mit dem SS-General Krüger gehabt haben, nicht wahr?


LAMMERS: Ich kann mich im Augenblick auf eine Unterredung mit dem General Krüger nicht entsinnen, wenn man mir nicht näher angibt, wann das gewesen ist.


MAJOR ELWYN JONES: Sehen Sie sich bitte Dokument 2220-PS, US-175 an. Das ist Ihr Bericht an Himmler. Sie sehen, dieser Bericht trägt das Datum vom 17. April 1943, ist an Himmler adressiert und betrifft die Zustände im Generalgouvernement. Ich will es zum Teil verlesen; es ist bisher noch nicht verlesen worden:

»Sehr verehrter Herr Reichsführer!

In unserer Besprechung am 27. März dieses Jahres waren wir übereingekommen, daß über die Zustände im Generalgouvernement schriftliche Unterlagen ausgearbeitet werden sollten, auf die sich unser in Aussicht genommener gemeinsamer Vortrag beim Führer stützen kann.«

Das war der gemeinsame Bericht der SS und von Ihnen. Im nächsten Absatz steht: »Das...«

LAMMERS: Das war ein Vortrag auf Grund eines Auftrags, den der Führer mir gegeben hatte, gewisse Beschwerden, die gegen Frank gerichtet waren, zu untersuchen. Es waren gegen Frank eine Reihe von Beschwerden eingegangen, und da hatte der Führer den Auftrag gegeben, daß Himmler und ich die Angelegenheit untersuchen sollten. Darum handelte es sich.

MAJOR ELWYN JONES: Und Sie und Ihr Kollege Himmler waren aktiv an der Sache interessiert. Ich möchte, daß Sie sich den Bericht weiter ansehen. Sie werden sehen, daß es in der Überschrift zu Absatz A heißt:

»Die Aufgaben der deutschen Verwaltung im Generalgouvernement.

Die deutsche Verwaltung im Generalgouvernement hat folgende Aufgaben zu erfüllen:

1. Zum Zwecke der Ernährungssicherung des deutschen Volkes die landwirtschaftliche Produktion zu steigern und möglichst restlos zu erfassen, der einheimischen Bevölkerung, [128] die in kriegswichtiger Arbeit eingesetzt ist, auskömmliche Rationen zuzuteilen und das übrige für Wehrmacht und Heimat abzuführen.«

In der Fortsetzung beschäftigt er sich mit den Schwierigkeiten, genügend Arbeitskräfte und Erträge aus dem Generalgouvernement zugunsten des Dritten Reiches herauszuholen.

Zum Schluß beschäftigt er sich besonders mit der Verwendung von Arbeitskräften, und auf diesen Absatz möchte ich Ihre Aufmerksamkeit ganz besonders lenken. Haben Sie den Absatz »Die Erfassung der Arbeitskräfte« gefunden, der sich mit den Schwierigkeiten befaßt, denen sich die Verwaltung des Generalgouvernements gegenübergestellt sah? Ich verweise Sie gerade auf diesen Absatz, weil er den Satz enthält:

»Daß diese Schwierigkeiten durch die Ausscheidung der jüdischen Arbeitskräfte verschärft wurden, liegt auf der Hand.«

LAMMERS: Wo soll das stehen, bitte?

MAJOR ELWYN JONES: Es ist in dem Absatz »Die Erfassung der Arbeitskräfte«.


LAMMERS: Ja, das ist aber doch nicht mein Bericht.


MAJOR ELWYN JONES: Sie haben aber in Ihrem Begleitschreiben gesagt, daß die Aufzeichnung mit General Krüger abgestimmt worden war, der völlig einverstanden gewesen sei. Erinnern Sie sich, daß Sie in Ihrem Begleitschreiben angegeben haben, daß diese Aufzeichnung mit Ihnen besprochen worden sei. Nun, es geht jetzt nicht darum, ob Sie es selbst geschrieben haben oder nicht. Ich will nur, daß Sie dem Gerichtshof zuerst einmal erklären, ob Sie damit einverstanden waren, daß in dem Bericht folgender Satz enthalten war: »Daß diese Schwierigkeiten durch die Ausscheidung der jüdischen Arbeitskräfte verschärft wurden...«?


LAMMERS: Ich bitte, mir zu gestatten, daß ich mir das durchlese. Ich kann hier auf seitenlange Ausführungen nicht antworten, wenn ich sie nicht gelesen habe. Es ist mir einfach unmöglich, und ich bitte mir die Zeit zu geben, daß ich diesen seitenlangen Bericht mir durchlese.


MAJOR ELWYN JONES: Diese Zeit haben Sie auch, aber ich bitte Sie, sich lediglich auf den einen Satz zu konzentrieren. Sie dürfen mir glauben, daß in dem vorletzten Absatz dieses Berichts der Satz über die Ausscheidung jüdischer Arbeitskräfte geschrieben steht und was ich unterstelle, ist...


LAMMERS: Nein, wo soll das stehen? Ich habe diesen Satz noch nicht gelesen. Ich habe die Stelle noch nicht gefunden. Wo kann ich sie finden? Ist es am Anfang oder am Ende der Seite? Wenn ich [129] die ganze Seite lesen kann, werde ich den Satz finden. Ich benötige dazu einige Minuten. Können Sie mir die ungefähre Stelle angeben? Der Bericht ist hier offenbar von Krüger, und er meint wahrscheinlich damit die weitere Evakuierung der Juden nach Osten. Ich weiß nicht, was Sie unter Ausscheidung verstehen. Ich bin aber beim besten Willen nicht in der Lage, zu einem herausgegriffenen Satz aus einem Bericht von 14 Seiten im Augenblick eine Erklärung abzugeben. Das ist mir einfach unmöglich.


MAJOR ELWYN JONES: Wollen Sie sagen, daß das Ausscheiden von jüdischen Arbeitskräften als Evakuierung von jüdischen Arbeitskräften auszulegen ist?


LAMMERS: Das weiß ich nicht, ich muß überhaupt den ganzen Bericht erst lesen, um zu diesem Bericht eine Erklärung abzugeben. Das sind vierzehn engbeschriebene Seiten, die nicht von mir sind. In welchem Zusammenhang sie stehen, das weiß ich nicht.


MAJOR ELWYN JONES: Sie wissen doch, daß Hans Frank selbst zugunsten einer Ausrottungspolitik des jüdischen Volkes eingestellt war?


LAMMERS: Ob er diese Auffassung gehabt hat oder nicht, das weiß ich nicht. Mir gegenüber hat er das Entgegengesetzte geäußert, und ich kann nur das als Zeuge bekunden, was er mir gesagt hat und nicht das, was er irgendwo anders gesagt hat.


MAJOR ELWYN JONES: Sehen Sie, diesem Gerichtshof sind Auszüge aus Franks Tagebuch vorgelesen worden, in denen er erklärt: »Ich werde daher den Juden gegenüber...« und das steht auf Seite 12 des deutschen Textes, »Ich werde daher den Juden gegenüber grundsätzlich nur von der Erwartung ausgehen, daß sie verschwinden.« Und über die dreieinhalb Millionen Juden im Generalgouvernement sagt er:

»Diese 3,5 Millionen Juden können wir nicht erschießen, wir können sie nicht vergiften, werden aber doch Eingriffe vornehmen können, die irgendwie zu einem Vernichtungserfolg führen... Das Generalgouvernement muß genau so judenfrei werden, wie es das Reich ist.«

Und Sie sagen, Frank habe nie ähnliche Ansichten Ihnen gegenüber geäußert?

LAMMERS: Wenn Herr Frank in seinem Tagebuch das schreibt, und wenn er es wirklich gesagt hat, dann steht es im Widerspruch zu dem, was er mir gesagt hat. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

MAJOR ELWYN JONES: Wußten Sie, daß in Franks Tagebuch steht, daß am 9. September 1941 dreieinhalb Millionen Juden im [130] Generalgouvernement vorhanden waren und daß er in seiner Eintragung vom 2. August 1943 sagt, daß nur noch einige Arbeitskompanien geblieben sind? Wußten Sie das nicht?


LAMMERS: Daß das geschehen ist, weiß ich nicht, weil er mir nichts davon gesagt hat. Was er in seinem Tagebuch geschrieben hat, das muß er selber verantworten, ob er es getan hat oder nicht getan hat, muß von ihm festgestellt werden. Ich habe von dieser Sache nichts gewußt.


MAJOR ELWYN JONES: Angesichts Ihrer Übersetzung des Wortes »Ausscheidung« mit »Evakuierung« sagt Frank in Verbindung mit jenen Millionen, von denen der Gerichtshof weiß, daß sie ermordet wurden: AU die anderen sind, sagen wir, ausgewandert. Gebrauchen Sie das Wort »auswandern« in einem ebenso zynischen und brutalen Sinne?


LAMMERS: Ich bin nicht in der Lage, Franks Tagebuch zu kommentieren. Das muß Herr Frank selber tun.


MAJOR ELWYN JONES: Zeuge! Sie waren vom Beginn an dieser Terrorgeschichte beteiligt, weil Sie bei dem Entwurf der Gesetzgebung für die Durchführung dieser Rassenverfolgung mitgeholfen haben, nicht wahr? Ist das nicht so? Haben Sie nicht Ihre Unterschrift unter die Führerweisung gesetzt, die Himmler ermächtigte, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um jene rassischen Elemente aus dem Reichsgebiet zu entfernen, die Sie als Nazi nicht schätzten.


LAMMERS: Ich kann mich nicht entsinnen, daß ich irgendwelche Unterschrift unter solche Sachen gesetzt habe.


MAJOR ELWYN JONES: Nun, dann werde ich es Ihnen zeigen. Es ist Dokument 686-PS, US-305. Das ist ein »Erlaß des Führers und Reichskanzlers zur Festigung deutschen Volkstums«. Das ist die Überschrift. Er ist vom 7. Oktober datiert.


LAMMERS: Ja, der Erlaß ist mir bekannt.


MAJOR ELWYN JONES: Ich wußte, daß es Sie nicht überraschen wird.


LAMMERS: Da steht aber doch nichts davon drin, von dem was Sie behaupten.


MAJOR ELWYN JONES: Wollen Sie sich bitte den ersten Satz ansehen:

»Dem Reichsführer-SS obliegt nach meinen Richtlinien:

1. Die Zurückführung der für die endgültige Heimkehr in das Reich in Betracht kommenden Reichs- und Volksdeutschen im Ausland.

[131] 2. Die Ausschaltung des schädigenden Einflus ses von solchen volksfremden Bevölkerungsteilen, die eine Gefahr für das Reich und die deutsche Volksgemeinschaft bedeuten.«

Es heißt dann weiter:

»Die Gestaltung neuer deutscher Siedlungsgebiete durch Umsiedlung...«

und es wird erklärt:

»Der Reichsführer-SS ist ermächtigt, alle zur Durchführung dieser Obliegenheiten notwendigen Maßnahmen zu treffen.«

Sie haben diesen Erlaß unterschrieben, nicht wahr?

LAMMERS: Das ist richtig, da steht aber doch nichts davon drin, daß Juden getötet werden sollen, hier steht von der Ausschaltung eines schädigenden Einflusses von volksfremden Bevölkerungen Es steht nicht einmal von der Ausschaltung von Volksfremden, sondern es steht nur von der Ausschaltung des schädigenden Einflusses von volksfremden Bevölkerungsteilen. Eine Einflußbeseitigung von irgendwelchen Personen bedeutet ja noch lange nicht eine Beseitigung der Person selber.

MAJOR ELWYN JONES: Wollen Sie als Leiter der Reichskanzlei und als der Mann, der alle Geheimnisse des Dritten Reiches kannte, diesem Gerichtshof erklären, daß Sie von den Ermordungen von Millionen, über Millionen, die unter dem Nazi-Regime stattfanden, keine Kenntnis hatten?

LAMMERS: Das will ich sagen, daß ich davon nicht gewußt habe, bis zum Augenblick, als ich in den Tagen des Zusammenbruches, das ist Ende April 1945, Anfang Mai, durch ausländische Sender solche Nachrichten gehört habe, die ich damals noch nicht glaubte, vielmehr erst später, als ich mehr Material hier aus den Zeitungen erfahren habe. Wenn heute von der Ausschaltung eines schädigenden Einflusses von volksfremden Bevölkerungsteilen die Rede ist, so bedeutet das noch lange nicht Vernichtung. Nicht mit einem Wort hat der Führer von Ermordungen gesprochen, nicht mit einem Wort ist von irgendeinem solchen Plan die Rede gewesen.


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte, daß Sie jetzt Ihre Aufmerksamkeit dem Angeklagten Rosenberg zuwenden. Sie haben ausgesagt, daß Sie über einige von den großen militärischen Operationen des Dritten Reiches erst durch die Zeitungen erfahren haben. Haben Sie auch aus den Zeitungen von dem Plan der Nazis erfahren, in die Sowjetunion einzudringen?


LAMMERS: Das habe ich erst gewußt, von einem Angriffskrieg gegen Rußland, als er vollzogen wurde. Der Führer hat vorher mit keinem Ton von einem Angriffskrieg gegen Rußland gesprochen, sondern lediglich gesprochen von kriegerischen Verwicklungen mit [132] Rußland, die in Aussicht stehen könnten, und die habe ich nicht ausgelegt als einen Angriffskrieg auf Rußland.


MAJOR ELWYN JONES: Wußten Sie, daß der Krieg zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion auf Seite Nazi-Deutschlands ein Verteidigungskrieg war?


LAMMERS: Der Führer hat mir nichts anderes gesagt, als was ich hier schon erklärt habe: Es sind Truppenzusammenziehungen beobachtet worden, die darauf schließen lassen, daß es zu kriegerischen Verwicklungen mit Rußland kommt. Ich will für alle Fälle vorbereitet sein und deshalb soll Herr Rosenberg sich mit den Ostfragen beschäftigen.

Mehr habe ich nicht erfahren und ich habe mit keinem Ton gewußt, daß ein Angriffskrieg gegen Rußland erfolgen solle.


MAJOR ELWYN JONES: Einen Augenblick bitte.


LAMMERS: Man hat aus verschiedenen Momenten schließen können, daß wir einen Angriff zu gewärtigen haben, jedenfalls ist es uns, soweit wir informiert worden sind, so dargestellt worden.


MAJOR ELWYN JONES: Aber Sie, Zeuge, Sie wußten, daß Hitler bereits am 20. April 1941 die Einzelheiten des Angriffs gegen die Sowjetunion vorbereitete. Sehen Sie sich bitte Dokument 865-PS, Beweisstück US-143, an. Dieses Dokument ist, wie Sie sehen werden, ein Erlaß des Führers vom 20. April 1941. Ich möchte Sie daran erinnern, daß die Invasion der Sowjetunion durch Nazi-Deutschland erst am 22. Juni erfolgte. Am 20. April unterzeichneten Sie diesen Erlaß, laut welchem Hitler Rosenberg zu seinem »Beauftragten für die zentrale Bearbeitung der Fragen des osteuropäischen Raumes« ernannte.


LAMMERS: Ja, das ist richtig, aber ich habe vorher auch nie etwas anderes ausgesagt. Das war der Auftrag, der erste Auftrag, den Rosenberg bekam, und bei dieser Gelegenheit hat der Führer sich über die kriegerischen Verwicklungen mit Rußland ausgelassen und da ist die Vollmacht für Rosenberg ausgestellt worden.


MAJOR ELWYN JONES: Einen Augenblick bitte. Beantworten Sie bitte die Frage, die ich Ihnen jetzt stelle. Erklärungen können Sie später geben. Sehen Sie sich das Dokument 865-PS weiter unten an. Sie sehen, es ist ein Brief von Ihnen an Keitel vom 21. April, in welchem Sie sagen:

»Anbei übersende ich Ihnen Abschrift eines Führererlasses vom 20. ds. Mts., mit dem der Führer den Reichsleiter Alfred Rosenberg zu seinem Beauftragten für die zentrale Bearbeitung der Fragen des osteuropäischen Raumes bestellt hat. Reichsleiter Rosenberg soll in dieser Eigenschaft für eine [133] möglicherweise sich ergebende Zwangslage mit größter Beschleunigung alle erforderlichen Vorbereitungen treffen.«

Wollen Sie sagen, daß Ihre und Rosenbergs Tätigkeit zu jener Zeit nichts mit Angriffsplänen seitens Nazi-Deutschlands zu tun hatte?

LAMMERS: Keinesfalls will ich das sagen. Der Führer hat mit der Zwangslage das gemeint, was ich vorhin gesagt habe, daß der Führer glaubte, es käme mit Rußland zu kriegerischen Verwicklungen. Das war die Zwangslage, die dazu führte, daß Rosenberg den Auftrag bekam. Es ist doch hier mit keinem Ton von einem Angriffskrieg die Rede, und in der Tat war auch nicht davon die Rede.

MAJOR ELWYN JONES: Sie wissen, daß Rosenberg mit anderen Regierungsstellen des Dritten Reiches in Verbindung stand im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Angriffskrieges gegen die Sowjetunion? Wochen vor dem Einfall, nicht wahr?


LAMMERS: Auf wen soll er Einfluß gehabt haben? Ich habe nicht verstanden, auf wen er Einfluß gehabt haben soll?


MAJOR ELWYN JONES: Ich bin vielleicht nicht verstanden worden. Er arbeitete mit anderen Ressorts des Dritten Reiches zusammen, schon Wochen vor der Invasion?

LAMMERS: Er mag in Erfüllung seines Auftrags mit anderen Ressorts gearbeitet haben. In welchem Umfang er dies getan hat und mit welchem Ziel, das weiß ich nicht, und welche nähere Aufträge der Führer ihm gegeben hat, das weiß ich auch nicht.


MAJOR ELWYN JONES: Aber Sie wissen wenigstens, daß Hitler Rosenberg vor seinem Amtsantritt die Hauptprinzipien der Nazi-Politik für die besetzten Gebiete der Sowjetunion klar machte, nicht wahr? Sie wohnten der Konferenz Hitlers am 16. Juli 1941 bei, als dieser seine Prinzipien und Ziele hinsichtlich der Sowjetunion darlegte?


LAMMERS: Das ist nach Ausbruch des Krieges gewesen, aber nicht vorher. Vorher ist mir gegenüber von einem Angriffskrieg nicht die Rede gewesen.


MAJOR ELWYN JONES: Sie sagten, daß Rosenberg ein Mann war, der an eine liberale Behandlung der von den Nazi-Armeen Eroberten glaubte. Sie waren doch bei Hitlers Konferenz im Juli 1941 anwesend, in den allerersten Wochen der verantwortlichen Tätigkeit dieses Mannes, und Sie hörten, wie Hitler in dieser Konferenz ein Programm des Schreckens, der Brutalität und der Ausbeutung aufstellte? Nicht wahr?


LAMMERS: Bereits am 16. Juli hat Herr Rosenberg dagegen Bedenken erhoben gehabt.

[134] MAJOR ELWYN JONES: Aber diese Zweifel veranlaßten ihn nicht, seine Funktion aufzugeben. Er behielt sie so lange, bis seine Stellung im Osten durch die Rote Armee ziemlich unbequem wurde, nicht wahr?


LAMMERS: Ja, er hat aber immerhin die gemäßigten Prinzipien verfolgt. Ich meine, ich habe mich ja auch nur generell über die Tätigkeit Rosenbergs ausgesprochen und ich kann ja alle Spezialmaßnahmen, die er getroffen hat, nicht kundgeben, und ich kann ja auch nur das sagen, was Rosenberg mir gesagt hat und worüber er sich bei mir beschwert hat und was er mir als seine Ziele dargestellt hat. Wenn er in der Tat irgendwie anders gehandelt hat, dann weiß ich das nicht.


MAJOR ELWYN JONES: Die Konflikte zwischen Rosenberg und Koch, dem Reichskommissar für die Ukraine, waren Ihnen bekannt, nicht wahr?


LAMMERS: Die kannte ich zur Genüge, ja. Da war immer Rosenberg der Mann, der für die Mäßigung und für eine vernünftige Handhabung aller politischen Maßnahmen war, und Koch war derjenige, der zur radikalen Seite neigte.


MAJOR ELWYN JONES: Wenn Sie sagen: »Zur radikalen Seite«, was meinen Sie damit? Massenmord?

LAMMERS: Nein, das meine ich keinesfalls.


MAJOR ELWYN JONES: Aber Sie haben tatsächlich gewußt, daß Koch ein Mörder war?


LAMMERS: Daß Koch ein Mörder gewesen ist?


MAJOR ELWYN JONES: Ja.


LAMMERS: Ich kenne Einzelheiten nicht dazu, ich habe keine Aufsicht darüber gehabt.


MAJOR ELWYN JONES: Dann werde ich Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken. Betrachten Sie das Dokument 032-PS, Beweisstück GB-321. Dieses Dokument wurde noch nicht vorgelegt. Es ist ein Bericht von Rosenberg an Himmler vom 2 April 1943 mit einer Kopie an Sie. Es ist ein Bericht über die Ermordung der Bevölkerung im Zuman-Waldgebiet, um dort ein Jagdgebiet für den Reichskommissar Koch zu schaffen.


LAMMERS: Diese Beschwerde ist mir bekannt, und die habe ich sogar beim Vortrag zum Führer gebracht. Herr Rosenberg hat sich darüber beschwert, daß der Reichskommissar Koch ein größeres Waldgebiet hat säubern lassen, auch von allen Ortschaften, weil er dort die Jagd haben wollte. Das ist mit dem Führer als Beschwerdepunkt von Rosenberg vorgetragen worden.

[135] MAJOR ELWYN JONES: Und das Wort »säubern«, bedeutet das Aussiedlung oder bedeutet es Mord?


LAMMERS: »Säubern« heißt: Das Gebiet freimachen.


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte nicht, daß Sie das Dokument schon zumachen. Ich möchte, daß Sie dieses Dokument ansehen, weil Sie gerade leugneten, gewußt zu haben, daß Koch ein Mörder war. Der Absatz 2 dieses Berichts lautet:

»Nun erhalte ich folgende Meldung eines alten Parteigenossen, der neun Monate in Wolhynien und Podolien gearbeitet hat zwecks Vorbereitung für die Übernahme eines Gebietskommissariats oder einer Hauptabteilung im Generalbezirk Wolhynien und Podolien. Diese Meldung lautet:

›Auf Anordnung von höchster Stelle wurde die Aussiedlung des gesamten Rayons Zuman in die Wege geleitet. Deutsche und Ukrainer erzählten gleichermaßen, daß dies geschehe, weil das gesamte Waldgebiet Zuman Leibjagd des Reichskommissars werden soll. Im Dezember 1942, bei bereits grimmiger Kälte, wurde mit der Aussiedlung begonnen. Hunderte von Familien mußten über Nacht ihre ganze Habe verpacken und wurden über 60 Kilometer Entfernung umgesiedelt. Hunderte von Menschen aber hat man in Zuman und Umgebung unter Einsatz einer ganzen Polizei-Kompanie abgeknallt, weil sie kommunistisch eingestellt waren.‹ Kein Ukrainer glaubt das letztere...«

Haben Sie es nicht gefunden, Zeuge? Ich möchte, daß Sie es lesen. Haben Sie es gefunden?

LAMMERS: Nein, ich habe es noch nicht gefunden.

MAJOR ELWYN JONES: Gewiß, es ist sehr schwer, diesen in Verlegenheit bringenden Stellen des Dokuments zu folgen.


LAMMERS: Ja, ich habe die Stelle gefunden.


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte den letzten Satz noch einmal lesen, um Ihre Erinnerung an diese Morde etwas aufzufrischen:

»Hunderte von Menschen aber hat man in Zuman und Umgebung unter Einsatz einer ganzen Polizei- Kompanie abgeknallt, ›weil sie kommunistisch eingestellt waren‹. Kein Ukrainer glaubt das letztere und auch die Deuteten sind über dieses Argument verwundert, denn dann hätte man zur gleichen Zeit – und wenn es schon um der Sicherheit des Landes willen geschah – auch in anderen Rayons kommunistisch verseuchte Elemente exekutieren müssen. Es wird im ganzen Land vielmehr eindeutig behauptet, daß man diese [136] Menschen ohne Urteil lediglich abgeschossen hat, weil die Umsiedlung zu umfangreich und in der Kürze der verfügbaren Zeit aussichtslos war und im übrigen am neuen Ansiedlungsort nicht genügend Raum zur Verfügung stand!«

Wollen Sie behaupten, nachdem Sie diesen Bericht gelesen haben, daß Sie nicht wußten, daß Koch ein Mörder war?

LAMMERS: Ich habe auf diesen Bericht hin alles getan, was ich nur tun konnte. Der Bericht ist sofort dem Führer vorgelegt worden, und wenn das so war, dann will ich zugeben, daß das Mord war. Dieser Bericht ist mir heute nicht mehr in Erinnerung. Wenn er die Leute gemordet hat, dann ist er ein Mörder. Ich bin kein Richter über Herrn Koch.

In dieser Sache hat sich Rosenberg sehr stark beschwert. Die Sache ist sofort an den Führer gebracht worden.


MAJOR ELWYN JONES: Rosenberg blieb weiterhin im Amte mit diesem Mann als einem seiner Kommissare, nicht wahr?


LAMMERS: Der Führer hat die Entscheidung übertragen an Bormann und an mich und hat Rosenberg vertröstet. Herr Rosenberg hatte wiederholt Rücktrittsabsichten, konnte sie aber nicht ausführen.


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte mich nun mit einem anderen Gebiet befassen, so daß Sie dem Gerichtshof weitere Auskünfte über die Zustände in den besetzten Gebieten geben können, denn aus dem Material, das ich Ihnen hier allgemein vorlege, geht her vor, daß dort Kämpfe um die Macht zwischen rücksichtslosen Männern stattgefunden haben und daß in diesem Gebiet, das unter der Nazi-Kontrolle stand, nicht ein einziger war, der für menschlichen Anstand, für menschliches Erbarmen eintrat. Sie haben sich auch nicht für solche Dinge bemüht, oder doch?


LAMMERS: Ich habe nicht verstanden, was wollte ich nicht einführen? Es wird hier fortwährend dazwischen gesprochen. Wollen Sie mir die Frage bitte noch einmal wiederholen?


MAJOR ELWYN JONES: Sie, in der Stellung, in der Sie sich befanden, stellten sich nicht auf die Seite der menschlichen Anständigkeit in diesem Regime, nicht wahr?


LAMMERS: Ich habe mich immer auf der Seite des menschlichen Anstands und des Mitleids befunden. Ich habe immer solche Sachen getan. Ich habe vielleicht 100000 bis 220000 Juden das Leben gerettet.


MAJOR ELWYN JONES: Alles, was Sie getan haben, war, Vernichtungsberichte an die Himmler, Bormanns und Hitler weiterzuleiten, war das nicht so?


[137] LAMMERS: Vernichtungsbefehle habe ich nicht weitergegeben.


MAJOR ELWYN JONES: Hier ist eine Sache, die durch Ihre Hände ging, bezüglich des Angeklagten Keitel und der rücksichtslosen Politik, die Terboven gegen das norwegische Volk geführt hat. Ich verweise Sie auf das Dokument...


LAMMERS: Ich habe Herrn Keitel lediglich um eine Stellungnahme gebeten und habe mich beim Führer gegen die Geiselerschießung eingesetzt, wofür meine Beamten Zeugen sind.


MAJOR ELWYN JONES: Ich verweise Sie auf Dokument 871-PS, Beweisstück GB-322. Es ist ein Brief von Keitel an Sie und bezieht sich auf einen Bericht von Terboven, Dokument 870-PS, das mein Kollege, Sir David Maxwell-Fyfe, im Zusammenhang mit dem Angeklagten Keitel vorgelegt hat.

Dieser Brief, Dokument 871-PS, ist ein Brief von Keitel an Sie. Im ersten Absatz steht:

»Zur Frage der Sabotagebekämpfung in Norwegen schließe ich mich der Auffassung des Reichskommissars für die besetzten norwegischen Gebiete insoweit an, als ich mir von Repressalien nur dann einen Erfolg verspreche, wenn sie rücksichtslos durchgeführt werden und Reichskommissar Terboven zur Vornahme von Erschießungen ermächtigt ist.«

LAMMERS: Das habe ich dem Führer vorgelegt. Ich habe mich gleichzeitig gegen die Geiselerschießung ausgesprochen und habe beim Führer einen Erfolg mit meinem Antrag gehabt.

MAJOR ELWYN JONES: In welcher Richtung hatten Sie Erfolg?


LAMMERS: Der Führer hat sich in einer Besprechung, bei der Terboven anwesend war, ausdrücklich dahin ausgesprochen, daß Geiselerschießungen nicht in dem Umfang stattfinden sollten wie er sie wollte, und wie sie auch anderweitig gewünscht wurden. Es sollten Geiseln nur genommen werden aus dem unmittelbaren Kreis der Täter.


MAJOR ELWYN JONES: Also, der Erfolg Ihrer Intervention war der, daß die Morde nicht in dem Ausmaß stattfanden, wie Terboven sie ausführen wollte, nicht wahr?


LAMMERS: Richtig, Terboven wollte in weitem Umfang Geiselerschießungen vornehmen und die hat der Führer nicht gebilligt und ich habe mich gegen jede Geiselerschießung ausgesprochen. Dafür sind die Herren von der Reichskanzlei meine Zeugen, die das wissen.


MAJOR ELWYN JONES: Und als Resultat...


[138] LAMMERS: Ja richtig, das Schreiben habe ich bekommen. Die Sache hat sich so entwickelt, daß ich erst von Terboven den Antrag bekommen habe, und da habe ich an Feldmarschall Keitel geschrieben und ihm mitgeteilt, daß ich die Absicht hätte, beim Führer Terbovens Antrag vorzutragen, ich bäte um seine Stellungnahme, dann ist ein Fernschreiben von Feldmarschall Keitel gekommen und dann hat der Vortrag beim Führer stattgefunden.

Da ist der Antrag Terbovens sehr stark herabgemildert worden. Der Führer hat sich auf den Standpunkt gestellt, in erster Linie sollten die Verbrecher erfaßt werden, und nur wenn es nötig ist, sollen Geiseln festgenommen werden. Von Erschießung war überhaupt nicht die Rede.


MAJOR ELWYN JONES: Aber Zeuge, Sie wissen doch sehr gut, daß in allen Gebieten, wo die Nazi-Gewalt regierte, Geiseln genommen wurden; Väter und Mütter wurden getötet für die Taten ihrer Söhne gegen das Nazi-Regime. Wollen Sie sagen, daß Sie das nicht wußten?


LAMMERS: Nein, ich habe das nicht gewußt, denn ich bin ja nicht Aufsichtsperson für die besetzten Gebiete gewesen und bin selbst nicht dort gewesen.


MAJOR ELWYN JONES: Aber Sie haben regelmäßige Berichte von dort erhalten. Sie waren das Verbindungsglied zwischen den Ministern der besetzten Gebiete und Hitler, Einen Augenblick, Sie waren das Verbindungsglied zwischen... Wollen Sie sich bitte meine Frage anhören.

Sie waren das Verbindungsglied zwischen den Ministern der besetzten Gebiete und Hitler, nicht wahr?


LAMMERS: Nicht in allen Fällen. Ein großer Teil ist den Weg über Bormann gegangen, ganz besonders Terboven. Herr Terboven hat, und das können meine Beamten in der Reichskanzlei bezeugen, den Weg über mich dauernd übergangen und hat die Berichte normalerweise alle über Bormann geschickt.


MAJOR ELWYN JONES: Aber Sie haben doch Hand in Hand mit Bormann gearbeitet, nicht wahr?


LAMMERS: Ja, ich mußte ja mit ihm zusammenarbeiten.


MAJOR ELWYN JONES: Sie mußten mit ihm zusammenarbeiten? Sie waren doch Chef der Reichskanzlei?


LAMMERS: Ich mußte für meine Vorträge beim Führer den Weg über Bormann gehen und ich mußte mit Bormann eng zusammenarbeiten, um das Einverständnis der Partei zu haben in einer ungezählten Menge von Fällen, wo dieses Einverständnis der Partei vorgeschrieben war, und deshalb ist meine Zusammenarbeit mit Bormann zwangsläufig eng gewesen.


[139] MAJOR ELWYN JONES: War es Ihnen nicht widerwärtig, mit Bormann zusammenzuarbeiten?


LAMMERS: Es war mir nicht widerwärtig. Es war meine Pflicht, mit ihm zusammenzuarbeiten.


MAJOR ELWYN JONES: Ich behaupte nämlich, Herr Zeuge, daß die Macht, die Sie und Bormann ausübten, ungeheuer groß war.


LAMMERS: Ja, die Ausübung war auch sehr einseitig, denn Bormann konnte täglich zum Führer gehen und ich alle sechs oder acht Wochen. Herr Bormann hat mir die Entscheidung des Führers übermittelt und hat den persönlichen Vortrag gehabt, und ich habe ihn nicht gehabt.


MAJOR ELWYN JONES: Sie haben doch ganz bis zum Schluß versucht, Ihre Zusammenarbeit mit Bormann aufrechtzuerhalten, nicht wahr?


LAMMERS: Ich mußte mit Bormann zusammenarbeiten, das war das einzige Mittel, gewisse Dinge überhaupt noch an den Führer heranzubringen. Ich habe in den letzten acht Monaten der Regierungszeit des Führers keinen Vortrag mehr gehabt, und was ich erreichen konnte, konnte ich nur auf dem Wege über Bormann erreichen.


MAJOR ELWYN JONES: Wissen Sie noch, Sie haben noch am 1. Januar 1945 einen Brief an Bormann geschrieben, Beweisstück D-753-A, GB-323?


LAMMERS: Ja, ich erinnere mich. Der Brief enthält, wenn ich ihn jetzt nachlese, kann ich es aus dem Gedächtnis sagen, meine Beschwerde darüber, daß ich beim Führer absolut nicht mehr zum Vortrag herankomme und daß es so nicht weitergehen kann.


MAJOR ELWYN JONES: Und Sie schrieben in dem Brief im vorletzten Absatz:

»Denn unser bisheriges einmütiges Zusammenarbeiten ist ja schon seit langem diesem oder jenem ein Dorn im Auge, weil man uns lieber gegeneinander ausspielen möchte.«

Das ist der vorletzte Absatz in Ihrem Brief, ganz am Ende.

LAMMERS: Wo soll das stehen?

MAJOR ELWYN JONES: Der vorletzte Absatz in Ihrem Brief, der drittletzte Satz.


LAMMERS: Der vorletzte Satz?


MAJOR ELWYN JONES: Der Satz davor.


LAMMERS: »Zum Schluß möchte ich noch sagen« – meinen Sie diesen Absatz?


[140] MAJOR ELWYN JONES: Den Satz zuvor. »Denn unser bisheriges einmütiges Zusammenarbeiten...«

LAMMERS: Ja, aber ich möchte nur weiter anfügen, daß ich zum Schluß wieder den Wunsch über die guten persönlichen Beziehungen ausgesprochen habe und wiederhole, daß das ein Neujahrsbrief ist, ein Brief zum neuen Jahr, in dem ich, wenn ich jemand beglückwünsche, nicht schreiben kann, es hat im vergangenen Jahr schlecht gestanden, sondern ich schreibe, um das gute Einvernehmen aufrechtzuerhalten, es ist alles gut gegangen.


MAJOR ELWYN JONES: Sie haben nicht versucht, die Verantwortung in dieser Angelegenheit auf Bormann abzuschieben? Sie waren das Bindeglied zwischen den besetzten Gebieten und Hitler?


LAMMERS: Das war ich, aber nicht ausschließlich, nur für die Dinge zweiter Ordnung. Die Reichskommissare unterstanden dem Führer unmittelbar.


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte Ihnen nunmehr einige Fragen vorlegen, und zwar nicht über den Terror, der in den besetzten Gebieten herrschte, sondern über den Terror in Deutschland selbst. Sie haben in Bezug auf den Angeklagten Frick ausgesagt, daß er als Innenminister in Wirklichkeit machtlos war, ein Strohmann. Das ist ungefähr der Sinn Ihrer Aussage. Nicht wahr?


LAMMERS: Ich habe gesagt, daß er auf die Polizei keinen Einfluß gehabt hat.


MAJOR ELWYN JONES: Wußten Sie denn nicht, daß Berufungen gegen Verhaftungen in Konzentrationslagern an Frick geleitet wurden?


LAMMERS: Ja, viele Fälle sind an Frick weitergeleitet worden.


MAJOR ELWYN JONES: Wissen Sie, ob er seine Macht in irgendeiner wirksamen Art für die Opfer in diesen Lagern ausübte? Haben Sie meine Frage nicht gehört?


LAMMERS: Ja, man kann nicht alles verstehen, man versteht ja nur die Hälfte. Es sind dauernd fremde Stimmen dazwischen. Da ist es besser, ich nehme den Hörer ab.


MAJOR ELWYN JONES: Nein, setzen Sie den Hörer ruhig wieder auf, setzen Sie ihn wieder auf, wollen Sie? Setzen Sie den Hörer wieder auf, versuchen Sie es mit Geduld, mit ein bißchen Geduld.

Ist es nicht eine Tatsache, daß Frick der Mann war, an den Gesuche um Freilassung aus Konzentrationslagern gerichtet wurden?


LAMMERS: Solche Petitionen sind selbstverständlich bei Frick eingegangen; sie sind aber auch sehr zahlreich bei mir eingegangen und ich habe diese Dinge bearbeitet, indem ich sie als Eingaben an den Führer betrachtet habe. Sie sind dort sorgfältig bearbeitet [141] worden und ich habe auch in zahlreichen Fällen die Freilassung gewisser Leute herbeigeführt auf diesem Wege.


MAJOR ELWYN JONES: Aber was hat Frick als zuständige Instanz in dieser Sache getan?


LAMMERS: Frick hat solche Beschwerden vielfach an mich weitergegeben behufs Vortrag beim Führer. Was er aber im übrigen mit allen anderen Beschwerden veranlaßt hat, kann ich ja nicht wissen.


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte, daß Sie sich ein Affidavit des Juristen Dr. Sidney Mendel anhören, Beweisstück 3601-PS.

Er erklärt, Doktor der Rechte zu sein und bis Ende 1938 Mitglied der Berliner Anwaltskammer und an deutschen Gerichten als Anwalt zugelassen. Sein Wohnsitz ist jetzt 85-20 Elmhurst Avenue, Elmhurst, Staat New York.

In seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt behandelte er zahlreiche Konzentrationslagerfälle in den Jahren 1933 bis 1938. Er erinnert sich genau, daß er sich in den Jahren 1934/35 zwecks Freilassung von Konzentrationslagerhäftlingen verschiedentlich an Fricks Reichsinnenministerium wandte, das die der Gestapo übergeordnete Behörde war. Fricks Ministerium hatte besondere Überwachungsfunktionen über die Konzentrationslager.

Der Aussagende gibt weiter an, daß er das Ministerium über widerrechtliche Verhaftungen, Prügelstrafen, Folterungen und Mißhandlungen von Häftlingen unterrichtet habe, daß aber das Ministerium die Entlassung von Häftlingen ablehnte und die Entscheidung der Gestapo aufrechterhielt. Das war Fricks Haltung in diesen Dingen, nicht wahr?


LAMMERS: Ja, ich weiß nicht, was Frick auf eingehende Beschwerden veranlaßt hat. Da müssen Sie Herrn Dr. Frick fragen.


MAJOR ELWYN JONES: Aber Sie haben doch zur Entlastung Fricks ausgesagt. Wenn Sie jetzt sagen, daß Sie nichts über ihn wissen, will ich Sie nicht weiter belästigen mit dem Fall Frick; aber Sie haben doch über ihn ausgesagt?


LAMMERS: Ich konnte nur die große Linie, sein Verhältnis zur Polizeiaussagen, ich kann doch unmöglich wissen, was Herr Frick auf eingehende Schreiben veranlaßt hat.


MAJOR ELWYN JONES: Sie haben ausgesagt, daß Frick auch im Protektorat Böhmen und Mähren ein machtloser Mann war. Das war das Resumé Ihrer Aussage, nicht wahr?

LAMMERS: Ich habe da ausgesagt, daß er mehr eine dekorative Persönlichkeit war. Das schließt ja aber nicht aus, daß er irgendwelche Eingaben und Gesuche bekommen hat, und was er für richtiggehalten hat, das weiß ich nicht.


[142] MAJOR ELWYN JONES: Sie sagen, es war eine dekorative Persönlichkeit. Das ist nun eine Geschmackssache. Aber eine seiner Funktionen war jedenfalls, daß er zu entscheiden hatte, ob Todesurteile in seinem Gebiet ausgeführt werden sollten oder nicht. Das ist doch für die Leute, die im Protektorat Böhmen und Mähren wohnen, keine geringfügige Sache.


LAMMERS: Ja, bitte schalten Sie das Wort »dekorativ« aus, ich meinte in der Hauptsache mehr dekorativ als sachlich, wie es zum Beispiel ein Staatsoberhaupt ist, das auch nur für gewisse Angelegenheiten zuständig ist, und so war Frick es hier auch. Er war die deutsche Spitze und hatte die Gnadensache. Das war natürlich eine sehr wichtige Angelegenheit, das bezweifle ich nicht.


MAJOR ELWYN JONES: Sie wissen doch genau, Zeuge, daß es in der Macht Fricks lag, Todesurteile aufzuheben, die in Böhmen und Mähren gefällt wurden?


LAMMERS: Sicher, das stand in seiner Macht, da besteht kein Zweifel.


MAJOR ELWYN JONES: Und ich behaupte jetzt, daß Frick weder Gnade noch einen mildernden Einfluß walten ließ, sondern daß er im Gegenteil zu brutalen Mitteln gegen die Opfer der Nazi-Verwaltung in diesem unglücklichen Teil Europas griff.


LAMMERS: Das Gnadenrecht war Frick nach seinem pflichtgemäßen Ermessen überlassen. Wie er es ausgeübt hat, nach welchen inneren Grundsätzen, ist mir unbekannt.


MAJOR ELWYN JONES: Sie hatten mit Frick und dem Justizministerium bezüglich der Entwürfe der Strafgesetze gegen Polen und Juden in den angeschlossenen Ostgebieten zu tun, nicht wahr?


LAMMERS: Da schwebte einmal ein Verfahren beim Justizministerium, in dem auch das Justizministerium mit mir korrespondiert hat. Es ist aber, glaube ich, aus der Sache nichts herausgekommen.


MAJOR ELWYN JONES: Sie haben bei dem Entwurf dieser Gesetze nicht mitgewirkt?


LAMMERS: Nein, ich kenne sie nicht und ich glaube, es ist überhaupt kein besonderes Gesetz ergangen, sondern wie ich mich entsinne, ist die Rechtfestset zung den Gauleitern überlassen worden. Ich weiß nicht


MAJOR ELWYN JONES: Die Gesetze wurden den Gauleitern überlassen, also Koch, Frank und Rosenberg. Ging das so vor sich?


LAMMERS: Nein, es handelt sich hier jetzt um die Provinzen Westpreußen und Posen; darüber ist korrespondiert worden.


[143] MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte nun, daß Sie einige Fragen hinsichtlich Sauckel beantworten.


VORSITZENDER: Wollen wir die Sitzung für zehn Minuten unterbrechen?


MAJOR ELWYN JONES: Wenn Euer Lordschaft es wünschen.


[Pause von 10 Minuten.]


VORSITZENDER: Dr. Lammers! Können Sie mich verstehen?

LAMMERS: Ja.


VORSITZENDER: Wollen Sie bitte versuchen, die Fragen erst dann zu beantworten, wenn sie Ihnen gestellt worden sind, und nicht in die Fragen hineinsprechen. Versuchen Sie doch einen Augenblick zu warten, bis die Frage gestellt worden ist, denn für die Dolmetscher und die Stenographen ist es sehr schwer festzuhalten und zu verdolmetschen, was Sie sagen.


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte nunmehr zu Ihren Beziehungen zu Seyß-Inquart übergehen. Sie haben von ihm Berichte über die Verwaltung in den Niederlanden erhalten, nicht wahr?


LAMMERS: Es kam so, alle Vierteljahre kam ein Generalbericht, der dann an den Führer weitergeleitet wurde. Es kamen auch einzelne Berichte.


MAJOR ELWYN JONES: Und in den Niederlanden, wie überall, war der Zweck der deutschen Verwaltung, wie Sie ja wissen, das Gebiet zum deutschen Vorteil auszupressen und auszubeuten, nicht wahr?


LAMMERS: Der Zweck war natürlich, die besetzten Gebiete für unsere Kriegszwecke nutzbar zu machen. Von Ausbeutungsbefehlen ist mir nichts bekannt.


MAJOR ELWYN JONES: Den Lebensstandard zu senken, sie an den Rand des Verhungerns zu bringen, das war eines der Ergebnisse der Politik in den Niederlanden. Das wissen Sie doch, nicht wahr?


LAMMERS: Ich glaube nicht, daß man soweit gegangen ist, denn ich habe selbst in Holland Beziehungen und habe auch Verwandte in Holland gehabt, und weiß, daß man in Holland viel besser gelebt hat als wir in Deutschland.


MAJOR ELWYN JONES: Dann möchte ich Sie auf Dokument 997-PS verweisen, das bereits als Beweisstück RF-122 eingereicht worden ist. Es ist ein Brief von Ihnen an den Angeklagten Rosenberg, dem ein Bericht, den Ihnen Stabsleiter Schickedanz für den Führer übermittelt hatte, zusammen mit einem Bericht vom Reichskommissar Dr. Seyß-Inquart über die Zeitspanne vom 29. Mai [144] bis 19. Juni 1940, beigefügt ist. Auf Seite 9 Ihres Textes, Seite 5 des englischen Textes, Dokument 997-PS, finden Sie den ersten Bericht über die Umrisse der deutschen Wirtschaftspolitik in den Niederlanden. Dieser Absatz ist in Ihrer Abschrift angestrichen, daß Sie also keine Schwierigkeiten haben werden, ihn zu finden. In dem Bericht heißt es, hier handle es sich darum, den Verbrauch der Bevölkerung herabzusetzen...


LAMMERS: Daß der Verbrauch der Bevölkerung herabzusetzen sei, das ist ja im Kriege selbstverständlich. Es ist auch davon nicht die Rede, Vorräte für das Reich zu gewinnen.


MAJOR ELWYN JONES: Einen Augenblick, bitte, ich werde Ihnen den Teil vorlesen:

»Es war klar, daß mit der Besetzung der Nieder lande eine große Anzahl von wirtschaftlichen, aber auch polizeilichen Maßnahmen getroffen werden mußte, deren erstere den Zweck hatten, den Verbrauch der Bevölkerung herabzusetzen, um einerseits Vorräte für das Reich zu gewinnen, andererseits auch eine gleichmäßige Verteilung der verbliebenen Vorräte sicherzustellen.«

Das ist eine kurzgefaßte Darstellung der Wirtschaftspolitik, die Seyß-Inquart in Hinsicht auf das holländische Volk verfolgte, nicht wahr?

LAMMERS: Ja, das ist auch eine ganz vernünftige Politik, man mußte ja doch die Vorräte herabsetzen, um sie gleichmäßig zu verteilen und um für das Reich etwas zu gewinnen, und außerdem, mein Bericht ist es ja nicht, sondern der Bericht von Herrn Schickedanz, und ob er zutrifft, weiß ich auch nicht.

MAJOR ELWYN JONES: Aber der Zweck der Herabsetzung des Verbrauches der Bevölkerung war doch zugunsten des Reiches; das Gebiet der Niederlande sollte beraubt werden, damit das Reich dadurch Vorteile haben sollte, das war doch die ganze Politik, nicht wahr?


LAMMERS: Das steht keinesfalls drinnen, sondern hier steht, daß erstens für das Reich Vorräte gewonnen werden sollten und zweitens andererseits auch eine gleichmäßige Verteilung der verschiedenen Vorräte, nämlich unter den Holländern. Von einer Aus beutungspolitik steht hier nicht ein Wort.


MAJOR ELWYN JONES: Hoher Gerichtshof! Das Dokument liegt in der Originalfassung vor.

Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit jetzt auf den Angeklagten Sauckel. Zeuge, Sie waren sehr gut über Sauckels ungeheures Programm zur Versklavung der von den Nazis besiegten Völker unterrichtet, nicht wahr?


[145] LAMMERS: Ich habe das Programm Sauckels wohl in der Hand gehabt und auch seine Ausführungsbestimmungen dazu. Ich habe nicht den Eindruck gehabt, daß das ein Sklavenprogramm ist, sondern Sauckel war in seinen Ansichten immer sehr gut und sehr gemäßigt und hat sich in erster Linie Mühe gegeben, durch freiwillige Anwerbungen die Kontingente an Arbeitskräften aus dem Ausland aufzubringen, die nötig waren.


MAJOR ELWYN JONES: Wollen Sie hier behaupten, daß Sie glaubten, daß die Millionen von Fremdarbeitern, die Sauckel in das Reich schleppte, freiwillig gekommen sind?


LAMMERS: Die sind nicht alle freiwillig gekommen, zum Beispiel aus Frankreich sind sie gekommen auf Grund eines von der Französischen Regierung erlassenen Arbeitspflichtgesetzes; das ist nicht freiwillig gewesen, aber auf Grund einer Anordnung der Französischen Regierung.


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte, daß Sie sich nun einen der ersten Berichte, die Sie von Sauckel über sein Arbeitsprogramm bekommen haben, ansehen. Es ist Dokument 1296-PS, GB-325. Das beginnt mit dem Brief vom 29. Juli 1942 von Sauckel an Sie:

»Sehr verehrter Herr Reichsminister!

Anliegend gestatte ich mir, Ihnen die Abschrift eines Berichts an den Führer und den Herrn Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches zur Kenntnis zu übersenden. Heil Hitler! Ihr sehr ergebener Fritz Sauckel.«


LAMMERS: Ja, der Bericht wird bei mir eingegangen sein.

MAJOR ELWYN JONES: Ja, und Sie werden ihn vermutlich geprüft haben, nicht wahr?


LAMMERS: Ja, jetzt nicht, ich habe ihn zur Kenntnisnahme vorgelegt erhalten.


MAJOR ELWYN JONES: Und Sie haben ihn damals durchgelesen?


LAMMERS: Das nehme ich an, daß ich ihn gelesen habe, daß ich ihn überflogen habe, denn ein weiteres Interesse hatte er für mich nicht.


MAJOR ELWYN JONES: Sie können nun auf der ersten Seite dieses Berichts sehen, daß zum Beispiel da steht, daß in der Zeit vom April bis Juli 1942, das war die erste Amtszeit Sauckels als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz, daß er 1639 794 ausländische Arbeitskräfte herangeschafft hat, von denen 221009 sowjetrussische Kriegsgefangene waren. Das haben Sie doch gesehen, nicht wahr?


[146] LAMMERS: Das habe ich wahrscheinlich gelesen. Ich hatte ja keinen Anlaß gehabt, das zu beanstanden. Herr Sauckel hat ja mir nicht unterstanden, sondern Herr Sauckel unterstand an sich dem Vierjahresplan, wie hier die Überschrift zeigt, praktisch aber unterstand er dem Führer unmittelbar. Er hat dem Führer unmittelbar die Berichte geschickt, und dieser Bericht ist nur deshalb nicht weitergegeben worden an den Führer von mir aus, weil ich wußte, daß der gleiche Bericht über den Reichsleiter Bormann an den Führer gelangt ist, sonst hätte ich den Bericht dem Führer vorgelegt. Sonst hatte ich mit der Sache überhaupt nichts zu tun.


MAJOR ELWYN JONES: Aber Sie wußten doch ganz genau, daß es völlig falsch war, Soldaten, die im Kampf gefangengenommen worden waren, zur Arbeit gegen ihr eigenes Land zu zwingen?


LAMMERS: Das mußte Herr Sauckel abmachen mit den Stellen, mit denen er zu tun hatte; über diese Frage habe ich mir nicht den Kopf zerbrochen. Das war eine Sache, die Sauckel mit den zuständigen Stellen der Wehrmacht, eventuell aus völkerrechtlichen Gesichtspunkten mit dem Auswärtigen Amt und so weiter arrangierte. Ich sehe im übrigen hier auch gar nichts von Kriegsgefangenen.


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte nicht behaupten, daß Sie...


LAMMERS: Ich habe noch nichts von Kriegsgefangenen gelesen.


MAJOR ELWYN JONES: Sehen Sie sich die erste Seite des Berichts an. Da liegt kein Geheimnis vor. Sie können deutsch sehr gut lesen.


LAMMERS: Ja, ich kann aber seitenlange Berichte nicht auf einmal in einer Minute lesen.


MAJOR ELWYN JONES: Sehen Sie sich die erste Seite des Berichts an.


LAMMERS: Ja, ich lese es jetzt hier.


MAJOR ELWYN JONES: Und Sie wußten schon zu Anfang des Verhörs über diese Frage. Einen Augenblick bitte! Wollen Sie bitte warten, wenn ich spreche, bis ich fertig bin, bevor Sie mich unterbrechen, sonst kann keine prompte Übersetzung geliefert wer den. Sie sehen doch aus diesem Bericht ganz klar, nicht wahr, daß in den allerersten vier Monaten von Sauckels Karriere als Sklavenhändler, er 221009 Sowjetkriegsgefangene für diese Arbeitsmaschine bekam?


LAMMERS: Das hat mich im einzelnen nicht interessiert. Ich habe keine Aufsichtsrechte über Sauckel gehabt. Der Bericht ist eingegangen, wie er das gemacht hatte. Ob er es machen durfte, mußte er verantworten im Benehmen mit anderen Stellen. Ich bin gar nicht in eine Prüfung dieser Frage eingetreten, weil ich den Bericht nur zur Kenntnisnahme bekommen habe.


[147] MAJOR ELWYN JONES: Sie haben zur Entlastung Sauckels hier ausgesagt, daß er dagegen war, daß sich die SS auf dem Gebiet des Arbeitseinsatzes einschalten sollte. Das haben Sie doch gesagt?


LAMMERS: Nein, das habe ich nicht gesagt, ich habe nur gesagt, daß er nicht ausschließlich die SS haben wollte, sondern daß er zu einer Unterstützung die jeweils vorhandene Exekutive haben wollte; daß das natürlich in den Partisanengebieten überwiegend Polizei und SS sein mußte, ist ja klar.


MAJOR ELWYN JONES: Mit einfachen Worten, Sie wußten, daß Sauckel um weitere Unterstützung von der SS bat, um mehr Arbeiter aufzubringen, das war doch, was er wollte, nicht wahr?


LAMMERS: Ja, er konnte ja sonst in diesen Gegenden nicht arbeiten, wenn sie nicht befriedet waren.


MAJOR ELWYN JONES: Dann verweise ich Sie auf Dokument 1292-PS, Beweisstück US-225 und RF-68. Es ist der Bericht über eine Besprechung betreffend den Arbeitseinsatz im Jahr 1944, vom 4. Januar. Das Protokoll haben Sie selbst geschrieben und wenn man sich auf etwas verlassen kann, was Sie sagen, hier ist Ihr Bericht. Sie werden sehen, daß bei dieser Besprechung Hitler anwesend war, ferner Sauckel, Speer, Keitel, Milch und Himmler.


LAMMERS: Es ist da das neue Arbeitsprogramm für das Jahr 1944 festgestellt worden, wobei ich den Auftrag hatte, es den betreffenden Stellen bekanntzugeben. Ich habe an der Besprechung überhaupt nur deswegen teilgenommen, weil es sich um Maßnahmen handelte, die einer Reihe von Ressorts bekanntgegeben werden sollten, sonst hätte ich überhaupt nicht teilgenommen.


MAJOR ELWYN JONES: Und bei dieser Besprechung sagte Hitler, daß Sauckel mindestens noch vier Millionen Arbeiter für den Arbeitseinsatz beschaffen mußte, nicht wahr?


LAMMERS: Das mag sein, der Führer hat von Sauc kel mehr verlangt, als dieser glaubte leisten zu können.


MAJOR ELWYN JONES: Und Sauckel sagte, ob er das ausführen könnte, hinge im wesentlichen davon ab, welche deutschen Exekutivkräfte ihm zur Verfügung gestellt würden. Sein Unternehmen könne nicht ausgeführt werden mit örtlichen Exekutivkräften. Dann heißt es in Ihrem Protokoll weiter:

»Der Reichsführer-SS legte dar, daß die ihm zur Verfügung gestellten Exekutivkräfte außerordentlich gering seien, daß er – das heißt Himmler – aber versuchen werde, durch ihre Vermehrung und erhöhte Einspannung der Aktion Sauckel zum Ziele zu verhelfen. Für Luftschutzvorbereitungen in Wien stellte der Reichsführer-SS alsbald 2 500 Mann aus den Konzentrationslagern zur Verfügung.«

[148] Mit anderen Worten geht aus dem Bericht hervor, daß Sauckel von der SS mehr Hilfe haben wollte, und daß Himmler sagte, daß er sein Bestes tun würde, ihm zu helfen. War das nicht so?

LAMMERS: Darüber besteht gar kein Zweifel. Aber Sauckel wollte nicht ausschließlich SS-Hilfe haben, er wollte jeweils in dem betreffenden Lande die Hilfe, die gerade nötig war, von der betreffenden Stelle, wie ich schon sagte, zum Beispiel von der Feldkommandantur.

MAJOR ELWYN JONES: Und ich habe noch ein letztes Dokument über Sauckel, das ich Ihnen als 3819-PS, Beweisstück GB-306, vorlege. Ein kleiner Teil davon wurde schon von Sir David Maxwell-Fyfe in das Protokoll verlesen. Dies ist nun ein Bericht von Sauckel an Hitler vom 17. März 1944. Ich nehme an, daß Sie eine Abschrift dieses Berichts gesehen haben?

LAMMERS: Ich weiß es nicht.


MAJOR ELWYN JONES: Sehen Sie es sich bitte an. Es ist nämlich sehr aufklärend für die Haltung Sauckels zu der Hilfe durch die SS und die deutsche Polizei.


LAMMERS: Ja, das ist vom Juli 1944. Ich habe hier eines vom 11. Juli 1944 bekommen.


VORSITZENDER: Herr Elwyn Jones! Er sagt, er hat ein Dokument vom 11. Juli 1944. Das Dokument, von dem Sie sprachen, war vom 17. März 1944, nicht wahr?


MAJOR ELWYN JONES: Ja, Sie haben das Protokoll von der Konferenz, ist dem nicht ein Protokoll von Sauckel vom 17. März beigeheftet?


LAMMERS: Es ist ein Bericht vom 5. April 1944 angefügt.


MAJOR ELWYN JONES: Dann werden wir hier nicht fortfahren, Euer Lordschaft.

Wollen Sie sich bitte das Dokument vom 12. Juli ansehen, das genügt im Moment für unsere Zwecke. Sie werden sich erinnern, daß es Ihr eigener Bericht ist über die Konferenz vom 12. Juli 1944 über die verstärkte Heranziehung ausländischer Arbeitskräfte, und Sie haben diese Konferenz eröffnet, Herr Zeuge, nicht wahr?


LAMMERS: Ich war dafür immer der neutrale Boden. Wenn es Meinungsverschiedenheiten gab, so habe ich mich als den Makler angeboten...


MAJOR ELWYN JONES: Worin waren Sie denn neutral. Zeuge?


LAMMERS: Ich hatte kein Amt unter mir. Die anderen Abteilungen hatten ihre eigenen Ressortinteressen.


MAJOR ELWYN JONES: Sie waren kein ehrlicher Makler zwischen Himmler und Sauckel, nicht wahr?


[149] LAMMERS: Ich habe wiederholt den Versuch machen müssen, den Ausgleich zwischen verschiedenen Leuten herbeizuführen, und dazu hat auch unter Umständen Sauckel oder Himmler gehört, wenn sie Streitigkeiten hatten, und da brauche ich mich wohl gar nicht zu genieren, daß ich in dem Falle der ehrliche Makler gewesen bin. Ich wollte eine Einigung der beiden herbeigeführt haben, so daß es nicht nötig war, mit solchen Meinungsverschiedenheiten den Führer zu befassen.


MAJOR ELWYN JONES: Nun sehen Sie sich einmal an, wie Sie die Konferenz eröffnet haben. Sie sagen dort, es ist der zweite Satz unter Ihrem Namen:

»Er grenzte das Thema der Erörterungen dahin ab, daß an sich alle Möglichkeiten zu prüfen seien, wie das vorhandene Defizit an ausländischen Arbeitskräften gedeckt werden könnte.«

Und im nächsten Satz heißt es:

»Im Vordergrunde werde aber die Klärung der Frage stehen müssen, ob und in welcher Form ein größerer Zwang zur Arbeitsaufnahme in Deutschland ausgeübt werden könnte.«

Das wirksame Wort ist »Zwang«, wie Sie wissen.

LAMMERS: Ja, da ist an Frauenarbeit gedacht worden und an die Herabsetzung der Altersgrenze bei Jugendlichen, offenbar.

MAJOR ELWYN JONES: Dann wollen wir zum nächsten Satz Ihrer Aussage übergehen:

»Hierzu sei zu prüfen, wie die Exekutive, über deren Unzulänglichkeit der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz lebhaft Klage führe, verstärkt werden könne, einmal durch eine Einwirkung auf die ausländischen Regierungen und zum anderen durch einen Ausbau der eigenen Exekutive, sei es durch eine stärkere Einschaltung der Wehrmacht, der Polizei oder sonstiger deutscher Stellen.«

Sehen Sie, so eröffneten Sie die Konferenz.

LAMMERS: Das ist durchaus richtig, das waren die Probleme, die zu erörtern waren.

MAJOR ELWYN JONES: Um mehr Zwangsarbeiter heranzuschaffen und herauszufinden, durch welchen Polizeiterror und durch welchen Druck Ribbentrops das Resultat herbeigeführt werden könnte? Das war der Zweck Ihrer Konferenz, nicht wahr?


LAMMERS: Nein, das war er nicht, wie man Leute terrorisiert, sondern wie man behördliche Anordnungen mit der nötigen dahinterstehenden Exekutivmacht durchführt. Darin ist doch keine Terrormaßnahme zu erblicken, wenn man sagt, es muß hier etwas [150] geschehen. Ich kann Ihnen zum Beispiel einen Fall von Frankreich schildern. In Frankreich sind die von Sauckel angeworbenen Arbeiter auf Grund des französischen Arbeitsdienstpflichtgesetzes von französischen Exekutivorganen auf den Bahnhof gebracht worden zur Abfahrt. Es war alles in Ordnung...


MAJOR ELWYN JONES: Wollen Sie bitte meine Frage beantworten, wollen Sie? Sie gehen auf ein anderes Thema über.


LAMMERS: Terrormaßnahmen habe ich nicht vorgeschlagen. Bei jeder staatlichen Macht muß ein Zwang stehen und wenn man von Zwang spricht, ist das noch lange nicht Terrorisierung und noch lange nicht ein Vergehen oder Verbrechen.


MAJOR ELWYN JONES: Ich verweise nun auf den Beitrag des Generals Warlimont zu dieser Konferenz, wo er erklärte:

»Die zur Bandenbekämpfung eingesetzten Truppen übernehmen zusätzlich die Aufgabe der Gewinnung von Arbeitskräften in den Bandengebieten. Jeder, der nicht einwandfrei den Zweck seines Aufenthaltes in diesen Gebieten nachweisen kann, wird zwangsweise erfaßt.«

Und Sie sagten dann:

»Auf weitere Anfrage von Reichsminister Dr. Lammers«, auf Seite 10 des englischen Textes, »ob nicht beim Zurückgehen der Truppe die einsatzfähige Bevölkerung mitgenommen werden könne, erklärte Oberst Saas (bevollmächtigter General in Italien), Generalfeldmarschall Kesselring habe bereits angeordnet, daß die Bevölkerung in 30 Kilometer Tiefe hinter dem Frontgebiet gefangen würde.«

Der Nachdruck wurde bei dieser Konferenz auf die Anwendung von Gewalt gelegt, nicht wahr, und auf die Zusammenarbeit der Exekutivkräfte des Staates, um die erforderlichen Zwangsarbeiter für das Reich zu stellen?

LAMMERS: Ein gewisser Zwang sollte schon angewendet werden. Darüber besteht gar kein Zweifel.

MAJOR ELWYN JONES: Es bleiben mir nur noch zwei Fragen, Euer Lordschaft. Ich glaube, es ist meine Pflicht, sie dem Zeugen vorzulegen.

Zur Frage der Massenmorde an den Juden sagten Sie vor der Verhandlungspause, daß Sie selbst 200000 Juden das Leben gerettet hätten. Erinnern Sie sich, daß Sie das vor dem Gerichtshof gesagt haben?


LAMMERS: Jawohl.


MAJOR ELWYN JONES: Sie meinen, daß Sie sie vor der Vernichtung gerettet haben, nicht wahr?


[151] LAMMERS: Nein. Ich habe sie lediglich gerettet vor der Evakuierung, vor nichts anderem. Nachträglich ist mir jetzt natürlich bewußt geworden, daß ich sie in der Tat vor der Tötung gerettet habe. Sie haben...


MAJOR ELWYN JONES: Sie wissen, daß Sie ausgesagt haben, einen Augenblick, Sie haben vor dem Gerichtshof ausgesagt, daß eine Konferenz Anfang 1943 stattgefunden hätte, die sich mit jüdischen Fragen beschäftigte, zu der Sie vom Reichssicherheitshauptamt aufgefordert worden waren, einen Vertreter zu entsenden. Erinnern Sie sich, das dem Gerichtshof gesagt zu haben?


LAMMERS: Ja, da ist die Sache erörtert worden. Es war eine Referentenbesprechung.


MAJOR ELWYN JONES: Das war die berühmte Konferenz, bei der Herr Eichmann den Vorsitz führte. Wissen Sie noch?


LAMMERS: Das weiß ich nicht, denn ich bin selbst ja nicht dabeigewesen. Ich habe nur einen Beamten geschickt.


MAJOR ELWYN JONES: Die Einladung zur Teilnahme an der Konferenz kam von Kaltenbrunner, nicht wahr?


LAMMERS: Die Einladung ist vom RSHA gekommen.


MAJOR ELWYN JONES: Nicht von Kaltenbrunner persönlich?


LAMMERS: Das weiß ich nicht.


MAJOR ELWYN JONES: Und Sie haben einen Vertreter zu der Konferenz geschickt, nicht wahr?


LAMMERS: Ein Vertreter von mir mußte hingehen, und er hatte die ausdrückliche Weisung, sich lediglich als Horchposten zu verhalten und keinerlei Stellung zu nehmen, da ich mir einen Vortrag beim Führer vorbehalten habe.

MAJOR ELWYN JONES: Hatte Ihr Vertreter von Ihnen die Anweisung, keine Stellung zu nehmen; wollen Sie das dem Gericht sagen?


LAMMERS: Ja, er hatte den ausdrücklichen Befehl, das wird mein Staatssekretär, der ihn instruiert hat, bestätigen, keinerlei Stellung zu nehmen. Das konnte er sowieso nicht, Beschlüsse sind ja nicht gefaßt worden. Aber er sollte sich auch nicht persönlich äußern, weil ich die Absicht hatte, über diese Frage, die damals bezeichnet war mit dem Motto: »Endlösung der Judenfrage«, dem Führer vorzutragen. Deshalb habe ich bewußt die Weisung gegeben: Keinerlei Stellungnahme!


MAJOR ELWYN JONES: Sie haben Gottfried Bohle als Ihren Vertreter zu dieser Konferenz geschickt, nicht wahr?


[152] LAMMERS: Ich habe ihn nicht geschickt, sondern mein Staatssekretär hat ihn geschickt und er ist gar nicht mal der zuständige Herr gewesen, sondern er ist zufälligerweise...


MAJOR ELWYN JONES: Beantworten Sie kurz meine Frage, bitte. Gottfried Bohle hat Ihnen Bericht erstattet, nicht wahr?


LAMMERS: Ich habe eine kurze schriftliche Notiz bekommen. Einen mündlichen Bericht nicht.

MAJOR ELWYN JONES: Und ging aus diesem Bericht hervor, daß Eichmann die Vernichtung plante?


LAMMERS: Nein, davon stand nichts darin, davon war uns ja auch gar nichts bekannt. Ich kann mich wenigstens darauf nicht besinnen, daß irgend etwas daringestanden hat, was mir Veranlassung gegeben hätte, sofort irgendwie einzugreifen.


MAJOR ELWYN JONES: Gestern haben Sie dem Gerichtshof gesagt, daß Konzentrationslager in dem Reichshaushaltplan nicht eingeschlossen waren. Wissen Sie das noch?


LAMMERS: Daß was eingeschlossen ist?


MAJOR ELWYN JONES: Daß Konzentrationslager in dem Reichshaushaltplan nicht eingeschlossen gewesen waren?


LAMMERS: Ja, mir ist es nicht bekannt. Ich habe nichts darüber gefunden oder gelesen.


MAJOR ELWYN JONES: Gestern haben Sie vor dem Gerichtshof ausgesagt, daß in dem Reichshaushaltplan nichts über Konzentrationslager erwähnt gewesen sei.


LAMMERS: Ich habe nichts darüber gefunden und nichts darüber gelesen. Mir ist nichts bekannt. Ich habe mich überhaupt für solche Sachen wenig interessiert.


MAJOR ELWYN JONES: Sie sagen also jetzt, daß Sie nicht wissen, ob Konzentrationslager im Reichshaushaltplan erwähnt waren oder nicht?


LAMMERS: Ich kann das nicht ausdrücklich bestätigen. Ich kann mich nicht erinnern, daß die Konzentrationslager ausdrücklich, im Etat genannt gewesen sind.


MAJOR ELWYN JONES: Überrascht Sie es, zu hören, daß im Etat für das Innenministerium für das Budget der Waffen-SS und der Konzentrationslager für das Jahr 1939 die Summe mit 104.000.000 und 21.000.000 RM. als Ausgaben für diese Zwecke angesetzt war? Wußten Sie das?


LAMMERS: Ich habe den Etat des Innenministers ja doch nicht auf alle Summen studiert, ich habe überhaupt keine Etats gelesen, [153] ich habe mich nur für meine eigenen Etats in der Reichskanzlei interessiert. Fremde Etats habe ich nicht gelesen, hatte auch gar keinen Anlaß dazu.


MAJOR ELWYN JONES: Wußten Sie, daß es über 300 Konzentrationslager im Nazi-Deutschland gab?


LAMMERS: Nein, das ist mir nicht bekannt.


MAJOR ELWYN JONES: Von wievielen wußten Sie, als Chef der Reichskanzlei?


LAMMERS: Ich habe nur von einigen wenigen Bescheid gewußt.


MAJOR. ELWYN JONES: Nur von einigen?


LAMMERS: Höchstens von drei.


MAJOR ELWYN JONES: Sie sind feierlich vereidigt worden...


LAMMERS: Ich wußte aber, daß noch andere bestehen.


MAJOR ELWYN JONES: Wollen Sie feierlich, unter Eid, vor diesem Gerichtshof sagen, daß Sie, der Sie im Mittelpunkt des Nazi-Regimes standen, von nur drei Konzentrationslagern gewußt haben?


LAMMERS: Ja, das will ich behaupten. Ich habe nicht im Mittelpunkt des Nazi-Regimes gestanden, ich war ja der oberste Verwaltungsbeamte, der für den Führer Verwaltungsarbeit geleistet hat. Ich habe mich um Konzentrationslager nicht gekümmert. Ich wußte von einigen Konzentrationslagern, namentlich von zwei oder drei, und es war mir klar, daß noch einige bestehen mußten. Mehr kann ich unter Eid nicht sagen.


MAJOR ELWYN JONES: Ich behaupte, daß Sie ganz genau von diesem Terrorregime gewußt haben, aber ihm dennoch bis zum letzten gedient haben. Stimmt das nicht?


LAMMERS: Welches Terrorregime? Das Konzentrationslagersystem hat bestanden, das wußte ja jeder Mensch.


MAJOR ELWYN JONES: Aber das hat Ihr Gewissen nicht beunruhigt, nicht wahr, nehme ich an?


LAMMERS: Daß Konzentrationslager bestanden?

Ich habe dem Führer meine Vorschläge über Konzentrationslager unterbreitet, er hat mich aus der ganzen Frage bereits im Jahre 1934 ausgeschaltet, nachdem ich ihm für Konzentrationslager Vorschläge gemacht hatte, und hat die Sachen dem Himmler übertragen, und ich habe alle Beschwerden von Konzentrationslagern dorthin abgeben müssen. Ich habe mit Konzentrationslagern aber auch nicht das geringste zu tun gehabt, außer wenn Beschwerden an mich herankamen, die ich als Beschwerden erachtet habe, die an den [154] Führer gerichtet sind, und die ich, soweit es Irgend möglich war, verfolgt habe; zu dem auch zu einem Teil Abhilfe geschaffen worden ist.


MAJOR ELWYN JONES: Natürlich, Sie waren SS-Obergruppenführer. Vielleicht haben Sie den Terror nicht erkannt, wenn Sie von ihm gehört oder ihn gesehen haben?


LAMMERS: Ich war ein SS-Obergruppenführer in einem Ehrenrang, genau, wie ich das vorhin von Seyß-Inquart schon gesagt habe. Ich habe in der SS keinen Dienst getan, habe keine Kommandogewalt gehabt, keine Amtsgewalt gehabt und nichts.


MAJOR ELWYN JONES: Und Sie haben beträchtlich profitiert, Sie und Ihre Nazi-Kollegen, von diesem Regime, nicht wahr? Sie, der Sie die Kontrolle hatten über die Fonds der Reichskanzlei, können uns vielleicht in dieser Frage helfen?


LAMMERS: Was soll ich gehabt haben, beträchtliche was?


MAJOR ELWYN JONES: Fonds, Gelder, Reichsmarkbeträge.


LAMMERS: Ja, ich habe Einnahmen gehabt, selbstverständlich.


MAJOR ELWYN JONES: Und Sie waren verantwortlich für die Leitung...


LAMMERS: Aber nicht als SS-Führer.


MAJOR ELWYN JONES: Als Chef der Reichskanzlei waren Sie dafür verantwortlich, daß die größten Nazi-Fonds unter Ihnen verteilt wurden, nicht wahr?

LAMMERS: Ich hatte die Gelder des Führers verwaltet und nach Weisung des Führers habe ich aus den Fonds die erforderlichen Zahlungen geleistet. Ich habe keine Gelder verteilen können nach Belieben.


MAJOR ELWYN JONES: Sie, als Chef der Reichskanzlei, haben doch Dr. Ley eine Million Mark ausgezahlt, nicht wahr?


LAMMERS: Ja, das war eine Dotation, die der Führer Dr. Ley auf ausdrückliche Anordnung bewilligt hat. Das war keine Verteilung von mir aus.


MAJOR ELWYN JONES: Und Ribbentrop hat auch eine Million bekommen, nicht wahr?


LAMMERS: Er hat eine Million bekommen in zwei Teilen, einmal eine halbe und später wieder eine halbe.


MAJOR ELWYN JONES: Und Keitel war ein weiterer Millionär, nicht wahr? Er hat auch eine Million bekommen?


LAMMERS: Er hat eine Dotation und ein Gut bekommen, da der Führer das Dotationswesen, wie es schon unter den alten preußischen Königen war, wieder aufgenommen hatte.


[155] MAJOR ELWYN JONES: Und Sie selber haben 600.000 Mark bekommen?

LAMMERS: Ich habe bei meinem 65. Geburtstag 600.000 Mark bekommen und die Begründung für die Summe war die, daß ich bei den früheren Stellen nie etwas bekommen habe, weil ich mich ja selbst nie gemeldet habe, weil ich zweimal ausgebombt war und weil ich keinerlei eigenen Besitz hatte, kein eigenes Haus und nichts sonst. Der Führer wünschte, ich sollte mir ein kleines Haus beilegen.


MAJOR ELWYN JONES: Ich habe weiter keine Fragen.

Wenn Euer Lordschaft gestatten, möchte ich die Beweisstücknummer der Dokumente klarstellen, die ich eingereicht habe: 3863-PS ist GB-320; 2220-PS ist US-175; 686-PS ist US-305; 865-PS ist US-143; 032-PS ist GB-321; 871-PS ist GB-322; D-753 ist GB-323; 3601-PS ist GB-324; 997-PS ist RF-122; 1296-PS ist GB-325; 1292-PS ist US-225 und RF-68; 3819-PS war GB-306.


VORSITZENDER: Herr Elwyn Jones! Haben Sie das Budget vorgelegt, das die Zahlen zeigt, die Sie uns genannt haben?


MAJOR ELWYN JONES: Es ist auf Seite 1394 des Budgets von 1939. Für das Protokoll erhält es die Nummer GB-326 (3873-PS).


VORSITZENDER: Danke.

MAJOR ELWYN JONES: Die Anklagebehörde wird einen Auszug herstellen lassen aus diesem großen Band, Euer Lordschaft, um daraus ein Dokument für die Zwecke des Gerichts zu machen.


VORSITZENDER: Sehr gut!

Oberst Pokrowsky! Der Gerichtshof war der Ansicht, daß nur ein Kreuzverhör der Zeugen, die nicht Angeklagte sind, stattfinden würde.


OBERST POKROWSKY: Die Sowjet-Delegation möchte den Zeugen Lammers verhören. Es wurde vorgeschlagen, die Vernehmung in zwei Teile zu teilen. Ein Teil der Fragen sollte durch die Britische Delegation und der andere durch die Sowjet-Delegation gestellt werden.


MAJOR ELWYN JONES: Euer Lordschaft!...


VORSITZENDER: War dies der eine Fall, den Sie erwähnten?


MAJOR ELWYN JONES: Dies ist der Ausnahmefall, Euer Lordschaft, und das Übereinkommen wurde gemacht, bevor die neue Verfügung über das Kreuzverhör bekanntgegeben wurde. Mein Kollege Oberst Pokrowsky und ich wollten uns in das Kreuzverhör teilen. Es sind nur einige Fragen, die Oberst Pokrowsky, wie er sagte, stellen möchte, und die Anklagebehörde war damit einverstanden.

[156] VORSITZENDER: Sehr gut.


OBERST POKROWSKY: Am 6. November 1945 sind Sie von einem Vertreter der Sowjetanklagebehörde verhört worden. Erinnern Sie sich an dieses Verhör?


LAMMERS: Ja, ich kann mich an ein Verhör von einem Vertreter der Sowjetanklagebehörde erinnern.


OBERST POKROWSKY: Haben Sie ausgesagt, daß Hitler...


LAMMERS: Ja, ich habe ausgesagt.


OBERST POKROWSKY: Sie wissen doch noch gar nicht, worüber ich sprechen werde! Haben Sie doch nicht solche Eile. Sie haben ausgesagt, daß Hitler Sie beauftragte, Rosenberg behilflich zu sein. Erinnern Sie sich daran?


LAMMERS: Ja, Rosenberg sollte in den Ostfragen die politische Bearbeitung übernehmen.


OBERST POKROWSKY: Worin bestand Ihre Hilfe an Rosenberg?


LAMMERS: Zunächst lediglich darin, daß ich mit ihm zusammenkam und er die Pläne erörterte, die er über eine etwa einzurichtende Verwaltung haben würde; denn der Führer hatte ihm auf getragen, er solle sich auch mit der Frage befassen, wie im Falle einer kriegerischen Verwicklung mit Rußland das etwa zu besetzende Gebiet zu verwalten sei. Dafür hat Herr Rosenberg...


OBERST POKROWSKY: Warten Sie, Zeuge. Ich frage Sie nicht, womit der Führer Rosenberg beauftragte. Ich frage Sie, womit Sie vom Führer beauftragt wurden. Sie sagen, daß Sie Rosenberg behilflich sein sollten. Worin bestand Ihre Hilfe?

Bitte, warten Sie. Haben Sie teilgenommen... einen Moment, bitte hören Sie meiner Frage zu.

Haben Sie an der Ausarbeitung eines Planes für die Wirtschaftsorganisation der Ostgebiete teilgenommen?

Verstehen Sie mich?


LAMMERS: An der Ausarbeitung der Organisation der Wirtschaft habe ich nicht teilgenommen.


OBERST POKROWSKY: Ich möchte, daß Sie sich das Dokument 1056-PS ansehen. Erinnern Sie sich an dieses Dokument?


LAMMERS: Das muß ich mir erst ansehen.


OBERST POKROWSKY: Jawohl, deshalb wird es Ihnen auch gegeben.


LAMMERS: Mir kommt das Dokument unbekannt vor, ich glaube auch nicht, daß es von mir gefertigt worden ist, sondern das ist offenbar ein Plan, den Herr Rosenberg gemacht hat.


[157] OBERST POKROWSKY: Sie behaupten also, daß Sie von diesem Dokument nichts wissen?


LAMMERS: Es ist möglich, daß Herr Rosenberg mir eine solche Ausarbeitung einmal übergeben hat. Aber ich kann jetzt nicht feststellen, ob hier 30 Seiten Ausarbeitung – ob ich die je in der Hand gehabt habe oder nicht. Das weiß ich nicht.


OBERST POKROWSKY: Gestern haben Sie dem Gerichtshof ausführliche Erklärungen über die Frage der wirtschaftlichen Verwaltung der Ostgebiete gegeben. Wie konnten Sie wahrhafte Aussagen machen, wenn Ihnen dieses ›grundlegende‹ Dokument nicht bekannt war, denn gerade durch dieses Dokument wurde der Aufbau der Verwaltung in den Gebieten, die Rosenberg unterstanden, festgelegt?

Haben Sie mich verstanden?


LAMMERS: Ich kann nicht beurteilen, was in diesem Dokument steht; ich kann ein Dokument von 30 Seiten hier im Augenblick nicht beurteilen. Dann bitte ich, mir das Dokument zu überlassen, damit ich es erst völlig durchlesen kann; ich glaube nicht, daß ich dieses Dokument in der Hand gehabt habe. Die Organisation im Osten hat ja Herr Rosenberg gemacht. Ich habe ja nur mitgewirkt bei einem Erlaß, einem Rahmenerlaß, in dem ihm, Rosenberg, die Befugnisse für den Osten übertragen worden sind. Die Einzelheiten haben mich hier überhaupt nicht interessiert.


OBERST POKROWSKY: Sollte Ihr Gedächtnis bezüglich dieses Dokuments so stark geschwächt sein, so würde ich Sie bitten, sich ein anderes Dokument anzusehen, das kürzer ist als 30 Seiten. Es wird Ihnen jetzt ein Dokument, das von Ihnen unterschrieben ist, vorgelegt. Es behandelt die Frage der sowjetischen Kriegsgefangenen. Es ist das Dokument USSR-361.

In diesem Schriftstück ist eine Stelle angestrichen, wo es heißt, daß sowjetische Kriegsgefangene, von der allgemeinen Regel abweichend, dem Minister für die Ostgebiete unterstellt sind. Haben Sie diese Stelle gefunden? Ich frage Sie, Zeuge Lammers...


LAMMERS: Nein, ich habe die Stelle nicht.


OBERST POKROWSKY: Es ist auf der zweiten Seite.


LAMMERS: Der Anlage?


OBERST POKROWSKY: Jawohl, in der Anlage. Für Ihre Bequemlichkeit ist die Stelle unterstrichen.


LAMMERS: Hier nicht, was mir vorliegt, ist nicht angezeichnet.


VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky! Das Dokument, das ich habe, wenn es dasselbe ist, 073-PS, ist in Absätze unterteilt. Können Sie den Zeugen nicht auf den Absatz verweisen?


[158] OBERST POKROWSKY: Einen Augenblick bitte. In dem Auszug, der mir vorliegt, sind leider die Absätze nicht angemerkt.

Dem Zeugen wird gleich die Stelle, um die es sich handelt, gezeigt werden. Diese Stelle ist auf seinem Dokument angezeichnet. Er sieht es einfach nicht.

Haben Sie es jetzt gefunden?


LAMMERS: Ja, jetzt habe ich es.


OBERST POKROWSKY: Und haben Sie sich davon überzeugt, laß es mit Bleistift angezeichnet ist?


LAMMERS: Ja, das Auswärtige Amt...


OBERST POKROWSKY: Ich frage Sie nicht danach Mich interessiert eine andere Stelle, in der es heißt:

»Ausgenommen von dieser Regelung sind die Sowjetgefangenen...«

Haben Sie es gefunden?

LAMMERS: Ja.

OBERST POKROWSKY:

»Ausgenommen von dieser Regelung sind die So wjetgefangenen, die dem Reichsminister für die besetzten Ostgebiete unterstellt wurden, weil für Sie die Genfer Konvention nicht...«

Haben Sie diese Stelle gefunden?

LAMMERS: Ja, ich habe sie.

OBERST POKROWSKY: Haben Sie dieses Dokument unterschrieben?


LAMMERS: Das Dokument habe ich nicht unterschrieben, denn das ist eine Ausfertigung des Auswärtigen Amtes. Ich habe lediglich einen Brief unterschrieben, mit dem ich diese Aufzeichnung des Auswärtigen Amtes dem Minister Rosenberg übersende und ihm davon Kenntnis gebe.


OBERST POKROWSKY: Also mit einem Begleitschreiben. Sie sandten Ihren Brief...


LAMMERS: In diesem Begleitschreiben sage ich, daß ich die Aufzeichnungen des Auswärtigen Amtes anliegend übermittle. Das Auswärtige Amt nimmt Stellung zu dem Schreiben und so weiter, ich darf Ihnen hiervon Kenntnis geben. Ich war also lediglich die vermittelnde und weitergebende Stelle. Die Aufzeichnungen selber habe ich nicht gemacht und auch nicht unterschrieben.


OBERST POKROWSKY: Dann verstehe ich Sie so, daß Sie die Echtheit dieses Dokuments, welches seinerzeit durch Ihre Hände gegangen ist, bestätigt haben?


[159] LAMMERS: Ja, das weiß ich nicht, ich kann nur bestätigen...


OBERST POKROWSKY: Wieso können Sie das nicht sagen? Sie haben doch selbst gesagt, daß Sie das Dokument weitergeleitet haben an jemand anderen. Sandten Sie es an eine Adresse weiter?


LAMMERS: Ich habe das Dokument unterschrieben weitergegeben.

Das Anschreiben habe ich unterschrieben, durch das ich Herrn Rosenberg von der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes Kenntnis gegeben habe. Ob die Anlage echt ist oder nicht, weiß ich nicht.


OBERST POKROWSKY: Diese Antwort genügt mir vollkommen.

Am 8. April haben Sie hier vor dem Gerichtshof gesagt, daß Hitler die Lösung der Judenfrage Göring und Heydrich und später dem Nachfolger von Heydrich, Kaltenbrunner, übertragen hat. Ich möchte Sie nun fragen, worin die Teilnahme Görings, Heydrichs und Kaltenbrunners an der Lösung der jüdischen Frage bestand?


LAMMERS: Mir ist nur bekanntgeworden, daß ein Befehl des Führers weitergegeben worden Ist von Reichsmarschall Göring an den damaligen Chef des RSHA, Herrn Heydrich. Das ist meines Erachtens dann übergegangen in die Zuständigkeit von Herrn Kaltenbrunner. Dieser Auftrag wurde bezeichnet mit »Endlösung der Judenfrage«, wobei niemand wußte, um was es sich handelte, was man darunter versteht, und ich habe mir Mühe gegeben, in der nachfolgenden Zeit bei verschiedenen Gelegenheiten aufzuklären, was wirklich darunter zu verstehen wäre unter der Bezeichnung »Endlösung«, was geschehen soll. Ich habe gestern versucht, hier diese Frage auseinanderzusetzen, ich bin aber nicht vollständig zu Wort gekommen.


OBERST POKROWSKY: Und es ist nicht klar genug geworden, durch wen und auf welche Weise Sie festzustellen versucht haben, was die Endlösung der jüdischen Frage bedeutete. An wen haben Sie sich in dieser Angelegenheit gewandt? Wen haben Sie gefragt?


LAMMERS: Ich habe mich zunächst an Himmler gewandt und Ihn gefragt, was das für eine Bedeutung habe. Da hat mir Himmler gesagt, er habe den Auftrag vom Führer, die in Deutschland befindlichen Juden zu evakuieren, und daraus ergäbe sich eine Reihe von Problemen, die man als »Endlösung der Judenfrage« bezeichnet, die dabei geprüft werden müßten. Das war, was ich gestern gesagt habe.


OBERST POKROWSKY: Warten Sie, Zeuge, Sie haben gesagt daß Hitler Göring und Heydrich und später Kaltenbrunner den Auftrag gegeben hat, diese Frage zu lösen. Haben Sie sich über diese Frage, für die Sie sich, wie Sie sagen, interessierten, an Göring Heydrich oder Kaltenbrunner gewandt?


[160] LAMMERS: Nein, ich kann mich nicht erinnern, denn ich bin der Ansicht gewesen, daß Göring nur einen Befehl des Führers übermittelt hat. Daß Keitel dabei beteiligt war, weiß ich überhaupt nicht, davon höre ich heute zum erstenmal.


OBERST POKROWSKY: Wer hat denn von Keitel gesprochen, von ihm war gar nicht die Rede, es war Heydrich.


LAMMERS: Also Heydrich hatte diesen Auftrag, das habe ich durch den Vortrag meiner Herren erfahren, daß ein solcher Auftrag vorliegt. Ich habe dann Interesse gehabt, festzustellen, welcher Art dieser Auftrag ist, und da habe ich mich an Himmler gewendet.


OBERST POKROWSKY: Und Sie hatten keinen Erfolg dabei?


LAMMERS: Einen schriftlichen Auftrag habe ich nicht gesehen.

OBERST POKROWSKY: Gestern haben Sie gesagt, »alle außer mir« haben ihre Meinung über die Judenfrage ausgesprochen. Wer sind alle außer Ihnen? Erinnern Sie sich an diese Aussage gestern?


LAMMERS: Ich habe gestern ausgesagt, daß ich mit Himmler über die Frage gesprochen habe, und daß ich mir den Vortrag beim Führer vorbehalten habe, ich habe auch darüber gesprochen, daß ich dem Führer Vortrag gehalten habe, der Führer aber für diese Dinge sehr schwer zu haben war. Ich habe auch gestern weiter gesagt, daß Gerüchte über die Tötung von Juden aufgetaucht sind, die mich veranlaßten, der Sache nachzugehen, ich habe weiter gestern gesagt, daß diese Gerüchte nach meinen Feststellungen Gerüchte geblieben sind. So daß mir nichts anderes übrig blieb, als mich in dieser Sache an Himmler und dann an den Führer zu wenden.


OBERST POKROWSKY: Zeuge! Ich frage Sie nicht, was Sie gestern gesagt haben, ich möchte Ihre Aussage nicht zum zweitenmal hören. Mich interessiert nur folgendes, was Sie gestern gesagt haben. Sie sagten, »alle außer mir« haben ihre Meinung in der Judenfrage ausgesprochen.

Wer waren diese alle? Nennen Sie mir die Namen derer, die Sie meinten, und antworten Sie direkt auf meine Frage.

LAMMERS: Ich verstehe nicht diese Frage »alle«.


OBERST POKROWSKY: Ich kann die Frage zum drittenmal wiederholen, damit Sie diese besser verstehen. Als Sie Ihre Aussagen über die Judenfrage gestern machten, haben Sie erklärt: Alle außer mir nahen ihre Meinung in der Judenfrage ausgesprochen. Von mir hat man es auch verlangt.

Erinnern Sie sich jetzt daran?


LAMMERS: Jawohl, ich erinnere mich.


OBERST POKROWSKY: Sehr gut.


[161] LAMMERS: Unter »alle« sind die anderen, die Ressorts zu verstehen, die zu dieser Besprechung eingeladen waren. Bei allen diesen Besprechungen im RSHA waren die zuständigen Ressortchefs eingeladen. Das sind »alle«.


OBERST POKROWSKY: Wer von den Angeklagten wohnte dieser Besprechung bei?


LAMMERS: Minister waren überhaupt nicht anwesend. Das war nur eine Referentenbesprechung. Ich war nicht dabei, ich weiß nicht, wer in dieser Besprechung war.


OBERST POKROWSKY: Sie waren bei der Besprechung bei Hitler am 16. Juli 1941 zugegen. Verstehen Sie, welche Besprechung ich meine? Es wurde über die Ziele des Krieges gegen die Sowjetunion gesprochen. Haben Sie mich verstanden?


LAMMERS: Ja.


OBERST POKROWSKY: War Keitel bei dieser Besprechung zugegen?


LAMMERS: Meines Wissens, ja.


OBERST POKROWSKY: Erinnern Sie sich nicht, was Keitel über die Ziele des Krieges gegen die USSR gesagt hat?


LAMMERS: Ich kann mich nicht entsinnen, ob er davon gesprochen hat.


OBERST POKROWSKY: Haben Sie dieser Besprechung bis zum Ende beigewohnt?


LAMMERS: Ich war bis zum Ende zugegen, ich nehme an.


OBERST POKROWSKY: Und Keitel, war er auch bis zum Ende zugegen?


LAMMERS: Ich kann mich heute nicht mehr darauf besinnen. Ich nehme an, daß er bis zum Ende dagewesen ist, aber er kann auch früher weggegangen sein.


OBERST POKROWSKY: Sie können es aber nicht mit Bestimmtheit sagen?

LAMMERS: Nein, mit Bestimmtheit nicht.


OBERST POKROWSKY: Am 13. Oktober 1945 sind Sie von einem amerikanischen Oberstleutnant verhört worden. Sie haben dabei ausgesagt, daß Rosenberg zum Minister für die Ostgebiete ernannt wurde, und zwar auf persönlichen Wunsch des Führers. Können Sie sich an diese Aussage erinnern?


LAMMERS: Ich weiß, daß ich ausgesagt habe.


OBERST POKROWSKY: Sie haben ferner während des gleichen Verhörs ausgesagt, daß Sie Rosenberg für diesen Posten nicht [162] empfohlen hätten, da Sie gegen seine Kandidatur Einwände hatten. Was für Einwände hatten Sie gegen Rosenbergs Kandidatur?


LAMMERS: Gegen die Ernennung Rosenbergs bestanden damals vielfach Bedenken, die namentlich von Herrn Bormann vorgebracht wurden. Reichsleiter Bormann wollte nicht gern Herrn Rosenberg in dieser Stellung haben.


OBERST POKROWSKY: Sagen Sie uns etwas über Ihre Einwände, welcher Natur waren Ihre Einwände?


LAMMERS: Ich habe damals dem Führer die Frage vorgelegt, ob überhaupt ein solcher Mann für den Osten nötig sei im Fall kriegerischer Verwicklungen, und ob dann Rosenberg der Organisator sei, der für diese Sache geeignet sei.


OBERST POKROWSKY: Das war im April 1941?


LAMMERS: Das weiß ich nicht mehr, es war im Frühjahr.


OBERST POKROWSKY: Auf Befehl des Reichsministers Rosenberg ist am 16. August 1941 Zwangsarbeit für die jüdische Bevölkerung der Ostgebiete eingeführt worden, und zwar mußten alle Menschen jüdischer Herkunft im Alter von 14 bis 60 Jahren Zwangsarbeiten ausführen. Im Falle einer Weigerung, die Arbeiten auszuführen, drohte ihnen die Todesstrafe. Kennen Sie diesen Befehl oder nicht?


LAMMERS: Ist mir unbekannt, ich kann mich dessen nicht entsinnen.


OBERST POKROWSKY: Wollen Sie sich bitte dieses Dokument ansehen und versuchen, sich daran zu erinnern.

Herr Präsident! Es ist ein Dokument, das sich auf Seite 50, Teil II, der »Grünen Mappe« Görings findet. Dieses Dokument liegt bereits dem Gerichtshof unter US-320, EC-347, vor.


LAMMERS: Ich kann mich an dieses Dokument nicht entsinnen.


OBERST POKROWSKY: Schön, wollen wir dieses Dokument ruhen lassen. Sehen Sie sich ein anderes Dokument an. Vielleicht werden Sie sich besser an dieses Dokument erinnern?


VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky, sind die Paragraphen der Verordnung aus diesem letzten Dokument, auf das Sie soeben Bezug genommen haben, schon in das Protokoll verlesen worden?


OBERST POKROWSKY: Ich kann Ihnen auf diese Frage nicht ganz bestimmt antworten. Ich weiß nicht, ob gerade diese Paragraphen in das Protokoll verlesen wurden oder nicht. Aber der ganze zweite Teil der »Grünen Mappe« Görings ist dem Gerichtshof vorgelegt und in das Protokoll aufgenommen worden, und zwar als US-320, EC-347. Dieser Teil ist in das Protokoll verlesen worden.

[163] Da der Zeuge sich an dieses Dokument nicht erinnert, glaube ich, daß wir später darauf zurückkommen könnten, und zwar wenn es uns bei der Vernehmung eines anderen Angeklagten wichtiger erscheinen wird.

Jetzt werden wir über etwas anderes sprechen.

Bitte, sehen Sie sich den Befehl des Führers vom 29. August 1941 an. Sie werden sich ohne weiteres an dieses Dokument erinnern, da es auch von Ihnen unterschrieben wurde. Es ist ein Befehl über die wirtschaftlichen Maßnahmen in den besetzten Ostgebieten.

Meine Herren Richter, dieser Befehl ist ebenfalls ein Dokument, das sich in dem II. Teil der »Grünen Mappe« Görings befindet und dem Gerichtshof bereits in englischer Sprache vorliegt.

Zeuge, erkennen Sie dieses Dokument?


LAMMERS: Ja, das Dokument habe ich mitgezeichnet, das war eine Maßnahme, die der Führer auf Vorschlag des Reichsmarschalls befohlen hat.


OBERST POKROWSKY: Sehr gut, womit erklären Sie es, daß Keitel Anordnungen und Befehle, wie diese, unterzeichnete, daß er allgemeine Regierungssachen des Reiches, die keinen militärischen Charakter hatten, unterschrieb? Welche Erklärungen haben Sie dafür? Warum stehen hier Unterschriften von Hitler, Keitel und Lammers?


LAMMERS: Dies war ein Führererlaß, und Führererlasse wurden von mir beurkundet und außerdem zeichnete Herr Keitel als Chef des OKW die Urkunden auch mit, wenn irgendwelche Interessen der Wehrmacht vorlagen, und eventuell als dritter Herr Bormann, wenn die Partei interessiert war. Daraus resultiert die Unterschrift von Bormann...


OBERST POKROWSKY: Aber Bormanns Unterschrift fehlt ja hier, hier sind Unterschriften von Hitler, Keitel und Lammers. Ist das richtig?

LAMMERS: Keitel hat zuerst gezeichnet, weil es die besetzten Gebiete im Osten betraf.


OBERST POKROWSKY: Mit anderen Worten, Keitel war für die ganze Gesetzgebung in den besetzten Gebieten verantwortlich?

War das so? Hören Sie meine Frage? War denn der Angeklagte Keitel für alle gesetzlichen Maßnahmen in den besetzten Gebieten verantwortlich, hören Sie meine Frage?


LAMMERS: Unterschrift nimmt Verantwortung überhaupt nicht auf...


OBERST POKROWSKY: Und warum steht dann seine Unterschrift überhaupt hier, zur Verschönerung?


[164] LAMMERS: Da er daran interessiert oder beteiligt gewesen ist, hat er das mit beurkundet, aber eine Verantwortung wurde ja hierbei...


OBERST POKROWSKY: Sie sollten dies besser wissen als jeder andere, um so mehr ist es unklar, wozu seine Unterschrift auf diesem Dokument notwendig war. Seine Unterschrift steht doch über Ihrer. Worum handelt es sich denn?


LAMMERS: Es ist wahrscheinlich angenommen worden, daß durch den Erlaß auch Interessen der Wehrmacht berührt sind, das muß Feldmarschall Keitel besser wissen als ich, weshalb er damals mitgezeichnet hat.


OBERST POKROWSKY: Sie haben dieses Dokument gelesen und können daraus ersehen, daß die Interessen der Wehrmacht nicht berührt sind. Ich habe noch zwei Fragen an Sie. Sie haben gesagt, daß Seyß-Inquart den SS-Rang und die SS-Uniform erhalten hat, aber daß er keinerlei Rechte eines SS-Führers hatte; ist das richtig?


LAMMERS: Ja, das ist richtig.


OBERST POKROWSKY: Kann man daraus schließen, daß der Grad eines Polizeimannes und daß die Polizeiuniform eine ehrenhafte Auszeichnung im Reich waren?


LAMMERS: Seyß-Inquart hat ja nicht der Polizei angehört, sondern der Allgemeinen SS.


OBERST POKROWSKY: Aber die SS ist tatsächlich für Polizeiaufgaben verwendet worden, ist das richtig?


LAMMERS: Nein, die Allgemeine SS hatte keine Polizeiaufgaben gehabt, das ist nicht richtig. Und die SS-Uniform war eine besondere Auszeichnung im Reich.


OBERST POKROWSKY: Und die SS-Uniform war eine Auszeichnung im Reich, nicht wahr? Er erhielt doch seine Uniform als eine Art Anerkennung für gewisse Verdienste?


LAMMERS: Ja.


OBERST POKROWSKY: Nun will ich an Sie die letzte Frage stellen.


LAMMERS: Nicht immer für besondere Verdienste, sondern es waren diese für gewisse leitende Persönlichkeiten des Reiches, die bekamen...


OBERST POKROWSKY: Ich bin mit Ihrer Antwort zufriedengestellt, ich brauche keine weiteren Einzelheiten. Ich will Ihnen jetzt eine letzte Frage stellen. Am 17. Januar hatte der Angeklagte Keitel den Gerichtshof gebeten, Sie als Zeuge vorzuladen. Er hat gesagt, daß Sie in der Lage wären, hier vor dem Gerichtshof zu [165] bezeugen, daß er, Keitel, als Chef der Wehrmacht und der ihm unterstellten militärischen Organe in den besetzten Gebieten, gegen die plündernden Kommandos Rosenbergs vorgegangen ist und Verhaftungsbefehle erlassen hat. Sie sind vor Gericht geladen worden, um diese Frage zu beantworten, und aus unbekannten Gründen war das die einzige Frage, die an Sie nicht gestellt wurde. Nun möchte ich, daß Sie jetzt auf diese Frage antworten. Was wissen Sie über den Kampf Keitels und der Wehrmacht gegen die, wie Keitel schreibt, plündernden Kommandos Rosenbergs?


LAMMERS: Ich weiß nur, daß Herr Rosenberg einen Auftrag hatte, Kunstgegenstände einzukaufen, und daß er auch den Auftrag hatte, Mobiliar in den besetzten Gebieten im Westen zu besorgen, das für die Dienststellen gerade im Osten nötig war. Diesen Auftrag hatte er bekommen in seiner Eigenschaft als Reichsminister.


OBERST POKROWSKY: Zeuge, Sie haben mich anscheinend mißverstanden. Warten Sie ab! Hier geht es nicht um Rosenberg, ich frage Sie, was wissen Sie über den Kampf der Wehrmachtsführung gegen die plündernden Kommandos Rosenbergs, um mit den Worten Keitels zu sprechen. Haben Sie meine Frage verstanden? Wissen Sie irgend etwas darüber, oder wissen Sie nichts?


LAMMERS: Nein, darüber ist mir nichts bekannt.


OBERST POKROWSKY: Gut, ich bin zufrieden.


VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky! Um ganz genau zu sein, soviel ich verstanden habe, sagten Sie mit Bezug auf das Dokument vom 2. Juni 1941, welches Sie dem Zeugen eben vorgelegt haben, daß dieses Dokument nichts mit den militärischen Behörden zu tun hätte. Im zweiten Absatz steht jedoch: Um dieses Ziel zu erreichen, habe er, das heißt Göring, das Recht, den entsprechenden Militärbehörden in den besetzten Ostgebieten Befehle zu erteilen. Deshalb wäre es nicht ganz genau, wenn man sagen würde, daß dieses Dokument mit Militärbehörden nichts zu tun hätte?


OBERST POKROWSKY: Ich nehme an, daß sich der Gerichtshof daran erinnert, welche Aussagen hier über die Umstände, unter denen Keitel allgemeine Weisungen und allgemeine Gesetze unterschrieb, gemacht wurden. Er hat erklärt, daß diese Befehle und Weisungen einen operativen und Stabscharakter hatten.

Im gegebenen Fall handelt es sich aber um den allgemeinen Regierungscharakter des Dokuments, und es enthält keinerlei Hinweis auf militärische Angelegenheiten.


VORSITZENDER: Ich möchte nicht mit Ihnen darüber argumentieren, ich wollte nur darauf hinweisen, daß es nicht genau war, zu sagen, daß das Dokument sich gar nicht auf militärische Angelegenheiten bezieht.

[166] Dr. Nelte, wollen Sie den Zeugen rückverhören?


DR. NELTE: Herr Präsident! Ich wäre Herrn Oberst Pokrowsky nur dankbar, wenn er mir seine letzte Frage an den Zeugen, Dr. Lammers, klarlegen wollte. Er hat hier gesagt, daß der Angeklagte Keitel Dr. Lammers als Zeugen dafür benannt habe, daß er im Ostgebiet gegen die Bestrebungen des Einsatzstabes Rosenberg gekämpft hätte. Habe ich ihn so richtig verstanden, die russisch-deutsche Übersetzung war vielleicht nicht ganz glücklich.


VORSITZENDER: Ich weiß nicht, ob ich die Frage verstanden habe. Soviel ich weiß, war der Zeuge nicht in der Lage, die Frage richtig zu beantworten. Aber ich glaube nicht, daß es von großer Bedeutung sein kann. Der Zeuge konnte die Frage nicht beantworten.


DR. NELTE: Nein. Es schien mir so, daß der Herr russische Anklagevertreter sagen wollte, Herr Dr. Lammers sei für eine Beweisfrage als Zeuge benannt, und ich habe diesem Zeugen eine solche Frage nicht gestellt. Das möchte ich nur klarstellen, daß das nicht der Fall ist, sonst ist diese Angelegenheit für mich nicht Gegenstand einer Rückfrage und ich habe auch persönlich für den Angeklagten Keitel keine Fragen mehr an den Zeugen Dr. Lammers.


VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß der Gerichtshof es für nötig hält, sich mit dieser Frage noch zu befassen. Sie haben das Hauptverhör sehr eingehend geführt.

Herr Dr. Nelte, haben Sie irgendwelche anderen Zeugen vorzuladen?

DR. NELTE: Ich werde morgen früh in einer halben Stunde fertig sein, ich habe keine Zeugen, die ich noch vernehmen will.


MR. FRANCIS BIDDLE, MITGLIED DES GERICHTSHOFS FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Ich möchte an Sie zwei oder drei Fragen über das Reichskabinett stellen. Sie sagten, die erste Sitzung war am 30. Januar 1933, und die letzte im November 1937. Gab es noch andere Sitzungen im Jahre 1937?


LAMMERS: Nein, die Kabinettssitzungen sind durch keine anderen Sitzungen ersetzt worden.


MR. BIDDLE: Das habe ich Sie nicht gefragt. Hören Sie bitte zu. Sie sagten, im November 1937 war eine Sitzung. Waren irgendwelche anderen Sitzungen im Jahre 1937?


LAMMERS: Ja, vorher waren solche; es waren mehrere Kabinettssitzungen, aber nicht allzuviele, es waren verhältnismäßig wenige im Jahre 1937.


MR. BIDDLE: Wieviele, würden Sie sagen, im Jahre 1937?


[167] LAMMERS: Wieviele? – Es mögen fünf oder sechs Kabinettssitzungen gewesen sein; ich glaube nicht, daß es mehr waren.

MR. BIDDLE: Wissen Sie, wieviele es waren im Jahre...


LAMMERS: Es können auch weniger gewesen sein.


MR. BIDDLE: Wissen Sie, wieviele 1936 stattgefunden haben?


LAMMERS: Da war die Zahl der Kabinettssitzungen etwas größer, aber auch nicht so groß wie ursprünglich in den Jahren 1933/34. Die Zahl der Kabinettssitzungen hat...


MR. BIDDLE: Das genügt schon; danke.


VORSITZENDER: Ja, Dr. Laternser?


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich habe keine Frage an den Zeugen; ich wollte mich nur in folgendem einschalten.

Mein Kollege Dr. Nelte hat auf die Vernehmung weiterer Zeugen verzichtet. Er hat unter anderem damit auch auf die Vernehmung des Zeugen Generaloberst Halder verzichtet, was ihm selbstverständlich freisteht. Allerdings werden durch diesen Verzicht auf die Vernehmung des Zeugen Halder meine Rechte beeinträchtigt, denn das Gericht wird sich erinnern, daß bei Vorlage einer schriftlichen Erklärung des Zeugen Halder das Gericht...


VORSITZENDER: Herr Doktor, wenn Dr. Nelte den General Halder nicht ruft, dann können Sie ihn beantragen, und wir würden uns dann mit der Frage befassen. Ich nehme an, daß Sie seine Vorladung schon beantragt haben, und man hat Ihnen sicher gesagt, daß er durch Dr. Nelte vernommen wurde. Nun, Dr. Nelte hat ihn nicht vorgeladen; aus diesem Grunde können Sie Ihren Antrag erneuern, wenn Sie wollen, und zwar schriftlich.


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich glaube, dieser Standpunkt ist nicht ganz zutreffend, denn, als die schriftliche Erklärung durch die Russische Anklagebehörde vorgelegt worden war, wurde dann auf Widerspruch der Verteidigung erklärt, den Zeugen Halder zum Kreuzverhör zu stellen, und dieses Recht habe ich in Übereinstimmung mit den anderen Kollegen dahin abgewandelt, daß der Zeuge Halder im Verfahren für den Angeklagten Keitel vernommen würde. Durch Verzicht dieses Zeugen wird nun mein Recht beeinträchtigt, so daß ich glaube, Anspruch darauf zu haben, daß mir der Zeuge zur Vernehmung zur Verfügung gestellt werde.


VORSITZENDER: Dr. Laternser, wir werden uns mit der Frage des Generals Halder befassen und Ihnen morgen früh Bescheid sagen. Es ist jetzt 5.00 Uhr.


DR. LATERNSER: Jawohl.


[168] DR. SEIDL: Herr Präsident! Ich hätte noch gerne einige Fragen an den Zeugen gestellt, die durch das Kreuzverhör notwendig werden und die Fragen betreffen, welche...


VORSITZENDER: Das können Sie heute abend nicht mehr tun. Wir werden uns darüber beraten und Ihnen morgen früh Bescheid sagen; Sie können es heute abend nicht mehr tun.


DR. SEIDL: Ja. Ich wollte nur das sagen, damit der Zeuge morgen früh noch zur Hand ist.


VORSITZENDER: Gut, er wird zur Verfügung stehen.


MR. DODD: Euer Lordschaft! Ich möchte den Gerichtshof auf folgendes aufmerksam machen. Justice Jackson bat mich zur Unterrichtung des Gerichtshofs bezüglich der heute früh stattgefundenen Diskussion folgende Mitteilungen zu machen.

Wir haben von Oberst Dostert das Originalmanuskript bekommen, das ihm Dr. Thoma übergeben hatte. Daraus geht hervor, daß neben der Stelle, die übersetzt und vervielfältigt und in das Dokumentenbuch aufgenommen wurde, am Rand ein roter Strich war. Dr. Thoma glaubte heute früh, er hätte es nicht angestrichen und meinte, daß es sich ohne Zweifel um einen Irrtum in der Übersetzung handle. Oberst Do stert erklärt uns, daß in der Übersetzung kein Irrtum liegt, und daß es unterstrichen war.


VORSITZENDER: Nun, Dr. Nelte, wir hätten gerne gewußt, welchen Standpunkt Sie in Bezug auf General Westhoff einnehmen, und ich glaube in Bezug auf Obergruppenführer Wielen, oder sonst jemand. Sie hatten die Möglichkeit, diesen Zeugen vorzuladen, und jetzt hören wir, daß Sie es nicht mehr wünschen.


DR. NELTE: Meine Herren Richter! Durch das Kreuzverhör ist nach meiner Auffassung klargestellt, daß die Anklage den ursprünglich gegen Keitel erhobenen Vorwurf, er habe den Befehl erteilt oder den Befehl Hitlers weitergegeben, daß die 50 Royal Air Force-Offiziere erschossen worden seien, nicht mehr aufrechterhalten wird.

Sir David Maxwell-Fyfe hat die vier Punkte, welche er im Zusammenhang mit diesem Fall dem Angeklagten Keitel zum Vorwurf macht, dem Angeklagten vorgehalten, und dieser hat auf diese vier Punkte gesagt, daß er sie anerkenne. Da ich den General Westhoff nur für die Frage als Zeuge benannt habe, daß Keitel diesen Befehl nicht erteilt und nicht weitergegeben habe, im übrigen Westhoff nicht bei der Besprechung auf dem Obersalzberg war, also auch nichts aus eigenem Wissen weiß, entfällt für mich die Notwendigkeit, diesen Zeugen noch zu hören.

VORSITZENDER: Dr. Nelte, Sie müssen natürlich die Entscheidung darüber treffen, ob Sie ihn vorladen oder nicht. Aber solange Sir David Maxwell-Fyfe nicht erklärt, daß er die Anklage gegen [169] Keitel zurückgenommen hat, halte ich es nicht für richtig, daß Sie von der Vorladung absehen, weil eine Anklage fortfällt. Die Zurücknahme irgendeiner Anklage ist nicht erklärt worden. Vorbehaltlich jeglicher Erklärungen, die Sir David Maxwell-Fyfe abgeben mag, würde ich es nicht für gerechtfertigt halten, ihn nicht vorzuladen; aber das liegt durchaus bei Ihnen.

Ja, Sir David.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Es ist keine Anklage zurückgenommen worden. Im Gegenteil, die Anklagebehörde bleibt bei dem, was General Westhoff bei seinem Verhör erklärt hat, das ich dem Angeklagten Keitel vorgelegt habe. Das ist das Beweismittel für die Anklagebehörde und die Anklagebehörde bleibt bei dem, was vorgelegt worden ist.


DR. NELTE: Darf ich fragen, ob die Anklagebehörde behaupten will, daß General Westhoff ausgesagt hat, Keitel habe den Befehl erteilt, oder den Befehl weitergegeben?


VORSITZENDER: Dr. Nelte! Sie haben das Dokument selbst gelesen, in dem die Erklärung General Westhoffs erscheint. Sie wissen also genau, was er in dieser Erklärung angegeben hat. Der Gerichtshof wird es natürlich anhören, wenn die Verteidiger dem Gerichtshof über diese Angelegenheit etwas zu sagen haben, aber der Gerichtshof schlägt vor, den General Westhoff selbst vorzuladen, um seine Erklärung zu hören, und zu hören, ob er bei seiner Behauptung bleibt. Und ebenso Wielen, dessen Aussage hauptsächlich den Angeklagten Kaltenbrunner belastet.


DR. NELTE: Ich darf dann aber auch die Anklagebehörde bitten, das Affidavit, das der General Westhoff über den Sachverhalt abgegeben hat, auch vorzulegen, damit geklärt wird, daß der Vortrag...


VORSITZENDER: Wenn Sie sagen Affidavit, meinen Sie die Erklärung?


DR. NELTE: Nein, ich meine Affidavit und keine unbeeidigte Erklärung. Die Anklagebehörde hat bisher nur mit unbeeidigten Protokollen hier gearbeitet. Es hat aber außerdem Oberst Williams von dem Zeugen Westhoff ein Affidavit gefordert und erhalten, und dieses Affidavit enthält klipp und klar die Bekundung des Zeugen Westhoff, daß er nicht sagen will und nie gesagt hat, daß Keitel einen solchen Befehl erteilt oder weitergegeben hat.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe kein Affi davit. Ich habe mich gerade bei Mr. Roberts vergewissert und wir haben keins. Es fanden zwei Verhöre statt, wenn ich mich recht erinnere, eines liegt eine Zeit zurück und das andere ist vom 2. November. Zwei Verhöre haben stattgefunden. Eines davon habe ich zum Beweis vorgebracht. Sie befinden sich in Dr. Neltes Dokumentenbuch. Ich [170] habe kein Affidavit; wenn ich eines hätte, würde ich es natürlich sofort vorlegen. Ich weiß nicht, wo Dr. Nelte das gehört haben kann. Jedenfalls ist kein Affidavit mir vorgelegt worden.


VORSITZENDER: Das einzige, was dem Gerichtshof vorliegt, ist eine Erklärung des Generals Westhoff und des einen Herrn, dessen Name ich vergessen habe, o ja, des Generals Shapcott. Der Gerichtshof schlägt vor, General Westhoff als Zeugen vorzuladen und ihn zu fragen, ob seine Erklärung, die er in diesem Dokument abgegeben hat, der Wahrheit entspricht.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Die Anklage hat absolut nichts dagegen einzuwenden.


VORSITZENDER: Der Gerichtsmarschall wird morgen die beiden Zeugen General Westhoff und Wielen herbringen; sie werden morgen früh um 10.00 Uhr hier sein.


OBERST CHARLES W. MAYS, GERICHTSMARSCHALL: Ja.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich jetzt vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

10. April 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 11, S. 122-172.
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