Kranz, Kranzsingen

[527] Kranz, Kranzsingen. Im Mittelalter trugen Fürsten einen Kranz als Abzeichen; er wurde um den Fürstenhut gelegt, der bei der Belehnung als Symbol diente, statt der Krone. In den Bildern des Sachsenspiegels haben alle Fürsten und Edelherren einen Kranz um das Haar, er war gleich der Binde Auszeichnung des Adels, wenigstens des Standes der Freiheit; auch königlichen Beamten diente er als Zeichen der Amtswürde. Nach Hildebrand in Grimms Wörterbuch. V, 2053 scheint demnach die Königskrone auf diesen altgermanischen Kranz zurückzugehen und die Blätterform ihrer Zacken an diesen Ursprung zu erinnern; man stellte für Fürsten den Kranz in Gold dar. Ebenso alt ist auch die Sitte, dem Sieger den Kranz aufzusetzen; Heinrich der Löwe soll sich nach einer gewonnenen Schlacht auf der Walstatt selbst einen Kranz aufgesetzt haben; so war der Kranz auch ein beliebter Preis bei den Turnieren, in der Fechtschule, bei Schützenfesten, bei den Meistersängern. Der Kranz ist ferner ein Freudenzeichen, Feier- und Festschmuck, der sowohl als Zier der Wohnung, der Kirchen u.s.w. als des Hauptes dient. Ausser Frauen trugen im Mittelalter auch Männer z.B. an einem höfischen Maifeste den Kranz; der Brautführer trägt ihn, ja sogar der Ritter im Kampfe; andere bei einer Schlittenfahrt, besonders aber bei Tanz und Festen, wobei die Beschenkung und Zierung von Junggesellen als Zeichen der Gunst und Ehre galt. Besondere Bedeutung hatten der Rosenkranz und der Nesselkranz als Zeichen für den begünstigten und den verschmähten Liebhaber; Zeichen der mangelnden Liebe ist auch der Strohkranz. Schon früh wurden Kränze aus kostbaren Stoffen nachgebildet, aus Perlen, Edelsteinen u. dergl. Der höfische Frauenkranz heisst mit französischem Namen schapel, er ist auch von künstlichen Blumen, in Gold und Edelstein gefertigt und war bei vollständigem Kopfschmuck der Hauptteil des gebendes. Die Sitte des Schenkens von Seite der Mannes war ebenfalls Zeichen des Gunst und Treue:


demselben wacker meidelein

schikt ich neulich ein krenzelein

mit rotem gold bewunden,[527]

dabei sie mein gedenken soll

zu hundert tausent stunden.


Namentlich der Jungfrau kam durch Sitte und Natur der Kranz zu; wie er denn in katholischen Ländern sogar beim Gottesdienst, bei Prozessionen häufig vorkommt. Besonders aber ist er unentbehrlich bei der Hochzeit und im Tode.

Das Kranzsingen, d.h. singen um den Preis eines Kranzes, war eine alte Volkssitte; junge Leute, heisst es, seien an etlichen Orten in Schwaben des Nachts ausgegangen und hätten Lieder gesungen und schöne Gedichte gesprochen, damit ihnen ihre Liebsten Kränzlein (schapelin) geben. Sebastian Frank erzählt im Weltbuch unter den Bräuchen in Franken am Johannistage: »Die Maid machen auf diesen Tag Rosenhäfen, also: si lassen inen machen Häfen voller Löcher, die Löcher kleiben si mit Rosenblettern zu und stecken ein Liecht darein, wie in ein Latern, senken nachmals diesen in die Höhe zum Laden herrauss, da singt man alsdann umb ein Kranz Meisterlieder; sunst auch oftmals im Jahr zuo Summerszeit, so die Meid am Abent in ein Ring herumb singen, kummen die Gesellen in Ring und singen umb ein Kranz, gemeintlich von Nägelin gemacht, reimweiss vor; welcher das best tuot, der hat den Kranz.« Die Kranzlieder gehören zu den Rätselliedern; es sind ihrer nur zwei erhalten (in Uhlands Volksliedern, Nr. 2 und 3), deren zweites folgendermassen beginnt:


Ich kumm aus frembden landen her

und bring euch vil der neuwen mär,

der neuwen mär bring ich so vil,

mer dann ich euch hie sagen wil;

die frembden land die sind so weit,

darin wechst uns guot summerzeit,

darin wachsen blüemlein rot und weiss,

die brechen jungfrauwen mit ganzem fleiss

und machen darauss einen kranz

und tragen in an den abendtanz

und lönd die gesellen darumb singen,

bis einer das krenzlein tuot gewinnen.

Mit lust tritt ich an disen ring,

gott grüess mir alle burgerskind,

gott grüess mirs alle gleiche,

die armen als die reichen,

gott grüess mirs allgemeine,

die grossen als die kleinen!

solt ich ein grüessen, die andern nit,

so sprächens, ich wär kein singer nit.

ist kein singer umb disen kreiss,

der mich wol hört und ich nit weiss?

derselbe tuo sich nit lang besinnen

und tuo bald zuo mir einher springen.

Singer, so merk mich eben!

ich will dir ein frag aufgeben:

was ist höher weder gott,

und was ist grösser dann der spott,

und was ist weisser dann der schne,

und was ist grüener dann der kle?

kanst mir das singen oder sagen,

das krenzlin soltu gewunnen haben,

darumb will ich jetz stille ston

und den singer zuo mir einher Ion.

Singer, du hast mir ein frag aufgeben,

die gfallt mir wol und ist mir eben:

die kron ist höher weder gott,

die schand ist höher dann der spott,

der tag ist weisser dann der schne,

das merzenlaub ist grüener dann der kle.

singer, die frag hab ich dir tuon sagen,

das krenzlin soltu verloren haben. u.s.w.


Hildebrand in Grimm's Wörterb. und Uhland's Schriften, III. 204 ff.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 527-528.
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