Neue Spargelteller. Exzellenz Schultz und Frau Schultz. Einladung zum Diner und Begrüßung.

[208] Viele werden zwar das Thema meiner letzten Plauderei »Falsche Prüderie« für nichtettikettenmäßig halten; dieser Gedanke beunruhigt mich so wenig, daß ich noch einmal kurz auf dasselbe Thema zurückkomme. Man hat mir als beachtenswert folgendes Verfahren empfohlen: Wenn man genötigt ist, auf kurze Zeit vom Tisch aufzustehen, so ziehe man einen dienstbaren Geist ins Geheimnis und sage ihm: »p. p. bitte kommen Sie in einigen Augenblicken an mich heran mit den Worten, Herr X. möchten in einer dringenden Angelegenheit einmal herauskommen!« – Charmant! Wenn eine[208] solche etwas weitschweifige Manipulation glücklich abläuft. Bei einem gewandten Menschen wird dies ja zutreffen. Andererseits aber ist auch die Gefahr groß, durch dies Verfahren mehr Aufsehen zu erregen, als durch ein einfaches Verschwinden, das ja auch in dem Falle praktischer ist, wenn die Angelegenheit eben eine wirklich sehr dringende ist.

Bevor ich zu lieblicheren Betrachtungen, nämlich solchen über das Diner, übergehe, möchte ich noch zwei Beanstandungen aus dem Leserkreise erwähnen, die meine letzte Plauderei betreffen.

Die eine Beanstandung erfolgte mündlich. Um Porto zu sparen, hat mich ein mir wohlwollend gesinnter Leser zum Spargelessen eingeladen und mir dabei die Frage vorgelegt, auf welche komplizirte Weise ich eigentlich lange Spargelstangen auf meinem Teller unterbringe, wenn ich den Tellerrand von allem Eßbaren freilassen will; dies hatte ich nämlich in meiner letzten Plauderei anempfohlen. Ich war gründlich geschlagen; nachdem ich den Sieger als sein Gast noch gründlich geschädigt habe, ist das hochwichtige Resultat meiner angenehmen Niederlage und einer in ernstem Denken verbrachten[209] Nacht Nachfolgendes: Lange Spargelstangen – so tief betrübend es auch ist – wird man derart auf seinen Teller legen müssen, daß sie sogar oft über den Tellerrand hinausragen. Aber sobald ich durch mein Schriftstellern reich geworden, werde ich diesem Uebel entgegentreten und eine Porzellanfabrik gründen, in der man besondere Spargelteller fertigt, schmale längliche Teller, auf denen lange Spargelstangen wirklich Platz haben und dabei den Tellerrand freilassen. Allerdings giebt es ja zurzeit andere soziale Schäden, die noch eindringlicher Alle, die zu hören verstehen, um Hilfe anschreien.

Zum Schlußthema meiner letzten Plauderei – Verhalten eines Herrn, der zwei Damen zu Tisch zu führen hat – empfiehlt eine launige Aeußerung aus dem Leserkreise, ein Junggeselle nehme beim Führen zweier Damen gerade diejenige, die er lieber heiraten möchte, auf seine minderwertige linke Seite, das Verfahren sei mehr geeignet, diese Dame für den Herrn zu interessiren, namentlich, wenn sie durch Bevorzugung seitens anderer Herren besonders verwöhnt ist. Das mag ja unter Umständen besonders diplomatisch sein, aber bekanntlich kommt es hierbei, wie in der wirklichen Diplomatie,[210] auf den Erfolg an, und den Erfolg hat jedenfalls allein der Ehemann für sich, der nicht nur verheiratet, sondern auch glücklich verheiratet ist.

Die feierlichste der normalen gesellschaftlichen Veranstaltungen ist das Diner. Man sagt dem Deutschen nach, daß er sich von allem Fremdländischen über Gebühr imponiren läßt. Daraus erklärt sich wohl, daß man früher fast ausschließlich das feierliche Mittagessen, zu dem feierlich eingeladene Gäste in besonderem Festgewande erscheinen, mit einem Fremdworte bezeichnete. Auf das französische »Diner« ist man wohl gekommen, weil die französische Kochkunst in ganz besonderem Ansehen steht. Uebrigens, man drückt sich jetzt in der feierlichen gedruckten Einladungskarte lieber einfach deutsch aus, man ladet auch hohe Honoratioren selbst zu den schwierigsten, magenschädlichsten Speisen und Getränken lieber zum »Mittagessen« als zum »Diner« ein. Das französische Wort hat nach Ansicht Vieler einen etwas protzenhaften Beigeschmack, namentlich in gedrucktem oder geschriebenem Zustande. Für die mündliche Unterhaltung aber scheint mir der englische Ausdruck »Dinner« moderner geworden zu sein, als der[211] französische »Diner«. Die Sprache hat bekanntlich auch ihre Moden. Das biedere deutsche Zeitwort »speisen« ist vielfach auch in Acht und Bann gethan Der Herr Kammerherr v. Z. wird auf die Frage, wann er speist, mit scharfer Betonung antworten: »Ich esse um fünf Uhr« und in Worten oder Gedanken hinzufügen: »Ich, Kammerherr v. Z., speise überhaupt nie, nur gewisse industrielle Reichmeier gebrauchen diesen protzigen Ausdruck.«

Herr und Frau Adolf N. beehren sich usw. – Der Landrat und Frau v. M. oder Landrat v. M. und Frau v. M. usw. – Baron und Baronin Anton v. H. – Graf und Gräfin Max v. T. – Der Staatssekretär und Frau v. Z. beehren sich Herrn Kammerherrn und Frau v. B. und Fräulein Tochter zum Mittagessen am usw. um 7 Uhr ergebenst einzuladen. Diese Wortfassung der Einladung, hinter dem Wort »Frau« den Familiennamen entweder überhaupt erst anzuführen oder noch einmal zu wiederholen, diese Fassung gilt für vornehmer als: Adolf N. und Frau usw. – als: Baron Anton v. H. und Frau beehren sich Herrn Kammerherrn v. B. und Frau Gemahlin usw. ergebenst einzuladen. Durch die erstere Form,[212] die als vornehmer gilt, und durch die Anführung des Vornamens des Mannes hinter dem Wort »Frau« scheint die Zusammengehörigkeit des Ehepaares mehr hervorgehoben; und das pomphafte Wort Gemahlin hat durch seine allgemeine Verbreitung an Glanz beträchtlich verloren. – Der Generalleutnant Schultz und Frau Schultz geben sich die Ehre, Ihre Exzellenzen, den Wirklichen Geheimen Rat Herrn Schulz und Frau Schulz, usw. einzuladen. –. Also auch die weitverzweigten Familien der Schulze und der Schultze laden sich und Andere am chikesten und vornehmsten auf diese Weise ein, wenn sie »zufällig« Exzellenzen sind. Es liegt ein gewisser, vorurteilsfreien Menschen sympathischer, Stolz in der Wiederholung auch des bürgerlichen Namens hinter dem Wort »Frau«; und namentlich eine bürgerliche Exzellenz wird oft besondere Berechtigung zum Stolz haben. Dem Einwande »Das ist doch ganz nebensächlich« entgegne ich schon im Voraus: Viele beachten als Gäste diese Form der Einladung mehr als beim Diner selbst den Umstand, ob sie gut zu essen und zu trinken bekommen. Mir ist gute Verpflegung auch dann noch beachtenswert, wenn »Herr und Frau E. von Thassberg« und nicht[213] »Herr E. von Thassberg und Frau Gemahlin«1 usw. eingeladen werden.

Betreffs der Zeit der Einladung wird man dieselbe etwa frühestens vierzehn Tage vorher ergehen lassen. Ein frühzeitiges Einladen ist namentlich in der Diner- Saison praktisch, falls den Gastgebern daran liegt, daß die Gäste noch frei sind und die Einladung annehmen. In unserer Welt des Luges und Truges ladet man ja auch Gäste ein, die den Gastgebern dadurch das größte Vergnügen bereiten, daß sie »bedauern, der gütigen Einladung nicht Folge leisten zu können«. Das ist der usuelle Tenor einer Absage; im Falle der Annahme einer Einladung »giebt man sich die Ehre, der gütigen usw.« – Sehr praktisch ist es, wenn die Dinergeber durch einen Dienstboten die schriftlichen Einladungen zustellen und zugleich eine Liste der Gäste überreichen lassen mit der Bitte, daß die einzelnen Herrschaften betreffs ihres Kommens unter den Rubriken dieser Liste: »Ja, Nein, Unbestimmt« eine kurze Notiz machen. Dies[214] Verfahren ist für Gäste und Gastgeber sehr empfehlenswert. Die Gäste, die natürlich außerdem ihre kurze Notiz auf der Liste noch durch ein feierliches Antwortschreiben bestätigen werden, können sich durch jene Liste über ihre Festgenossen orientiren und sich erst hiernach für Kommen oder Nichtkommen entscheiden. Die Gastgeber aber sind in der Lage, bei sofortiger Absage durch eine kurze Notiz auf jener Liste umgehend neue Einladungen ergehen zu lassen. Die Höflichkeit erfordert es besonders aus diesem letzteren Grunde, auf eine Einladung möglichst bald zu antworten. Nachdem man einmal abgesagt, darf man im Allgemeinen nicht mehr zusagen; denn es können ja infolge der Absage bereits Andere eingeladen sein. Wenn man zugesagt hat, darf man nur bei wirklich triftigen Gründen nachträglich noch absagen. Es ist kleinlich und engherzig, sich als »Lückenbüßer« zu fühlen und es übel zu nehmen, wenn man erst kurz vor einem Diner eingeladen wird, auch wenn man vermuten kann, diese Einladung nur der Absage eines Anderen zu verdanken. Durch große Empfindlichkeit macht man sich selbst und Anderen ganz unnötig das Leben schwer. Wer nicht kommen will, sagt einfach in höflicher[215] Form ab; aber es ist widersinnig, eine Einladung, die doch im Allgemeinen eine beabsichtigte Wohlthat ist, auch wenn sie spät erfolgt, übelzunehmen. Eine späte Einladung berechtigt sogar zur Annahme eines besonderen Vertrauens seitens der Gastgeber zur vorurteilsfreien, jedem Argwohn und jeder Pedanterie abgeneigten Denkungsweise des Eingeladenen. Mit der Antwort auf eine Einladung lange zu warten, da man ja noch zu demselben Tage in ein anderes Haus geladen werden könne, wo man lieber hingeht, ist natürlich höchst minderwertig, und es sind einem solchen Sünder nur ausnahmsweise mildernde Umstände zuzubilligen, z.B. wenn er in jenem anderen Hause eine Schwiegermutter zu ergattern hofft. Auch in diesem Falle kann ihn das Schicksal – eben in Gestalt einer Schwiegermutter – noch hart strafen.

Das Mittagessen ist die einzige gesellschaftliche Veranstaltung, zu der die Etikette absolute militärische Pünktlichkeit unbedingt erfordert. Man hat im Hause der Gastgeber so zeitig einzutreffen, daß man Ueberzieher usw. ablegen, seine Toilette – wenn nötig – vor einem Spiegel nachrevidieren kann und sodann pünktlich[216] zur Sekunde im Empfangsraum eintritt. Vorher hat man sich auf einer im Korridor aufliegenden Tafelskizze zu orientiren, wo und zwischen wem man sitzen wird. Neben der Tafelskizze finden die Herren an sie adressirte Mitteilungen des Inhaltes, z.B.: »Euer Exzellenz werden gebeten, die Frau des Hauses zu Tisch zu führen« oder »Herr Assessor N. wird gebeten, Frau Rudolf L. zu Tisch zu führen.« Solche Mitteilungen werden, ihrer Wichtigkeit entsprechend, jetzt häufig auf imitirten kleinen Reichsdepeschen gemacht. Die Telegrammmarke trägt um den Reichsadler die Umschrift »Guten Appetit!« Das heißt natürlich: Guten Appetit zu den bevorstehenden materiellen Genüssen und nicht etwa zu seiner Tischdame, auch wenn dieselbe »zum Anbeißen« ist.

Je vornehmer die Diner-Gesellschaft ist, um so geräuschloser tritt man ein, mit um so größerer Ruhe und um so weniger Wortschwall und Phrasengeklingel begrüßt man sich. Hastige, ruckweise Verbeugungen, mit lauter schnarrender Stimme nach allen Seiten hervorgesprudelte Bekundungen von »Ehre und Vergnügen, die man lange nicht gehabt,« dies Gebahren ist Talmi-Vornehmheit. Wer in solchen Redensarten[217] schwelgt, imponirt meist nur allein sich selbst damit, aber das dafür auch in hohem Grade. Solche Salonsexe wirken auf andere Menschen besten Falles erheiternd, schlimmsten Falles belästigend. Manchmal muß man ja irgend etwas usuelles »Liebenswürdiges« sagen; aber dann thue man es in bescheidenem Tone und mit etwas gedämpfter Stimme, aber nicht mit einer Wichtigkeit und einem Pathos, als wenn man irgend eine Weisheit offenbaren oder einen Schiller'schen Monolog vortragen wollte.

Fußnoten

1 Diese Plaudereien erschienen in der »Deutschen Werte« unter dem Pseudonym »E. von Thassberg,« einer Zusammenziehung der beiden Nebennamen des Verfassers »Thassul und Daxberg.«


Quelle:
Pilati, Eustachius Graf von Thassul zu Daxberg: Etikette-Plaudereien. Berlin 3[1907].
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