Jesuitenorden

[449] Jesuitenorden. Der Stifter des Ordens, Don Innigo Lopez de Recalde, war als der jüngste Sohn des Ritters Beltran von Loyola aus altadelig-spanischem Geschlechte 1491 in der Provinz Guipuzcoa auf dem väterlichen Schlosse geboren. Seine Jugend verbrachte er am Hofe Ferdinands des Katholischen; ritterlicher Sinn und Thatendrang, eine devote Ehrfurcht vor den Heiligen waren frühe hervorstehende Züge seines Charakters. Bei einer Verteidigung Pamplonas gegen die Franzosen zerschmetterte ihm eine Kugel den einen Fuss, wovon er sein Leben lang hinkend blieb. Auf dem schweren Krankenlager las er in Ermangelung von Ritterromanen, seiner Lieblingslektüre, das Leben Jesu und der Heiligen, des Dominikus und Franziskus, wodurch sein Gemüt lebhaft aufgeregt wurde. Wiederhergestellt, ging er nach dem Kloster Montserrat, legte ein Bettelgewand an, hing seine Rüstung vor dem Marienbilde auf und hielt mit dem Pilgerstabe in der Hand vor seiner neuen Herrin nach alter Rittersitte Waffenwacht. Bald nachher liegt er in Manresa, in einer einsamen Höhle oder im Dominikanerkloster, strengen Büssungen, Geisselungen und Fasten ob. Hier werden ihm wunderbare Verzückungen und Visionen zu teil, der Dreieinigkeit, des Gottmenschen, der Maria, des Teufels. Da er in Jerusalem und in der Bekehrung der Ungläubigen die Stätte und den Wirkungskreis seiner Zukunft sah, begab er sich nach Palästina, wo der Franziskanerprovinzial ihm zwar einen längeren Aufenthalt nicht gestattete. Heimgekehrt, erkannte er, dass zur geistlichen Wirksamkeit eine gelehrte Bildung unerlässlich sei, und er studierte nun in Barcelona, Alcala und Salamanca Grammatik und und Philosophie, lebte von Almosen und widmete sich der Krankenpflege, machte sich aber zugleich der Inquisition verdächtig und sah sich genötigt, da er dem Befehle, seine Unterredungen über geistliche Dinge vier Jahre lang einzustellen, nicht nachkommen zu können meinte, nach Paris überzusiedeln. Hier, wie vorher auf den spanischen Schulen, gelang es ihm, junge Leute, die sich seiner Führung anvertrauten, in seine Exercitien einzuweihen und so allmählich einen Kreis von Genossen[449] um sich zu sammeln; die ersten waren seine Stubenburschen in Paris, der Savoyarde Peter Faber (Levevre), der Spanier Franz Xavier; dann Alfons Salmeron, Jakob Lainez, Nikolaus Bobadilla, sämtlich Spanier, und der Portugiese Simon Rodriguez. Am 15. August 1534 legten sie in der Kirche von Montmartre das Gelübde der Keuschheit und Armut ab und gelobten, nach Vollendung ihrer Studien entweder in Jerusalem der Krankenpflege und der äusseren Mission sich zu widmen, oder, falls dieser Plan auf Hindernisse stosse, sich jeder Mission des Papstes zu unterziehen.

Nachdem Ignatius in Spanien die Angelegenheiten seiner Freunde geordnet, trafen sämtliche Genossen, durch drei neue verstärkt, 1537 in Venedig zusammen, um von hier aus nach Jerusalem zu reisen. Ein Krieg zwischen Venedig und den Türken verhinderte die Abreise und gab den Jüngern Veranlassung, in den Hospitälern Beschäftigung zu suchen. Hier lernte Ignatius von Caraffa, dem geistlichen Leiter dieser Anstalten, den von diesem kurz vorher gestifteten Theatinerorden kennen, ein Institut, welches die klerikalen mit den klösterlichen Pflichten innig vereinte und das auf Regeneration des kirchlichen Lebens und auf Heranbildung eines tüchtigen Priesterstandes angelegt war. Nachdem sämtliche Genossen in Venedig die Priesterweihe empfangen hatten, wirkten sie als Volksprediger in den Städten Venetiens, straften die Laster, empfahlen die Tugend und predigten Weltverachtung. So traten sie auf verschiedenen Wegen die Wanderung nach Rom an. Infolge einer visionären Erscheinung Christi, die dem Ignatius in einer alten verlassenen Kirche vor Rom begegnet sein sollte, nannte er später die Gesellschaft societas Jesu. Durch ihren seltenen Eifer in der Ausübung priesterlicher Pflichten erwarben sich die Genossen in Rom bald die Gunst des Papstes und weltlicher Grossen; der König Johann III. von Portugal liess Franz Xavier und Simon Rodriguez in sein Land kommen, um sie dort für die indische Mission zu verwenden; doch blieb nur der letztere im Lande, Xavier eilte unter die Heiden. Am 27. Sept. 1540 bestätigte Paul III. durch die Bulle Regimini militantis die Gesellschaft Jesu, anfangs mit der Beschränkung auf 60 Mitglieder. Die Wahl des Generals fiel einstimmig auf Ignatius. Als dieser am 31. Juli 1556 starb, zählte der Orden schon 13 Provinzen, von denen sieben auf die pyrenäische Halbinsel und ihre Kolonien kamen, drei auf Italien, eine auf Frankreich; die beiden deutschen Provinzen waren im Entstehen begriffen. Im Jahre 1623 wurden Ignatius und Xavier selig gesprochen.

Die innere Einrichtung des Jesuitenordens ist teils in den Exercitien des Ignatius, teils in der Gesetzgebung ausgesprochen. Die von Ignatius selber herrührenden Exercitien enthalten eine methodische Anweisung zur eigenen Meditation und bezweckten den Meditierenden durch Betrachtung und Gebete in eine solche Stimmung zu versetzen, dass er kraftvollen, unwiderruflichen Entschluss fasse und durch denselben seinem ganzen Leben eine entschiedene Richtung gebe. Das Ganze ist in vier Wochen geteilt und darin jedem Tage sein Pensum zugemessen. Die erste Woche ist dem Nachdenken über die Sünden gewidmet, die zweite über die Geburt und das Leben Christi, die dritte über sein Leiden und Sterben, die vierte über seine Verherrlichung. Diese Betrachtungen werden zu fünf verschiedenen Tageszeiten meist eine Stunde lang angestellt, wobei es darauf abgesehen ist, den Inhalt der biblischen und ausserbiblischen Bilder möglichst sinnlich mit Auge,[450] Ohr, Geschmack, Geruch, Gefühl in sich lebendig zu machen und sich innerlich dazu zu disponieren, dass ihm das künftige Leben und Wirken in der Gesellschaft als eine freie That unter der Einwirkung der Gnade erscheint, und sein Urteil völlig unter die Entscheidung der Kirche gefangen gegeben ist. Durch die Exercitien hat Ignatius die ascetische Richtung seines Ordens bestimmt.

Nach den Konstitutionen und Grundgesetzen besteht der Orden aus vier Klassen, den Novizen, den Scholastikern, den Koadjutoren und den Professen. Der Zulassung zum Noviziat geht eine genaue Prüfung der Verhältnisse und Intentionen der Aufnahmesuchenden, sowie die Exercitien voraus. Das Noviziat dauert zwei Jahre und die Tagesordnung schreibt für jede Stunde die Beschäftigung strenge vor: Kirchenbesuch, fromme Lektüre, Betrachtung, Gebet, Gewissensprüfung und Erholung. Das Noviziat wird im Novizenhause zugebracht. Nachher tritt der Novize als Scholastiker in ein Kollegium der Gesellschaft und hat hier zwei Jahre dem Studium der Rhetorik und Litteratur, drei Jahre demjenigen der Philosophie, Physik und Mathematik obzuliegen. Erst nachdem er hierauf fünf bis sechs Jahre lang von der Grammatik an durch alle Klassen die Fächer dieses Lehrgangs als Lehrer vorgetragen und praktisch eingeübt hat, tritt er das Studium der Theologie an, das wiederum vier bis sechs Jahre umfasst; der älteste Studiengang, ratio studiorum, stammt aus dem Jahre 1586. Erst nach einem weiteren Probejahre empfängt der Scholastiker die Priesterweihe und legt das Gelübde entweder als Coadjutor spiritualis oder als Professe ab. Ausser den drei Mönchsgelübden, welche der Scholastiker abzulegen hat, verspricht der Coadjutor spiritualis rücksichtlich des Gehorsams noch spezielle eifrige Hingebung an den Jugendunterricht und der Professe beschwört ausserdem in feierlicher Weise, sich jeder Mission des Papstes unbedingt zu unterziehen (professi quatuor votorum). Die societas professa, der Zahl nach der kleinste Teil der Gesellschaft, sind die berechtigten Glieder der Generalkongregation. An der Spitze des Ganzen steht ein General, Praepositus generalis. Das Amt des Generals ist ein lebenslängliches. Alle Glieder sind ihm zum Gehorsam verpflichtet, er ernennt die Provinziale und die übrigen Beamten meist auf drei Jahre, er entscheidet über alle Aufnahmen und kann aus dem Orden entlassen und verstossen, er hat das Recht von den Institutionen und Regeln zu dispensieren; in seiner Hand liegt die ganze Verwaltung, Regierung und Jurisdiktion. Die Generalkongregation tritt zusammen 1. zur Wahl des Generals, 2. wenn es sich um die Absetzung desselben handelt, 3. wenn die Assistenten, Provinzialen und Lokaloberen durch Stimmenmehrheit die Notwendigkeit ihrer Berufung erkennen, 4. wenn die alle drei Jahre unter dem Vorsitze des Generals zu Rom tagende Abgeordnetenversammlung aus den Provinzen sich dafür ausspricht. Meist suchte man der Berufung der Generalkongregation auszuweichen. Nach Steitz in Herzogs Real-Encykl. Die vortrefflichste Darstellung gab Ranke in der Geschichte der Päpste.

In der Geschichte der deutschen Litteratur und Bildung ist der Jesuitenorden mehrfach wirksam gewesen. Er hat wesentlich Anteil an der seit dem Konzil zu Trient eröffneten rücksichtslosen polemischen Litteratur, an welchen beide Konfessionen teilnahmen, auf protestantischer Seite namentlich Fischart mit dem Jesuiterhütlein und mehreren anderen Schriften. Der Jesuitenorden[451] hat durch seine streng formale Methode des höheren Unterrichts zur Ausbildung der Gymnasien überhaupt beigetragen, in seinen Erziehungsanstalten sind namentlich auch die Schulkomödien, anfangs lateinisch, später zugleich deutsch, gepflegt und der Geschmack daran in weiteren Kreisen verbreitet worden. An der neulateinischen Poesie haben sie u. A. durch Jakob Balde rühmlichen Anteil genommen und nicht minder rühmlich ist der Name Friedrichs von Spee, eines nicht unbegabten Dichters der ersten schlesischen Dichterschule, der sich zugleich um die Bekämpfung der Hexenprozesse grosses Verdienst erworben hat.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 449-452.
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