Calx

[207] Calx.

Calx viva, frantzösisch, Chaux vive, teutsch, lebendiger Kalch, ist ein Stein, der eine geraume Zeit, mit starckem Feuer, in denen ausdrücklich hierzu verfertigten Kalchöfen ist gebrennet worden. Bevor er aber gebrennet wird, heist er auf lateinisch, Lapis calcarius, frantzösisch, Pierre à chaux, teutsch, Kalchstein, und ist harte dicht, und grau.

Wann sie Kalch machen wollen, so legen sie die Steine fein ordentlich in die Oefen, machen ein grosses Flammenfeuer darunter, und erhalten dasselbige allezeit, gleich, bis daß die Steine durch und durch, wol ausgebrennet worden sind. Die dazu bestellten Leute wissen das Feuer in gleicher Stärcke beständig zu erhalten: dann wann die Flamme, welche zu Anfang zwischen den Steinen hindurch geschlagen, solte nachlassen, bevor sie die Arbeit gäntzlich zu Ende gebracht, könten sie die Steine nimmermehr zu Kalche machen, wann sie auch schon hundertmahl so viel Holtz verbrenneten, als sie sonst ordentlicher Weise dazu brauchen; indem die pori und Löchlein in den Steinen, welche das heftige Feuer darein gemacht, sobald die Hitze nachlässet, sich wiederum schliessen würden, und die Materie würde sich dergestalt auf einander setzen und unter einander gerathen, daß die Flamme gar nicht mehr in die Höhe koen könte, dieweil sie keinen Raum, als wie zuvor, darzwischen finden würde.

Bey dieser Arbeit wird alle Feuchtigkeit aus dem Kalche durchs Feuer ausgetrieben, an deren Stelle aber dringet sich eine grosse Menge feuriger Cörperlein hinein, die setzen sich in die gantz engen Löchlein der Materie, und verschliessen sich darinne, als wie in kleinen Zellen.

Und eben diesen feurigen Cörperlein ist die corrosivische und ätzende Kraft des Kalches zuzuschreiben, wie nicht weniger das Aufwallen, wann er ins Wasser geworffen wird. Dann, wann als dann die Feuchtigkeit[207] in die kleinen Gefängnüsse dieser feurigen Cörperlein sich hinein dränget, so zertheilen sie und treiben durch ihre heftige Bewegung, alles von einander, was ihnen sich will in Weg legen: begeben sich auch mit solchem Ungestüm heraus, daß sie das Wasser wallend und gantz siedend heiß machen. Dieses Aufwallen währet auch so lange, bis daß sich alle Theile des Kalches von einander gegeben, und die feurigen Cörperlein in vorige Freyheit gerathen sind, und keine Gewalt mehr brauchen um heraus zu kommen.

Le plátre cuit, der Gyps, ist gleichergestalt eine Sorte Kalchs: alleine, weil bey dem Brennen die Löchlein dieses Steins nicht in dem Stande sind, eine solche grosse Menge feuriger Cörperlein zu behalten, als wie die in dem Kalche, darum erhitzt er sich auch nicht so sehr, wann man ihn in das Wasser wirfft.

An gewissen Orten findet sich, beym graben in der Erde, ein natürlicher lebendiger Kalch, oder, welcher durch das unterirdische Feuer ist gemachet worden.

Die Mauersteine, Dachziegel und viele andere Arten Erde und Steine mehr, welche gebrannt sind worden, werden nicht so gar sehr heiß, weil ihre Löchlein nicht also beschaffen, als wie dieses Steines, daß sie die Theilgen des Feuers in ihnen beschliessen könten.

Das Bley, das Spiesglas, und mehr andere dergleichen metallische Arten und Materien empfahen bey dem Brande, eine so grosse Menge feuriger Cörperlein, daß sie nicht um ein geringes an Grösse und Gewicht zunehmen. Indessen werden doch alle diese Kalchsorten sich weder erhitzen, noch in dem Wasser aufwallen; weil ihre Theilgen ungleich dichter sind und viel genauer mit einander verbunden, daher das Wasser nicht so mächtig ist, daß es sie von einander stossen oder wanckend machen kan, noch auch sich in die Cellen der feurigen Cörperlein hinein dringen und diese heraustreiben. Will man aber diese feurigen Cörper herausjagen, so muß man diese Materien ins Feuer setzen und fliessen lassen.

Weder der Weinspiritus noch die Oele machen den lebendigen Kalch sieden oder aufwallen, wann man ihn darein legt: hingegen verstopfen diese schwefelichten liquores vermittelst ihrer zackigten Theilgen die Löchlein in dem Kalche, und verwehren, daß die Luft nicht hinein dringen, noch diese Feuertheilgen herausjagen kan. Es gehet damit schier eben also zu, als wann man das flüchtige Saltz vom Weinspiritus verdecket, damit es nicht zerfliessen und verfliegen möge.

Aus dem Kalche kan man kein Saltz nicht ziehen, was man sich auch für Mühe dessentwegen giebet, und wann man noch so gar genau dabey verfähret. Und dessentwegen bin ich auch nicht der gemeinen Meinung, daß nemlich der lebendige Kalch vermöge seines Saltzes wircke.

Allein, man wird mir ausser Zweiffel einwenden und sagen, wie daß die feurigen Cörperlein, die ich in den Kalch einquartieret habe, eben so wenig zu erweisen wären, als wie das Saltz: und wann ich in diesem gebrannten Steine kein Saltz nicht wolte zulassen, so dürffte ich auch nicht zugeben, daß feurige Cörperlein darinn zu befinden, bis daß ich selbige gantz sichtiglich erweisen würde.

Ich aber gebe drauf zur Antwort, wie daß allhier[208] ein grosser Unterscheid befindlich sey: immassen das Saltz eine solche Materie, welche dicke gemachet werden kan, und entdecket sich gantz füglich unsern Sinnen; man kan es sehen, fühlen und schmecken. Hingegen mit den feurigen Theilgen ist es gantz und gar anders beschaffen; es sind überaus subtile, dünne Cörperlein, die allzusehr in Bewegung sind, daher man sie nicht zu Gesicht kan bringen, noch von den dicht- und groben Dingen unterscheiden: sie müssen blos und nur allein aus ihren Wirckungen erkennet werden. Im Fall man auch vermögen solte ein Mittel zu ersinnen, das sie sonderl. verdickern oder dicke machen könte, so würden sie keine Feuercörper weiter seyn, dieweil sie die Bewegung verlohren hätten, die doch unwidersprechlich zu ihrer Natur und Wesen gehöret.

Ingleichen kan ich dererjenigen Gedancken nicht beypflichten, welche ein acidum und saures Wesen in dem Kalche haben wollen; welches, wann es durch das drauf geschüttete Wasser zertheilet worden, und auf das alcali träffe, dergleichen jähren nebst der Hitze erregen müste, gleichwie wir sehen, daß geschiehet, wann Wasser auf den Kalch geschüttet wird. Wie solte doch wol ein solches saures Wesen in dem Steine unzerrüttet blieben seyn, da er so heftig ist gebrennet, und, unserem Beduncken nach, zu eitel alkali gemachet worden? Viel eher stehet zu glauben, wo ja dergleichen etwas saures zu der natürlichen Zusammenordnung oder Composition des Steins, daraus der Kalch gemachet wird, gekommen solte seyn: daß solches acidum seine Natur verändert, und seine Spitzen zerbrochen und abgestossen habe, nicht alleine, da es sich mit der Erde, als es zum Steine worden, aufs genaueste vereinbaret, sondern auch bey dem so heftigen Brande, den der Stein auszustehen hat, wann er zu Kalch gemachet werden soll.

Wird der lebendige Kalch mit sauren Dingen vermischet, so fermentiret er weit schneller und viel heftiger, als wie im Wasser: dann, weil er eine alkalische Materie ist, und die Spitzlein der sauren Dinge in gar grosser Bewegung sind, so dringen sie mit desto grösserer Macht hinein, werffen die Theile alsofort gantz ungestümlich von einander, und schaffen den feurigen Cörperlein einen freyen Ausgang, die alsdann mit grössester Behendigkeit heraus zu fahren pflegen.

Der Kalch ist etwas corrosivisch, ätzend oder zerfressend, dann er verzehret das wilde Fleisch: er wird in Wasser gelöscht und zerlassen, darnach wird das Wasser abgeseihet: und das ist alsdann das Kalchwasser, frantzösisch, Eau de chaux, lateinisch, Aqua calcis vivæ.

Es reiniget und ist sonsten gut zu Wunden, äusserlich gebraucht. Seit einigen Jahren aber her hat man sich auch erkühnet das andere Wasser vom Kalche einzugeben, nachdem mans mit zwey oder dreymahl so viel Milch, und etwas Veilgensaft vermischen lassen, auf diese Weise der Engbrüstigkeit und der Schwindsucht abzuhelffen. Es hat auch bey einem und dem andern gut und wol gethan, jedoch erwecket es grosse Hitze, und dürffte sich nicht leicht ein jeder dazu schicken.

Dieses andere Wasser vom Kalch, Eau seconde de chaux, Aqua calcis viva secunda, wird solchergestalt bereitet: man lässet Kalch, der schon einmahl im Wasser gelöschet ist, noch einmahl in warmen[209] Wasser zergehen, giessets hernach durchs Löschpapier; das ist alsdann bey weiten nicht so starck, als wie das erste. Auf dem ersten Wasser, wann es frisch gemachet ist, wird ein Häutlein, als wie Eis, oder ein durchsichtiger Cremor, der leichtlich zerbricht, ein wenig schweflicht und ohne sonderlichen Geschmack ist. Nimmt man diesen hinweg, und stellet das Wasser eine Zeitlang hin, damit es verdunsten möge, so wird ein ander solches Häutlein, dem erstern gantz gleich, darauf formiret. Wird dieses auch hinweg genommen, und man lässet das Kalchwasser noch zu unterschiedenenmahlen abrauchen, so werden dergleichen Häutlein noch mehr, das Wasser aber verliehret seine Kraft, je mehr man es abrauchen läst, und thut gar schwache Wirckung, wann der corrosivische Sublimat in dessen destilliret wird, wozu man es gebrauchet. Hieraus dürffte sich schier schliessen lassen, wie daß die feurigen Cörperlein, die in dem Kalche sind enthalten, hauptsächlich in diesem Cremor und dessen Theilen stecken müsten, alldieweil seine Kraft schwächer und schwächer wird, je öfter man ihn davon sondert und wegnimmt: jedannoch könte man auch sagen, daß durch das Abdämpfen des Wassers ein guter Theil der Feuertheilgen zugleich mit davon streichen.

Der gelöschte und gewaschene Kalch ist gut, wann man sich hat verbrennt; und er macht das Wasser, daß darauf gegossen wird, nicht mehr wallend oder stinckend: giesset man aber etwas saures drauf, so wird eine sehr merckliche Hitze und Aufwallung entstehen, dann die Spitzlein des sauren, dringen sich in die Theilgen des Kalches hinein, woselbsthin das Wasser nicht hat kommen können.

Calx kommt von καίω, uro, ich brenne, dieweil der Kalch eine solche Materie ist, welche gebrannt ist, und selbst auch brennet.

Quelle:
Lemery, Nicholas: Vollständiges Materialien-Lexicon. Leipzig, 1721., Sp. 207-210.
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207 | 208 | 209 | 210
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