Bescheidenheit

[93] Bescheidenheit, eigentl. der Verstand, das gebührliche, verständige, kluge Handeln (so in Vrîdancs Bescheidenheit[93] ca. 1229), ist die aus natürlicher, richtiger Selbsterkenntnis entspringende Mäßigung in der Selbstschätzung und den Ansprüchen. Sie äußert sich in der bereitwilligen Anerkennung der Verdienste anderer und in der leichten Verzichtleistung auf eigene Ehrenbezeugungen und persönlichen Gewinn. Neben der natürlichen Bescheidenheit gibt es auch eine künstliche, auf Eitelkeit oder Kriecherei beruhende; auf solche affektierte Bescheidenheit läßt sich Goethes Wort aus dem Gedichte: »Rechenschaft« anwenden: »Nur die Lumpe sind bescheiden«. Wahre Bescheidenheit pflegt hingegen die Begleiterin großer Verdienste zu sein. Was die Bescheidenheit im Verhältnis der Menschen zueinander ist, ist die Demut im Verhältnis des Menschen zu Gott.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 93-94.
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