142.

[113] Der edle und feine Geschmack des gebildeten Mannes, wählt nun, wo möglich in dem Visitenzimmer Alles von Werth und von ächter Güte, und Alles möglichst üni; hier ist das Bild eines solchen Zimmers, wie es der Gebildete im Mittelstande, sich Geschmackvoll einrichten könnte, und wonach sich die Regeln für eine jedesmalige Meublirung[113] eines solchen Zimmers, auch bei der Wahl anderer Farben, ableiten lassen. Das ächte Karmoisinroth in den seidenen Zeugen hat man schon immer für die Gardinen des Visitenzimmers, vor allen andern, am liebsten gewählt, theils, weil es eine völlig dauerhafte, theils eine in den Zimmern der Großen nicht selten vorzüglich gewählte Farbe ist. Hätten Sie also die großen und kleinen Gardinen der Fenster von diesem seidenen Zeuge, so würde die Einheit des schönen und gewählten Geschmacks Ihnen rathen, Sofa und Stuhlüberzüge in eben dieser Farbe und in eben dieser Güte von demselben Zeuge zu wählen. Und da sich nun hierzu Sofa- und Stühlgestell am schönsten und reinsten, weißlakkirt machen, so wählen Sie dieses glänzende Weiß dazu. Wollten Sie nun die höchste Einfachheit im ganzen Zimmer beobachten, und Ihren Geschmack als einen wirklich edlen auszeichnen, so lassen Sie selbst den Wänden dieser eine dieser Grundfarben, und in diesem Falle, die weiße Farbe geben, weil das Roth nicht hell genug machen würde, und Helle eine vorzügliche Schönheit in einem Zimmer ist. Die Garnirungen, die aber ebenfalls einfach und nicht zu sehr zusammengesetzt seyn müßten; also die Guirlanden oder Festons oder die Einfassungen, würden dann dieses Karmoisinroth bekommen. Hätten die Stuhlgestelle irgend eine Verzierung, wäre z.B. die Lehne des[114] Sofas, nach einer neuern Mode, Kanapeeartig und es wäre in den Zwischenräumen ein Blümchen, oder unten an den Füßen Rosetten angebracht, so würden auch diese in Hinsicht jener Einheit die Karmoisinfarbe erhalten müssen; selbst Spiegel und Spiegeltisch würden statt alles Goldes ihre Perlen oder Rosetten etwa mit dieser Farbe schmükken müssen; die Tische würde eine reine weisse Marmorplatte bedekken; der Kronleuchter könnte an einem Quast dieser Farbe hangen. Wollten Sie nach einem neuen und sehr edlen Geschmack etwa ovale Nischen anbringen lassen, worin weiße antike Köpfe stehn sollten, so würde ein geschickter Mahler dieser Nische und ihrer Vertiefung recht wirksam und geschmackvoll dieses Roth geben können, zumal, wenn er es den edlen Steinen, die wir in dieser Art haben, nahe brächte, und es durch einige erhellende Adern zu einer Art röthlichen Marmor z.B. machte. Einen nicht minder schönen Anblick giebt auch ein solches Zimmer, wenn die Verzierungen an weißlakkirten Spiegeln, Tischen und Gestellen vergoldet sind, und man ausser den Stuhlüberzügen, und den damit harmonirenden Umfassungen und Garnirungen der Wand, die für das Puzzende auch sehr schön Himmelblau seyn könnten, nichts als weiß und golden sieht, und wo vielleicht in den weissen feinen Gardinen, wenn man nicht hellblau wählen wollte, eine goldene[115] Troddel hängt, oder wo gar als ein reicherer Putz die Gardinen diese goldenen Frangen haben. Der Grund der Stube könnte hier ebenfalls weiß oder hellblau seyn, und mir goldenen, oder wenn die Wand blau ist, mit weißen Garnirungen geschmückt seyn. Wo der Ofen weiß ist, und eine schöne Form, etwa nur die einfache einer Säule mit einer Vase oben hat, der Fußboden gehörig rein, oder gar mit einer guten Tapete belegt ist, wird ein solches Zimmer einen reinen heitern und selbstglänzenden Anblick geben, und es wird, weil es nur wenig Meubles hat, und einfachen Glanz haben will, nicht zu kostbar werden. Sie sehn wohl ein, daß der höhere und reichere Stand hier noch hin und wieder vertheuern und etwa durch glänzende und schöne Mahlereien, oder durch aufgestellte reiche Kunstwerke, durch viele zimmerhohe Spiegel u.s.w. kostbarer machen und mehr prahlenden Glanz geben kann; aber dies verschönert nicht immer, und man kann auch hierin Geschmack zeigen, den selbst der Große gut und schön findet, eben weil er der einfache ist.

Quelle:
Siede, Johann Christian: Versuch eines Leitfadens für Anstand, Solidität, Würde und männliche Schönheit. Dessau 1797, S. 113-116.
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