|
[84] Ihr Kinder schnöder Eitelkeit/
Die ihr mit theuren Steinen pranget/
Was eine Muschel zubereit
Aus weit-entfernter See verlanget/
Kommt/ seht die Perlen und Rubinen
Die mir itzund zum Schmucke dienen.[84]
Ihr/ die ihr eurer Farbe traut
Und auff ein Fleckgen zweyer Hände
Das Schloß der stoltzen Hoffart baut/
Vergoldt das Dach/ bemahlt die Wände/
Seht den Zinnober und die Kreyde
Darein ich meine Wangen kleide.
Ihr/ die ihr vor des Spiegels Eyß
Den Mund in seine Falten richtet/
Und wie euch der zu rathen weiß
Das Auge nachzuthun verpflichtet/
Kommt seht/ hier könt ihr in Geberden
Und Blicken unterrichtet werden.
Ihr/ die ihr Oel und Bisam braucht/
Zibeth und Balsam an euch schmieret/
Um die ein Staub von Zypern raucht/
Der Mosch und Ambra mit sich führet/
Kommt her zu meinem Krancken-Bette/
Und riechet mit mir in die Wette.
Ihr/ die ihr Sammt und Seide kaufft
Der Glieder Blöße zu verhüllen/
Nach Gold-gewürckten Zeugen laufft/
Die Neu- und Ehrsucht zu bestillen/
Kommt/ seht die ausgestückte Decke/
Darein ich meinen Leib verstecke.
Ihr/ die ihr noch mit guttem Mutt
Und ungekränckten Gliedern prahlet/
Bey denen noch ein frisches Blutt
Die unbenarbten Wangen mahlet/
Seht mich mit Blattern angefüllet/
Aus denen Stanck und Fäulnis quillet.
Der Schnee der vormahls zarten Haut
Ist von den Wangen weg gewichen/
Die Glutt/ die man mich brennen schaut/
Hat sie mit Purpur angestrichen/
Die Stirne starrt von Edelsteinen/
Durch welche Blutt und Eyter scheinen.[85]
Mein mattes Haupt hängt nach der Seit/
Und krümmt den Mund ob seinen Plagen/
Der Fuß voll schwacher Müdigkeit
Kan nicht den magern Leib mehr tragen/
Der fast verschlossnen Augen Kertzen
Bethränen rinnend meine Schmertzen.
Diß ist der Sünden Liberey/
Die ich an meinen Gliedern führe:
Vielleicht kömmt bald die Zeit herbey
Die euch nach gleicher Art beziere/
Den stoltz-gesinnten Hochmutt lege/
Des Todes Bildnis in euch präge.
Buchempfehlung
1880 erzielt Marie von Ebner-Eschenbach mit »Lotti, die Uhrmacherin« ihren literarischen Durchbruch. Die Erzählung entsteht während die Autorin sich in Wien selbst zur Uhrmacherin ausbilden lässt.
84 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro