Achtes Kapitel.

Eine schlimme Entdeckung.

[79] Es ist was los! murmelte Einer dem Andern zu, und machte dabei eine pfiffige Miene. Die stille Geschäftigkeit, das Gewirr und Durcheinanderlaufen und Flüstern sprach laut in die Stille hinaus: es ist etwas los. Treppauf, treppab, ging es ohne Gepolter, Rosse wurden gezäumt und gesattelt und die Knechte fluchten nicht und rissen nicht Witze; aus der Rüstkammer trugen mit verhaltenem Athem die Junker Pickelhauben, kurze Spieße, Büffelwämser und was zu einem Ausreiten gehört. Der von Lindenberg warf sich das Panzerhemde des alten Bredow um und Hans Jürgen gürtete ihn. Hans Jochem reichte[79] ihm die Stahlhandschuh, die dem edlen Herrn ein weniges zu groß waren, aber er sagte: »Es schadet nichts.« Den Helm mit dem Sturz wollte er nicht. »Die Nacht ist das beste Visir!« und er stülpte eine Sturmhaube auf von Büffelleder, mit breiten Klappen und Blechbeschlägen.

Langsam hörte man die Zugbrücke knarren und das Fallgitter aufziehen. Die Alle sagten: »Es ist was los!« aber Casper sagte: »Nun geht's los!« als die Fräulein an ihm vorüber huschten, nicht wie ihre Art vorsichtig, und dem Graubart zuwinkend. »Lauft nur,« rief er nach, »das Donnerwetter kommt Euch doch nach, wenn die Mutter es nicht bald findet. Das kommt davon, wenn die Leute wollen klüger sein und alles besser machen. Mein Herr Götz weiß auch, wo Bartel Most holt, wenn er den Wein ausgeschlafen hat, und wer dem Bären den Pelz waschen will, der seh' sich vor, daß er nicht selbst gewaschen wird.«

Gegenüber der Erkerstube, wo der Ritter lag, war ein kleines Kämmerlein, das Schilfdach lief schräg darüber hin. Der Sturm hatte vorhin darauf geschlagen, daß die Sparren knackten, jetzt schlug es darinnen auch, aber der Sturm war in einer jungen Brust. Hans Jürgens Herz pochte, daß der alte Casper draußen es hätte hören können. Wohl hätte er sich beschauen mögen, als er nun fertig war, wie er aussah, aber in der Kammer war kein Spiegel und kein Licht. Nur die Sterne aus dem schiefen Fenster blitzten auf den verrosteten Harnisch. Er lehnte den Kopf hinaus und schlürfte die laue Nachtluft ein. Da kamen unversehens seine Finger unterm Brett zusammen, als wenn er sie falten wollte. Er erschrak fast: »Nein, Beten, das schickt sich nicht, jetzt nicht. Nachher!« –

Da er sich umwandte, stieß er mit dem Kopfe an das Schilfdach: »Das soll auch nicht mehr lange sein! Nachher!« – Er schwieg und tappte durch die dunkle Kammer nach der Thür. Draußen war es licht an der Lampe, die der alte Casper immer ansteckte, wenn sein Herr erwachen sollte.

Der schaute den Gerüsteten verwundert an, und seine Mienen gingen in ein Lächeln über. Eine Sturmhaube trug Hans Jürgen auf dem Kopf mit einem breiten Rand, und die beiden Flügel eines Habichts waren in den Kamm gesteckt. Der Harnisch war über einen verblichenen Wappenrock von blauer Farbe geschnallt, in dessen gesteppten Faltenwurf die Motten lange genistet zu haben schienen, und dazu klirrte ein schwerer Degen an seiner Seite.[80]

»Na nu!« rief er ihn an. »Gegen wen ziehst Du aus?«

Hans Jürgen machte ein wichtig Gesicht: »Geb' dem Gast das Geleit.«

»Glaubte wenigstens, Du zögest gegen den Großtürken. Nun will ich Dir was sagen, Hans Jürgen. Wenn Du gegen den Türken ziehst, dann magst Du den Degen klappern lassen, aber wenn Du des Nachts ausreitest, trag' ihn sein unterm Arm. Noch etwas,« rief er ihm nach, »wenn's verkehrt geht, wundre Dich nicht, Du hast die Sturmhaube verkehrt aufgesetzt. Und wenn Dein Vater seeliger ausritt, ich meine, wie Du jetzt, dann zog er nicht seinen Wappenrock an, wie Du jetzt, sondern hing den schlechtesten Kittel um. Sieh Dich nur da im Schild an der Wand.«

Ein erster Blick, den Hans Jürgen auf das Schild that, zeigte ihm, daß der alte Knappe recht hatte. Er stülpte die Sturmhaube um und nahm den Degen unter den Arm.

Aber des Vaters Rock, den konnte er doch nicht mehr ausziehen.

»Ei die Nacht ist duster, Hans Jürgen,« lächelte der Alte, »und die Farbe ist ausgeblichen. Auch ist's lange her, daß der Rock geleuchtet auf der Straße, da kennt ihn wohl keiner mehr. Nun noch 'nen guten Rath auf den Weg: Laß Dich nicht bangen, sie thun keinen hangen, den sie nicht fangen. Sprich nicht, wo Du schlagen kannst, aber wo ein Anderer zuschlägt, brauchst Du nicht nachzuschlagen. Trau mehr auf Dein Gesicht, als wenn ein Anderer spricht. Beim Theilen, da mußt Du eilen. In der Noth ist ein gut Pferd besser, als ein guter Freund; und gute Freunde in der Haide bringen draußen manchem viel Leide. Viel Hunde sind des Hasen Tod, aber wenn Du des Nachts ausreitest, hüte Dich vorm Morgenroth.«

Hans Jürgen war längst die Treppe hinunter, als der Alte noch in seinem guten Rathe fortfuhr. Aber er sah ihm freundlich nach: »Wird schon was aus ihm werden. Ein gutes Pferd muß scharf zugeritten werden. Aber ohne solchen kleinen Spaß versauert er ja.«

Es war etwas los, das Alle wußten und keiner sprach es aus: nur Eine wußte es nicht. Bisweilen geht es in den Häusern zu, wie in den Schlössern der Könige. Was Alle wissen und sich zuflüstern und darüber lachen und sich freuen, weiß der Herr nicht, den es doch zunächst angeht, aber Niemand wagt es ihm zu sagen, weil sie ein böses Gesicht fürchten. Die Burgfrau, die sonst Alles sah und hörte, ja ihr entging[81] nicht der stille Gedanke, der sich im Gesicht verrieth, heute sah sie nicht die emsige Geschäftigkeit, sie hörte nicht das Geflüster, und wenn sie sah und hörte, übersah sie's und überhörte es, denn ihre Gedanken waren anderswo.

Durch die Böden und Kammern war sie mit dem Schlüsselbund treppauf, treppab, rechts und links und hatte das eine noch nicht gefunden, was sie suchte. Und dreimal schon war sie wieder an dem Knecht Kaspar vorbeigestreift, und dreimal hatte er ihr zugerufen: »Gestrenge Frau, nun ist's bald Zeit.« War's die schwüle Luft, hatten die Unholde es ihr angethan? Sie fragte Niemanden, sie hätte sich ja selbst angeklagt, daß sie etwas vergessen, und gesehen hatte sie's doch, Stück für Stück war es durch ihre Hände gegangen, als sie abluden.

Da schlug sie plötzlich die Hände zusammen. Wie ein Blitz leuchtete es vor ihren Augen. Sie war auf der Gallerie nach dem Hofe. Die Pferde standen gesattelt, der fremde Herr ließ sich noch einen letzten Trunk reichen. Eine Fackel warf ihr ungewisses Licht auf die Gruppe. »Da steht er ja.« Hans Jürgen schlug seine Hand in die seiner Muhme, die sie ihm hinhielt. »Ich bringe Dir was mit Evchen.«

Eva lachte, als ob sie's bezweifelte. »So war –« sie hielt ihm schalkhaft den Mund: »Versprich nichts, Hans, Ehe Du's halten kannst. Du bist ja noch nicht fort.« – »Wer soll's mir nur wehren!« rief er und seine Augen funkelten. »Der Herr ist mir gut, und wird was besseres aus mir machen, daß keiner sich mein mehr zu schämen braucht.«

»Hans Jürgen!« rief eine Stimme durch's Dunkel, wie eine Trompete, die zum Gericht schmetterte. Die, welche die Stimme kannten, fuhren zusammen; es war der Ton in dieser Stimme, der ein aufziehendes Ungewitter ansagte. Eva zog ihre Hand zurück und senkte ihre Wimpern. Der, dessen Namen gerufen ward, riß die Augen auf, aber er ließ sie im selben Augenblicke wieder sinken.

Es war gewiß ein Spuck der Nacht, oder eine arge Frau mußte die Edelfrau mit Blindheit geschlagen haben, als die Stücke vom Wagen geladen wurden. Der Sturm, der Wirrwarr allein konnte ihre scharfen Sinne nicht so geblendet haben, daß sie etwas sah, was nicht da war. Aber wie stand ihr jetzt alles klar vor Sinnen. Da hingen sie ja zwischen den Fichten, vom Winde geschaukelt, Hans Jürgen hatte die Wacht. Sie selbst war nicht mehr hingekommen, sie hatte nicht befohlen, sie abzunehmen. Wer sollte sich's unterstanden haben, es eigenmächtig zu thun?[82]

»Hans Jürgen, wo sind sie?«

»Was, liebe Base?« sprach der Ritter Lindenberg und erschreckte doch fast, als er die Frau sah, die ihn nicht sah. So aufgebracht, so keuchend und blaß war sie hinunter gestürzt und stand vor ihrem Kleinvetter, wie der Richter vor einem armen Sünder.

»Wo sind sie blieben, Hans Jürgen?«

Es war, als sollte Hans Jürgen der festgeschnallte Harnisch vom Leibe fallen, seine Arme hingen schlaff herunter, die Pickelhaube sank nach vorn über.

»O weh!« seufzte Eva Bredow.

»Meines Mannes Elennsbüchsen, Hans Jürgen! Bist Du taub?«

»Unseres Herrn Elennsbüchsen,« wiederholte es stammelnd aus dem Dunkel des Hofes. Wenn die gestrenge Frau so erschien, fühlte Niemand sich gemüßigt vorzutreten. Der arme Hans Jürgen stand ganz allein und das Wort erstarb ihm auf der Lippe. Er stotterte etwas vom Krämer Hedderich, vom Sturm, vom Kurfürsten. Er hätte auch von den Sternen und seinem seeligen Vater reden können, er wußte nicht, was er sprach.

»Wie siehst Du aus. Ist hier Mummenschanz?« rief sie, die Fackel ihm fast in's Gesicht haltend. »Zum Aufpassen stellt ich Dich hin, nicht zur Narretheiung.«

Mit einem raschen Griff hatte sie die Habichtsflügel und die Stahlhaube ihm vom Kopf gerissen; sie flogen auf den Boden. Mit einem zweiten löste sie unsanft den Bauchgurt, der den Degen hielt, daß er klirrend zu Boden niederfiel, und zum dritten hatte sie ihn am Arme aus dem Kreis gerissen.

»Den Harnisch soll da drinnen der Ruprecht lösen und den Rock ausziehen. Will ihn Dir verschließen; Deines Vaters Erbstück ist zu gut zur Fastnachtsjacke.«

»Verzeiht nur, gnädiger Herr,« wandte sie sich zu dem Ritter, »daß der ungeschickte Bub' Euch Ungelegenheiten macht. Nichts als Mucken und Nucken im Kopf, wenn man ihm nicht allzeit auf die Finger sieht.«

»Frau Base,« sagte der Ritter, »er sollte mir das Geleit geben, wie Ihr es bestimmt.«

»Doch nicht als Mummelack! Erst Birkenreiser und dann Ritterdegen. Der Hahn soll nicht über den Zaun fliegen. Die Leute lachten ja meinem Vetter von Lindenberg, einem kurfürstlichen Rath, nach, wenn er mit 'ner Vogelscheuche durch die Dörfer trottirte.«[83]

Der arme Hans Jürgen! hörte er das stille Gelächter, in das auch der hohe Ritter, sein Beschützer, unwillkürlich einfiel. Die Bitte und Verwendung desselben half nichts, vielleicht weil sie nicht zu ernsthaft gemeint war. Dringen auf die Begleitung durfte er nicht, Peter Melchior flüsterte ihm zu: »Nehmt Euch in Acht, daß sie nicht den Spaß' merket!« Auch mochte er vielleicht nicht dringen. Die Gunst großer Herren ist ein Sonnenblick bei Aprilwetter. Er bedurfte zu nichts des Jungen.

»Hans Jochem soll Euch's Geleit geben, auch Peter Melchior, so er Lust hat. –«

»Nur bis zum Heidekrug,« fiel dieser rasch ein, »Muhme. Bin müd' und will nächten bei meinem Gevatter in Golzow. Wenn morgen einer nach mir fragt, bin ich bei dem zur Nacht gewesen.«

»Und Hans Jürgen?« fragte lächelnd der Ritter, aber sein Lächeln galt dem vorsichtigen Peter Melchior.

»Der nächtigen!« rief die Edelfrau, »der soll gar nicht nächtigen und nicht schlafen, weil er schlief, als er wachen sollte. Denkt Euch, hat meines Herrn Leibkleid auf der Bleiche gelassen, und ich hab's ihm auf die Seele gebunden. Wozu ist er denn, wenn er zu nichts taugt! Zum Maulaffenfeil, zum Brummen und Grunzen wird er nicht gefüttert, auch nicht zum Mummenschanz. Hinaus soll er, auf der Stelle hinaus, und nicht wiederkehren bis er's findet und bringt. Ich sollte strenger sein; aber dank's dem Herrn. Ist das Zucht? Hast Du die gelernt in meinem Hause, daß ich ein Aug' zudrücke. Ach, Herr von Lindenberg, man hat mit dem Jungen seine Noth. Trotz und Uebermuth, und mein Mann ist ein guter Mann, aber zur Erziehung taugt er nicht. Ihr wißt doch, wie er eigensinnig ist auf das alte Erbstück, ich habe meine Noth damit, und gerade die ließ der Junge draußen im Stich, und weiß, wie's mir an die Seele geht. Aber Ihr habt Eile –«

»Sagt ja,« kreischte Peter Melchior dem Ritter in's Ohr. »Sie sagt Euch sonst die ganze Litanei von den Hosen –«

Es polterte und rasselte über die Zugbrücke, sie knarrte wieder, und das Fallgitter fiel in seine Fugen, die Fackeln erloschen, die Knechte und Mägde schlichen zurück. Warum mußten sie im Vorbeigehen alle auf ihn sehen, warum draußen durch das Fenster nach ihm schielen, warum wiesen sie mit den Fingern nach ihm? er dachte es sich wenigstens. Der Harnisch lag auf der Erde, der Wappenrock hing über der Schemellehne; den Degen seines Vaters hatte die Muhme vor seinen Augen in[84] den großen Schrank verschlossen. Da perlte ihm die erste Thräne aus dem Auge, als sie vor Allen zu ihm gesprochen: »Lerne was, dann kannst Du was, aber was Hänschen nicht lernt, wird Hans nimmer lernen, und der Du nicht gelernt vor einer Leine Wache stehen, wie soll er vor'm Feind seine Schuldigkeit thun.«

Sein Stolz war geknickt, sein Muth gebrochen. Wie höhnisch hatte ihm Hans Jochem vom Rosse zugenickt. Der war nun glücklich, der durfte sein Probestück ablegen, der brachte seinen Muhmen Geschenke zurück. Von ihm würden Alle sprechen; wie würde er stolz des Sonntags zur Messe schreiten, wie sollten ihn die Leute ansehen und ihn würde der vornehme Herr von Lindenberg mitnehmen nach Berlin, ihn in's Schloß nach Kölln bringen. Da ward er dem Kurfürsten vorgestellt, kam in die Ritterschule, erhielt besondere Aufträge und stieg in Ehren und Ansehen. Eine goldene Kette hing um seinen Hals, die schönen Fräulein sahen ihn mit Wohlgefallen an, sie scherzten mit ihm und ließen sich gern von ihm unterhalten, und wenn er einmal zurückkam in das Schloß seines Verwandten, selbst nun ein hoher, vornehmer Herr, da würde man ihm entgegenstürzen, wie heut dem Herrn von Lindenberg, vielleicht rief die Base wieder den Hans Jürgen, daß er dem Reiter den Steigbügel halte, daß er sein Pferd in den Stall führe, und er –

Es war zu viel, zu rasch, zu bitter war die Täuschung gekommen; die Thränen stürzten ihm aus den Augen und das Gesicht in die Arme drückend, lehnte er sich unter heißen Thränen an den Ofen.

Nun war es ganz still geworden. Die Hunde im Hofe schwiegen; das Stroh raschelte noch, auf dem die Knechte sich wälzten; das Feuer im Heerd war niedergebrannt, einzelne Kienäpfel knisterten noch und sprangen. Die Geisterstunde war's und er allein. Im Augenblick fürchtete er sich nicht. Und wären die Unholde alle aus dem Schlot niedergefahren, was konnten sie ihm thun, er war ja schon vernichtet! Wenn sie ihn umringelt, umstrickt hätten, wenn die Erde sich gespalten und er niedergesunken wäre ins ewige Grab, was war das Schlimmes für ihn? Dann brauchte er nicht mit verschämtem Antlitz das Morgenlicht anzusehen, nicht den Gesichtern zu begegnen, die ihn alle fragten: bist Du noch hier, Hans Jürgen?

Solche Stimmungen dauern nur kurz. Das war ein erlogener Muth. Als die Eulen draußen anfingen zu heulen, als der Wind wieder in einzelnen Stößen durch die Kiefern sauste, als er an den langen schauerlichen Weg dachte, den er allein bei[85] Nacht und Nebel durch die verrufene Gegend machen sollte, fröstelte ihn. Und es war Zeit. Er hörte es die Treppen herunter rascheln. Die Burgfrau war es, aber wie ein Gespenst, das Schlüsselbund klapperte an ihrer Hand, aber das Eisen war verrostet, das giebt einen eigenen Klang. Er wollte um Alles in der Welt nicht noch einmal ihren zornigen, verächtlichen, vorwurfsvollen Blick aushalten. Er mußte fort, und die Sohlen waren ihm doch wie fest am Boden angewurzelt.

Es säuselte und rauschte durch die Luft, leise Tritte schwebten näher und der kalte Angstschweiß stand ihm auf der Stirn, als ein sanfter Druck seinen Arm berührte und eine weiche Stimme seinen Namen sprach. Es war kein Geist auch die Edelfrau nicht, und dennoch durchzuckte ihn ein tiefer Schmerz, als Eva's Augen durch die Dämmerung ihn anblickten.

»Kommst Du auch, um mein zu spotten?«

»Hans Jürgen, ich komme nicht, um Dein zu spotten. Du mußt fort. Wir haben die Mutter gebeten; allein sie ist gar aufgebracht. Du weißt wie Vater ist, wenn er aufwacht.«

»Schimpf mich nur, ich hab's um Dich, ich hab's um Euch verdient. Wenn er tobt und flucht, kriegt Ihr es auf den Hals. Laß mich doch hier und stellt mich hin. Ich verdiene es. Was lief ich fort, nun ist's an mir, daß ich dafür büße.«

»Ach Hans Jürgen, Du mußt ja schon büßen.«

»Weine nicht Eva, Du bist ein gutes Mädchen.«

»Ach wenn nicht die Waschbank gewesen und ich Dich nicht geneckt –«

»Dann hätte ich Wache gestanden, bis ich aschgrau wurde,« fiel er ein. »Ich stände noch jetzt. Nein, Deine Mutter war's, die rief mich ab, daß ich dem Schurken von Krämer nachsetzen mußte, und dann mußte ich ihm seinen Packen aufladen. Darüber ward's vergessen. Du bist nicht schuld, Eva. Der Hedderich ist's, Deine Mutter ist's, ach ich weiß nicht, was ich rede; aber 's ist gut, wenn sie Einen haben, dem sie Alles aufladen können, dazu bin ich gut, zum Sündenbock. Nun laß mich gehen, Evchen, nun ist Alles aus; nun werde ich mein Lebtag nichts. Sie werden mit den Fingern nach mir weisen und pfeifen, und sie haben Recht. Hans Jochem, der wird lachen, der wird wiederkehren. Dem werden sie um den Hals fallen, Mutter und Vater, und Du auch, Eva –«

»Ich nicht.«

»O verred' es nicht. Wer nur Glück hat, dem kommt Alles[86] entgegen. Aber wer Unglück hat, der kann anfangen was er will, dem gelingt nichts. So hat's meine Mutter seeliger gesagt und so probirt sich's an mir. Hinaus soll ich und das Zeug holen und nicht wiederkehren, bis ich's fand. Und wenn ich's nun nicht finden thu, dann geh' ich suchen, suchen, bis – bis Ihr mich vielleicht auch suchen geht und nicht findet. Die Welt ist weit, und wenn mich kein Irrwisch verlockt und ich nicht im Sumpf stecken bleibe oder über einen Strauch falle und ein Bein breche und ein Rudel Wölfe erbarmt sich mein, so ist's am End zum Besten, ich mach' mich gleich auf die Beine und kehr' nimmer wieder. Die Rosse zeichnen und den Tauben pfeifen und Wacht halten bei der Wäsche, o dazu werden sie auch anderswo mich brauchen können. Dazu ist's nicht nöthig, ein Anverwandter zu sein vom Hause. Dann fragt wohl Einer, aber wo ist denn Hans Jürgen blieben? Und wenn ich nimmer wieder kommen thue, dann sagt Ihr wohl am End: 's ist doch schad' um ihn, und daß er darum –«

Sie hatte seine Hand gefaßt, und er fühlte, daß sie etwas hinein drückte:

»Du wirst heimkehren und glücklich. Bewahre das, und thu's um den Hals.«

»Was ist's?«

»Das Amulet, was ich von der Großmutter seeliger habe. Wer das auf dem Herzem trägt, dem können die bösen Mächte nichts anhaben, wenn er auf guten Wegen geht.«

»Eva das ist Dein. Nimmermehr, das nehm ich Dir nicht. Das mußt Du behalten.«

»Ich geh' ja nicht in der Nacht aus, wo die Unholden Macht haben. Zumal auf den Kreuzwegen, da drücke es recht fest an's Herz. Und an der Schnur thust Du's um den Hals.«

»Eva Du –«

»Gott bewahre, hier in der Burg. Da sind ja keine Unholden. Vorhin, als ich lauschte dem Gespräch, und der Ritter Euch zusprach, da ward mir recht bang und ich drückte das Herzlein an mein Herz. Und da schon dachte ich, ich wollte es Dir geben, wenn Du mit ihm ausrittest, aber dann schämt' ich mich wieder. Hans nimm's, steck's ein, sag's Keinem. Bring's mir wieder, wann's Dir gut gegangen. Fort, nur fort. Rede nicht weiter, lieber Hans Jürgen, das thut nichts. Die lieben Englein sind bei Einem auch ohne Amulet, sagt die Mutter, und die kann's eigentlich nicht leiden; nur weil's von der Großmutter seeliger kommt, die hielt soviel drauf. Nun sei ein guter[87] Junge und geh, und behalt mich lieb und Keinem sag' davon was.«

Er stöhnte tief auf: »Ach Eva, Gott lohn's Dir, und ich will ein schlechter Kerl sein, wenn ich Dir nicht Alles verzeihe, was Du mir zum Possen gethan hast mit den Andern. Weine nicht Evchen, beim lieben Gott im Himmel und allen Heiligen, ich weiß nicht, was ich spreche. Es geht mir so im Kopf um. Aber wenn ich dachte, nun das wird doch gelingen, da wirst Du mal Lobs hören, da sollen sie mal sehen, wie ich kein dummer Junge bin, wie ich mich gut halte, weißt Du, an wen ich dachte? Nicht an mich, nur an Dich. Dir wollte ich das Beste bringen, was ich fände. Dann würdest Du mich freundlich ansehen. Nicht darum etwa. Ach Gott bewahre. Denn ich wußte doch, daß Du mir gut bist, aber Du schämtest Dich mein, weil ich so gar nichts bin. Und nun hättest Du Dich einmal freuen können und nicht schämen brauchen. Und nun ist mit einemmal Alles anders, ich bin schlechter als ich war, und der Hans Jochem –«

Er hielt inne, denn er glaubte einen Seufzer zu hören; aber Eva seufzte nicht.

»Nun ich will's ihm gönnen,« fuhr er fort, »denn ich habe Dein Amulet. Ich bring's Dir wieder, Eva, ganz gewiß. Und wenn er auch ein Herr wird und zurückkommt mit Beute und Ehren, und Alle ihn loben, und ich komme verachtet wieder und ausgelacht, und meinethalben auch als ein Krüppel, so weiß ich doch –«

Sie schlang ihre weichen Arme um seinen Nacken und drückte einen Kuß ihm auf die Lippen: »Bleib mir gut, ich bleibe Dir auch gut.«

Rasch zog sie ihn fort: »Nun darfst Du nicht länger weilen.«

An der Thür blieb er noch einmal stehen. »Aber Dein Vater, Eva –«

»Sei ohne Sorgen. Nun hat es noch Zeit. Die Mutter hat's mit dem Kaspar abgemacht, daß der ihm noch einen Morgentrunk reichte. Er steht nun nicht auf, bis der Hahn kräht. Ach wenn Du dann zurück wärest.«

»Komm gesund zurück, Hans Jürgen!« rief eine andere weibliche Stimme, und eine weiße Hand streckte sich ihm entgegen. Nun bemerkte er erst unter dem Dunkel des Schwiebbogens, daß Eva nicht allein war.

»Weinst Du auch, Agnes?«

Eva flüsterte ihm zu: »Still! Es schnitt ihr was in's Herz, als er ausritt.«[88]

»O wenn er wiederkommt.«

Trauernde hören scharf.

»Dann wird er mich auch nicht ansehen,« schluchzte Agnes. »Aber –«

»Was denn, Agnes?«

»Ach ich möchte, die Mutter hätte ihn ausgeschickt, wie sie Dich ausschickt.«

Das verstand Hans Jürgen nicht.

»Dann wär' er nicht mit dem Ritter aus.«

»Was weinst denn, Agnes?« fragte Hans Jürgen besorgt, denn das Mädchen wiegte sich in stillen Thränen.

»Preise Du die Gebenedeite, Hans Jürgen,« sprach Agnes, »daß Du aus den Stricken der Versuchungen kommst. Ein böser Tag war's, aber die Nacht wird noch schlimmer. Geh mit Gott, lieber Junge, und wenn Du Hans Jochem siehst, sag ihm – ach sag ihm nichts, er lacht Dich und mich aus. Wie Gott will. Mir liegt's auf der Brust wie Blei.«

So gut war es Hans Jürgen nie geworden, und es dünkte ihm wohl ein besonderer Tag, daß die beiden lieben Muhmen ihm das Geleit gaben und um sein Wohlergehen sich kümmerten, als wäre er ihr lieber Bruder.

Sie standen am Hinterpförtlein, das nur für die Burgleute geöffnet wird und wo sich Nachts ein Bote oder Kundschafter in schlimmen Zeiten hinaus schleicht, der nicht gesehen sein will. Den Weg durch den Sumpf kennt nur ein vertrauter Mann. Der Thorriegel rasselte zurück, die Thür drehte sich in ihren Angeln.

»Leb wohl, Hans Jürgen!« und Eva hauchte ihm noch einen Kuß auf die Wangen, und ehe er sich des versah, fiel ihm auch Agnes um den Hals: »Denk nicht schlimm von mir Hans Jürgen.«

Da stand er draußen und wußte nicht wie ihm geschehen. Es war ihm wie ein Traum. War er's, den sie noch eben ausgestoßen und ausgeschickt wie einen Hund, dem man einen Fußtritt giebt, und nun –! Es war ihm, als ob die ganze Nachtgegend hell würde, als ob ein Rosenlicht über den Sumpfdünsten schwebte, und die feuchte Luft dünkte ihm wie ein süßer Athem, der der Brust wohl thut. Nun graute ihn nicht mehr vor dem einsamen, langen Wege.

Die Eulen mochten schreien, der Wind heulen, die Kiefern knarren. Er hatte Muth, Muth wie der Pilger, der zu einem Heiligenbilde wallfahrtet, denn der Heilige ist ihm im Traum erschienen, und hat ihm verheißen, daß er das Ersehnte durch Nacht, Sturm und Ungethüme erreichen werde.[89]

Behende ließ er sich den steilen Erd-Abhang hinunter, wo ein Anderer auch bei Tage vorsichtig die Füße setzt; behende sprang er am Pfahlwerk über den Graben, ohne das aufgezogene Brett herabzulassen und suchte alsdann leichten, aber sichern Fußes den Weg durch die Sumpfwiese. Ein Anderer, und auch er zu anderer Zeit, hätte den kleinen Umweg über das Dorf nicht gescheut. Doch wozu sollte er die Hunde wecken, sprach er bei sich, aber er dachte anders. Auf dem kürzesten Weg kam er ja am schnellsten zum Ziel und am frühesten zurück. Er wußte jetzt nichts von Gefahr, und in gerader Richtung kreuzte er den verrätherischen Boden. Er dachte nicht an die Irrwische, die vor dem Muthigen sich nicht zu zeigen wagten: die weißen Mummeln, die durch die Nacht blitzten, lockten ihn nicht. Eine falsche Richtung; wenn er einmal falsch trat, und er versank bis an den Leib in den tückischen Moor, er hätte sich die Lunge ausschreien können um Hülfe bis Morgengrauen, wer hätte ihn gehört! Und wenn der wendische Bauer im Dorfe es hörte, wenn er die Frau ängstlich weckte, die hätte gewimmert: so schreit der Kobold! und Beide wären mit dem Kopfe unter die dicke Bettdecke gerutscht, bis auch er bis an den Hals versank und die Moordecke über seinem Kopfe zusammenschlug.

Noch war eine Strecke Weges vor ihm und die Feuchtigkeit netzte durch die Sohlen seine Füße, ohne daß der Boden fester wurde, als es im Dorf Mitternacht schlug. Er glaubte ein Geräusch zu hören, vielleicht ein Wasservogel. Er sah sich um. Durch den grauen Moordunst schimmerte eine schwarze lange Gestalt. Wer konnte ihm folgen? Doch hastete er seine Schritte. Aber bei einer Wendung sah er es abermals. Mit langen Schritten bewegte sich die hagere Gestalt in derselben Richtung. Es mochte doch ein Augentrug gewesen sein. Nur aus der Burg konnte Jemand dieses Weges kommen, und die Pforte schloß sich hinter ihm. Aber die Gestalt hastete wie er. Hans Jürgen's Herz schlug fühlbar. Er murmelte ein Gebet von den guten Geistern, die ihren Herrn und Meister loben. Da war sie verschwunden.

Nun hatte er den Elsenbruch erreicht und athmete leichter. Er streifte die verwachsenen Zweige, aber hinter ihm rauschte es auch in den Zweigen. Die Aves und Paternoster, die er zwischen den Zähnen murmelte, blieben ohne Wirkung; es rauschte immer deutlicher und immer lauter schlug sein Herz. Wenn schon auf dem ersten Viertel Weges die Unholden ihn angingen, wie sollten sie es auf dem langen, langen Wege treiben! –[90] Die Elsen lagen hinter ihm, die Palten im Moor wurden fester, in Sätzen sprang er auf dem letzten Moorwege den hohen Kiefern und dem leuchtenden Sande zu, auf dem sich ihre riesigen Leiber erhoben und mit ihren Kronen nickten! Es war ihm, als müsse die Macht der Unheimlichen in einem Walde geringer sein als in Bruch und Moor. Ein Walde, der seine Häupter gen Himmel streckt, sieht ja wie ein Tempel aus, den die Natur Gott erbaute. Schon hat er trockenen Boden unter sich, der Sand wich unter seinen Füßen, ohne ihn aufzuhalten; schon hatte er die ersten Kieferstämme hinter sich, als er, Athem schöpfend, sich umblickte. Da war auch die Erscheinung. Der hagere schwarze Schatten trat aus den Elsen, und mit langen mächtigen Schritten näherte er sich dem Sandhügel. Hans Jürgen schlug ein Kreuz; doch der Schatten ward länger, und plötzlich hörte er seinen Namen rufen.

Quelle:
Willibald Alexis: Die Hosen des Herrn von Bredow. Vaterländische Romane. Berlin 9[1881], Band 3, S. 79-91.
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