Jesuitenorden

[482] Jesuitenorden, der, Gesellschaft Jesu, wurde gestiftet von Don Inigo (Ignatius) von Loyola. Dieser. der Sohn eines span. Edelmannes. wurde auf seinem Stammschlosse Loyola bei Pampeluna 1491 geb., somit 8 Jahre nach Luther u. 6 vor Melanchthon. Er that Kriegsdienste und zeichnete sich aus, ward 1521 vor Pampeluna an beiden Beinen schwer verwundet u. durch das Lesen von Heiligengeschichten, womit er sich auf dem Stammschlosse Loyola die Langeweile des Krankenbettes vertreiben wollte, von dem Gedanken begeistert, fortan ein Soldat Christi zu sein. Im Jahr 1522, wo Luther gegen das Klosterleben schrieb, weihte sich Ignatius im Kloster Montferrat feierlich dem Herrn, machte alsdann in einer Höhle bei Manresa geistliche Uebungen durch, die er aufschrieb, und betete am 4. Septbr. 1523 am Grabe des Erlösers zu Jerusalem. Vom Plane erfüllt, eine Schaar zu werben, deren Wahlspruch heiße: »Alles zur größeren Ehre Gottes!« (lat. = omnia in majorem Dei gloriam, abgekürzt = O. I. M. D. G.) u. einsehend, daß diese Schaar die Waffen der Wissenschaft nicht entbehren könne, lernte er zurückgekehrt in Barcelona mit den Schulknaben Latein, studierte alsdann in Alkala und Salamanca, wo er der Inquisition verdächtig gemacht wurde, und bezog 1528 die Universität Paris. Hier hörte er für u. gegen die Reformation in Deutschland reden u. gewann begeisterte Freunde: den franz. Priester Pierre Lefevre, die Spanier Franz von Xavier (s. Franz Xaver), Jak. Lainez, Alfons Salmeron, Nikl. Alfons von Bobadilla u. Simon Rodriguez. Am 15. Aug. 1534. in welchem Jahre Luther seine Bibelübersetzung vollendete, legte Ignatius mit den Genannten in einer unterirdischen Kapelle im Montmartre das Gelübde der Keuschheit und Armuth ab und gelobte, entweder in Palästina für Christum zu streiten od. sich dem Papste zu jeder Mission anzubieten und demselben besondern Gehorsam zu schwören. Bald traten die französ. Theologen Claude le Jay, Coduri und Brouet dem Bunde bei. In Venedig trafen 1537 alle zusammen und wurden zu Priestern geweiht; die damalige Türkengefahr verhinderte die Pilgerreise nach Jerusalem. Ignatius, Lefevre und Lainez legten dem Papste Paul III. (1534–49) den Plan der neuen Stiftung vor. 1540 am 27. Sept. erhielt der J. durch die Bulle Regimini militantis ecclesiae volle kirchliche Berechtigung und den Namen Societas Jesu, Gesellschaft Jesu. Ignatius wurde der erste General; der Papst baute das erste Profeßhaus in Rom, schon 1543 wurde die Beschränkung auf 60 Professen aufgehoben und der Orden erhielt die Vollmacht, seine Regeln je nach Zeit und Umständen zu ändern. Ignatius gründete in Rom das deutsche Collegium, als Akademie seines Ordens das Collegium Romanum und als er am 31. Juli 1556 st., zählte der J. bereits 1000 [482] Mitglieder in Europa u. hatte Missionäre in beiden Indien. Der Stifter wurde 1609 selig, 1622 heilig gesprochen; das Leben desselben beschrieben Bartoli (1565), P. Maffei (1585), Ribadeneira (1614) u.a.m. Gedächtnißtag 31. Juli. Hinsichtlich der Verfassung des J.s ist dieselbe von Ignatius selbst gegeben, von seinem Nachfolger Lainez nur verwirklichet worden, und keineswegs eine strengmonarchische. da die oberste Gewalt nicht beim General, sondern beim Corpus societatis, d.h. bei der Gesammtheit der Ordensprofessen ist. Der General wird durch eine Generalcongregation, die Mitglieder derselben aber werden vom Corpus societatis erwählt. Der General, für seine Lebenszeit gewählt, muß in Rom leben u. ist nur dem Papste unterworfen, doch hat er einen Admonitor und 5 aus den Nationen gewählte Assistenten zur Seite und obwohl diese nur eine berathende Stimme haben, bleibt der General doch an die Grundgesetze des Ordens gebunden und kann in gewissen Fällen durch die Generalcongregation abgesetzt werden, was übrigens bis heute niemals nöthig wurde. Nach dem General kommen die Ordensprovinciale oder Vorgesetzte über einzelne Länder und Provinzen. dann die praesides oder praepositi, d.h. Vorsteher der einzelnen Profeßhäuser, die Rectoren der Collegien, die Superioren der Residenzen (Zweigcollegien) – alle diese werden jedes 3. Jahr neu gewählt, jeder hat seine Assistenten und Admonitoren und jeder ist zunächst dem im Rang über ihm stehenden verantwortlich. Um das letzte Gelübde ablegen zu dürfen. ist eine lange Reihe von Studienjahren und strengen Prüfungen nothwendig. Wie bei allen Orden muß sich der Novize entschließen, nicht mehr der Welt und seiner Familie, sondern dem Orden allein anzugehören und muß zunächst 2 Jahre lediglich beten und nachdenken. Alsdann muß derselbe 2 Jahre Rhetorik u. schöne Literatur. 3 u. mehr Jahre Philosophie und exacte Wissenschaften studieren, 5–6 Jahre an einer niedern Schule Lehrer (Scholastiker) sein. darf erst 28–30jährig das Studium der Theologie beginnen, nach 4–6 Jahren die Priesterweihe empfangen u. Ordensprofeß ablegen. muß alsdann 1 Jahr die sog. schola affectus, d.h. Schule des Herzens, fast ohne Verkehr mit der Außenwelt durchmachen und kann jetzt endlich zur Gradertheilung gelangen, d.h. das 4. und letzte Gelübde, das des Gehorsams gegen den Papst in allem, was nicht sündhaft ist, ablegen und damit entweder Professus (der General u. alle Vorsteher müssen professi sein), oder doch Coadjutor spiritualis werden. Die Coadjutoren zählen 4 Klassen, nämlich: 1) spirituales, Gehilfen der Professen in geistlichen Dingen als Lehrer oder Prediger; 2) temporales, Gehilfen in weltlichen Dingen, Laienbrüder für Handarbeiten und niedere Dienstleistungen; 3) Scholastiker, deren Studien noch nicht vollendet sind und 4) Novizen, die in besondern Novizenhäusern leben. Jeder Provincial erstattet dem General monatlich, jeder Superior eines Profeßhauses und Rector eines Collegiums vierteljährig Bericht. Auf diese Weise macht schon die Verfassung die Jesuiten zu einem wohldisciplinirten Heer und wie tapfer sie gegen Heidenthum, Irrlehren und Laster als Missionäre und Jugendbildner, als Prediger u. Beichtväter angekämpft haben, lehrt die Weltgeschichte. Als Missionäre haben sie vor und seitdem unerreichte Erfolge in Ostindien, Japan (Franz Xaver) u. China (Schall und Stumpf, 2 Deutsche) errungen, in Paraguay setzte sich der Orden durch Gründung eines christlichen Indianerstaates »ein Denkmal seiner Begeisterung, Hingebung, Menschenliebe und staatsmännischen Weisheit, wie die Weltgeschichte kein zweites aufzuweisen hat;« in ganz Europa waren ihre Schulanstalten die besten. wofür nicht nur das Zeugniß des berühmten protestant. Rectors Sturm, des Bacon von Verulam u.s.w., sondern noch mehr die Thatsache spricht, daß die Jesuitenschulen (s. d. Art.) von den Protestanten in ihren Fürstenschulen (s. d.), Gymnasien u.s.w. nachgeahmt wurden. Die Wissenschaften und schönen Künste verdanken dem J. Vieles, die Menschheit wird ihm einst danken, weil zumeist er es war, [483] durch dessen rastlose Thätigkeit der Protestantismus wesentlich auf Nord-Europa beschränkt wurde. indem er alle Formen desselben mit ihren eigenen Waffen bekämpfte. – Hinsichtlich der Geschichte des J.s existirt eine große, aber in ihrem Werthe sehr verschiedene Literatur, unter deren Vorzüge im Ganzen die Parteilosigkeit nicht gehört. Mit der Geschichte der Ausbreitung des Ordens läuft die seiner Bedrückungen u. Verfolgungen, welche ihre Quellen von jeher im Kirchenhaß, im Streben nach Staatsallmacht sowie in revolutionärer Gesinnung fanden, nebenher. Noch zu Lebzeiten des Stifters blühte der J. außerhalb Italiens in Portugal, wo schon 1540 Collegien angelegt wurden, in Spanien und im deutschen Reich, wo Ignatius die Stiftung von 26 Collegien und 10 Residenzen erlebte und Lainez Wunsch, jede bedeutendere Stadt möge ihr Collegium haben, in den kathol. Gegenden erfüllt wurde. Seit 1562 verbreiteten sich die Jesuiten von Löwen aus durch die Niederlande, aber in Großbritannien vermochten sie niemals festen Fuß zu fassen; in Frankreich begannen die Verfolgungen durch die Hugenotten (die im Bunde mit der Sorbonne u. vielen Mitgliedern der Parlamente den Grundsatz: der Zweck heiligt die Mittel, in großem Maßstabe durchführten), sehr frühzeitig und bis auf Richelieus Zeit keineswegs erfolglos. Wo irgend eine Unthat, namentlich ein Königsmord oder eine Verschwörung auftauchte, wo ein Kirchenstreit sich entspann od. wo ein einzelner Jesuite einen Fehler beging, da mußte der ganze J. schuld sein u. büßen, obwohl bis heute auch nicht eine der zahllosen Anklagen gegen den Orden als begründet bewiesen wurde. Von 1606 bis 1657 waren die Jesuiten aus Venedig verbannt, von 1588–1687 wurden sie aus Siebenbürgen wenigstens 6mal verjagt, ähnliches geschah in Ungarn. Mähren und Böhmen. Den ärgsten Sturm brachte das 18. Jahrh. wo mit den Protestanten, Jansenisten und den »schönen und starken Geistern« der Encyklopädie der absolute Staat, namentlich die bourbonischen Höfe, welche die Oberherrschaft über die Kirche vollständig machen wollten, sich im Kampfe gegen den J. vereinigten. Unter empörenden Justizmorden wurden die Jesuiten durch den Schreckensmann Pombal 1759 aus Portugal u. dessen Colonien getrieben, 1764 in Frankreich (s. Choiseul, Pompadour) nach langen. durch Damiens Mordversuch u. Lavaletteʼs Bankerott nimmermehr zu rechtfertigenden Quälereien aufgehoben, in der Nacht vom 31. März auf 1. Apr. 1767 durch Aranda aus Spanien, am 6. Nov. 1767 aus Neapel und Sicilien durch Tanucci nach dem Kirchenstaat deportiert, 1768 aus Parma verjagt. endlich wurde durch Clemens XIV. (s. Clemens) am 19. Aug. 1773 der J. gänzlich aufgehoben. Die Kaiserin Maria Theresia sah dies ungern, Friedrich II. von Preußen behielt sie als Lehrer, Katharina II. von Rußland gab ihnen mit päpstlicher Bewilligung ein Asyl und 1782 wurde Thaddäus Borzogowsky General. Neapel nahm 1804 den J. wieder auf, durch die Bulle Sollicitudo omnium ecclesiarum vom 7. August 1814 stellte Pius VII. denselben wieder her, nachdem die Jesuiten versucht hatten, in der Zeit der Revolution und Napoleons J. als »Cleriker des hl. Herzens u. Glaubens Jesu« fortzuexistiren. Mit dem J. kehrte auch der alte Verfolgungsgeist zurück. Nachdem die Jesuiten 1813 aus Moskau und Petersburg, 1820 aus ganz Rußland und Polen weichen mußten, wurden sie aus Portugal 1833 abermals vertrieben, aus Spanien waren sie 1820–1823 verbannt und wurden 1835 ausgewiesen, in Frankreich setzte der alte Haß der Universität und Revolution 1845 die neue Aufhebung durch, im Jahr 1847 wurden sie aus der Schweiz verjagt. seit 1854 darf sich im Badischen kein Jesuit vorübergehend niederlassen, 1855 traf den J. neue Verbannung aus Neapel. Dagegen dürfen die J. in Oesterreich und Preußen, in Belgien, Amerika, Landeseingeborne auch in Großbritannien leben. Im Jahr 1834 zählte der J. 2684 Mitglieder, gegenwärtig mag er in seinen 16 Provinzen bei 4000 zählen; das Haupthaus ist in Rom, der jetzige General Bekx, ein Belgier.[484] – S. Orlandin: hist. societ. Jesu, Romae 1615; Crétineau-Joly: hist. de la compagnie de Jésus, Paris 1845, 5 B.; Imagines praepositorum Generalium S. J. delineatae etc. ab Arn. van Westerhout, ed. II., Romae 1751; Riffel: die Aufhebung des J.s, Mainz 1845; Saint Priest: de la chûte des Jésuites, Paris 1846; Henrion-Fehrs Gesch. der Mönchsorden. die Schriften von Dallas (deutsch von Kerz. Düsseldorf 1820). P. Cahour (deutsch Augsburg 1844) u.a.m., namentlich Schlossers Gesch. des 18. Jahrh., Bumüllers Weltgeschichte u.s.f.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 482-485.
Lizenz:
Faksimiles:
482 | 483 | 484 | 485
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Müllner, Adolph

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Ein lange zurückliegender Jagdunfall, zwei Brüder und eine verheiratete Frau irgendwo an der skandinavischen Nordseeküste. Aus diesen Zutaten entwirft Adolf Müllner einen Enthüllungsprozess, der ein Verbrechen aufklärt und am selben Tag sühnt. "Die Schuld", 1813 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, war der große Durchbruch des Autors und verhalf schließlich dem ganzen Genre der Schicksalstragödie zu ungeheurer Popularität.

98 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon