Vormittagssitzung.

[406] [Der Angeklagte Jodl im Zeugenstand.]


GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Es wird gemeldet, daß der Angeklagte Seyß-Inquart von der Verhandlung abwesend ist.

PROFESSOR DR. HERBERT KRAUS, STELLVERTRETENDER VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SCHACHT: Herr Präsident! Im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft bitte ich, eine Denkschrift Hitlers über den Vierjahresplan vom Jahre 1936 nachreichen zu dürfen. Es handelt sich hier um eine beglaubigte Abschrift, die im Lager Dustbin von einem englischen Offizier beglaubigt worden ist. Ich habe dem Stück die Nummer Schacht Exhibit Nummer 48 gegeben. In der Sitzung vom 1. Mai – in der Nachmittagssitzung – hat mein Freund Dr. Dix auf diese Denkschrift Bezug genommen, die noch nicht in unser Dokumentenbuch aufgenommen werden konnte. Darauf hat Dr. Schacht einige Stellen aus dieser Denkschrift zitiert. Der Herr Vorsitzende hat erklärt, wir dürften diese Denkschrift nachreichen, natürlich im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist einverstanden, und deshalb hoffe ich, sie nunmehr überreichen zu dürfen.

Ich überreiche ferner eine Anzahl englischer Übersetzungen. Es ist mir leider bisher noch nicht möglich gewesen, Übersetzungen in den anderen Sprachen fertigen zu lassen, und ich bitte um die Erlaubnis, diese Übersetzungen dann nachliefern zu dürfen.


VORSITZENDER: Herr Professor Kraus! Bevor die anderen Übersetzungen nicht tatsächlich fertiggestellt sind, können die Dokumente nicht als Bestandteil des Protokolls angesehen werden.


PROF. DR. KRAUS: Nein, die englischen Übersetzungen liegen vor und die anderen sind noch nicht fertig, und die darf ich nachreichen?


VORSITZENDER: Ja gewiß, und sie werden dann Bestandteil des Protokolls werden.


PROF. DR. KRAUS: Jawohl, als Nachtrag zum Dokumentenbuch.


PROF. DR. EXNER: [zum Zeugen gewandt] Herr Generaloberst! Sie haben uns gestern gesagt, Sie seien Chef des Wehrmachtführungsstabes gewesen während des Krieges, und daß Ihre Aufgabe hauptsächlich war, Pläne für Operationen militärischer Art vorzubereiten. Das ist richtig? Nicht wahr?

JODL: Das ist richtig.


[406] PROF. DR. EXNER: Nun, woher bekamen Sie die Pläne? Wer bestimmte, welche Pläne Sie zu machen hatten?


JODL: Das war wie in jedem militärischen Stab. Der Oberbefehlshaber, in diesem Falle der Führer persönlich, verlangte die Unterlagen für die Entscheidungen, Karten, Stärkemeldungen – eigene Stärke, gegnerische Stärke – Meldungen über den Gegner; dann traf er seine Entscheidungen, und danach setzte dann meine Generalstabsarbeit ein, nämlich diese Entscheidungen in die notwendige militärische Form zu gießen, die der ganze Apparat der Wehrmacht brauchte.


PROF. DR. EXNER: Nun, haben Sie im Zuge dieser Studien und Arbeiten auch Operationen zu bearbeiten gehabt, die nie zur tatsächlichen Ausführung gekommen sind?


JODL: Ich habe eine Menge solcher Operationen vorbereitet. Von den ganzen Operationen, die ich auf Befehl und Weisung vorbereitet habe, wußte ich eigentlich nur von einer einzigen, daß sie ganz sicher ausgeführt würde – das war die gegen Jugoslawien. Bei allen anderen Operationsplänen stand die Entscheidung lange Zeit offen, ob sie je ausgeführt werden oder nicht.

Als Beispiel für Operationspläne, die in allen Einzelheiten ausgearbeitet wurden, aber nicht zur Durchführung kamen, nenne ich die Invasion in England, den Einmarsch in Spanien, die Wegnahme von Gibraltar, die Wegnahme von Malta, die Eroberung der Fischer-Halbinsel bei Petsamo, ein Winterangriff auf Kandalakscha an der Murmanskbahn.


PROF. DR. EXNER: Nun, bezogen sich diese Ihre Aufgaben auf alle Kriegsschauplätze?


JODL: Zu Beginn des Krieges bezog sich meine Generalstabsarbeit überhaupt nicht auf Kriegsschauplätze, sondern die Weisungen des Führers gingen nur an die Wehrmachtsteile, also an Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe, und erst mit dem Norwegenfeldzug entwickelte sich zum ersten Male der Zustand, daß der Wehrmachtführungsstab für einen Kriegsschauplatz verantwortlich wurde. Und völlig änderte sich dieser Zustand, als zu Beginn des Jahres 1942 der Führer selbst den Oberbefehl über das Heer übernahm. Es ist Kesselring schon danach gefragt worden und ist die Antwort schuldig geblieben. Aber es ist doch selbstverständlich, daß der Führer als Oberster Befehlshaber der Wehrmacht nicht mit Hilfe von Jodl Befehle an sich selbst als Oberbefehlshaber des Heeres geben und diese Befehle dann mit Hilfe von Generaloberst, Zeitzler ausführen konnte. Infolgedessen trat die Trennung ein; von diesem Augenblick führte er mit dem Generalstab des Heeres die gesamte Ostfront, und der Wehrmachtführungsstab wurde für die Generalstabsarbeit aller übrigen Kriegsschauplätze verantwortlich.


[407] PROF. DR. EXNER: Nun hat der Zeuge Feldmarschall Paulus hier behauptet, das OKW sei verantwortlich für den Befehl, Stalingrad zu halten, und tatsächlich ist in der Presse draußen Keitel und Jodl wiederholt beschuldigt worden für diesen so unglückseligen Befehl. Ist das richtig?


JODL: Nein, das ist nicht richtig. Der Zeuge, mit dem ich tiefstes Mitleid habe und mit dem ich in kameradschaftlichster Weise zusammengearbeitet habe, der konnte das ja gar nicht wissen. Die Tatsache ist folgende: Die Entscheidung im ersten Moment, wo die Gefahr drohte, daß Stalingrad zu halten sei, traf der Führer in einem Gespräch unter vier Augen mit dem Generaloberst Zeitzler und entgegen dessen Vorschlag. Das hat mir Zeitzler selbst, als er von dieser Besprechung kam, berichtet. In einem Späteren Stadium, als schon die Schneestürme über die Steppen des Dongebietes brausten, da stand noch einmal die Frage des Ausbruches der Garnison Stalingrad zur Debatte. Da waren der Feldmarschall Keitel, der Generaloberst Zeitzler und ich zugegen.


VORSITZENDER: Herr Dr. Exner! Mir ist nicht ganz klar, wieso das erheblich sein soll, auch wenn Feldmarschall Paulus vielleicht etwas gesagt hat. Er mag Aussagen über die Schlacht bei Stalingrad gemacht haben; er hat es sogar unbestritten getan; aber ich sehe nicht ganz ein, was das mit dem uns vorliegenden Fall zu tun hat oder inwiefern es mit dem Fall Jodl zusammenhängt.


PROF. DR. EXNER: Herr Präsident! Es ist schon damit erledigt. Es war das Bedürfnis vorhanden, diesen Irrtum des Feldmarschalls Paulus aufzuklären. Es ist aber damit erledigt.


[Zum Zeugen gewandt:]


Wir kommen jetzt zu dem Augenblick, als Sie im Jahre 1939 von Wien nach Berlin berufen wurden. Welche Lage fanden Sie in Berlin vor?

JODL: Ich fand in Berlin eine völlig undurchsichtige, jedenfalls für mich völlig undurchsichtige Lage vor. Niemand wußte, was ist Ernst, was ist Bluff. Der Vertrag mit Rußland nährte alle unsere Hoffnungen auf Erhaltung des Friedens, eine Hoffnung, die sich noch ungeheuer steigerte und festigte, als der schon befohlene Angriff vom 26. August überraschend abgesagt wurde. Niemand von den Soldaten, die ich gesprochen habe, rechnete damals mit einem Krieg gegen die Weststaaten. Es war nichts vorbereitet als die Angriffsoperationen gegen Polen.

Es gab nur einen Defensivaufmarsch im Westwall. Die Kräfte, die dort eingesetzt waren, waren so schwach, daß wir nicht einmal alle Bunker besetzen konnten. Die ganzen Bemühungen um die Erhaltung des Friedens, wie ich sie hier vom Reichsmarschall gehört habe, der Name Dahlerus, all diese Verhandlungen blieben [408] mir unbekannt, soweit sie nicht in der Presse standen. Aber eines kann ich abschließend sagen, als dann die Kriegserklärung Englands und Frankreichs kam, da wirkte das auf uns Soldaten, die wir den letzten Weltkrieg miterlebt hatten, wie ein Keulenschlag. Und ich habe durch den General Stapf damals vertraulich – heute ist es nicht mehr vertraulich – erfahren, daß es dem Reichsmarschall genau so gegangen ist.


PROF. DR. EXNER: Wissen Sie, wann Polen mobil gemacht hat?


JODL: Das kann ich nicht sagen; ich weiß nur, daß in dem Augenblick, als ich nach Berlin kam und dort von General von Stülpnagel einmal überhaupt erst orientiert wurde über die Lage, auch erst über unsere eigene Stärke, ein polnischer Aufmarsch an den Grenzen schon im Gange war, ebenso wie der deutsche.


PROF. DR. EXNER: Damit ist eigentlich schon eine Antwort gegeben auf das, was der Trialbrief Ihnen vorwirft, nämlich »planing against Poland«.

Haben Sie einen Plan gegen Polen gemacht?


JODL: Nein, ich habe mit keinem Federstrich an den Vorbereitungen für den Polenkrieg mitgewirkt.


PROF. DR. EXNER: Also ist es richtig, wenn ich resumiere, als Sie Berlin verließen, gab es noch keinen Operationsplan gegen Polen?


JODL: Nein.


PROF. DR. EXNER: Und als Sie nach Berlin zurückkehrten, lag der Plan fertig vor?


JODL: Da war der Angriffsplan völlig ausgearbeitet.


PROF. DR. EXNER: Haben Sie den Führervortrag am 22. August 1939, der hier oft zitiert wurde, gehört?


JODL: Nein, an diesem Tag war ich noch in Wien.


PROF. DR. EXNER: Wann haben Sie von diesem Vortrag gehört?


JODL: Erst hier in Nürnberg.


PROF. DR. EXNER: Erinnern Sie sich an die Zusammenkunft im Führerzug vom 9. September 1939, die der General Lahousen hier beschrieben hat. Können Sie sich an ihn erinnern?


JODL: Ja, an diese Besprechung erinnere ich mich genau.


PROF. DR. EXNER: Sagen Sie, wovon wurde gesprochen, solange Sie in diesem Führerzug anwesend waren, in dieser Zusammenkunft?


[409] JODL: Ich kam mit dem Führer zusammen in dem sogenannten Befehlswagen, in dem Kartenraum, wo Feldmarschall Keitel, Canaris und Lahousen waren, und dann hielt Canaris einen kurzen Vortrag über seine Nachrichten aus dem Westen und gab der Vermutung Ausdruck, daß ein französischer Angriff im Abschnitt Saarbrücken bevorstehe. Der Führer hat dem widersprochen, und ich habe dem auch widersprochen. Sonst war von nichts die Rede.


PROF. DR. EXNER: Also ist die Darstellung Lahousens in dem Punkt jedenfalls richtig, daß Sie nur diesen Teil der Besprechung miterlebt haben?


JODL: Von meiner Seite ist gegen die Darstellung Lahousens kein Wort einzuwenden; absolut richtig.


PROF. DR. EXNER: Es ist im Prozeß wiederholt von der Artilleriebeschießung und dem Luftbombardement von Warschau gesprochen worden. Waren Sie an dieser Befehlsgebung beteiligt?

JODL: Ja, ich war insofern mitbeteiligt, als nämlich der Oberbefehlshaber des Heeres beim Führer beantragte, die Artilleriebeschießung freizugeben, als der Artillerieaufmarsch beendet war. Der Führer lehnte das ab. Er sagte, das ist ja Wahnsinn, was hier geschieht durch die Polen. Er befahl mir neue Flugblätter zu entwerfen, was ich persönlich auch getan habe, sofort, und diese Flugblätter nochmals über der Stadt Warschau abwerfen zu lassen. Und erst als diese erneute Aufforderung, den aussichtslosen Widerstand aufzugeben, keinen Erfolg hatte, gab er die Artilleriebeschießung und die Luftangriffe auf die Festung Warschau frei – und ich betone das Wort »Festung«.


PROF. DR. EXNER: Hatten Sie bei der Befehlserteilung auch etwas mit der Übereinstimmung der deutschen und der sowjetrussischen Operation zu tun?


JODL: Ja, als wir noch drei Tagemärsche von der Weichsel entfernt waren, da informierte mich zu meiner größten Überraschung, ich glaube, der Vertreter des Auswärtigen Amtes im Führerhauptquartier dahingehend, daß Sowjetrußland die polnischen Gebiete...


VORSITZENDER: Angeklagter! Wenn Sie wollen, können Sie etwas schneller sprechen.


JODL:... die polnischen Gebiete östlich einer vereinbarten Demarkationslinie zeitgerecht durch sowjetische Truppen besetzen würde. Als wir nun uns dieser vereinbarten Demarkationslinie, die mir auf einer Karte gegeben wurde, als wir uns dieser Demarkationslinie näherten – es war die Linie: ostpreußisch-litauische Grenze – Narew-Weichsel-San – da telephonierte ich nach Moskau an den Militär-Attaché und unterrichtete ihn, daß wir [410] voraussichtlich im Laufe des morgigen Tages an einzelnen Stellen diese Demarkationslinie erreichen könnten. Ich bekam dann telephonisch nach kurzer Zeit die Mitteilung, die russischen Divisionen seien noch nicht fertig.

Als wir dann aber am übernächsten Tage die Demarkationslinie erreichten und in Verfolgung der Polen auch überschreiten mußten, bekam ich wieder aus Moskau nachts 2.00 Uhr die Mitteilung, daß um 4.00 Uhr früh die sowjetrussischen Divisionen auf der gesamten Front antreten würden. Das ist auch pünktlich geschehen, und ich habe dann einen Befehl entworfen, daß unsere deutschen Truppen überall dort, wo sie die Verbindung mit den Sowjettruppen aufgenommen hätten und nach Vereinbarungen mit diesen, hinter die Demarkationslinie zurückzugehen hätten.


PROF. DR. EXNER: An welchen Tagen das geschehen ist, wissen Sie nicht?


JODL: Das Antreten genau kann ich nicht sagen; es wird etwa gewesen sein am 14. oder 15. September.


PROF. DR. EXNER: Wir wollen uns jetzt mit den Angriffskriegen gegen die neutralen Staaten beschäftigen.


VORSITZENDER: Dr. Exner! All das, was der Angeklagte uns eben gesagt hat, ist doch für diesen Fall absolut unerheblich und scheint mir einfach ein Zeitverlust zu sein. Ich weiß nicht, warum Sie ihn das tun lassen.


PROF. DR. EXNER: Es wird Ihnen zum Vorwurf gemacht, daß Sie Ihren persönlichen Einfluß und Ihre engen Beziehungen zum Führer dazu benützten, eine ganze Reihe von neutralen Staaten anzugreifen. Sagen Sie, ist das richtig?


JODL: Nein, das ist unrichtig. Ich erinnere mich, daß ein Zeuge hier von einem unheimlichen Einfluß oder auch von einer unheimlichen Riegelstellung gesprochen hat, jedenfalls von etwas Unheimlichem. Aber mein Einfluß auf den Führer war leider nicht im geringsten so groß, wie er nach meiner Stellung eigentlich hätte sein können oder vielleicht auch hätte sein müssen. Der Grund liegt in der gewaltigen Persönlichkeit dieses Machtmenschen, der Berater überhaupt sehr schlecht vertrug.


PROF. DR. EXNER: Wann hörten Sie zum ersten Male von einem Plan einer etwaigen Norwegenbesetzung?


JODL: Zum ersten Male sprach der Führer mit mir – ich glaube es war Mitte November 1939 – jedenfalls längere Zeit, nachdem der Großadmiral Raeder zum erstenmal mit ihm gesprochen hatte. An dieser ersten Besprechung – die war, glaube ich, am 10. Oktober – habe ich nichts erfahren, und auch der Führer hat mich nicht orientiert. Aber Mitte November sprach er[411] mit mir darüber. Genaues habe ich dann erst erfahren bei dem Vortrag des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine, der am 12. Dezember stattgefunden hat und bei dem ich dabei war.


PROF. DR. EXNER: Ich weise diesbezüglich auf C-64, GB-86 hin, im Dokumentenbuch Seite 46. Ich brauche das aber nicht verlesen. Erster Band, Seite 46.

Wie war der Standpunkt des Führers dazu?


JODL: Der allgemeine Standpunkt des Führers war damals – das liegt auch schriftlich fest –: »Ich habe keinerlei Interesse daran, die Kriegsschauplätze auszuweiten, aber wenn wirklich die Gefahr einer Besetzung Norwegens durch England besteht, und wenn das wahr ist, dann ist die Lage eine andere.«


PROF. DR. EXNER: Ist damals etwas befohlen wor den?


JODL: Es wurde damals gar nichts befohlen, sondern er wies mich nur an, weiter über dieses Problem überhaupt nachzudenken. Die Vorarbeiten sind, wie ebenfalls dokumentarisch festliegt, am 27. Januar 1940 begonnen worden.


PROF. DR. EXNER: Das ist erkennbar aus dem Dokument C-63, GB-87.

Waren Sie damals der Ansicht, daß die Versicherung, die Hitler im September und im Oktober 1939 gegeben hatte, die norwegische Neutralität zu respektieren, waren Sie der Ansicht, daß diese Versicherung geschah in der Absicht, Norwegen einzulullen, wie die Anklage behauptet?


JODL: Diese Behauptung ist glatt zu widerlegen, und zwar mit einigen Daten, die ich nennen werde. Diese Versicherungen, diese politischen Versicherungen sind vom Führer abgegeben worden oder von der Reichsregierung – ich weiß es nicht – am 2. September und am 6. Oktober. Am 9. Oktober hat der Führer jene berühmte Denkschrift geschrieben und unterschrieben, die bekannt ist unter dem Dokument L-52. Ich weiß nicht, ob das Gericht darüber Klarheit hat, daß es eine Denkschrift des Führers persönlich ist.


PROF. DR. EXNER: Das ist also L-52, US-540; bei mir ist die Stelle abgedruckt im ersten Band, Seite 48.

Für wen war diese Denkschrift berechnet?


JODL: Diese Denkschrift, das geht, glaube ich, aus dem Dokument hervor, ging nur an die drei Oberbefehlshaber und an den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht. Sie ist Wort für Wort vom Führer selbst diktiert und in zwei Nächten gemacht worden.


PROF. DR. EXNER: Ich lese den zweiten Absatz vor, der bei mir auf Seite 48 abgedruckt ist:

[412] »Die Nordischen Staaten: Ihre Neutralität ist, wenn nicht gänzlich unvorhergesehene Momente eintreten, auch für die Zukunft als wahrscheinlich anzunehmen. Die Fortführung des deutschen Handels mit diesen Ländern erscheint auch bei längerer Kriegsdauer möglich.«


JODL: Es ist ganz ausgeschlossen, daß in dieser geheimsten Denkschrift der Führer etwas anderes niedergelegt hat als seine wahre Absicht zu diesem Zeitpunkt. Das ist aber auch um so begreiflicher, als erst einen Tag später, nämlich am 10. Oktober, zum erstenmal der Großadmiral Raeder mit solchen Befürchtungen an den Führer herantrat.

PROF. DR. EXNER: Handelte es sich bei der Besetzung Norwegens um einen schwerwiegenden Entschluß für die Führung?


JODL: Es war ein ganz ungeheurer Entschluß. Nur in Kürze. Er setzte die ganze deutsche Flotte aufs Spiel. Er hatte zur Folge, daß wir eine Küste von über 3000 Kilometern verteidigen mußten. Das kostete uns fast 300000 Mann, die dort brach lagen. Darum hing dieser Entschluß auch von wirklich sicheren Nachrichten ab, daß nämlich wirklich für Norwegen eine Gefahr drohe, und deshalb ist auch für diesen Operationsplan »Weserübung« kein Zeitpunkt bestimmt worden, und aus diesem Grunde habe ich später auch den Vorschlag gemacht, daß man die Kräfte für die Operation Norwegen, falls sie notwendig würde, und die für einen Angriff im Westen völlig voneinander trennen solle.


PROF. DR. EXNER: Welches waren denn die Gründe, die Besetzung doch bis in alle Einzelheiten vorzubereiten?


JODL: Die Gründe sind ganz offen und eindeutig in der Weisung vom 1. März 1940, es ist das im Dokument C-174 zum Ausdruck gebracht.


PROF. DR. EXNER: Es ist GB-89.


JODL: Ja, wir mußten auf jeden Fall bereit sein...


VORSITZENDER: Beziehen Sie sich auf 174-PS oder?


PROF. DR. EXNER: Es ist nicht bei mir abgedruckt. Er beruft sich auf ein Dokument, welches die englische Anklage als GB-89 vorgelegt hat.


VORSITZENDER: Aber 174 muß doch etwas bedeuten, nicht wahr?

Der Angeklagte sagte Dokument 174.


PROF. DR. EXNER: C-174.


MR. ROBERTS: Herr Vorsitzender, das ist C-174.


VORSITZENDER: C-174, gut.


[413] MR. ROBERTS: Es wurde von Herrn Elwyn Jones vorgelegt und befindet sich im dritten Dokumentenbuch.


VORSITZENDER: Jawohl.


PROF. DR. EXNER: Nun, in Ihrem Tagebuch sagen Sie, der Führer suche nach einer Begründung. Es wurde schon einmal erklärt, was das wohl bedeuten mag, aber Sie haben es selber geschrieben und müssen es daher am besten wissen. Was ist damit gemeint?


JODL: Der Führer sagte in diesen Tagen, wo ich das niederschrieb, – nicht in ein Tagebuch, sondern in mein Notizheft, mein Aufschreibeheft – da sagte er: »Um einen solchen Entschluß durchzuführen, brauche ich absolut zuverlässige Nachrichten, mit denen ich ihn auch wirklich vor der Welt begründen und als notwendig beweisen kann. Ich kann nicht sagen, ich habe das nur von Herrn Quisling erfahren.« Und deswegen trieb ich in dieser Zeit gerade die Abwehr in besonderem Maße an, doch genauere Unterlagen über diese vielen Meldungen, die wir bekamen, dem Führer zu verschaffen.


PROF. DR. EXNER: Nun hat Großadmiral Raeder die Tatsachen dargetan, aus denen auf die Pläne Englands zu schließen war. Haben Sie da einiges hinzuzufügen oder ist das erledigt?


JODL: Im großen und ganzen hat der Großadmiral Raeder die ganzen Meldungen schon wiedergegeben. Eines ist mir noch in Erinnerung und auch in meinem Notizheft aufgeschrieben worden, das besondere Drängen in der französischen Presse, ganz öffentlich, daß Deutschland unter allen Umständen von dem schwedischen Erz abgeschnitten werden müsse. Es kam dann das Minenlegen in den norwegischen Hoheitsgewässern; es kam der Fall »Altmark«, der nach meinem Studium des Völkerrechts ein eklatanter Bruch dieses Abkommens war über die Rechte und Pflichten neutraler Staaten in einem Seekriege, und zwar der Artikel 1 und 2...


PROF. DR. EXNER: Bezüglich der beiden ersten Punkte, die der Zeuge erwähnt, möchte ich hinweisen auf das Dokument 1809-PS, das ist sein Tagebuch, GB-88, Seite 53 des ersten Bandes meiner Sammlung. Da ist im Tagebuch am 10. März eingetragen:

»Die Nachricht über die Verhandlungen Finnland- Rußland sind politisch sehr erfreulich. Die französische Presse tobt darüber, da sie es für notwendig hält, Deutschland vom schwedischen Erz abzuschneiden.«

Und dann noch die Eintragung vom 25. März:

»Engländer beginnen in dänischen und norwegischen Hoheitsgewässern unsere Handelsschiffe zu belästigen oder gar zu beschießen.«

[414] Nun, sagen Sie noch, was löste den Beschluß aus zum Angriff?

JODL: Die endgültige Entscheidung des Führers ist am 2. April gefallen, und zwar auf zwei Nachrichten hin: das erste waren Meldungen der Kriegsmarine über mehrfache Beschießung deutscher Handelsdampfer sowohl in den norwegischen wie in den dänischen Hoheitsgewässern. Und die zweite Meldung war eine Meldung Canaris', daß im Nordteil der englischen Ostküste englische Truppen und Transportschiffe zur Verschiffung bereitgestellt seien.

PROF. DR. EXNER: Welche Folgerungen für uns hätte ein Zuvorkommen Englands gehabt?


JODL: Ich kann darüber auf die Ausführungen des Großadmirals Raeder verweisen und nur sagen: Norwegen im Besitz Englands – und der Krieg wäre für uns zur Hälfte verloren gewesen. Wir wären in der Nordflanke strategisch umfaßt und wären unfähig gewesen, infolge unserer geringen Flottenstärke, das jemals wieder zu korrigieren.


PROF. DR. EXNER: Hatte man später unzweifelhaften Beweis gefunden, daß die englischen Pläne auf Wahrheit beruhten?


JODL: Wir erbeuteten die gesamten Akten der englischen Brigade, die in Namsos und anderswo gelandet war. Wir nahmen überraschend gefangen den englischen Kriegsberichter Rommilly in Narvik, der dort alles andere eher als deutsche Schiffe erwartete, sonst hätte er sich der Gefangennahme entziehen können und der auf die Frage, was er denn in dem friedlichen Narvik über Krieg berichten wolle, keinerlei Auskunft geben konnte.

Wir erbeuteten dann später die gesamten Akten des französischen Generalstabs, die zum Teil ja durch den Verteidiger des Großadmirals Raeder schon vorgelegt sind. Besonders lehrreich und für mich von Interesse waren aber die Tagebücher, die die englischen Offiziere, teilweise auch Unteroffiziere, die wir in Norwegen gefangennahmen, bei sich trugen. Sie bewiesen mindestens das eine, daß alle diese Truppen bereits eingeschifft waren und in dem Augenblick, als unsere deutsche Flotte nach Norwegen vorstieß, wieder an Land gesetzt wurden.


PROF. DR. EXNER: Ich möchte hier wieder auf zwei Tagebucheintragungen verweisen, Seite 54 im ersten Band meines Dokumentenbuches; Eintragung vom 24. April und Eintragung vom 26. April. Da heißt es:

»Major Soltmann berichtet über Vernehmung der Engländer und bringt weitere wichtige Papiere, darunter die geheime Rangliste. Mittags treffen die ersten Gefangenen in Berlin ein. Sie werden in der Alexanderkaserne vernommen und bestätigen die Echtheit der Befehle. Alles Material wird dem Auswärtigen Amt übergeben.«

[415] Ich verweise endlich auch noch auf den Fragebogen Soltmann. Das ist das Dokument AJ-4, welches ich hier vorlege, Seite 173 des zweiten Bandes; ich brauche das aber nicht zu verlesen, sondern ich verweise nur auf die Antwort Soltmanns auf die Fragen 4 und 5.

Nun, eine letzte Frage zu dieser norwegischen Angelegenheit. Der englische Vertreter der Anklagebehörde hat gesagt, das zeige die Ehrenhaftigkeit der Soldaten, die Norwegen angegriffen haben und dann Lügen und Ausreden gebrauchten. Was haben Sie dazu zu sagen?

JODL: Die Anklage hat damit ein rein operatives Problem auf die Ebene der soldatischen oder menschlichen Ehre geschoben. Das war bisher in der Welt nicht üblich. Ich kann nur sagen, ich habe Norwegen weder angegriffen, noch habe ich Lügen und Ausreden gebraucht. Aber ich habe meine ganze Kraft eingesetzt, um zum Gelingen einer Operation beizutragen, die ich für unbedingt notwendig hielt, um einer ebensolchen englischen Absicht zuvorzukommen. Wenn einmal die Siegel von den Archiven geöffnet werden, dann wird sich ja die Richtigkeit meiner Auffassung klar erweisen. Aber selbst wenn es falsch wäre, an der Ehrlichkeit meiner subjektiven Einstellung zu dieser Zeit kann deswegen nichts geändert werden.

PROF. DR. EXNER: Wir sprechen jetzt von den Westkriegen. Gab es nach dem Polenfeldzug bereits einen Operationsplan für Angriffe im Westen?


JODL: Nein. Zunächst gab es keinen Angriffsplan im Westen sondern im Gegenteil, es gab eine, besonders im Heere weitverbreitete Auffassung, daß der Krieg von selbst einschlafen würde, wenn wir uns nur im Westen ruhig verhielten. Das ging so weit, daß der Oberbefehlshaber des Heeres sogar bewegliche Infanteriedivisionen in Festungsdivisionen umwandelte, also ihnen die ganzen Bewegungsmittel wegnahm,


PROF. DR. EXNER: Wußten Sie schon im Polen feldzug von den Absichten des Führers gegenüber dem Westen?


JODL: Während des Polenfeldzuges war der Führer selbst zweifelhaft. Auch er konnte sich keine plausible Erklärung machen über die völlige Untätigkeit der französischen und englischen Kräfte in Frankreich, die nur mit Hilfe ihrer Kriegsberichte eine Art Scheinkrieg inszenierten. In Wirklichkeit fiel aber an der Front kein Schuß. Aber Ende September war sich meiner Erinnerung nach der Führer doch darüber klar, daß, wenn England mal in einen Krieg eingetreten ist, es einen solchen Krieg auch bis zum bitteren Ende durchkämpft.


PROF. DR. EXNER: Als Generalstäbler müssen Sie folgende Fragen am besten beantworten können. Hätten wir uns vom rein [416] strategischen Standpunkt aus gegenüber dem Westen auch rein defensiv verhalten können?


JODL: Ich will mich ganz kurz fassen, weil derartige Probleme nicht direkt mit dem Prozeß zu tun haben. Ich will nur sagen, es wäre der größte strategische Fehler gewesen; denn unsere damalige Überlegenheit mußte in demselben Maße schwinden, als wir zögerten, davon angriffsweise Gebrauch zu machen; denn England brachte laufend weitere Divisionen nach Frankreich und ebenso die Franzosen aus ihrem Kolonialreich.

Ich glaube, mehr brauche ich darüber nicht zu sagen.


PROF. DR. EXNER: Ich verweise auf C-62, GB-106. In meinem Dokumentenbuch erster Band, Seite 56. Ich brauche es aber nicht zu verlesen. Es ist eine Weisung für die Kriegführung, und es sind auch wiederum die Grundgedanken, die wir da gehört haben, zum Ausdruck gebracht.


JODL: Eines ist vielleicht doch noch wichtig. Der Führer nahm diese Gefahr, daß wir eben nicht mehr überlegen bleiben würden, auf die Dauer so ernst, daß er ja den Angriff im Winter führen wollte, obwohl sämtliche Soldaten, die es überhaupt gab, ihm davon abgeraten haben.


PROF. DR. EXNER: Da wäre zu verweisen auf unser Dokument im ersten Band, Seite 48/49. Es ist die Denkschrift des Führers über die Führung des Krieges im Westen, die Generaloberst Jodl bereits zitiert hat, L-52, US-540. Eine ausführliche Begründung dafür ist auf Seite, 49 meines Dokumentenbuches. Warum wurde denn nicht Frankreich angegriffen, ohne die Neutralität Hollands, Belgiens und Luxemburgs zu verletzen?


JODL: Es war auch für den Führer keine Kleinigkeit sich neue Gegner zu verschaffen in einer Stärke von 500000 Mann, wie es die holländisch-belgischen Kräfte darstellten. Das führte dazu, daß wir den Angriff im Westen tatsächlich mit unterlegenen Kräften führen mußten, nämlich mit 110 Divisionen gegen rund 135 feindliche. Ohne Not tut das kein Feldherr.


PROF. DR. EXNER: Nun, was waren die Gründe?


JODL: Wir waren nicht imstande, die Maginot-Linie an ihren stärksten Stellen, die dann übrig geblieben wären, nämlich zwischen dem Rhein und der luxemburgischen Grenze oder am Oberrhein, wo die Vogesen noch dazu kamen, diesen Westwall an diesen Stellen zu durchbrechen, ich meine die Maginot-Linie. Dazu fehlte die schwere Artillerie; aber das war kein moralischer Grund, sondern vielleicht gerade ein unmoralischer.

Die große Gefahr bestand aber darin, daß uns bei einem solch langwierigen Festungsangriff die gesamten englisch-französischen [417] beweglichen Kräfte, durch Belgien und Holland vorstoßend, in den Rücken gefahren wären, und diese standen nämlich nördlich Lille, man kann wohl sagen mit laufenden Motoren für diese Aufgabe bereit. Und das Entscheidende war, daß sowohl der Führer aber auch wir selbst, wir Soldaten, aus den vielen Meldungen, die wir bekamen, unbedingt des Eindruckes waren, daß die belgisch- holländische Neutralität doch letzten Endes nur mehr eine scheinbare und vorgetäuschte war.


PROF. DR. EXNER: Wieso kamen Sie zu dieser Anschauung?


JODL: Die Meldungen im einzelnen sind nicht von Interesse. Aber es ist eine Unzahl von Meldungen von Canaris gewesen. Sie wurden ergänzt und wurden bestätigt durch Briefe des Duce, Mussolinis. Aber das absolut Beweisbare, das ganz Sichere, das war, was ich jeden Tag auf der Karte sah, es waren die nächtlichen Ein- und Ausflüge der englischen Luftwaffe, völlig unbekümmert um das neutrale holländisch-belgische Gebiet. Das mußte in uns die Überzeugung festigen, daß selbst, wenn die beiden Staaten wollten – und zu Beginn haben sie vielleicht gewollt –, sie auf die Dauer gar nicht neutral bleiben konnten.


PROF. DR. EXNER: Welche Gefahr hätte eine englisch-französische Besetzung Belgiens und Hollands für uns bedeutet?


JODL: Diese Gefahren sind ganz eindeutig vom Führer niedergelegt, erstens in seiner Denkschrift L-52, die schon wiederholt zitiert ist. Hier steht auf Seite 48 des Dokumentenbuches im untersten Abschnitt der Seite der Hinweis auf die ungeheure Bedeutung des Ruhrgebietes, von der man ja übrigens heute auch genügend Beweise hat.

In seiner Ansprache an die Oberbefehlshaber am 23. November 1939 – es ist das Dokument 789-PS, US-23, Seite 59 des ersten Dokumentenbuches – da hat er ebenfalls diese ungeheure Gefahr für das Ruhrgebiet geschildert, wenn überraschend eines Tages englisch-französische Kräfte vor diesem Gebiet gestanden wären. Er bezeichnete es dort als die »Achillesferse«, und das war es für die deutsche Kriegführung auch.


PROF. DR. EXNER: Und er sagte da auf Seite 59 unseres Dokumentenbuches:

»Wir haben eine Achillesferse: das Ruhrgebiet. Vom Besitz des Ruhrgebiets hängt die Kriegführung ab. Wenn England und Frankreich durch Belgien und Holland in das Ruhrgebiet vorstoßen, sind wir in höchster Gefahr.«


JODL: Ich kann natürlich oder konnte damals die absolute Richtigkeit der vielen Meldungen von Canaris nicht beschwören. Aber das, was wir nachträglich erbeuteten, und ich verweise da [418] auf die Sitzung des Obersten Kriegsrats in London vom 17. November 1939, das hat im großen und ganzen doch die Richtigkeit der Abwehrmeldungen bestätigt.

PROF. DR. EXNER: Sie hatten wohl auch damals keinen Grund an der Ehrlichkeit von Canaris zu zweifeln, nicht?


JODL: Nein, damals lag aber auch nicht der geringste Anlaß vor.


PROF. DR. EXNER: Ja, während man ja jetzt etwas zweifelhaft geworden ist über seine Ehrlichkeit.

Nun, der deutsche Angriff war ursprünglich für November 1939 vorgesehen. Weshalb hat der Führer ihn denn wieder verschoben, immer wieder? Nicht weniger als 17 Befehle liegen vor, die immer wieder den Angriff verschieben.


JODL: Es ist nicht ganz richtig, daß der Führer für Mitte November den Angriff befohlen hätte, sondern er wollte den Angriff dann führen, wenn ihm die Meteorologen ein klares Frostwetter für etwa sechs bis sieben Tage voraussagten. Daran scheiterten aber die Meteorologen. Manchmal glaubten Sie, eine solche Wetterlage zu erkennen, dann wurden alle Vorbereitungen für den Angriff getroffen. Dann widerriefen sie diese Wettermeldungen wieder, und dann wurden die letzten Angriffsvorbereitungen wieder eingestellt. So ist es gekommen, daß wir sehr oft zum Angriff ansetzten und ihn dann doch wieder nicht durchführten.

Bei dieser Gelegenheit ist dann nach einer Meldung, die ich von Canaris bekam, auch die französische Armee mit einer Truppe ihrerseits schon ein Stück über die belgische Grenze gefahren. Ob es richtig ist, weiß ich nicht.


PROF. DR. EXNER: Die Ankläger werfen Ihnen vor, daß Sie diese Länder getäuscht und dann überfallen haben. Bitte äußern Sie sich dazu.


JODL: Hier gilt dasselbe, was ich vorhin schon sagte.

Ich war weder Politiker noch war ich militärischer Oberbefehlshaber der Wehrmacht. Ich stand unter dem Eindruck, und zwar unter dem beweisbaren Eindruck, daß die Neutralität dieser beiden Staaten in der Tatsache nicht mehr respektiert wurde. Und was den Ehrenkodex meines Handelns betrifft, muß ich sagen, das war der Gehorsam; denn er ist das ethische Fundament des Soldatentums überhaupt. Und daß ich weit davon entfernt bin, ihn unbegrenzt auszudehnen, ihn als Kadavergehorsam aufzufassen, darüber, glaube ich, wird man nach meinen bisherigen Ausführungen keinen Zweifel haben. Aber trotzdem kommt man nicht darum herum, daß es gerade in solchen operativen Dingen nichts anderes geben kann für den Soldaten wie Gehorsam.

Und wenn die Anklagebehörde heute hier in der Lage ist, die Anklage gegen deutsche Offiziere überhaupt zu erheben, so verdankt [419] sie das nur diesem ethischen Prinzip des Gehorsams ihrer tapferen Soldaten.


PROF. DR. EXNER: Wir kommen jetzt zum Balkan. In Ihrem Tagebuch 1809-PS machen Sie am 19. März den Eintrag: »Der Balkan soll und muß ruhig bleiben.« – Das ist Seite 61 des ersten Bandes meines Dokumentenbuches, GB-88, 1809-PS, die Eintragung vom 19. März. Da heißt es zuerst:

»Führer kommt freudestrahlend und hochbefriedigt von der Besprechung mit dem Duce zurück. Völlige Übereinstimmung... Balkan soll und muß ruhig bleiben.«

Was bedeutet das?

JODL: Ich muß Sie korrigieren, Herr Professor. Es ist nicht mein Tagebuch.

PROF. DR. EXNER: Ja, dann muß ich eine Zwischenfrage stellen. Es wird immer von Ihrem Tagebuch gesprochen und Ihren Tagebüchern. Erklären Sie das, um was es sich da dreht, womit wir uns hier befassen. Das eine ist ein wirkliches Tagebuch und das andere nicht?


JODL: Es gibt nur ein Tagebuch, das ist Dokument 1780-PS, das ist von den Jahren 1937 bis 1938, und das habe ich selbst am Abend immer niedergeschrieben.


PROF. DR. EXNER: Nun und dieses Tagebuch 1809-PS, was war das?


JODL: Während des Krieges gibt es kein Tagebuch von mir; aber ich habe natürlich Dutzende von Notiz heften ausgeschrieben, und wenn ein solches Aufschreibeheft fertig war, ausgeschrieben war, dann habe ich wichtige Stellen am Rande rot angestrichen und diese hat dann meine Sekretärin später herausgeschrieben, weil sie für die Kriegsgeschichtsschreibung und für das amtliche Tagebuch des Wehrmachtführungsstabes von Bedeutung sein konnten. Das ist zum Beispiel das Dokument 1809-PS.


PROF. DR. EXNER: Haben Sie das kontrolliert, was Ihre Sekretärin da zusammengestellt hat?


JODL: Nein, das habe ich nicht mehr kontrolliert und nicht mehr gesehen; das fiel dann der Anklagebehörde in die Hände.


PROF. DR. EXNER: Nun gibt es noch ein drittes, welches immer als Tagebuch hier zitiert wird. Das ist ein Tagebuch des Wehrmachtführungsstabes.


VORSITZENDER: Sie sagen, es fiel in die Hände der Anklagebehörde. Meinen Sie damit, daß es nicht zu den Dokumenten gehört, die Sie der Anklagebehörde übergaben?


JODL: Nein, ich wußte gar nicht, wo diese Auszüge aus meinem Aufschreibeheft geblieben waren, und die Anklagebehörde hat sie [420] irgendwo erbeutet. Alles übrige sind Ausschnitte, Teilausschnitte aus dem amtlichen Tagebuch des Wehrmachtführungsstabes.

PROF. DR. EXNER: Und wer hat das geführt, das amtliche Tagebuch des Wehrmachtführungsstabes? Nicht Sie?


JODL: Nein, das hat immer ein hochwertiger von mir persönlich bestimmter Fachmann geführt.


PROF. DR. EXNER: Haben Sie das kontrolliert?


JODL: Zuletzt der Professor an der Universität Göttingen, Dr. Schramm.


PROF. DR. EXNER: Den werden wir als Zeugen hören.

Haben Sie kontrolliert, was in dieses offizielle Tagebuch hineingenommen wurde oder nicht?


JODL: Ich hatte meist nicht die Zeit, sondern ließ es durch General Scherff durchlesen, und wenn der irgend etwas Besonderes gefunden hat, so hat er mich darauf aufmerksam gemacht.


PROF. DR. EXNER: Also, das nur zur Klarstellung.

Jetzt kehren wir wieder zur Balkanfrage zurück. Es hieß in Ihrem sogenannten Tagebuch: »Der Balkan soll und muß ruhig bleiben.« Was war damit wohl gemeint?


JODL: Das war eine kurze Notiz über die Erzählungen des Führers, daß er sich mit Mussolini vollkommen darüber einig geworden sei, daß man am Balkan Ruhe haben müsse.


PROF. DR. EXNER: Und haben wir nicht versucht, die Balkanstaaten wirklich so ruhig als möglich zu halten?


JODL: Ja, dieser Versuch ist unaufhörlich gemacht worden. Es ist unser Verhalten gegenüber Jugoslawien so sorgsam gewesen wie gegenüber einer Primadonna. Das ging so weit, daß, als wir den griechischen Feldzug vorbereiten mußten, der Führer sogar den Antrag des Generalquartiermeisters des Heeres abgelehnt hat, plombierte Züge, Nachschubzüge durch Jugoslawien fahren zu lassen, was völkerrechtlich zulässig ist. Wir haben ferner auf Bulgarien eingewirkt, daß es sich an dem bevorstehenden Krieg in Griechenland nicht beteiligt, vor allem um die Türkei nicht zu alarmieren; und der Führer hoffte selbst nach dem Krieg Italien-Griechenland immer noch, den Konflikt, die persönliche militärische Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Griechenland vermeiden zu können.


PROF. DR. EXNER: Ich verweise da auf die Weisung Nummer 18, abgedruckt auf Seite 66 des ersten Bandes unseres Dokumentenbuches, wo ein Auszug aus 444-PS, GB-116 aufgenommen ist; hier finden wir in dem vorletzten Abschnitt folgendes:

[421] »Die vorbereitenden Maßnahmen der Oberkom mandos für die Kriegführung der nächsten Zeit sind nach folgenden Richtlinien zu treffen:«

Und dann im vorletzten Absatz dieser Seite heißt es:

»Auf eine Benutzung der durch Jugoslawien führenden Eisenbahn wird für den Aufmarsch dieser Kräfte nicht zu rechnen sein.«

Nun, was zwang uns dazu, dieses Programm aufzugeben?

JODL: Dieses Programm wurde völlig über den Hauten geworfen durch die Extratour Italiens, über die der Reichsmarschall und der Großadmiral schon berichtet haben. Ich habe nur kurz hinzuzufügen: Italien wurde wie immer geschlagen und schickte nun hilferufend den Chef der Operationsabteilung, das Commando Supremo, zu mir. Aber trotz dieser Notlage griff der Führer in den Kampf in Albanien nicht ein. Er hat keinen deutschen Soldaten dorthin geschickt, wenn auch Überlegungen dafür angestellt worden sind. Er befahl nur für das nächste Frühjahr eine Operation aus Bulgarien heraus gegen Griechenland vorzubereiten, und auch diese sollte zunächst nur den Zweck haben, das Becken von Saloniki zu besetzen und damit die Italiener unmittelbar zu entlasten, und nur für den Fall, der allerdings befürchtet wurde, daß durch diesen Wahnsinn Italiens nun englische Divisionen am Balkan auftreten würden, für diesen Fall war vorgesehen, naturgemäß ganz Griechenland freizugeben; denn wir konnten unmöglich eine Basis der englischen Luftwaffe in unmittelbarer Nähe der rumänischen Ölgebiete dulden. Und dieser Zwiespalt geht besonders deutlich hervor aus dem Befehl, der dem Gericht vorgelegt worden ist als Dokument 1541-PS, GB-117, auf Seite 63 des Dokumentenbuches und auf Seite 64; ich möchte doch zwei Stellen daraus, kurze Stellen, kurz zitieren. Auf Seite 63, Ziffer 2, Absatz b, heißt es:

»Unternehmen Marita. Meine Absicht ist daher,... diese Kräftegruppe« – ich zitiere jetzt – »diese Kräftegruppe über Bulgarien hinweg zur Besitznahme der Ägäischen Nordküste und, sollte dies erforderlich sein, des ganzen griechischen Festlandes anzusetzen.«

Und ich zitiere von Seite 64, Ziffer 4, Absatz a:

»Erstes Ziel der Operation ist die Besitznahme der Ägäischen Küste und des Beckens von Saloniki. Fortsetzung des Angriffs über Larissa und die Enge von Korinth kann notwendig werden.«

Aus diesen Eventualbefehlen geht ganz klar hervor, daß die Besetzung von ganz Griechenland nur für den Fall beabsichtigt war, daß wir durch Auftreten englischer Truppen dazu gezwungen würden, was damals noch nicht der Fall war.

[422] VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird eine Verhandlungspause einlegen.

[Pause von 10 Minuten.]


PROF. DR. EXNER: Sie haben gesagt: Wir hatten den Plan, Jugoslawien neutral zu belassen. Nun, dieser Plan ist durch den Simowitsch-Putsch offenbar geändert worden. Weshalb änderte dieses Ereignis unsere Politik gegenüber Jugoslawien?

JODL: Dieser Putsch politisierender Offiziere gegen eine legale Regierung, unmittelbar nachdem Jugoslawien dem Dreimächtepakt beigetreten war, mußte ja zwangsläufig eine deutschfeindliche Einstellung haben. Nun standen wir unmittelbar vor dem Feldzug gegen Griechenland, und zwar gegen ganz Griechenland; denn es waren inzwischen englische Divisionen dort gelandet und dieser Feldzug konnte nur geführt werden mit einem sicheren neutralen Jugoslawien im Rücken.


VORSITZENDER: Herr Dr. Exner! Verschiedene andere Angeklagte – die Angeklagten Göring und Keitel – haben sich mit der politischen Seite des deutschen Einmarsches nach Jugoslawien befaßt. Falls der Angeklagte darüber hinaus nichts Neues aussagen kann, ist das doch absolut kumulativ.


PROF. DR. EXNER: Also bitte, sagen Sie nur, was Sie an Neuem hinzuzufügen haben, also die Dokumente und so weiter.

JODL: Ich habe etwas mich persönlich Betreffendes hinzuzufügen.


VORSITZENDER: Man kann hier nichts hören. Man kann die englische Übersetzung nicht hören... Versuchen Sie es bitte noch einmal. Wiederholen Sie, was Sie eben gesagt haben.


JODL: Ich habe verschiedenes, mich persönlich Betreffendes bezüglich des jugoslawischen Problems noch hinzuzufügen.


VORSITZENDER: Nein, man kann hier nichts hören... Fahren Sie jetzt fort, Angeklagter. Ich habe Sie gefragt, ob Sie etwas Neues hinzufügen können.


JODL: Ja, ich habe etwas Persönliches hinzuzufügen.


PROF. DR. EXNER: Ja, tun Sie das.


JODL: Als der Führer an diesem Morgen spontan die sofortige Vorbereitung eines Angriffs gegen Jugoslawien gefordert hat, da schlug ich ihm vor oder ich erwähnte zum mindesten, daß wir doch erst durch ein Ultimatum nach unserem Aufmarsch die wirkliche Lage, die politische Lage klären müßten. Das lehnte er ab. Er sagte: »Da kommt gar nichts dabei heraus.« Das hat der Feldmarschall Keitel schon bestätigt.


[423] PROF. DR. EXNER: Sagen Sie, das war am 27. März?

JODL: Ja, das war am 27. Nun darf ich dazu noch einen Beweis liefern: Am Abend dieses 27. März ist der Befehl erlassen worden...


VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß das notwendig ist, wenn der Angeklagte Keitel und Sie selbst es schon gesagt haben, und es ist kein Kreuzverhör darüber angestellt worden.


PROF. DR. EXNER: Ja, etwas scheint mir wichtig zu sein.


JODL: Es ist ein Dokument eingereicht worden, das Dokument 1746-PS, GB-120; es ist Seite 70 des Dokumentenbuches.


PROF. DR. EXNER: Seite 71?


JODL: Ja, auf Seite 71 ist der Text. Wenn das Gericht diesen Satz auf Seite 71, Ziffer 1 vergleicht mit dem Satz, der auf Seite 69 des Dokumentenbuches steht, so tritt ein Unterschied in Erscheinung. Seite 69 enthält nämlich die vom Führer unterschriebene Weisung, und die beginnt mit dem Satz, den ich zitiere:

»Der Militärputsch in Jugoslawien hat die politische Lage auf dem Balkan geändert. Jugoslawien muß auch dann, wenn es zunächst Loyalitätserklärung abgibt, als Feind betrachtet und daher so rasch als möglich zerschlagen werden.«

Das ist, wie aus dem Datum hervorgeht, am 27. März ausgegeben worden. Ich habe, was auch für die Überraschung dieses ganzen Falles spricht, diese Nacht in der Reichskanzlei durchgearbeitet. Ich habe, wie aus Seite 71 hervorgeht, am 28. um 4.00 Uhr morgens dem General von Rintelen, dem Verbindungsoffizier zum Italienischen Oberkommando, dieses Aide memoire, dieses operative Aide memoire in die Hand gedrückt, und hier habe ich geschrieben, was ich zitiere:

»Für den Fall, daß die politische Entwicklung ein bewaffnetes Einschreiten gegen Jugoslawien erfordert, ist die deutsche Absicht...« und so weiter.

Ich muß zugeben, daß ich mich damit etwas auf das Gebiet der Politik begeben habe, aber ich habe mir dabei gedacht, wenn Deutschland die politische Situation nicht klärt einwandfrei, dann tut es vielleicht Italien.

PROF. DR. EXNER: Für die Plötzlichkeit dieses Entschlusses spricht auch das nächste Dokument, das ich unter Seite 73 des ersten Bandes abgedruckt habe. Das ist die auf Grund dieser Befehle nun vom OKH erlassene Weisung, die Aufmarschanweisung für das Unternehmen. Ja, also, das ist R-95, GB-127, Seite 73, wie gesagt, des ersten Bandes, und da heißt es: »Infolge der Veränderung der politischen Lage und so weiter«, und dann »wird aufmarschiert« und dann heißt es im letzten Absatz: »Die Operation [424] erhält die Deckbezeichnung ›Unternehmen 25‹.« Ich frage, kann man daraus etwas entnehmen, Herr Generaloberst?

JODL: Der Befehl ist erst am 3. April...


PROF. DR. EXNER: Nein, am 30. März.


JODL:... am 30. März gegeben worden...


PROF. DR. EXNER: Die Operation erhielt da die Deckbezeichnung »Unternehmen 25«?


JODL: Also drei Tage nach dem Putsch wurde überhaupt erst ein Deckname für diese Operation befohlen; das beweist, daß diese Operation nicht schon im Jahre 1937 vorgesehen war, wie es hier einmal ausgesprochen wurde.


PROF. DR. EXNER: Und nun eine letzte Frage zu diesem Gegenstand Balkan: Bestand die griechische Neutralität noch, als wir am 24. März 1941 den Angriff der deutschen Luftwaffe in den Hoheitsgebieten von Kreta freigegeben haben. Ich weise diesbezüglich auf den Befehl C-60 hin, AJ-13. Es ist ein Befehl vom 24. März 1941, der, wie ich eben gesagt habe, den Luftangriff auf Kreta und auch auf griechische Schiffe gestattet. Nun, wie stand es mit der griechischen Neutralität am 24. März 1941?


JODL: Sie war zu diesem Zeitpunkt, völkerrechtlich betrachtet, nicht mehr vorhanden. Die Engländer waren inzwischen sowohl auf Kreta als auch auf dem Piräus gelandet, und wir haben das bereits am 5. oder 6. März erfahren. Der Befehl entspricht also allen völkerrechtlichen Grundsätzen. Aber ich darf abschließend zu dem jugoslawischen Problem noch hinzusetzen, daß die Behauptung, die hier von der Anklage vorgebracht wurde, nämlich, daß der Plan, Jugoslawien anzugreifen, von dem Büro Jodl ausgegangen ist, daß das eine durch nichts bewiesene und auch durch nichts beweisbare Behauptung ist.


VORSITZENDER: Auf welches Dokument haben Sie sich bezogen, 24. März 1941? Sie sagten »360«, das besagt uns doch gar nichts.


PROF. DR. EXNER: 24. März, das ist Dokument C-60, AJ-13.


VORSITZENDER: Danke. Welche Seite ist das?


PROF. DR. EXNER: Seite 76, erster Band.


[Zum Zeugen gewandt:]


Nun kommen wir zur Frage der Sowjetunion. Wie viele Truppen hatten wir im Osten während des Westfeldzuges?

JODL: Zuerst waren es zehn Divisionen, und die wurden im Laufe des Westfeldzuges noch auf sechs bis fünf Divisionen vermindert.

[425] PROF. DR. EXNER: Was veranlaßte uns, nach dem Westfeldzug Truppen nach dem Osten zu verschieben?


JODL: Die Meldung des Oberbefehlshabers im Osten, daß er mit diesen schwachen Kräften weder Polen in Ruhe halten könne, noch die Demarkationslinie überwachen.


PROF. DR. EXNER: In Ihrem Tagebuch, dem sogenannten Tagebuch, 1809-PS, erster Band meines Dokumentenbuches, Seite 83, schreiben Sie am 24. Mai: »Lage im Osten wird durch russischen Aufmarsch gegen Bessarabien bedrohlich«. Das ist am 24. Mai 1940, das schreiben Sie in Ihr Tagebuch. Wie kamen Sie dazu?


JODL: Anlaß war eine Meldung von Canaris, der über den Aufmarsch von 30 russischen Divisionen gegen Bessarabien berichtet. Ob nun der Zusatz über die Besorgnis von mir stammt, oder ob es ein Gedanke des Führers war, den ich da niedergeschrieben habe, kann ich heute nicht mehr sagen.


PROF. DR. EXNER: Nun, am 6. September 1940 haben Sie einen Befehl unterschrieben, daß diese Umgruppierung nicht den Eindruck offensiver Absichten machen soll. Wie ist denn das zu verstehen?

JODL: Dieser von mir unterschriebene Befehl ist aufgefaßt worden als die erste Verschleierung des bevorstehenden Angriffes auf Rußland.


PROF. DR. EXNER: Einen Moment. Ich will das Gericht verweisen auf den Befehl, um den es sich dreht. Es ist Seite 78 des ersten Bandes, und zwar handelt es sich um 1229-PS, US-130. Es ist ein Befehl von Jodl unterzeichnet, an Ausland/Abwehr, und da heißt es nun:

»Der Ostraum wird in den kommenden Wochen stärker belegt werden. Bis Ende Oktober soll der aus anliegender Karte ersichtliche Stand erreicht sein.«

Und jetzt, Hohes Gericht, zu meinem Bedauern muß ich wieder auf einen Mangel in der englischen und französischen Übersetzung aufmerksam machen; es fehlt nämlich der nächste Absatz, und der ist sehr wichtig zum Verständnis des ganzen Dokuments. Es heißt nämlich:

»Für die Arbeit des eigenen Nachrichtendienstes, sowie für die Beantwortung von Fragen des russischen Nachrichtendienstes...«


VORSITZENDER: Es scheint nicht in unserem Dokument zu sein. Welchen Absatz lesen Sie jetzt?

PROF. DR. EXNER: Es ist der zweite Absatz in meinem Dokumentenbuch, Seite 78.

[426] VORSITZENDER: Das ist nicht übersetzt.


PROF. DR. EXNER: Ja eben, das habe ich gesagt, das ist ja der Fehler, darum diktiere ich es jetzt oder lese es langsam.


VORSITZENDER: Sie wollen, daß es übersetzt werden soll?


PROF. DR. EXNER: Ja.


VORSITZENDER: Absatz 2 ist überhaupt nicht übersetzt. Es steht nichts hier.


PROF. DR. EXNER: Diese drei Zeilen sind überhaupt nicht übersetzt, sind aber sehr wichtig.


VORSITZENDER: Dann lesen Sie es über den Lautsprecher, diese Stelle.


MR. ROBERTS: Herr Vorsitzender! Im britischen Dokumentenbuch Nummer 7, Seite 102, ist das ganze Dokument enthalten.


VORSITZENDER: Danke vielmals. Fahren Sie fort.


PROF. DR. EXNER:

»Für die Arbeit des eigenen Nachrichtendienstes, sowie für die Beantwortung von Fragen des russischen Nachrichtendienstes, gelten folgende Richtlinien...«

und nun erklären Sie die Sache weiter.

JODL: Solche Anweisungen, wie diese hier an das Amt Canaris, habe ich alle sechs Wochen gegeben. Es waren die Grundlagen für die Arbeit der sogenannten Gegenspionage, die ich hier nicht näher erörtern will. In diesem Falle kam es mir darauf an, daß die schwachen Kräfte, die wir um diese Zeit im Osten hatten, daß diese tatsächlich stärker erscheinen sollten. Das geht aus der Ziffer 3 zum Beispiel hervor, in der es heißt, ich zitiere:

»Bei Angaben über die Ausrüstungslager der Verbände, besonders der Panzerdivisionen, ist erforderlichenfalls zu übertreiben.«

In der nächsten Ziffer weise ich auch darauf hin, daß der Flakschutz zu übertreiben ist. Das alles ist geschehen, weil zu dieser Zeit ja schon eine Sorge bestanden hat, daß eventuell eine russische Aktion gegen Rumänien sich entwickeln könnte. Davor abzuschrecken, war der Zweck dieser Anweisung, die nur für den Nachrichtendienst bestimmt war. Hätte ich am 6. September schon von irgendeiner Angriffsabsicht gegen Rußland etwas gewußt, dann hätte ich ja genau das Umgekehrte gesagt; denn mit diesem Befehl, wie ich ihn ausgegeben habe, da hätte ich mich ja im Sinne des Freundeskreises Gisevius betätigt, nämlich die Russen darauf hingewiesen, daß wir da zum Aufmarsch ansetzen.

[427] PROF. DR. EXNER: Nun, wann hörten Sie denn zum erstenmal von der Sorge des Führers, daß Rußland sich feindlich zu uns stellen könnte?

JODL: Zum erstenmal am 29. Juli 1940 auf dem Berghof bei Berchtesgaden.


PROF. DR. EXNER: In welchem Zusammenhang?


JODL: Der Führer behielt mich nach der Lagebesprechung allein zurück und sagte mir überraschend, er hätte Sorge, daß Rußland noch vor dem Winter in Rumänien weitere Besetzungen vornehmen könnte und uns damit das rumänische Ölgebiet, das die »conditio sine qua non« für unsere Kriegführung war, wegnehmen würde. Er frug mich, ob wir nicht sofort einen Aufmarsch führen könnten, um noch im Herbst bereit zu sein, einer solchen russischen Absicht mit starken Kräften entgegentreten zu können. Das ist nahezu der Wortlaut, mit dem er sich geäußert hat, und alle anderen Darstellungen sind falsch.


PROF. DR. EXNER: Sie erwähnten soeben Hitlers Sorge um die Besitzergreifung der rumänischen Ölfelder. Hat der Führer auf Grund dieser Sorge etwas veranlaßt?


JODL: Auf Grund dieses Gespräches eben hier, bei dem ich ihm erwiderte, es sei ganz unmöglich, jetzt einen Aufmarsch aufzufahren, der dauerte vier Monate, da befahl der Führer, daß diese Aufmarschverhält nisse gebessert werden müssen; und es ergingen nun zwei Befehle in der nächsten Zeit. Der eine ist, glaube ich, vom 9. August, er nannte sich »Aufbau Ost« und enthielt alle Maßnahmen, die notwendig waren, die Aufmarschverhältnisse im Ostraum zu verbessern. Der zweite Befehl erging am 27. August. Er liegt uns nicht vor, aber er ist dokumentarisch festgehalten in dem Kriegstagebuch der Skl.


PROF. DR. EXNER: Ja, das ist Seite 85 des ersten Bandes meines Dokumentenbuches. Da ist ganz am Ende der Seite eine Eintragung im Tagebuch der Seekriegsleitung:

»Verschiebung von 10 Divisionen und 2 Panzerdivisionen in das Generalgouvernement für eventuell notwendiges schnelles Eingreifen zum Schutz des rumänischen Ölgebietes.«

Das ist also ein Auszug aus C-170, US-136.

VORSITZENDER: Sie lesen anscheinend von Seite 85?

PROF. DR. EXNER: Ja, von Seite 85. Bei mir ist es auf Seite 85 im Deutschen, vielleicht stimmt es im Englischen nicht ganz mit der Seite überein? Es ist die Eintragung »Verschiebung von 10 Divisionen und 2 Panzerdivisionen in das Generalgouvernement«.


VORSITZENDER: Ja, ich sehe schon.


[428] JODL: Dieser Eintrag ist ein Beweis, welche Absicht damals der Führer mit dieser Verstärkung im Osten verfolgte.


PROF. DR. EXNER: Nun, wann wurde der Befehl des Führers erteilt, den Angriff vorzubereiten?


JODL: Der erste Befehl, Angriffsüberlegungen oder Überlegungen für eine Angriffsoperation überhaupt anzustellen, ist schriftlich vom Wehrmachtführungsstab aus am 12. November dem Führer vorgelegt worden. Es ist das das Dokument 444-PS.


PROF. DR. EXNER: Es ist auf Seite 66 des ersten Bandes meines Dokumentenbuches.


JODL:... und ist dem Gericht schon bekannt. Aber diesem ersten Befehl, der mir bekannt ist, müssen unbedingt mündliche Anweisungen des Führers an den Oberbefehlshaber des Heeres vorausgegangen sein.


PROF. DR. EXNER: Das ist aus dem Dokument selbst zu entnehmen, nämlich auf Seite 67 heißt es:

»Gleichgültig, welches Ergebnis diese Besprechungen haben werden, sind alle schon mündlich befohlenen Vorbereitungen für den Osten fortzuführen«,

ein Zeichen also, daß bereits mündliche Befehle und Vorbereitungen vorausgingen.


JODL: Ich bin aber nicht in der Lage zu sagen, wann diese mündlichen Anweisungen an das Heer gegeben worden sind.

PROF. DR. EXNER: Sagen Sie, war bei diesen Ausführungen Hitlers Ihnen gegenüber je von Dingen die Rede wie Erweiterung des Lebensraums und der Ernährungsbasis als Grund für einen Eroberungskrieg und so weiter?


JODL: Der Führer hat in meiner Gegenwart niemals auch nur eine Andeutung von einem anderen Grunde genannt als den rein strategisch-operativen. Unaufhörlich, durch Monate hindurch, kann man sagen, führte er aus: »Es ist kein Zweifel mehr, England hofft auf diesen letzten Festlandsdegen, sonst hätte es schon nach Dünkirchen den Krieg eingestellt. Unter der Hand oder unter der Decke sind sicher schon Vereinbarungen getroffen. Der russische Aufmarsch ist ja unverkennbar. Eines Tages werden wir plötzlich entweder eiskalt politisch erpreßt oder angegriffen.« Aber – darüber könnte man noch wochenlang sprechen – es ist kein anderes Wort mir gegenüber gefallen als derartige rein strategische Gründe.


PROF. DR. EXNER: Wie hatte sich nach den Meldungen, die Sie bekamen, die militärische Lage seit dem Polenfeldzug im Osten entwickelt?


[429] JODL: Als wir zum erstenmal mit den Russen in Fühlung kamen, im Polenfeldzug, war das Verhältnis ein ziemlich frostiges. Jeder Einblick in die Truppe oder in die Ausrüstung wurde sorgfältig verwehrt. Es kam dann laufend zu unangenehmen Zwischenfällen am San. Die Russen schossen auf alles, auf flüchtige Polen oder auf deutsche Soldaten; es gab Verwundete und Tote, und es wurde die Demarkationslinie in zahlreichen Fällen überflogen. Die ungewöhnlich starken Kräfte, mit denen Rußland die Besetzung der baltischen Staaten, von Polen und von Bessarabien durchführte, die fielen uns vom ersten Augenblick an auf.


PROF. DR. EXNER: Enthielten die Meldungen, die Sie bekamen, Angaben über militärische Verstärkungen der Roten Armee?


JODL: Durch die Karten, die alle paar Tage vorgelegt wurden und die ja auf den Meldungen der Abwehr, auch der Horcherabteilung basierten, da formte sich folgendes Bild: Im Sommer 1940 waren etwa 100 russische Divisionen entlang der Grenze; im Januar 1941 waren es bereits 150 Divisionen, und die waren mit Nummern angegeben; also waren es zuverlässige Meldungen. Zum Vergleich dieser Stärke darf ich anfügen, daß die englisch-amerikanisch-französischen Kräfte, die von Frankreich aus gegen Deutschland operierten, nach meiner Kenntnis niemals 100 Divisionen stark waren.


PROF. DR. EXNER: Hat Hitler versucht, die politische Situation diplomatisch zu klären?


JODL: Er versuchte das durch die bekannte Besprechung mit Molotow, und ich muß sagen, daß ich auf diese Besprechung große Hoffnungen setzte; denn die militärische Lage für uns Soldaten war doch so: mit einem sicher neutralen Rußland im Rücken, das uns noch dazu belieferte, konnten wir den Krieg überhaupt nicht mehr verlieren. Eine Invasion wie am 6. Juni 1944 war völlig ausgeschlossen, wenn wir alle die Kräfte zur Verfügung gehabt hätten, die wir in diesem gewaltigen Kampf in Rußland verbrauchten und verloren. Daß ohne Not ein Staatsmann und letzten Endes war er auch ein Feldherr, eine solche Lage preisgibt, das muß ich sagen, ist mir keinen Augenblick in den Sinn gekommen. Und es ist eine Tatsache, daß er auch monatelang innerlich auf das schwerste mit diesem Entschluß gerungen hat, sicherlich beeinflußt durch die vielen Gegenvorstellungen, die sowohl der Reichsmarschall wie der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine als auch der Außenminister erhoben haben.


PROF. DR. EXNER: Wie stellte sich auf Grund der Meldungen, die Sie bekamen, die weitere militärische Lage dar auf beiden Seiten?

[430] JODL: Vom Januar 1941 an ist der Nachrichtendienst aktiviert worden. Die Divisionen an unseren Grenzen und auch an den rumänischen Grenzen wuchsen rapide an. Am 3. Februar 1941 hat der Chef des Generalstabs des Heeres dem Führer über die eigenen beabsichtigten Operationen vorgetragen. Er legte dabei eine Karte vor über den russischen Aufmarsch. Damals waren in dieser Karte eingezeichnet – und es liegt dokumentarisch fest – 100 Schützendivisionen, 25 Kavalleriedivisionen...


VORSITZENDER: Dr. Exner! Brauchen wir alle diese strategischen Einzelheiten der Pläne, die der deutsche Generalstab entworfen hat?


PROF. DR. EXNER: Es ist von ganz großer Bedeutung festzustellen, vor welchem Bild der Generalstab damals gestanden hat. Wenn nicht ein übermächtiger Aufmarsch der russischen Truppen...


VORSITZENDER: Aber darüber spricht er ja gar nicht. Er sagt uns, daß das OKW im Februar 1941 Pläne entworfen hatte, um den Aufmarsch deutscher Truppen zu zeigen.


PROF. DR. EXNER: Das ist ein Plan, der entwickelt worden ißt vom...


VORSITZENDER: Es ist unnötig, auf solche Einzelheiten einzugehen, zum Beispiel wie viele Kavallerieregimenter sie dort hatten.


PROF. DR. EXNER: [zum Zeugen gewandt] Ja bitte, sagen Sie ganz allgemein nach der Meldung vom Februar 1941, wie Halder Ihnen das Bild entwickelte. Nur eine Zahl: Wie viele Divisionen sind aufmarschiert?


JODL: Ich habe schon gesagt: Es waren im Februar 150 Divisionen gegen uns aufmarschiert.


VORSITZENDER: Das hat er doch schon gesagt.


PROF. DR. EXNER: Und wie viele waren auf unserer Seite?


JODL:... und ich möchte demgegenüber sagen, daß zu diesem selben Zeitpunkt unser Aufmarsch soeben begonnen hatte, was General Halder in diesem Augenblick vortrug. Und ich möchte ferner darauf hinweisen, daß aus dem Dokument C-39, US-138 – das ist Seite 92 des ersten Dokumentenbuches – daß aus diesem Dokument hervorgeht – es ist die Zeittafel für den, Aufmarsch –, daß erst ab 1. Juni die wirklichen Angriffsverbände, nämlich die vierzehn Panzerdivisionen und die zwölf motorisierten Infanteriedivisionen, antransportiert worden sind, und zwar, wie aus der Bemerkung in der äußersten Spalte rechts hervorgeht, sogar erst ab 10. Juni antransportiert worden sind. Ich erwähne das deswegen, damit man nicht sagt: ja, die deutsche Angriffsabsicht, die war ja schon im Februar 1941 erkennbar. Das war sie nicht.


[431] PROF. DR. EXNER: Von der Anklagebehörde wurde besonders betont, daß lange vorher schon dieser Plan zum Überfall auf Sowjetrußland gefaßt worden ist. Können Sie dazu vielleicht noch einen Punkt sagen?


JODL: Ich will da mit einem Satz darauf hinweisen: Wir hatten für diesen Aufmarsch 10000 Züge zu fahren. Und wenn man am Tage 100 hätte fahren können, dann hätte das allein 100 Tage gedauert. Aber diese Zahl haben wir nie erreicht. Also rein technisch hat dieser Aufmarsch schon vier Monate gedauert, rein technisch.


PROF. DR. EXNER: Hatten die jugoslawischen Ereignisse Einfluß auf die Entschlüsse des Führers?


JODL: Sie gaben den letzten Ausschlag. Bis dahin waren immer noch Zweifel beim Führer vorhanden. Am 1. April und nicht früher, am 1. April stand sein Entschluß fest, den Angriff zu führen, und am 1. April hat er befohlen, ihn etwa für den 22. Juni vorzusehen. Der Angriffsbefehl selbst, also die wirkliche Auslösung des Feldzuges, die wurde erst am 17. Juni befohlen, was ebenfalls dokumentarisch festliegt.


PROF. DR. EXNER: Der Führer hat also nach Ihrer Ansicht einen Präventivkrieg geführt. Haben die späteren Erkenntnisse diese militärische Notwendigkeit erwiesen?


JODL: Es war zweifellos ein reiner Präventivkrieg. Das, was wir nachträglich noch feststellten, war aber jedenfalls die Gewißheit einer ungeheuren militärischen russischen Vorbereitung gegenüber unseren Grenzen. Ich will auf Einzelheiten verzichten, aber ich kann nur sagen, es ist uns zwar die taktische Überraschung nach Tag und Stunde gelungen, die strategische Überraschung nicht. Rußland war in vollem Maße kriegsbereit.


PROF. DR. EXNER: Als Beispiel: Können Sie vielleicht dem Gericht noch nennen die Zahl der neuen Flugplätze, welche im russisch-polnischen Gebiet gefunden worden sind?


JODL: Ich habe ungefähr in Erinnerung, daß die vorhandenen Flugplätze in Ostpolen etwa zwanzig waren und inzwischen auf über hundert vermehrt worden sind.


PROF. DR. EXNER: Was wären nun unter solchen Umständen die Folgen eines russischen Zuvorkommens gewesen? Nur ganz kurz.


JODL: Ich will nicht auf die strategischen Grundsätze der Operationen auf der inneren Linie eingehen, sondern nur ganz kurz sagen: Wir waren niemals stark genug, um uns im Osten verteidigen zu können; das haben die Ereignisse seit dem Jahre 1942 bewiesen. Das mag grotesk klingen; aber, um diese Front von über 2000 Kilometer überhaupt zu besetzen, brauchte [432] man mindestens 300 Divisionen, und die haben wir nie gehabt. Wenn wir gewartet hätten, bis wir vielleicht gleichzeitig durch die Invasion und durch einen russischen Angriff in die Zange genommen worden wären, so wären wir mit Sicherheit verloren gewesen. Wenn also die politische Prämisse richtig war, nämlich, daß uns dieser Angriff drohte, dann war auch – militärisch betrachtet – der Präventivangriff berechtigt. Uns Soldaten war die politische Lage so dargestellt worden. Infolgedessen haben wir auch unsere militärischen Arbeiten darauf abgestellt.


PROF. DR. EXNER: Jetzt noch einige Fragen betreffs Japan. Welche Bedeutung hatte die Weisung Nummer 24 vom 5. März 1941 für die Zusammenarbeit mit Japan? Es war davon schon die Rede, aber nicht ganz klar. Das ist Seite 94 des ersten Bandes unseres Dokumentenbuches, es ist das Dokument C-75, US-151. Der Großadmiral Raeder hat als Zeuge schon etwas über diese Weisung gesagt. Haben Sie noch etwas Neues dazu zu sagen?


JODL: Das Dokument ist recht wichtig. Zunächst muß ich ein Geständnis machen. Es ist mir bisher nur vorgeworfen, dieses Dokument empfangen zu haben. Aber es stammt von mir, ich habe es veranlaßt. In meinem Stabe ist es bearbeitet worden in der Gruppe Kriegsmarine. Ich kenne infolgedessen dieses Dokument besser als irgend jemand. Das ist kein Operationsbefehl, sondern das ist eine Sprachregelung für die deutschen Offiziere.


PROF. DR. EXNER: Was heißt das?


JODL: Das heißt, es soll allen denjenigen deutschen Offizieren, die dienstlich oder außerdienstlich mit japanischen Offizieren in Verbindung kommen, genau dargelegt werden, was die Ziele der deutschen Politik sind, nämlich England auch im Fernen Osten anzugreifen und Amerika gerade dadurch aus dem Kriege herauszuhalten.


PROF. DR. EXNER: Das steht unter Punkt 3a dieser Weisung:

»Als gemeinsames Ziel der Kriegführung ist herauszustellen, England rasch niederzuzwingen und USA dadurch aus dem Kriege herauszuhalten.«


JODL: Eine solche Weisung war notwendig, damit nicht durch unbedachte Äußerungen deutscher Offiziere die japanischen Heeres- oder Seeoffiziere dies für ihre politischen Zwecke ausnützen; und aus diesem Grunde hat auch das Auswärtige Amt einen Abdruck bekommen, wie aus dem Verteiler hervorgeht, auf Seite 96. Das wäre bei einem Operationsbefehl nie geschehen. Deswegen hat ihn auch der Führer nicht unterschrieben.

PROF. DR. EXNER: Auf Seite 96 oben dieses Dokuments ist auch wiederum als Ziel der deutschen Kriegführung hingestellt:

[433] »Außerdem sind Angriffe auf andere Stützpunktsysteme der englischen – der amerikanischen Seemacht nur, wenn Kriegseintritt USA nicht verhindert werden kann – geeignet, das dortige Machtsystem des Feindes zu erschüttern.«

Also wiederum das Streben, den Kriegseintritt der USA zu verhindern und nur, wenn es nicht anders möglich ist, es anzugreifen.

JODL: Ich darf noch hinzusetzen, daß der Zweck des Dokuments nicht war, auf Japan einzuwirken; das wäre ja eine politische Handlung; sondern es sollte nur allen Offizieren die Anweisung geben, was sie in einem solchen Falle äußern sollten.

PROF. DR. EXNER: Der Großadmiral Raeder hat uns schon gesagt, durch welche Marinebefehle er versucht hat, Amerika aus dem Kriege herauszuhalten. Haben Sie da etwas hinzuzufügen?


JODL: Nur einen einzigen Punkt, den der Großadmiral nicht genannt hatte; der ergibt sich aus dem Dokument C-119 und Jodl-14. Es ist nachzulesen auf Seite 98 des ersten Dokumentenbuches.


PROF. DR. EXNER: Seite 98 des ersten Bandes, AJ-37, welches wir übergeben. Da heißt es:

»Besondere Anordnungen über das Verhalten bei der Besetzung Dänemarks und Norwegens« und dann...


JODL: Es braucht nur der letzte Satz gelesen zu werden.

PROF. DR. EXNER: Bitte lesen Sie dies.


JODL:

»Ausgenommen von dem Auslauf- beziehungsweise Startverbot sind sämtliche unter USA-Flagge fahrenden Kriegs- und Handelsschiffe sowie Flugzeuge«.


PROF. DR. EXNER: Das ist also auf Seite 98 der allerletzte Satz unten. Der Absatz spricht von einem Auslaufverbot für Kriegs- und Handelsschiffe, Flugzeuge und so weiter unter Ausnahme für die Amerikaner.

JODL: Amerika hat hier also eine Ausnahmestellung eingenommen wie lange Zeit bei allen Kriegsmaßnahmen der Seekriegsleitung.


PROF. DR. EXNER: Haben Sie vor dem Angriff Japans auf Amerika dienstlich mit japanischen Offizieren zu tun gehabt?


JODL: Nein, vorher nicht.


PROF. DR. EXNER: Überhaupt nicht?


JODL: Nein.


[434] PROF. DR. EXNER: Hatten Sie den Angriff auf Pearl Harbor erwartet?


JODL: Der Angriff kam völlig überraschend, für mich überraschend, aber meinem Gefühl nach auch für den Führer überraschend; denn er kam mitten in der Nacht in meinen Kartenraum, um Generalfeldmarschall Keitel und mir diese Nachricht zu übermitteln. Er war vollkommen überrascht.


PROF. DR. EXNER: Ich möchte noch, daß Sie hier eine irrtümliche Auffassung dieses Briefes Falkensteins aufklären. Ich weiß nicht, ob das schon geschehen ist, das ist Seite 81 im ersten Band unseres Dokumentenbuches. Da ist ein Brief 376-PS, US-161. Da ist ein Brief von Falkenstein an Sie selbst, glaube ich?


JODL: Nein, nein.


PROF. DR. EXNER: Nicht?


JODL: An den General Waldau des Luftwaffenführungsstabes.

PROF. DR. EXNER: Da heißt es:

»Den Führer beschäftigt im Hinblick auf eine spätere Kriegführung gegen Amerika die Frage der Besetzung der Atlantischen Inseln.«

Das kann so gelesen werden, als ob die Absicht bestand, Amerika anzugreifen: »Den Führer beschäftigt im Hinblick auf eine spätere Kriegführung gegen Amerika...« Was ist damit gemeint, und wie haben Sie es aufgefaßt?

JODL: Das ist ganz selbstverständlich. Zu dieser Zeit waren tatsächlich Überlegungen im Gange, atlantische Inseln zu besetzen, was der Führer immer wollte.

PROF. DR. EXNER: Zu welchem Zweck?


JODL: Als eine gewisse Sicherungsbasis, also ein Vorfeld für ein Eingreifen Amerikas, und mit diesem Gedanken mußten wir uns, obwohl sowohl die Kriegsmarine wie auch der Wehrmachtführungsstab und der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht dies strikte ablehnten, mußten wir uns mit diesen Dingen wenigstens gedanklich beschäftigen; und das erzählt er in diesem Brief dem General von Waldau.

Im übrigen ist dasselbe dann niedergelegt in einem Dokument, später in einem Befehl 444-PS, genau dasselbe, was er hier schreibt.


PROF. DR. EXNER: Hatten wir überhaupt ein Interesse an der Ausweitung des Krieges?

JODL: Ich persönlich nicht. Ich kann nur sagen, die Ausdehnung vom Nordkap bis nach Tobruk und von Brest bis nach Rostow am Don, die war größer als mir lieb war.


[435] PROF. DR. EXNER: Und hatten wir ein Interesse daran, daß Japan mit USA in den Krieg käme?


JODL: Nein, sehr viel lieber wäre uns ein neuer, starker Bundesgenosse ohne einen neuen, starken Gegner gewesen.


PROF. DR. EXNER: Haben wir Italien in den Krieg gezogen?


JODL: Was politisch geschehen ist, weiß ich nicht; aber als sich Italien nach dem Zusammenbruch Frankreichs praktisch an diesem Krieg auch noch beteiligen wollte, da versuchten wir das zu verhindern, wir Soldaten im OKW. Aber es gelang uns nur, eine Verzögerung seines Eingreifens um etwa vier bis sechs Tage zu erreichen; ganz ablehnen konnte der Führer nicht. Daß aber Italien während des ganzen Krieges keine Hilfe sondern nur eine Belastung war, das wird die spätere Kriegsgeschichtsschreibung bestätigen.


PROF. DR. EXNER: Zu all den Vorwürfen, betreffend Verbrechen gegen Frieden, möchte ich mich noch berufen auf die betreffenden Dokumente, welche von Göring, Ribbentrop, Raeder, Dönitz vorgelegt worden sind. Ich weiß nicht, ob eine solche Berufung prozessual überhaupt notwendig ist.

Nun eine letzte Frage: Die Anklage hat diese ganze Reihe von Feldzügen als einen lange vorbedachten und vereinbarten Eroberungsplan dargestellt, den Sie als Verschwörer provozierten und ausgeführt haben. Was sagen Sie zu dieser Darstellung?


JODL: Ich glaube, daß ich dieses historisch völlig verzerrte Bild bereits durch meine Aussage im wesentlichen korrigiert habe. Der Krieg gegen Polen brach aus, ohne daß ich an seiner Vorbereitung irgendwie beteiligt war. Er weitete sich zu einem Weltkrieg aus entgegen allen Hoffnungen der Soldaten. Für diesen Krieg mußte alles improvisiert werden. Es gab nichts als wie den Angriffsplan gegen Polen; es gab weder genügend Bomben noch Munition. Kein Soldat dachte damals an Norwegen, an Belgien, an Holland, an Jugoslawien, an Griechenland oder gar an Rußland. Es waren keinerlei militärische Vereinbarungen mit Italien oder mit Japan getroffen.

Die Darstellung des amerikanischen Generalstabschefs, des Generals Marshall, erkenne ich in fast allen Punkten als absolut richtig an.


PROF. DR. EXNER: Herr Vorsitzender! Ich habe keine Frage mehr.


VORSITZENDER: Wünscht ein anderer Verteidiger noch Fragen an den Zeugen zu stellen?


DR. HANS LATERNSER, VERTEIDIGER FÜR GENERALSTAB UND OBERKOMMANDO: Herr Generaloberst! Als Chef [436] des Wehrmachtführungsstabes waren Sie längere Jahre der erste Generalstabsoffizier der Deutschen Wehrmacht?


JODL: Ja.


DR. LATERNSER: Sie waren auch im Laufe Ihrer militärischen Tätigkeit längere Zeit Lehrer an der Kriegsakademie?


JODL: Nicht gerade an der Kriegsakademie, sondern an den Generalstabskursen, die der Kriegsakademie vorausgingen und die damals an dem Sitz der einzelnen Wehrkreiskommandos abgehalten wurden.


DR. LATERNSER: Da nun alle höheren militärischen Führer aus der Generalstabsoffizierslaufbahn hervorgegangen sind, bitte ich Sie, in aller Kürze anzugeben, in welchem Sinne diese Offiziere auf der Kriegsakademie erzogen worden sind. Ich bitte Sie, sich nur auf folgende Punkte zu beschränken:

Wie wurde... oder welchen Raum nahm der Unterricht über Angriff ein; ferner Propagierung der Angriffskriege, Stellungnahme zum Kriegs- und Völkerrecht und zur Politik?


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hält diese Fragen für vollkommen unerheblich.


DR. LATERNSER: Wenn das Gericht glaubt, daß diese Fragen unerheblich sein sollten, dann werde ich auf die Beantwortung dieser Fragen verzichten.

Herr Generaloberst! Sie kennen den Standpunkt der Anklage, daß die militärischen Führer eine Gruppe gebildet haben sollen mit dem Ziel, Angriffskriege zu entfesseln und im Verlaufe dieser Kriege Verbrechen zu begehen gegen das Kriegsrecht und gegen die Gesetze der Menschlichkeit. Ich bitte Sie, zu diesem Punkt Ihre Stellungnahme dem Gericht angeben zu wollen, insbesondere darüber, ob eine Gruppenbildung der höheren militärischen Führer tatsächlich vorgelegen hat.


JODL: Ich habe den Begriff dieser Gruppe nie verstanden und werde ihn auch nie verstehen. Es ist genau so, wie wenn die Passagiere eines Passagierdampfers auf einem Ozeandampfer zusammenkommen, und dort einigten sie oder mußten sie einigen die Anordnungen des Kapitäns. Diese sogenannte Gruppe höherer Offiziere, die war vielleicht in der kaiserlichen Zeit eine absolute Einheit; aber auch da nicht. Aber hier, nach der nationalsozialistischen Revolution, waren diese Gruppen auf allen Gebieten des Lebens völlig in sich gespalten, politisch und weltanschaulich und ideologisch. Das Ziel, das sie vereinigt hat, war das Soldatentum und der notwendige Gehorsam.


VORSITZENDER: Wir sollen jetzt eine Verhandlungspause machen.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 15, S. 406-438.
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