Die Krawatte

[29] Die Krawatte ist die erste und vielleicht einzige Möglichkeit für den Gentleman, das durch die Gesetze der Mode vorgeschriebene schlichte Dunkel durch etwas Farbenfreudigkeit lebhafter zu gestalten. Die einzig denkbare Möglichkeit, auch Farbensinn und Geschmack zu verraten. Es ist eine heikle Sache. Auf der Krawatte ruht der erste Blick jedes Vorübergehenden. Ein richtiger Schlips hebt als Abschluß den ganzen Eindruck eines Mannes, ein falscher ruiniert selbst die ausgesuchtesten, bestgearbeitetsten Kleider.

Im allgemeinen sollte man von dem Gebrauch zu heller Schlipse absehen. Es gibt ja so viele diskrete Zwischenfarben – olivgrün, tabakbraun, terrakotte, mausgrau, milchblau – alles Farben, die auf ganz fein in gleichen Farben untermusterten Hemden die besten Wirkungen ergeben. Man wählt im allgemeinen zu den Farben der Anzüge entweder die gleichfarbigen Krawatten oder die konträren Farben, d.h. zu blauen Anzügen blaue oder braune Krawatten, zu braunen braune oder grüne, zu grauen graue oder violette. Zu blauen, braunen oder grauen Anzügen schwarze Schlipse zu tragen, ist nicht angängig. Schwarze Krawatten trägt man zum schwarzen Cut away. Sind dieselben ungemustert rein schwarz, bedürfen sie einer einzelnen weißen oder grauen Perle als Schlipsnadel, sind sie gemustert, schwarzweiß gestreift oder kariert, fällt diese Regel fort. Die weißen Streifen dürfen nicht zu hell wirken und richten sich in ihrer Breite nach dem Streifen der Beinkleider. Schwarze Schlipse sind ferner geboten als Binder für schwarze oder zum mindesten ganz dunkle Anzüge, für fein karierte oder schwarz-weiß gestreifte Sakkos, als Schleife für den Smoking. Eine andere Krawatte für den Smoking als die kleine, schwarze, nach den Enden sich schmetterlingsartig erweiternde Schleife ist unmöglich.

Es bedarf wohl keiner Erwähnung, daß zur Erzielung eines einwandfrei gebundenen Schlipses ein allererstklassiges Material[30] gehört. Nur die reinste, weichste Seide in breitem Spielraum gibt befriedigende Schleifen – alle minderwertigen Stoffe ergeben jene knotenartigen, mit Auswüchsen versehenen Gebilde, die man fälschlicherweise mit Krawatten bezeichnet.

Die Kunst, eine Krawatte auszuwählen, ist außerordentlich subtil. Stimmung, Wetter, Anzug, Gelegenheit, alles muß gleicherweise berücksichtigt werden, um gute Resultate zu erzielen. Man kann z.B. durch Differenzierung der einzelnen Farben überraschende Wirkungen erzielen. Es gibt ja schließlich ein Braun in unzähligen Nuancen, ein Grün vom tiefsten Flaschengrün bis zum sattesten Rasengrün.

Nicht minder subtil ist die Kunst, die ausgewählte Krawatte zu binden. Geübte Schleifenbinder schlingen den Knoten ihrer Krawatte lediglich nach dem Gefühl ohne Benutzung eines Spiegels. Nur die penible Frackkrawatte erfordert einen Spiegel, wenn möglich sogar einen dreiteiligen. Die Frackkrawatte überlassen viele zarten Frauenfingern oder den geübten Griffen eines Kammerdieners. Sie wird neuerdings mit ganz kleinen Knoten und kurzen, fächerartig auseinanderfallenden Flügeln getragen.


Die Krawatte

[31] Die einzige Gelegenheit, wo auch der geschmackvolle Mann seinen Gefühlen keinen Zwang anzutun braucht und seiner Farbenfreudigkeit nach allen Regeln der Kunst die Flügel schießen lassen kann, sind die Sportkrawatten. Zu weichen Flanellhemden ohne Kragen gehen alle, auch die grellsten Farben, gelb und schwarz gestreift, orange und blau, lila und grün. Die Krawatten laufen, sich gegen Ende verbreiternd, bis zum Gürtel. Scarfs und Plastrons gehören der Vergangenheit an. Nur ab und zu taucht in einem Café eine Künstlertype auf, die an Stelle eines Kragens eine schwarze Binde um den Hals gewickelt hat.

Der Toiletteschrank des modernen Herrn weist heute eine Fülle von Schlipsen aller Art auf, die entweder an der Schranktür innen an einem Faden hängen oder in neckischem Durcheinander in einer Schublade liegen. Beides ist unpraktisch – praktisch ist ein Glaskasten mit verschiedenen Abteilungen für die verschiedenen Grundfarben.

Im allgemeinen soll die Farbe des Schlipses mit der der Strümpfe und der Stiefeleinsätze harmonieren. Sie muß naturgemäß harmonieren mit der Farbe eines eventuellen bunten Hemdes. Da bunte Hemden ihrerseits eine gewisse Daseinsberechtigung nur im Sommer haben, müßte das Schlipsbudget des Herrn im Winter mit drei oder vier Tageskrawatten und etwa acht Abendkrawatten vollauf gedeckt sein.

In der Abendkrawatte ist dem individuellen Geschmack der schärfste Zügel anzulegen. Muster jeder Art sind unbeliebt. Das stumpfe Schwarz der Smokingkrawatte darf allenfalls schwach kariert, das Batistweiß des Frackschlipses fast unmerklich gestreift sein. Eine Abendkrawatte muß nach jedesmaligem Gebrauch gebügelt werden, während die Tageskrawatte mehrere Male hintereinander ohne Schädigung der Wirkung gebunden wird.

Es ist ein Beweis verständiger Eleganz, die gleiche Krawatte in zwei oder drei Exemplaren zu besitzen. Wie es überhaupt ein Unsinn ist, am Krawattenbudget zu sparen, denn im Verhältnis zu den Anzugpreisen ist die Ausgabe der wenigen Mark eine Bagatelle.

Wenn man aus der Krawatte auch nicht gerade auf die Weltanschauung eines Mannes schließen kann – der rein persönliche Geschmack wird durch nichts schlagender dokumentiert. Hier hilft auch keine Ausrede: »Ach, die hab' ich nur so gekauft«[32] – man »kauft nicht nur so« Krawatten, sondern läßt sie sogar vom Stück arbeiten. Gefütterte Krawatten trug man früher. Man trage nie die gleiche Krawatte zu zwei verschiedenen Anzügen. Jedem Anzug sein Schlips ist das mindeste, was man verlangen kann.

Und andererseits: Jedem Schlips sein Hemd. Das Hemd als Folie des Schlipses ist für die Gesamtwirkung von größter Wichtigkeit. Die Farben müssen stets harmonieren und dürfen im Hemd nie dunkler sein als in der Krawatte. Je einfacher, weniger gemustert, ungeschmückter das Hemd ist, desto mehr wirkt die Krawatte. Bunte Taschentücher in der Farbe des Schlipses in der Brusttasche zu tragen, ist Berliner Chic. Der gut angezogene Mann trägt keine bunten Taschentücher.

Aus der Litteratur der Krawatte sind Balzac's Aphorismen über die Krawatte erwähnenswert:


Die Krawatte

Die Kunst, seine Krawatte zu binden, bedeutet für den Weltmann, was die Kunst, ein Diner zu geben, für den Staatsmann bedeutet.

Die Krawatte des Mannes von Genie wird der Krawatte eines kleinen Geistes nie ähnlich sehen.

Die unendliche Mannigfaltigkeit der Charaktere und geistigen Veranlagungen bedingt eine ebenso reiche Mannigfaltigkeit der Krawatten.

Quelle:
Koebner, F. W.: Der Gentleman. Berlin 1913, [Nachdruck München 1976], S. 29-33.
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