Verbrechen gegen den Frieden.

[596] Von dem Augenblick im Jahre 1922 an, da er der Partei beitrat, und die Befehlsgewalt über die Straßenkampforganisation – die SA – übernahm, war Göring der Ratgeber, der tatkräftige Handlanger Hitlers und einer der allerersten Führer der Nazi-Bewegung. Als Hitlers politischer Stellvertreter trug er weitgehend dazu bei, die Nationalsozialisten im Jahre 1933 an die Macht zu bringen und war damit betraut, diese Macht zu festigen und die deutsche bewaffnete Macht auszudehnen. Er baute die Gestapo auf und schuf die ersten Konzentrationslager, um sie im Jahre 1934 an Himmler abzugeben, führte im selben Jahre die Röhm-Säuberungsaktion durch und leitete die schmutzigen Vorgänge ein, die zu der Entfernung von Blombergs und von Fritschs aus dem Heere führten.[596] 1936 wurde er Generalbevollmächtigter für den Vierjahresplan und war sowohl nach außen hin als auch in Wirklichkeit der wirtschaftliche Diktator des Reiches. Kurz nach dem Münchener Abkommen kündigte er an, er werde eine Erweiterung der Luftwaffe aufs Fünffache in die Wege leiten und die Aufrüstung beschleunigen, wobei besonderes Gewicht auf Angriffswaffen gelegt werde.

Göring war einer der fünf bedeutenden Führer, die an der Hoßbach-Konferenz vom 5. November 1937 teilnahmen, und er wohnte den anderen bedeutsamen Konferenzen bei, die in diesem Urteil bereits erörtert wurden. Beim Anschlusse Österreichs war er sogar die zentrale Gestalt, der Anführer. Vor dem Gerichtshofe sagte er: »Ich muß die Verantwortung zu 100 Prozent auf mich nehmen... Ich überwand sogar Einwände des Führers und brachte alles zu seinem endgültigen Abschluß.«

Bei der Ergreifung des Sudetenlandes spielte er seine Rolle als Chef der Luftwaffe durch die Planung einer Luftoffensive, die sich als unnötig herausstellte, und seine Rolle als Politiker, indem er die Tschechen mit falschen Freundschaftsversprechungen einlullte. In der Nacht vor dem Einfall in die Tschechoslowakei und der Aufsaugung Böhmens und Mährens drohte er bei einer Konferenz zwischen Hitler und dem Präsidenten Hacha, Prag mit Bomben zu bewerfen, falls Hacha nicht nachgebe. Diese Drohung gab er in seiner Zeugenaussage zu.

Göring wohnte der Sitzung in der Reichskanzlei vom 23. Mai 1939 bei, als Hitler seinen militärischen Führern sagte: »Es entfällt also die Frage, Polen zu schonen...« (L-79, US-27) und war anwesend, als am 22. August 1939 am Obersalzberg die Weisungen erteilt wurden. Und die Beweisführung hat ergeben, daß er an den darauffolgenden diplomatischen Manövern tätigen Anteil nahm. Mit Hitlers Mitwissen benützte er den schwedischen Geschäftsmann Dahlerus als Mittelsmann bei den Engländern, wie Dahlerus vor diesem Gerichtshof darstellte, in dem Versuch, die Britische Regierung daran zu hindern, ihre Garantie an die Polen einzuhalten.

Er befehligte die Luftwaffe beim Angriff auf Polen und während aller Angriffskriege, die darauf folgten.

Selbst wenn er sich, wie er behauptete, Hitlers Plänen gegen Norwegen und die Sowjetunion widersetzt hat, ist es doch klar, daß er dies nur aus strategischen Gründen tat; sobald Hitler nun einmal die Entscheidung getroffen hatte, folgte er ihm ohne Zögern. Aus seiner Zeugenaussage geht deutlich hervor, daß diese Meinungsverschiedenheiten niemals weltanschaulicher oder rechtlicher Natur waren. Er war »wütend« über den Einfall in Norwegen, aber nur, weil er nicht früh genug verständigt worden war, um die Offensive der Luftwaffe vorzubereiten. Er gab zu, daß er den Angriff billigte, und zwar mit den Worten: »... ich stand dem Unternehmen... [597] durchaus positiv gegenüber«. Er nahm tätigen Anteil an der Vorbereitung und Durchführung der Feldzüge gegen Jugoslawien und Griechenland und sagte aus, daß der Plan »Marita«, der Angriff auf Griechenland, von langer Hand vorbereitet gewesen war. Er betrachtete die Sowjetunion als »die drohende Gefahr für Deutschland«, sagte aber, daß keine unmittelbare militärische Notwendigkeit für den Angriff bestanden habe. In der Tat hatte er nichts anderes gegen den Angriffskrieg gegen die USSR einzuwenden als den Zeitpunkt, zu dem er einsetzte; aus strategischen Gründen hatte er ihn hinausziehen wollen, bis England besiegt war. Er sagte aus: »Meine Einstellung kam ausschließlich aus politischen und militärischen Gründen.«

Nach seinen eigenen Eingeständnissen vor diesem Gerichtshof, nach den Stellungen, die er bekleidete und nach seinen öffentlichen Äußerungen kann kein Zweifel bestehen bleiben, daß Göring die treibende Kraft hinter den Angriffskriegen war und lediglich Hitler nachstand. Er war der Pläneschmied und die Hauptbewegkraft der militärischen und diplomatischen Kriegsvorbereitung Deutschlands.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 22, S. 596-598.
Lizenz:
Kategorien: