Kammergericht, kaiserliches

[472] Kammergericht, kaiserliches. Ein oberstes Gericht, das Hofgericht, bestand unter der Leitung der Pfalzgrafen (siehe diesen Art.) schon am merowingischen Hofe; später verschwindet der Pfalzgraf, und das Königsgericht blieb unter des Königs eigener Leitung. Als die Rechtsverhältnisse sich allmählich lockerten, gelangten neben dem Hofgericht in den Reichsvogteien einzelne Schöffengerichte angesehener Städte zu besonderem Ansehen, indem sie zu Obergerichten für bestimmte andere Städte und Ortschaften erhoben wurden; das war der Fall bei den Schöffenstühlen zu Frankfurt, Aachen und seit dem 14. Jahrhundert namentlich zu Rottweil, dessen Gericht den Namen kaiserliches Hofgericht annahm. Es bestand bis in die letzten Zeiten des Reiches und erstreckte seine Gerichtsbarkeit über einen grossen Teil von Süddeutschland, doch so, dass fast alle vornehmeren Reichsstädte davon eximiert worden waren. Das Amt des Hofrichters war bei den Grafen zu Sulz, später bei den Fürsten von Schwarzenberg erblich geworden. Dieser oder sein Stellvertreter hatte elf Beisitzer, teils von Adel, teils Rottweilische Ratsverwandte.

Für das eigentliche Königs- oder Hofgericht setzte Friedrich II. 1235 einen Hofrichter ein, justiciarius curiae, welcher den Hof begleiten, täglich anstatt des Königs Gericht hegen und mindestens ein Jahr lang im Amt bleiben sollte. Wichtigere Sachen aber, namentlich wo es Fürsten oder anderen hohen Herren an ihren Leib, Recht, Ehre oder Vermögen ging, blieben dem Könige persönlich, mit Zuziehung von Fürsten als Urteilern, vorbehalten, oder[472] sie wurden, nach seinem Auftrage, vom Pfalzgrafen vom Rheine geleitet. Nun konnte man sich aber unter Umständen statt an den Hofrichter und das Hofgericht an den Kaiser selbst und seine Kammer wenden, und nachdem während der Verwirrungen des 15. Jahrhunderts von den Fürsten wiederholt Klagen gegen das Hofgericht laut geworden waren, setzte endlich Friedrich III. 1471 ein bleibendes Kammergericht ein, bestehend aus einem »Kammerrichter mit einer zimlichen Zahl erbaren, redelichen, beisitzenden Urteilern«, und zwar ohne festen Sitz, an welches unter dem Namen des kaiserlichen Hof- und Kammergerichtes appelliert werden konnte. Dieses Gericht wurde 1495 zum kaiserlichen oder Reichskammergericht erweitert. Dasselbe wurde zu Frankfurt eröffnet, dann bald da, bald dort gehalten, einigemal aus Mangel an Unterhalt in Stillstand gesetzt, 1517 in Speier versammelt, durch Reichsbeschluss 1530 dort für immer fixiert, aber nach der Verbrennung der Stadt durch die Franzosen 1689 in Wetzlar 1693 wieder eröffnet. Die 16 Urteiler, zur Hälfte Rechtsgelehrte, zur Hälfte vom Adel, wurden zuerst vom Kaiser mit dem Reichstag gewählt, dann mit der Zeit auf 41 vermehrt und ihre Präsentation seit 1507 unter die Kurfürsten, den Kaiser für seine Erblande und sechs Kreise verteilt. Aus Mangel an Besoldung stieg die wirkliche Zahl nicht über 17. Der Kammerrichter, der ein Fürst, Graf oder Freiherr sein musste, wurde vom Kaiser gewählt. Die erste Kammergerichtsordnung stammt aus dem Jahre 1495, die vollständig erneuerte, von Karl V. vorgelegte, aus dem Jahre 1548, publiziert 1555. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung war eine jährliche Visitation durch eine aus kaiserlichen und reichsständigen Kommissarien gemischte Deputation vorgeschrieben; seit 1588 fanden jedoch nur noch einigemal ausserordentliche Visitationen statt. Vgl. Franklin, Das Reichshofgericht im Mittelalter. 2 Bde. Weimar 1869. Barchewitz, Das Königsgericht zur Zeit der Merowinger und Karolinger. Leipzig 1881.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 472-473.
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