E. Auch wir laden ein

[401] Bislang haben wir ganz allgemein darüber gesprochen, wie es zugeht, wenn sich Leute, die mehr oder weniger bekannt oder befreundet sind, gesellig zusammenfinden. Wir haben absichtlich an einen großen Rahmen gedacht, denn wenn wir uns dort mit Sicherheit zu bewegen wissen, wenn uns sogar eine Einladung in das Haus des Bundespräsidenten nicht in Verlegenheit bringen könnte, werden wir mühelos auch jene gesellschaftlichen Klippen umsteuern können, die der normale Alltag versteckt hält. Wem die unzähligen kleinen und großen Kniffe, [401] deren souveräne Beherrschung zum Gesamtbild eines gut erzogenen Menschen gehört, vertraut sind, wird ebenso leicht gern gesehener, formvollendeter Gast wie gern besuchter, weil idealer Gastgeber sein können.

Immerhin werden wir gut daran tun, uns zu überlegen, was alles berücksichtigt werden muß, wenn wir nicht Gäste sind, sondern Gäste haben.


Zunächst wollen wir uns an ein Prinzip halten, das – völlig überflüssigerweise – immer wieder verletzt wird. Einladung – ja. Aber nur: im Rahmen unserer Möglichkeiten! Halten wir uns an einen Grundsatz: niemals über den Schatten des eigenen Portemonnaies und der eigenen Räumlichkeiten springen zu wollen. Wenn wir Gast in einem Hause waren, das uns in verschwenderischer Fülle vollendete Gastlichkeit bot, so erwächst für uns daraus nicht unbedingt die Verpflichtung, uns in gleichem oder gar noch größerem Rahmen zu revanchieren. Wir sagten schon einmal, daß große Einladungen ihren Zweck nur dann vollauf erfüllen, wenn sie mit der Präzision eines Uhrwerks ablaufen. Das aber erfordert außer erheblichen finanziellen Mitteln ausreichende Räumlichkeiten, einen wohlassortierten Geschirrschrank, überdimensionale Besteckkästen, ein gutgeschultes Personal und – sehr viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl. Niemand, der auch nur für fünf Pfennig Verstand, Takt und Herzensbildung hat, wird es uns verübeln, wenn wir die Einladung zu einem großen Festessen mit einer solchen zu einem »gemütlichen Abend« erwidern und statt des genossenen Festmahles mit zwölf Gängen ein bescheidenes kaltes Büfett aufbauen. Schließlich können wir ja mit unseren Gästen nicht gut nach einem jeden Gang eine Partie Halma spielen, um die Pausen auszufüllen, die zwangsläufig entstehen, wenn die einzige Geschirr- und Besteckgarnitur erst abgewaschen werden muß.

Wir bleiben also, wenn wir nicht anders können, getrost bescheiden. Wenn man allerdings von uns weiß, daß wir zu jenen Glücklichen gehören, die eine zur Repräsentation geeignete Wohnung besitzen, zu deren Personal ein Küchenchef und eine vom »Butler« angeführte Dienerschaft gehören, dann wäre es unklug und unhöflich, sich für eine große Schlemmerei mit einem Teenachmittag und altbackenen Plätzchen zu revanchieren.


Ansonsten aber wissen wir ja aus eigener Erfahrung, daß Hummer, Sekt, vergoldete Bestecke und eine große Dienerschar noch keineswegs das Gelingen eines gemütlichen Festes gewährleisten. Viel wichtiger sind gleichgestimmte Seelen. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß der Verlauf einer häuslichen Veranstaltung weniger von dem abhängt, was auf dem Teller liegt, als von jenen, die in unseren mehr oder weniger weichen Sesseln sitzen. Deshalb verlohnt es sich stets, zuerst über die Zusammensetzung der Gäste und erst in zweiter Linie über die des Mahles nachzudenken.

Zumeist wird es ja so sein, daß wir mit einer Einladung zugleich eine Dankesschuld [402] für genossene Gastfreundschaft abtragen. Damit ergibt sich bereits ein gewisser Gästestamm. Vergessen wir dabei nicht, daß auch solche Einladungen erwidert werden müssen, die wir erhielten, ohne ihnen gefolgt zu sein. Gewiß – wir haben damals rechtzeitig höflich abgesagt und »aufrichtig bedauert« – vielleicht, weil wir keine Lust, vielleicht auch nur, weil wir keinen Frack hatten. Immerhin bedeutet das nicht, daß der Fall damit erledigt wäre, denn mit dieser Einladung hat die Gegenseite ihren Wunsch zum Ausdruck gebracht, mit uns gesellig zu verkehren. Das können wir nicht gut ignorieren!

Und noch eines: Denken wir an jene Regeln, die wir im Zusammenhang mit dem Gebrauch der Visitenkarte kennenlernten! Wer bei uns mit Visitenkarte Antrittsbesuch macht, hat ebenfalls Anspruch auf eine Einladung – es sei denn, wir fänden ihn so unsympathisch und säßen selbst so sicher im gesellschaftlichen Sattel, daß wir es uns leisten könnten, ihm durch Nichteinladung deutlich klarzumachen, daß wir auf gesellschaftlichen Kontakt keinen Wert legten. Doch wer wird so unklug sein, sich durch ein solches Verhalten ewige Feinde zu machen?

Natürlich gibt es hier auch Ausnahmen. Sehr hochgestellte Persönlichkeiten oder Vorgesetzte erwarten keine Gegeneinladung, würden diese vermutlich sogar merkwürdig finden oder gar übelnehmen. Steht man sich mit einem Vorgesetzten sehr gut und war dort eventuell mehrmals eingeladen, so wird man ihn fragen, ob er uns auch einmal die Freude und Ehre erweisen würde, zu uns zu kommen. Wir erkundigen uns dann nach einem ihm und seiner Frau genehmen Datum, und wenn wir sehr höflich sind, sagen wir auch, wen wir noch bitten wollen. Dann werden wir schon merken, ob ihm dieser Gästekreis recht ist oder ob er es vorzieht, im kleinsten Kreis mit uns zusammen zu sein.

Schließlich aber könnte es auch sein, daß wir unsererseits bei Dritten nette Leute kennengelernt haben, mit denen wir nun gesellschaftlich verkehren möchten. Es kommt dies sehr häufig vor. Ebenso häufig aber passiert es, daß die neugewonnene, interessante Bekanntschaft alsdann ohne jene, bei denen man sich kennenlernte, eingeladen wird. Und das ist ein grober Verstoß gegen die guten Sitten. Wenn wir die lebenslustigen, geistreichen Schulzes bei den etwas hausbackenen und etwas langweiligen Müllers kennenlernten, bald darauf eine Party geben und Schulzes zu uns bitten, Müllers dagegen vergessen, so ist das schon sehr unhöflich! Und nichts wäre natürlicher, als daß Müllers daraufhin hörbar einschnappten. Denn ihnen haben wir schließlich die Bekanntschaft mit den netten Schulzes zu verdanken.

Innerhalb dieser zahlreichen Möglichkeiten können wir nun wählen. Wir wählen mit Takt und Geschick, kombinieren, vergessen niemanden, den wir nicht vergessen durften, bitten niemanden, der nicht gebeten sein will, fordern niemanden [403] auf, der die Harmonie der frohen Runde stören könnte. Wesentlich ist, daß alle Gäste bereit sein müssen, zu ihrem Teil am Gelingen des Abends mitzuhelfen – durch gute Laune, Freude an heiterer Geselligkeit und den ehrlichen Willen zur Harmonie. Gerade die Berührung mit der kaum bekannten Interessensphäre der anderen ist es ja, die einem geselligen Beisammensein seinen besonderen Reiz und seinen bleibenden Erinnerungswert gibt. Nur hier wird vielleicht der Atomforscher Einblick in die Sorgen erhalten, die einen Obstimporteur bewegen, wenn ein Waggon mit italienischem Frischobst bei dreißig Hitzegraden auf dem Weg von Neapel nach Deutschland irgendwo falsch angehängt wird und dann an einem Sonnabendnachmittag eintrifft, wenn in den Großmarkthallen bereits Sonntagsruhe herrscht. Der Importeur wiederum wird zum ersten Male aus berufenem Munde erfahren, worum es eigentlich bei der ganzen Atomforscherei geht, daß etwa 18 Gramm Wasser die Kleinigkeit von 61 Trilliarden Moleküle enthalten (6,1 x 1022), eine Zahl also mit 21 Nullen, die nicht einmal in seinen kühnsten Umsatzträumen aufleuchtet. Er wird vermutlich sehr erstaunt sein, wenn er hört, daß das Proton, der Wasserstoffkern, eine positive elektrische Ladung trägt und von einem negativen Elektron umkreist wird – in einem Abstand von einem fünfmilliardstel Zentimeter, dem sogenannten Wasserstoffatomradius. Und niemand wird ihm übelnehmen können, wenn er angesichts dieser Zahlenmystik daran zu zweifeln beginnt, daß Frischobst die Arbeit des menschlichen Gehirns in gesunde Bahnen lenke. Denn auf die Frage nach den Möglichkeiten einer friedlichen Verwendung der Atomenergie konnte ihm der Professor lediglich versichern, daß sie nach wie vor edelste Aufgabe der Kernphysik sei. Und der Fruchthändler beschloß, seine Forschungen auch weiterhin dem Kernobst zu widmen.

Soweit also kann eine Geselligkeit für alle Teile belehrend, interessant und aufschlußreich sein.

Gefährlicher ist es, Leute miteinander einzuladen, von denen man weiß, daß sie weltanschaulich oder politisch in verschiedenen Lagern stehen und ihre Standpunkte mit Bravour und Stimmaufwand zu verteidigen pflegen. Schon aus diesem Grunde sollte man derartige Gästekombinationen nur dann vornehmen, wenn man genau weiß, daß beide Teile genügend menschliches Format haben, eventuelle Diskussionen so ruhig und sachlich durchzuführen, daß die Harmonie darunter keineswegs leidet und den anderen Anwesenden nicht der Abend verdorben wird.

Wenn wir also als oberstes Gebot für eine Einladung die Forderung nach gleichgestimmten Seelen aufstellten, so sollte das nicht heißen, daß es sich um gleiche Berufs- oder Interessengruppen handeln müsse. Im Gegenteil – je bunter und verschiedenartiger unsere Gäste ihrem Lebenskreis nach sind, um so farbiger wird der Abend werden. Allen muß nur eines gemeinsam sein: die gleiche Stimmung, [404] der gleiche gute Wille, in angeregter, heiterer oder auch nachdenklicher Unterhaltung ein paar Stunden kultiviert und harmonisch miteinander zu verbringen. Je mehr die Gastgeber sich vor Zusammenstellung der Gästeliste über dieses Ziel einig sind, um so mehr werden sie den Ruf ihres gastlichen Hauses festigen.


Wie groß oder klein unsere Möglichkeiten auch sein mögen – immer gilt: Vorbereitung ist das halbe Gelingen.

Eigentlich ist das eine Binsenweisheit, und doch wird teils aus Freude, teils aus Hast häufig dieses und jenes vergessen, was dann im letzten Augenblick erledigt werden muß und zu Zeitnot führt.

Es schadet gar nichts, wenn sich die Gastgeberin rechtzeitig in einer ruhigen Minute hinsetzt, einen Zettel nimmt und ganz nüchtern und sachlich überlegt, wie tief sie bei der zu erwartenden Gästezahl in das Portemonnaie greifen kann oder will. Je gemütlicher es bei ihr zu sein pflegt, um so wohler werden sich alle fühlen. Wer sich aber wohl fühlt, ißt und trinkt mehr als gewöhnlich. Und wenn gar noch das Tanzbein geschwungen wird, kann sie getrost damit rechnen, daß ein jeder Durst und Appetit entwickeln wird, als habe er gerade eine Hungerkur hinter sich. Darauf aber muß sie vorbereitet sein. Deshalb erfordert allein die mengenmäßige Disposition dessen, was sie zu bieten gedenkt, einiges Nachdenken und Abwägen. Das gleiche gilt für die Aufteilung des am kalten Büfett zu Bietenden in Angerichtetes und Reserven, die notfalls in kurzer Frist mobilisiert werden können.

Da ist ein genauer Zeitplan zu machen, der sicherstellt, daß die Vorbereitungen rechtzeitig in Angriff genommen werden und früh genug beendet sind und der Hausfrau auch für Kleiderwechsel, Frisur, Make-up und Lacken der Fingernägel noch eine gute Stunde übrigbleibt. Die Wohnung muß rechtzeitig in einen Zustand versetzt werden, der auch die kritischsten Blicke bester Freundinnen nicht zu fürchten braucht. Weiß man denn, was alles passiert? Kann nicht ein kleines Malheur am Kleid einer Dame die Hausfrau plötzlich zwingen, diese in das Allerheiligste zu nötigen, wo Nadel und Faden zur Verfügung stehen? Dann wäre es doch wenig angenehm, bitten zu müssen: »Aber nicht umschauen! Es ging alles so schnell heute ...«

Die Wohnung muß eine Puppenstube sein! Auch wenn Sie sich tausendmal geschworen haben, den Gästen außer den Empfangsräumen und dem Bad bzw. der Toilette nirgendwohin Zutritt zu gewähren. Der Zufall führt zuweilen eigene Regie.

Wie nett und einladend schon die Diele wirken kann, haben wir bereits früher eingehend besprochen. Erinnern wir uns in Erwartung unserer Gäste [405] nur noch rasch einmal daran, daß keine Sachen von uns in der Garderobe herumhängen und unnötig Platz wegnehmen, daß genügend Bügel vorhanden, die Spiegel geputzt sind und die Kleiderbürste nicht fehlt.

In den Räumen, wo wir mit unseren Gästen dann beisammen sind, müssen eventuelle Umstellungen so rechtzeitig vorgenommen werden, daß wirklich die größtmögliche Raumwirkung erreicht ist. Keinesfalls darf es vorkommen, daß wir erst beim Eintreffen der ersten Gäste beginnen, Stühle, Tische und andere Möbelstücke zu verrücken. Falls beschränkte Räumlichkeiten gewisse Veränderungen verlangen, beginne man damit rechtzeitig und in Ruhe.

Platz heißt das eine Gebot, bequeme Sitzgelegenheiten das zweite! Da wir uns ja vorgenommen haben, keinesfalls über den Rahmen unserer Möglichkeiten hinauszugehen, wird es uns nicht schwerfallen, aus dem Vorhandenen das Größtmögliche an Bequemlichkeit und Komfort zu zaubern.

Zu den Kleinigkeiten, die in der Hast zu spät begonnener Vorbereitungen leicht vergessen werden, gehört die Bereitstellung einer genügenden Anzahl von Aschenbechern! Nichts ist störender, als wenn ein rauchender Gast während einer Unterhaltung alle Augenblicke quer über den Tisch langen muß, um die Asche loszuwerden.

Auch sollte die Hausfrau nicht vergessen, daß diverse Gäste mit mehr oder weniger großen Blumensträußen erscheinen werden. Die zu ihrer Aufnahme notwendigen Vasen müssen ebenso in Bereitschaft stehen, wie man sich bereits vorher überlegen wird, wohin diese blühenden Aufmerksamkeiten gestellt werden sollen. Sie dürfen bekanntlich nicht in der Küche verschwinden, sondern müssen gewissermaßen unter den Augen des Gastes einen Ehrenplatz erhalten. Das sollte die Gastgeberin bereits berücksichtigen, wenn sie jene Blumen aufstellt, mit denen sie das Zimmer ohnehin schmückt. Woraus abermals hervorgeht, daß das Mitbringen von Blumen in einem großen Gästekreis nicht immer ungeteilte Freude bereitet.

Müssen wir noch einmal betonen, daß Bad und Toilette peinlichst sauber sein sollen? Daß sich da nirgends unschöne, halb zerdrückte, lieblos behandelte Tuben herumtreiben dürfen? Daß Gästehandtücher in blütenweißer Reinheit zu froher Waschung einladen, unterstützt von einem genügend großen, tadellos sauberen Stück guter Toilettenseife? Natürlich brauchen wir das nicht besonders zu erwähnen, denn es ist ohnehin selbstverständlich, auch wenn keine Gäste erwartet werden.

Unerläßlich ist seitens der Hausfrau eine rechtzeitige und eingehende Regiebesprechung mit dem Personal – soweit solches vorhanden ist.

Große Festlichkeiten mit offizieller Abendtafel sind ohne hervorragend geschulte [406] Hilfskräfte nicht durchführbar. Versucht man es dennoch, so erlebt man ein Fiasko. Denn nur versiertes Personal ist mit Blicken zu lenken – und viel mehr kann die Gastgeberin, wenn sie sich mit ihren Gästen zu Tisch begeben hat, nicht tun.

Doch auch bei zwanglosen Geselligkeiten, bei denen an die Stelle der Abendtafel ein kaltes Büfett tritt, bleibt für die Bedienung noch immer genug zu tun. Und das, was hier regelmäßig und unauffällig zu geschehen hat, muß bereits vorher feststehen. Dazu gehören z.B. die Überwachung des kalten Imbisses, rechtzeitiger Ersatz leerer Schüsseln, Abräumen gebrauchter Teller, Bestecks und Servietten, Gläserkontrolle, Unterstützung des Hausherrn bei der Versorgung der Gäste mit Getränken, Ersatz gefüllter Aschenbecher und ähnliches. Das alles muß so lautlos vor sich gehen, daß sich kein Gast gestört fühlt. Und deshalb sollte es keine Gastgeberin versäumen, ihrem Personal hier rechtzeitig eindeutige Anweisungen zu geben. Je klarer sie vorher ihre Wünsche formuliert, um so ausschließlicher wird sie sich später ihren Gästen widmen können.


Die Einladung des Einzelgängers! Unter Einzelgängern verstehen wir hier nicht etwa jene etwas verschrobenen Typen, die mit sich und der Welt zerfallen sind und so zurückgezogen leben wie die berüchtigten afrikanischen Elefanten gleicher Gattung. Vielmehr denken wir an Junggesellen beiderlei Geschlechts. Sofern sie überhaupt Einladungen geben. Wenn sie es grundsätzlich nicht tun, so wird niemand etwas daran finden, daß sie sich für empfangene Gastfreundschaft im Kreis befreundeter Familien nie anders als mit einem Blumenstrauß, einem freundlichen Brief und vielleicht auch einmal einer Bonbonniere für die Hausfrau bedanken. Jedermann wird Verständnis dafür aufbringen, daß beruflich tätige Junggesellinnen und Junggesellen nur selten die Möglichkeit haben, ein großes Haus zu führen und in puncto Einladung Gleiches mit Gleichem zu vergelten, und sich daher auf andere Dankesformen beschränken.

Wollen sie sich dennoch durch bescheidene Gastlichkeit erkenntlich zeigen, so tun sie es gewöhnlich in einem kleinen Rahmen, den sie leicht und ohne krampfhaften Aufwand auszufüllen vermögen. Sie können ohne weiteres zu sich zum Tee, zu einem kleinen Faustimbiß bitten – auch wenn sie selbst bei jedem der Eingeladenen opulent schwelgen durften. Es geht hier, wie so oft, in erster Linie um einen Gegenwert an Herzlichkeit und nicht um einen solchen materieller Natur.

Will aber eine Junggesellin wirklich einmal eine Einladung größeren Stils geben, nun, dann wird sie es eben so einrichten, als wäre sie verheiratet. Mit dem Unterschied, daß sie an Stelle des nicht vorhandenen Personals ein paar gute Freundinnen bitten wird, ihr zur Hand zu gehen. Und diese Freundinnen werden, wenn sie vernünftig sind, nicht das geringste dabei finden, einen Abend lang um des netten Zwecks willen eine Doppelrolle zu spielen.

[407] Und wer einer solchen Gesellschaft als Zuschauer beiwohnt, ohne die näheren Zusammenhänge zu kennen, wird das Fehlen eines Hausherrn nur an einer einzigen Kleinigkeit bemerken: daß nämlich die Gastgeberin zu Beginn der Tafel ihr Glas hebt und ihren Gästen zutrinkt. Denn das täte bekanntlich normalerweise der Hausherr.


Junggesellen dagegen haben es etwas schwerer – schon weil sie von Hauswirtschaft nichts verstehen und Leckereien zwar mit Vergnügen essen, aber nur selten auch zubereiten können. Deshalb werden sie gut daran tun, sich rechtzeitig einer älteren mütterlichen Freundin, einer Tante oder eines anderen geeigneten weiblichen Wesens zu versichern, das ihnen als Ersatz-Hausfrau zur Seite steht. Der Gedanke, für diese Aufgabe eine geeignete junge Dame heranzuziehen, mag naheliegen. Noch näher aber liegen die Gründe, aus denen man von einem derartigen Arrangement absehen sollte! (Dafür darf man alsdann aber die in Betracht gezogene hübsche junge Dame ohne weiteres einladen – mit den anderen Gästen.)

Neben all diesen freiwilligen Einladungen gibt es auch unfreiwillige. Jene, die wir aussprechen, weil wir ein gutes Herz oder ein schlechtes Gewissen haben. Da klingelt es plötzlich, und vor der Tür stehen kofferbewaffnet Onkel Otto oder Tante Alwine, Vetter Karl oder Kusine Erna:


Plötzliche Logiergäste: »Nett, daß du dich mal wieder sehen läßt!« »Nicht wahr? Ihr seht übrigens blendend aus!« Und dann wird dem lieben Besuch etwas der Tageszeit Entsprechendes angeboten. Und dann wird erzählt. Und irgendwann fällt ganz beiläufig die Frage: »Hast du übrigens schon ein Zimmer?« Worauf prompt die Antwort kommt: »Nein, noch nicht. Ich dachte, ich bringe das Gepäck erst einmal zu euch. Und dann sehen wir weiter.«

Womit die Reihe weiterzusehen an uns wäre.

Nun, wir sind gastfreundlich, auch wenn wir wahrscheinlich kein Gästezimmer haben. Aber eine Couch haben wir, und das genügt. Und Onkel ist gar nicht anspruchsvoll. Überhaupt – der schlechtesten einer ist er nicht. Gewiß, sein Familiensinn ist zuweilen etwas zu stark ausgeprägt, vor allem für Leute, die noch nicht im pensionsfähigen Alter stehen.

Und während wir noch munter plaudern und immer wieder versichern, daß wir uns freuen würden, wenn Onkel unser Gast sein wollte, planen wir bereits. Bettwäsche ist vorhanden. Und wenn Onkel morgens länger schlafen will, mag er, und ...

Aber Onkel Otto ist ein Mann von Welt und weiß, was sich schickt. Natürlich kann er sich denken, daß er uns ein bißchen Umstände machen wird. Doch die darf er als Erbonkel getrost machen. Ansonsten aber merkt man ihm bereits nach wenigen Minuten an, daß er entschlossen ist, uns sowenig wie möglich zu [408] stören und sich so unauffällig anzupassen, daß der Rhythmus des häuslichen Lebens dadurch nicht aus dem Takt gerät.

Er sagt: »Kinder, nur keine Umstände! Ich bleibe gern ein paar Tage bei euch, aber ich tue es nur, weil ich die feste Absicht habe, euch nicht auf die Nerven zu fallen. Schlafen? Kein Problem! Wenn ich die Couch hier haben darf, bin ich vollauf zufrieden. Bettwäsche? Brauche ich nicht – hab' ich bei mir!« Und er zeigt uns ler Stolz eine wirklich praktische Neuerung, die er kürzlich erworben hat: einen Nylonschlafsack, der überhaupt keinen Platz wegnimmt, warm hält, sauber ist und der Hausfrau das Bettbeziehen ebenso erspart wie das abendliche Auf- und das morgendliche Abbauen des Gastbettes.

Dann fragt unser Gast noch nach den Zeiten, zu denen er, ohne den Tagesbeginn zu stören, das Bad benutzen kann, erkundigt sich, wann er zum Essen erscheinen muß – und wir empfinden gar nicht mehr als Störung, was uns zuerst als solche erschien.

Der Onkel aber, der seine Anzüge in eine frei gemachte Kleiderschrankecke hängen darf, ist erstaunt und gerührt zugleich, wenn er sich zurückzieht und neben seinem Nachtlager eine Zeitung, ein paar Bücher, einen Aschenbecher, Rauchzeug und eine Flasche Selterswasser vorfindet. Und er schläft lächelnd ein bei der Feststellung, daß Verwandte auch Menschen sind.


Der indirekte Besuch – das ist jener, den wir gerne bei uns im Hause haben, dem wir Stadt, Land und Sehenswürdigkeiten zeigen, mit dem wir ins Theater gehen – den wir aber beim besten Willen aus räumlichen Gründen nicht bei uns wohnen lassen können. Und dennoch lassen sich auch diese unsere Gäste recht gut betreuen – indirekt gewissermaßen. Mögen sie nun Geschäftsfreunde, Verwandte oder sonstige gute Bekannte sein. Wenn wir um ihr Kommen wissen, ist es selbstverständlich, daß wir ihnen – möglichst in der Nähe – ein nettes Zimmer besorgen, in dem wir nach dem Rechten sehen, als wenn es unser eigenes Gastzimmer wäre. Auch dort brauchen Blumen ebensowenig zu fehlen wie all die anderen kleinen Aufmerksamkeiten, die uns wenig kosten, unserem Gast dagegen viel Freude machen. Die Sache mit der Rechnung regeln wir so diskret wie möglich! Und niemals in Anwesenheit des Gastes. Wir informieren das Hotel oder die Pension rechtzeitig darüber, daß alle Kosten zu unseren Lasten gehen, und stellen damit sicher, daß der Gast, wann immer er zahlen will, der höflichen, aber bestimmten Auskunft begegnet: »Verzeihung – das ist bereits erledigt!«

Je größer die Selbstverständlichkeit, mit der wir auf diesem Wege den eigenen Mangel an Wohnraum umgehen, um so nachhaltiger wird der Eindruck sein, den unsere Gastfreundschaft trotz gewisser Schwierigkeiten macht. Und auch wir werden eines Tages – falls wir in eine ähnliche Lage kommen sollten – angenehm empfinden, wie wohl unsichtbare und doch herzliche Regie der Gastlichkeit tut.

Quelle:
Graudenz, Karlheinz: Das Buch der Etikette. Marbach am Neckar 1956, S. 401-410.
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