Mit Schwerhörigen reden

[126] Wer mit Schwerhörigen zu tun hat, muß sich zuerst von dem Vorurteil freimachen, Schwerhörigkeit sei eine Art Dummheit. Dieses Vorurteil wird leider durch unsere Sprachen gefördert. Im Österreichischen sagte man »terisch« (eigentlich ›töricht‹) für ›schwerhörig‹; in manchen Schweizer Dialekten bedeutet »taub« ›zornig‹. Vor allem die Doppelbedeutung von »verstehen«, was ja sowohl rein akustisch wie auch intellektuell gemeint sein kann, trägt immer wieder zur Fortpflanzung der falschen Meinung bei, daß jemand, der »nicht versteht«, einen intellektuellen Defekt habe. Hier sollte man an jenen alten Engländer denken, der, wenn er etwas (akustisch) nicht verstanden hatte, konsequent sagte: »I didn't hear« und nie: »I didn't understand.«

Was soll der Gesprächspartner eines Schwerhörigen im einzelnen beachten? Erstens soll er ihm das Gesicht zukehren. Wir reden hier zwar nicht von den völlig Gehörlosen, die auf das Ablesen angewiesen sind; aber auch für die nur leicht Schwerhörigen ist es eine große Hilfe, die Lippenbewegungen des Sprechenden verfolgen zu können.

Weiter: Man soll deutlich sprechen, das heißt, nicht unbedingt lauter, wohl aber besser artikuliert. Wie wir in unserem Kapitel »Wie soll ich reden« (Seite 14 ff.) bereits ausgeführt haben, bedeutet das: Erstens: die Konsonanten scharf von einander unterscheiden, zweitens: das Ende des Wortes und des Satzes [126] besonders pflegen. Es ist daran zu erinnern, daß die meisten Menschen der Meinung sind, sie reden ganz deutlich. Selbsterkenntnis und darauffolgende Besserung bringt nur ein Lehrer oder allenfalls ein Tonbandgerät.

Wenn man noch mehr tun will, um dem Schwerhörigen das Hören zu erleichtern, so kommt ein drittes hinzu: deutlich segmentieren. Unter Segmenten versteht die Linguistik die Teile, aus denen die zusammenhängende Rede besteht. Wenn man gesprochene Texte analysiert, zum Beispiel mit Tonbandgeräten und Lautspektrographen, so bemerkt man, daß die Trennungen zwischen den einzelnen Wörtern, die in der Schrift so deutlich erscheinen, in der gesprochenen Sprache gar nicht existieren: Dort heißt es nicht: »Man hätte es der Bevölkerung mitteilen sollen«, sondern:


»Manhätteesderbevölkerungmitteilensollen«,


oder gar, wie eine sächsische Reisegruppe angesichts der näherrückenden Berge ausrief:


»Najezwärzawwertichdchhichlich.«7


Wenn wir uns so verständlich wie möglich ausdrücken wollen, so müssen wir unseren ungegliederten Redefluß in einzelne Wörter zerlegen, mit deutlichen Pausen dazwischen, so daß unser Partner weiß, wo ein Wort aufhört und das nächste beginnt. Was uns dabei etwas hilft, sind die sogenannten Grenzsignale8. Zum Beispiel kann im Deutschen ein Wort nicht mit tm- beginnen; deshalb nehmen wir, wenn wir die Lautfolge tm hören, automatisch an, daß dazwischen eine Wortgrenze liegt, wie z.B. in »hört mich«. Aber diese Signale funktionieren nur unvollständig.

[127] So ist es denn immer gut, wenn der Sprecher die Wortgrenzen mit kleinen Pausen markiert – was übrigens gar nicht leicht ist, da man den natürlichen Sprachfluß »zerhacken« muß, was einem gegen den Strich geht.

Wenn man nun – sei es mit Schwer- sei es mit Normalhörigen – redet, so wird es immer wieder einmal vorkommen, daß der Partner einen nicht versteht. Er wird dann etwa fragen: »Wie bitte?« Die meisten Menschen machen auf eine solche Frage hin folgendes: Sie halten ein Wort ihres Satzes für besonders wichtig, und wiederholen dann nur dieses eine Wort. Jemand hat zum Beispiel gesagt: »Du mußt dann am Nachmittag den Hammer mitnehmen«. Der Angesprochene versteht nicht und fragt: »Wie bitte?« Darauf wird der erste mit ziemlicher Sicherheit antworten: »Den Hammer!« und glauben, er habe sich nun verständlich gemacht. Das ist aber nicht unbedingt der Fall. Es kann nämlich sehr wohl sein, daß der Angesprochene das Wort »Hammer« sehr gut, dagegen etwas anderes nicht verstanden hat, z.B. »Nachmittag« oder »mitnehmen«. Der Sprecher hätte also diese Wörter wiederholen müssen.

Dies läßt sich auch mit sprachwissenschaftlichen Überlegungen stützen: Ein Satz, das betont die neuere Linguistik nachdrücklich, hat in der Regel zwei Elemente: das, worüber gesprochen wird, und das, was darüber ausgesagt wird. In unserem Falle wird über einen »Hammer« gesprochen, und es wird gesagt, daß man ihn »am Nachmittag mitnehmen« soll. Beide Elemente sind gleich wichtig, und darum muß man, wenn eine Wiederholung nötig wird, auch beide wiederholen. Also nie auf die Frage »Wie bitte?« hin nur ein einzelnes Wort gebrauchen, sondern die zwei Teile des Satzes wiederholen.

Übrigens kann auch der Schwerhörige selbst noch etwas zur Verbesserung der Kommunikation tun. Meist wird ihm ja nicht der ganze Satz seines Partners unverständlich bleiben, sondern nur ein Teil davon. Da ist es nun unzweckmäßig, einfach zu sagen: »Wie bitte?« oder »Ich habe nicht verstanden«; vielmehr sollte man andeuten, welchen Teil der Aussage man nicht verstanden hat. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen. [128] Man kann zum Beispiel, das wird das häufigste sein, den Teil, den man verstanden hat, wiederholen. Also in unserem Fall, wenn man nur »Nachmittag« nicht verstanden hat, fragen: »Ich soll den Hammer bringen – was war noch?«. Noch besser ist folgendes – hier darf man sich allerdings nicht genieren –: Man wiederholt ungefähr, was man tatsächlich verstanden hat, sei es auch noch so unsinnig. Also in unserem Fall: »Wie, ich soll den Hammer dem Admiral bringen?«. Dann nämlich weiß der Gesprächspartner genau, wo das Mißverständnis liegt, und kann seine Korrektur dementsprechend gezielt anbringen. Er wird also in unserem Fall nicht ewig das unnötige Wort »Hammer« wiederholen, sondern sogleich das wirklich notwendige »am Nachmittag« nachliefern.


ZU BEACHTEN


Schwerhörigen das Gesicht zukehren.


Nicht lauter, aber deutlicher reden.


Segmentieren, d.h. die Wörter voneinander trennen.


Wer nicht verstanden worden ist, soll nicht nur ein einzelnes Wort wiederholen.


Wer einen Satz teilweise verstanden hat, soll den verstandenen Teil wiederholen.

Quelle:
Leisi, Ilse und Ernst: Sprach-Knigge oder Wie und was soll ich reden? Tübingen 21993, S. 126-129.
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