[O Jesu kleines Kind/ doch ewig grosser Held]

[43] O Jesu kleines Kind/ doch ewig grosser Held/

Ein Fürst in deinem Reich/ und Gast auff deiner Welt/

Mensch/ Bruder/ Gott mein Freund/ du Trost und Licht der Heyden/

Izt kömmt der werthe Tag/ der dich zu uns gebracht/

Der Christen frohe Schaar begehet ihn mit Freuden/

Und bringt mit Andacht zu die Wunder-volle Nacht.


Man höret wie dein Lob in allen Kirchen klingt/

Von dem ein Engel selbst den frommen Hirten singt/

Jedwedes gläubigs Hertz will seinen Eyfer zeigen/

Wünscht/ betet/ lobt und danckt so viel es immer kan/

Wie solt ich denn allein mit stummen Munde schweigen/

Nimm gnädig auch von mir die Hand voll Weyrauch an.


Wie billich fing ich dich/ du süsses Wunder-Kind/

Durch dessen kräfftig Wort der Welt-Kreiß ward gegründt/

Die Finsterniß erleucht/ der Himmel ausgebreitet/

Das Wasser abgetheilt/ die Sternen angebrennt/

Die Erde mir zum Schloß und Garten zubereitet/

Mit Thieren ieder Art besezt ihr Element.


Du bauest nicht vor dich/ wie groß die Welt mag seyn/

So wäre sie dir doch zur Wohnung allzu klein/

Viel höher steigen noch die Wercke deiner Liebe;

Du schaffest/ daß sie solln der Erde Meister seyn/

Den Mann vom Erden-Kloß/ das Weib von seiner Riebe/

Du prägest in den Thon dein edles Bildniß ein.


Ach leider! dieser Thon nimmt fremde Zeichen an/

Der Schlangen List verführt das Weib/ und sie den Mann/

Der rein-geschaffne Mensch wird zum befleckten Sünder/

Durch einen Apffel-Biß verleurt er Gottes Reich:

Der bösen Eltern Schuld erbt auff die bösen Kinder/

Und gleiche Missethat macht ihre Straffe gleich.


O süsses Wunder-Kind/ wie kräfftig liebest du?

Du schleussest dennoch nicht dein Vater-Hertze zu.[44]

Was kein gefallner Geist in Ewigkeit kan hoffen/

Ist uns durch dich erlangt/ ein ausgesöhnter Gott;

Der Himmel stehet uns durch deine Wohlthat offen/

Der Segen vor den Fluch/ das Leben vor den Tod.


Du/ deinem Vater gleich/ an Alter und Gewalt/

Verleugnest uns zu gutt die göttliche Gestalt/

Und läst dich Pflege-Sohn des armen Josephs nennen:

Du grosses Fürsten-Kind wirst an die Brust gelegt/

Der Mutter/ welche dich vor Vater muß erkennen/

Und dich als reine Magd auff keuschen Armen trägt.


Der König aller Welt giebt einem Bettler nach/

Die finstre Stallung ist sein königlich Gemach/

Die Krippe fasset den/ der alle Welt erfüllet/

Der/ dem der Himmel ist sein täglich Ehren-Kleid/

Wird durstig und entblöst in Windeln eingehüllet/

Lebt reich von allem Gutt in höchster Dürfftigkeit.


Der des Gesetzes Joch von unsern Schultern thut

Vergeust demselben nach sein königliches Blutt/

Nimmt die beschwerte Last auff seinen edlen Rücken/

Die unsre Zärtligkeit nicht länger tragen kan:

Vor dem sich Könige von fremden Landen bücken/

Den nimmt ein fremdes Land vor armen Fremdling an.


Der manchen Fürsten-Thron in Asch und Staub verkehrt/

Flieht bey der finstern Nacht vor seiner Feinde Schwerd/

Will einsam und verjagt in zarter Jugend reisen/

Erduldet ungescheut des Fliehens Ungemach/

Damit er uns den Weg zum Himmel möchte weisen/

Und wir durch Noth und Tod mit Freuden folgen nach.


O süsses Wunder-Kind/ wie kräfftig liebest du!

Du schleust den Feinden nicht dein liebreich Hertze zu/

Du wilt sie ewig auch an deiner Seite wissen/

Giebst ihnen/ was du selbst begiebst/ die Himmels-Ruh/

Versüssest ihren Tod durch Tod und Bluttvergiessen/

O süsses Wunder-Kind/ wie kräfftig liebest du?[45]


Hier steht die Feder an/ der Sinnen Krafft verschwindt

Vor solcher Liebe Krafft/ mein Hertze wird entzündt

Von Flammen heisser Brunst/ ich küsse deine Wiegen/

Und lade dich zu mir in tieffster Demutt ein.

Ach möchte dieser Schatz in meinen Armen liegen/

Wie würd ich so entzückt und voller Freuden seyn!


O Jesu Gottes Sohn/ und reines Jungfern-Kind/

Das sich zu gutte mir in unser Armutt sindt/

Was soll und kan ich dir für deine Liebe schencken/

Nichts anders als mich selbst/ gewaschen durch dein Blutt.

Gieb/ daß ich möge stets an solche Liebe dencken/

Durch Würckung dieser Flamm entgehn der Höllen Glutt.


Gieb/ daß ich dermahleinst/ O Jesu Gottes Sohn/

An dieser Krippen statt verehre deinen Thron/

Den Stern/ der dich geweist/ zu deinen Füssen schaue/

Dich/ Gast de Welt/ begrüß in deinem Eigenthum/

Und ewig einverleibt der schönen Himmels-Aue/

Mit Engeln ohne Zahl besinge deinen Ruhm.


Quelle:
Hans Aßmann von Abschatz: Poetische Übersetzungen und Gedichte. Bern 1970, 2, S. 43-46.
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