Neunzehntes Kapitel.

Der Ueberfall.

[221] Im Anfang war Frau von Bredow sehr traurig gewesen; aber man kann nicht immer traurig sein.

Der Knecht Ruprecht hatte die Kibitze wieder zwitschern gehört im Schilf. »Das ist ein gut Zeichen, gestrenge Frau!« Er hatte die Tauben gezählt, und es fehlte keine. »Da stirbt im Jahr keiner aus dem Haus.« Und am Abend des Tages, wo Hans Jürgen mit Agnes nach Spandow gefahren, flogen drei Kraniche über die Burg. »Die Kraniche, Gestrenge, mit denen hat's was Eigenes. Die wilden Gänse sind dummes Vieh, die bedeuten nur einen strengen Winter; aber die Kraniche sind kluge Thiere. Sie sehen das Verborgene, und wo ein Mörder ist, dem fliegen sie nach. Ja, es ist noch mehr Absonderliches in ihnen, und wo sie über ein Haus fliegen, das bedeutet große Ehre.«

Wo sollte die Ehre herkommen! Ihr Herr saß noch gefangen, und Jammer im Haus in Hülle und Fülle; aber die klugen Vögel mußten doch etwas mehr wissen. War ja ein Schreiben des Dechanten eingegangen; etwas verspätet, denn mit den Gelegenheiten sah es damals schlimm aus, und dunkel[221] lautete es, aber doch tröstlich: sie solle, den Muth nicht verlieren, dem Herrn ihre Wege befehlen, und nebenbei hieß es, auf ihn, den Dechanten, allein vertrauen, denn es lasse sich noch vielleicht Alles zum Guten wenden. Und bald darauf war ein kurfürstlicher Reiter in die Burg gesprengt, und auf den Brief, den er dem Wachtmeister brachte, war die Einlagerung ausgeritten; stumm und still, wie sie vorhin laut gewesen. Was der Bote sonst für Nachricht gebracht, das erfuhr Keiner.

Nun war das Haus leer, und Frau von Bredow allein. Als so aller Lärm plötzlich stumm geworden, war ihr fast bang zu Muthe. Eine Thräne lief über ihre Backe. Da stand all ihr Unglück ihr erst recht vor Augen, ihre zerschlagenen Hoffnungen; vor ihr lag es so trüb, ach so viel, so Großes, als hätte es vorhin in dem Gewirr keinen Platz gehabt.

»Ach, du lieber Gott! Was soll man anfangen!« sagte die gute Frau, und wischte mit der Schürze über die Backe.

Die Großmagd Anne Susanne blickte sie schlau an:

»Gestrenge! Der Herr ist fort. Da könnten wir ja mal scheuern.«

»Scheuern!« – Es mußte ein wunderbarer Klang sein. Die Thräne war verschwunden, eine helle Röthe zog sich über das eben noch blasse Gesicht der Edelfrau, und sie sah mit einem eigenen, fragenden Blick die kluge Magd an: »Du meinst, Anne Susanne?«

»So recht ordentlich, von, oben bis unten. Die Sonne kommt durch die Wolken. 'S wird ein warmer Tag; da trocknet's balde.«

»Da trocknet's balde,« wiederholte die Edelfrau.

»So ein Tag kommt uns gar nicht wieder, Gestrenge.«

»Da hast Du wohl Recht, aber, –«

»Der Kaspar ist auch fort. Der läßt ja nicht Besen und Faß ran, wenn der Herr aus ist –«

»Hast recht, ist ein unreinlicher Mensch, der Kaspar, aber 'ne treue Seele.«

»Ach, Gestrenge, droben die Dielen und die Treppe, wie sieht das aus. Die Tauben, die rein flattern, und die kleinen Käuzchen, die Sperlinge, wenn der Herr sie füttert, und die Katzen! Werden mit der Hacke d'ran müssen. Der Besen thut's nicht mehr.«

»Ob's aber auch recht ist, Anne Susanne! Der Herr –«

»I der wird auch froh sein, wenn er's nicht merkt. Man kann ja oben nicht mehr ruhig schlafen. Das heckt ja!«[222]

Wenn er's nicht merkt! – Brigitte Bredow! Ein gebrannt Kind scheut das Feuer, und Du, eine so kluge und fromme Frau! – Erst eben – und nun steht der Versucher schon wieder vor Dir. Die Sonne schien so hell ihr in's Gesicht, als riefe sie: »Ich will schon trocknen, liebe Frau von Bredow!«

Wäre nur ein Geistlicher da gewesen, den sie d'rum fragen können!

»Der Herr hat's auch gar nicht verboten, als er fortging.«

»Nicht?«

»I bewahre, Gestrenge. Und wenn er erst all den Schmutz sähe, den die Reiter gemacht! Das ist wohl gut, daß man das erst fortschafft, damit er nichts merkt.«

»Das darf er nicht merken. Da hast Du recht. Ach, mein Götze, wenn Du das wüßtest hier!«

»O, er kommt schon wieder; er hat ein so fromm Gemüth, wenn er nicht bös ist.«

»Anne Susanne! Wenn er nun wieder käme!«

»I, er wird doch nicht, Gestrenge! Wen sie in Berlin einsperren, den lassen sie sobald nicht los.«

Frau von Bredow sah den Himmel an, und die Sonne und die Besen und Eimer, welche die hurtige Anne Susanne, schon aus den Winkeln geholt, dann rührte sie sich selbst und sprach: »Na!«

Die Sonne hatte seit lange nicht so froh herabgeschienen auf Burg Hohen-Ziatz. Wie sich das regte und bewegte, wie der Ziehbrunnen auf- und abging. Der träge Brunnen gab zu wenig Wasser! Wozu waren die Gräben und Teiche. Wer Arme und Beine hatte, und aus dem Dorfe wurden ihrer auch dazu geholt, mußte schöpfen, tragen. Da war unsere Frau von Bredow wieder sie selbst. Wo war sie nicht, wo nicht ihr Aug'! Wie flog die dumme wendische Magd mit ihrem Eimer zur Thür hinaus, als sie ihn ausschütten wollte in der Halle. Man fängt wohl von unten an, wenn man ein Haus baut,, von oben.

Die Treppen hinauf kamen sie in einer langen Reihe mit den Eimern, Besen, Bürsten und Hacken, Mägde und Knechte. Was ward gekratzt, geschabt, gebürstet, mit Füßen und Händen. Dann erst durfte das Wasser fließen. Es war ein schöner Anblick, als die Eimer sich entluden auf die dürstenden Dielen. Zeit und Wasser hält Niemand auf; wer sie nutzen will, muß den Augenblick ergreifen.[223]

Nun waren sie schon bis an den Treppen zur Halle, die rüstigen Frauen, und man mußte sich freuen, daß es in Burg Ziatz nicht wie anderwärts ging, wo sie eifrig anfangen, und nachher müde werden; man glaubt, sie thun's nur um Gotteswillen. Nein, hier hielt's die Edelfrau nicht unter sich, mit anzugreifen; »wo es die Mägde ihr nicht recht thaten«, sagte sie. Mancher hätte glauben können, ich weiß nicht, ob mit Unrecht, sie thät's aus Herzenslust, wie sie die Röcke bis zum Knie aufgeschürzt, mit dem Schrubber hin und her fuhr, als wie ein Reiter im Getümmel der Schlacht mit der Lanze.

»Na nu runter!« hieß es, und die Mägde ließen sich's nicht zweimal sagen. Das war ein Wasserfall! Nur schade, daß grade Einer rauf kam. »Ach unser Junker!« rief die Anne Susanne.

»Hans Jürgen! Ungeschick! Wo kommt der her?«

Hans Jürgen lief nicht fort, aber das Wasser, dachte Frau von Bredow, als sie auf der obersten Stufe in solcher Arbeit war, daß sie nicht viel von dem hörte, was Hans Jürgen auf der untersten sprach. Was konnte er ihr auch sagen? Von ihrem lieben Kind, das er nach Spandow gebracht. Bären sind nicht unterwegs; und wer einmal in Spandow ist, ist sicher, das mochte Frau von Bredow auch denken, als sie rief: Platz da! und gar nicht sah, wie der Junker auf etwas zeigte, was draußen kam. Selber sehen konnte es der arme Junge nicht, denn er mußte sich die nassen Haare aus dem Gesicht streifen, und sah dann auch noch nicht, denn das Wasser hatte es mit ihm gut gemeint.

Etwas mußte die Edelfrau doch gehört haben, vielleicht war's das Jagdhorn draußen, als sie auf den Besen gestützt, einen Augenblick Athem schöpfte.

»Wer wird's sein?« sagte sie.

»Base, 's ist Einer –«

»Nein, 's sind zwei,« unterbrach sie ihn, als ein Paar schöne, schlanke Jagdhunde wie zwei Blitze hereinschossen.

»Der sagt, er wär' der Kurfürst, aber ich glaub's nicht.«

Ein feiner Ritter, im grünen Jägerkleid, das Hifthorn an der Seite, blieb, von dem Anblick, wie es schien, etwas überrascht, an der Schwelle stehen. Wenn der Herr schon überrascht war, war es die Frau! – Im Anfang stand sie, wie der Roland in Brandenburg; nur machte der nicht den Mund auf, noch sieht er mit seinen steinernen Augen so stier auf einen Gegenstand, noch wird er roth und blaß, wie uns're Frau von Bredow.[224] Zuerst sank ihr der Besen aus der Hand, dann schien's, als wolle sie die Hände falten, dann fuhren sie beide auf den Rücken, um das Bund oder die Nestel zu lösen, welche ihre aufgeschürzten Röcke festhielten, was ihr aber in der Bestürzung und Hast eben so wenig gelang, als weiland ihrem Neffen Hans Jochem die Lösung des Hosenbundes, welchen der Krämer ihm angezaubert. Dann fuhr sie in die Haare, die allerdings nicht mehr ganz in Ordnung waren, aber bei dem Verfahren, das sie einschlug, auch nicht besser wurden.

»So schlage doch –«, entglitt es ihren Lippen, aber ebenso schnell verschluckten diese wieder eine Lästerung, welche bei einer so frommen Frau unmöglich aus dem Herzen kam. Wie hätte sie auch noch im selben Athem die heilige Katharina, die heilige Barbara und Ursula anrufen dürfen. Das haben wenigstens die Mägde gehört. »'S ist ja der Kurfürst!«

Und dann flogen zwei. Zuerst Hans Jürgen, aber nicht freiwillig, wie der Vogel durch die Luft, er flog wie die Kugel aus dem Rohr oder der Kegel vom Ball des Spielers. Dann die Edelfrau. Hans Jürgen turkelte seitwärts, sie stürzte geradezu auf die Knie.

»Allerdurchlauchtigster Herr Markgraf und gnädigster Herr Kurfürst, Gnade! – Die abscheulichen Mädel' plantschten so sehr – aber mein Mann ist unschuldig. – Wir sind Alle unschuldig. – Man kann's ihnen noch so oft sagen, sie thun's doch. Und gerade heute! – 'S ist zu viel, weiß Gott, 's ist zu viel auf ein Mal.«

»Daß ich zur ungelegenen Stunde hier eintrete,« sagte lächelnd der hohe Gast.

Darin theilte Kurfürst Joachim der Erste, den Frau von Bredow ihr Lebelang hoch in Ehren, ja nächst dem lieben Gott am höchsten hielt, auf einen Augenblick das Schicksal mit dem verachteten armen Hans Jürgen. Sie hatte in ihrer Angst und Eifer auch nicht gehört, was er sagte, sonst würde sie nicht fortgefahren haben:

»Was zu viel ist, Durchlaucht, ist zu viel – und die Ehre dazu! – Keinem kleinen Kinde nicht hat mein Mann den Finger gekrümmt, so lammfromm ist er – das ist, mit Respect zu sagen, ein schlechter Mensch, der das ihm nachsagt – und der gnädige Kurfürst kann selbst in alle Winkel und Ecken« – wahrscheinlich hatte sie schließen wollen: »die Nase stecken,« als sich plötzlich ihr Mund von neuem Schrecken schloß.

»Darum kam ich nicht,« fiel Joachim rasch ein und hielt[225] ihr, wie schon vorhin, die Hand entgegen, sie aufzuheben: »Ich komme als Gast, aber es thut mir leid, daß ich ungelegen komme.«

»Ungelegen?« rief sie. »Unser Haus steht unserm Markgrafen allezeit offen. Wer das von uns sagen thäte, daß unser Landesherr in das Haus eines Bredow ungelegen käme – aber die Sonne schien nun mal so warm – und da grade mein Herr – aber wenn ich nur 'nen kleinen Wink gehabt, da hätte ich ja die Anne Susanne – es mußte aber doch auch grade heute Alles kommen, wie ein Donnerwetter, wenn die Sonne –«

Daß ihre Zunge mit ihren Gedanken durchging und alle Zügel rissen, wer verargt's der armen Frau! Wer fordert von der besten Hausfrau, die immer auf dem Fleck ist, daß sie es auch da noch sei, wenn der vornehme Herr, mit dem Stern auf der Brust, im Augenblick eintritt, wo ihre Arme im Waschfaß stecken; und von dem vornehmen Gönner, hängt ihres Gatten, ihres Sohnes Schicksal ab; Sie wäscht vielleicht nur, damit ihr Mann sich gut präsentiren soll; vom ersten Eindruck hängt Alles ab. Und dies war ihr Fürst, und sein Richtschwert hing noch über dem Haupt ihres Mannes. Wo Alles in Unordnung war, wer fordert, daß unserer Frau von Bredow Gedanken in Ordnung sein sollten?

Kurfürst Joachim forderte es nicht: »Ich kenne meine Getreuen, ihr Fürst kommt ihnen nie ungelegen, aber die Stunde doch vielleicht, meine liebe Frau von Bredow,« lächelte er.

»Ach gnädigster Herr! Der Fuß, der Fuß! Das Wasser! – 's ist aber reines Grabenwasser.«

Einer der kleinen Wasserbäche, die von den Treppen über den gestampften Boden rieselten, netzte allerdings die Sohlen seiner Stiefeln, aber indem der Fürst es bemerkte, sah er auch, daß die würdige Frau selbst schon im Feuchten kniete, und mit einer ritterlichen Bewegung hob er sie, ehe sie sich dessen versah, auf.

»Es thut mir leid, daß ich die würdige Frau meines lieben und getreuen Vasallen in so löblicher Verrichtung stören mußte. Nun ist es ein Mal, so und man muß sich darinfinden. Das Wetter ist schön, und der Hausherr reitet mit mir in seinem Walde umher, derweil die gute Hausfrau das Haus zur Nothdurft beschickt. Ein verirrter Waidmann fordert nicht viel, ein einfach Lager für die Nacht, und ein freundlich Gesicht zum Willkomm.«

Weniger konnte der Landesherr freilich nicht fordern, wo[226] er bei einem Vasallen eintritt. Aber auch die Nacht wollte er bleiben! Das war noch mehr als zuviel. Ihr ehrliches Gesicht verbarg nicht den neuen Schreck.

»Das ganze Haus ist ja naß!«

»Ein trocken Kämmerlein findet sich doch wohl; und wo nicht, ein Stall, ein Schuppen. Der müde Jäger schläft auch ungewiegt unter Gottes Himmelsdach. Wo ist Herr Gottfried?«

Da sah die Edelfrau, die Hände im Schooße faltend, ihn groß an: »Gnädiger Herr, spottet unser nicht. Ihr wißt am besten, wo er ist. Seit vier Tagen ist er nicht in sein Haus kommen,« und sie hielt den Arm vor die Augen.

»So hat der da mich doch nicht belogen,« sagte der Fürst, auf Hans Jürgen blickend.

Hans Jürgen stand aufrecht mit einer Miene, die man wieder verdrossen nennen mochte.

Der Frau von Bredow dämmerte eine Ueberzeugung. Des Fürsten Angesicht bringt Gnade. Wen er richten will, schickt er seine Schergen, sie klopfen mit geharnischter Faust an's Thor; er tritt nicht selbst über die Schwelle des Verurtheilten! Ihre Kniee wankten auf's Neue zu einem Fußfall; Joachim kam dem zuvor:

»So hab' ich meine Boten übereilt mit ihrer guten Kunde; doch davon nichts mehr, das sind vergessene Dinge, die ganz vergessen und vergeben zu machen meine Sorge sein laßt.«

»Götz ist unschuldig!« jauchzte es auf. »Ich sagt' es gleich.«

»Und ein Ehrenmann! Frei seit drei Tagen, die Schuldigen sind gestraft.«

Frei! jubelte ihr Herz. Sie wollte auf den Fürsten zustürzen, seinen Arm ergreifen, seine Hand an ihre Lippen drücken, sie wollte reden, sie wollte niederstürzen. Das Herz rührte sich ihr im Leibe, aber sie fühlte, es passe alles nicht. Aber da standen die Mägde, die ungeschliffenen Mägde, mit ihren Eimern, ihren Besen, mit offenen Mäulern, und gafften den Fürsten an, wie ein großes Thier. Und viel fehlte nicht, so hätten sie auch ihn vorhin mit den Eimern begossen. Wer hätte das gut gemacht! Die Burg hätte ja müssen geschleift werden, in Grund und Boden! Da stand Hans Jürgen auch wie ein Kegel und rührte sich nicht. Nun wußte sie, was zu thun. Sie riß ihn vor:

»Das ist Dein gnädiger Kurfürst. Auf die Knie, und dank ihm, wie Deine Schuldigkeit, daß er –«

Sie wußte doch eigentlich nicht, was er danken sollte.[227]

»Ich knie vor keinem Menschen nicht,« sprach Hans Jürgen und blieb aufrecht stehen.

»Der wird nicht niederfallen,« sagte der Fürst, »dafür steh ich Euch. Gehört der trotzige Gesell zu Euch?«

Nun hatte er's doch gehört! Die Edelfrau sah auf den Junker, wie etwa ein Tausendkünstler ängstlich auf ein Haus oder einen Thurm, das er auf der Schaubühne aufgerichtet hat, und auf sein Commandowort soll es zusammenstürzen. Hans Jürgen stand wirklich nicht mehr ganz sicher, und es hätte nur eines leisen Druckes bedurft, so wäre er niedergestürzt.

Aber die Edelfrau verdarb es.

»Gnädigster Herr, rechnet uns das nicht an, wir haben Leides genug in unserer Familie. Er gehört nicht zu uns; unsers Vetters Kind ist er, eine Waise, aber Gott allein weiß, warum das. Von mir hat er's nicht, und von meinem Gottfried auch nicht. Wir hatten einen besseren, aber dem ist das Bein gebrochen. Der würde gleich knieen. Dieser ist auch ein guter Junge, aber macht uns viel Herzeleid; seine Dummheit und sein Trotz bringt uns in's Verderben.«

Da trat plötzlich Hans Jürgen einen Schritt vor und sah dem Kurfürsten recht dreist und dumm, aber grad in's Gesicht.

»Herr Kurfürst, daß mir's Gott verzeih, ich kann's nicht. Aber wenn ich meine Blutsfreunde in's Verderben bringe, dann will ich's doch. Warum soll ich denn niederknien? Wer was übertreten hat, der soll's, wer was bitten thut, der mag's. Ich hab' nichts übertreten, ich mag nichts bitten. Herr Götze, mein Ohm hat nichts Böses gethan, die Base hat auch nichts gethan; hier hat Keiner was gethan. Ihr seid ein großer Herr, Ihr seid der Kurfürst, was ich denke, das hab' ich draußen gesagt, wo ich noch nicht wußte, wer Ihr wart, und Ihr habt's gehört, wo Ihr noch nicht wußtet, wer ich war. War das nicht recht, nu da hab' ich's gethan. Es thut mir gar nicht leid, denn was mir im Herzen saß, mußte raus. Ihr seid Herr im Land, und könnt befehlen, wir müssen gehorchen. Wenn Ihr befehlt: knie nieder, so thu ich's darum; aber von freien Stücken, Gott straf mich, ich thu's nicht, und nun erst gar nicht.«

Nun mußte er ihn doch auf der Stelle nach Spandow schicken und hängen lassen! – Gegen das erstere hätte sie vielleicht nicht viel einzuwenden gehabt. Aber Joachim faßte ihn leicht beim Arm, und schob ihn bei Seite, aus der Wasserpfütze, darin er mit den Füßen, da er nicht ruhig stand, spritzte und umher näßte.

»Ein ungeschickter Bub ist's, das sehe ich nun, Frau von[228] Bredow, und hier ein ungebetener Gast, gleich mir. Wir stören die Ordnung. Darum muß man uns die Thür weisen, und da unsre Wirthin zu freundlich ist, will ich ihr Amt verwalten.«

Damit führte er den Hans Jürgen freundlich zur Thür hinaus.

Was weiter an dem Tag in der Burg Hohen-Ziatz vorgefallen, das kann noch ein Anderer beschreiben, wer Lust hat. Uns drängt Wichtigeres, das einbricht, und wir halten es nicht auf. Die Kraniche hatten doch recht gehabt, dachte der Knecht Ruprecht.

»Das ist ein Herr!« sprach die Edelfrau, als sie wieder zu Athem kam, und sie hatte wohl Grund, es zu sagen, denn der nicht merken läßt, daß er ein Herr ist, ist der rechte Herr. Der Kurfürst ging mit seinem Begleiter in der Burg umher, als hätte er wunder was zu sehen, das ihn ganz von allem abzöge. Da erklärte er dem Ritter von Holzendorf, was die Bauart der Wenden gewesen, und was die Deutschen gemauert hätten. So, nachdem er über die Mauern ringsum gegangen, wollte er, da die Sonne schon die Kieferwipfel berührte, noch ein Mal in's Freie vor dem Abendimbiß, als er den blassen Kranken in der Thorstube am Fenster sitzen sah. Er trat zu ihm ein und tröstete ihn: wen Gott heimsuche, den liebe er, und wen er zu tödten scheine, den erwecke er oft; er verhieß ihm, wenn er in den geistlichen Stand trete, sein Aug auf ihm zu haben, und dafür zu sorgen, daß er in den geistlichen Würden wie in der Erkenntniß steige. Aber das irre Auge des Junkers war ihm unheimlich, und er eilte, daß er in's Freie kam.

Die Leute wußten nicht, über wen sie mehr sich verwundern sollten, über den Fürsten oder über ihre Frau. Es war viel, mit Händen schien's kaum zu schaffen, aber es ward doch geschafft. Ueberall kann doch nicht ein Mensch sein, aber sie war überall; jetzt in der Küche, jetzt in der Halle, nun wühlte sie in den Schränken, nun flog sie in den Keller. Da war der Flur der Halle nun trocken, das hatte manches Stück der Herbstwäsche gekostet, da war feiner weißer Sand darauf gestreut und Tannenreiser, da prasselte der Kamin und verbreitete angenehme Wärme, aber auch angenehme Düfte, sie hatte Bernstein und würzige Kräuter hineingeworfen; über die nassen Treppen waren Decken gelegt, und die Geländer mit grünen Sträuchern umwunden. Da stand der Tisch schon in der Mitte mit ihrem Hochzeitsgedeck, und einem silbernen Armleuchter, und Flaschen und[229] Schüsseln: »So wird's wohl gehen,« sprach sie aufathmend und sank erschöpft in den Armsessel.

Sie hatte für Alles gesorgt, auch das Bett stand schon draußen, das sie hineintragen wollten, wenn der Fürst abgespeist, denn die Halle war das einzige Gemach in der Burg, wo ein Fürst zur Noth nächtigen konnte, vor dem Wasser, das Alles überschwemmt hatte. Ja, für Alles hatte sie gesorgt, nur nicht für sich. Da saß sie, die Hände auf ihren Knieen, und nun erst sah sie sich selbst. Es war noch Alles, wie es gewesen, der Rock auf dem Rücken verknotet, die Aermel aufgekrämpt, die Haare – mit einem Aufschrei stürzte sie fort, denn schon kehrte der Fürst über die Zugbrücke zurück.

Der junge Fürst, der noch vorhin so freundlich und leutselig gewesen, saß stumm und mit bewölkter Stirn an der hellen Tafel. Mundeten ihm die Speisen, schmeckte ihm der Wein nicht, vermißte er den Wirth ihm gegenüber, oder war das Sonnenlicht seiner Laune mit der Sonne am Horizont untergegangen? – Er wird auch müde sein, dachten sie in der Halle. »Seit der Geschichte mit dem Lindenberger,« flüsterte sein Büchsenspanner zum Gesinde draußen, »ist er allabends so, wenn es dunkelt.«

»Mein gnädiger Herr wird's Euch zu Lieb und Dank wissen, gnädige Frau,« führte der Ritter von Holzendorf für seinen Fürsten das Wort, »daß Ihr Euch so angelegen sein laßt, ihn mit Ehren und Gutem zu bewirthen. Wir treffen's nicht überall so, wenn wir in der Jagd in ein Haus einfallen. Man nimmt da gern vorlieb, was man findet, Ihr aber tragt vom Besten auf, und ist's doch fast so stattlich alles hier, wie zu einer Hochzeit.«

Das machte die Edelfrau erröthen, denn sie hatte ihr Brokatkleid angezogen, mit dem sie an den Altar getreten war, und auf dem Kopf saß schön gepufft die Flügelhaube von damals. Aber auch darauf sah der Fürst nicht. Den Leuten in Burg Hohen-Ziatz schien das fast noch merkwürdiger, als vorhin seine Leutseligkeit. Und wenn die Gestrenge ihm so mit tiefem Knicks das Backwerk reichte, oder auf der Silberschale den feinen Wein zum Nachtisch, nickte er wie in Gedanken, und hatte es kaum an die Lippen gebracht, da er es wieder hinsetzte.

»Daß ich auch nicht einmal einen einzigen anständigen Menschen meinem Herrn zu Tisch setzen konnte, das ist, was ich mir mein Lebtag nicht verzeihen werde,« flüsterte die Burgfrau zum Begleiter des Fürsten; ihn selbst anzureden wagte sie[230] nicht mehr. »Aber wo sollten wir hinschicken. 'S ist ja keine vernünftige Seele hier herum.«

Joachim erhob sein Gesicht aus dem Arm, in den er es gestützt.

»Wo ist der junge Mensch! Der Bursch, den ich im Walde traf, und der mich auf den Richteweg führte? Ich sehe ihn nicht mehr.«

Frau von Bredow hatte ihn vorsorglich in ein unweit gelegenes Vorwerk geschickt, um ihre Tochter Eva abzuholen. Mit großen Herren ist nicht gut zu spaßen, hatte sie gedacht, und wenn er ihn auch nicht hängen ließ, so liegen doch zwischen dem Hängen und Spaßen Dinge, über die man nicht spaßen muß. Nun war er zwar schon zurückgekehrt, aber sicher ist sicherer, dachte sie, und ihr gutes Herz erlaubte ihr eine Lüge.

»Ach, durchlauchtigster Herr, der ist sehr müde, er kommt heut von weit her. Da erlaubte ich ihm –«

»Müde zu bleiben,« unterbrach Joachim lächelnd und warf das Handtüchlein auf den Tisch. »Da erlaubt meine freundliche Wirthin es Ihrem Gast wohl auch, sintemal er mit Eurem Vetter in einem Falle ist. Morgen, Frau von Bredow, führt ihn mir vor. Wir haben ein Gespräch zu Ende zu bringen, das seltsam genug im Walde anfing.«

Und wieder sah der Fürst vor sich nieder, mit der Hand auf den Tisch gestützt, als träten abermals ernste Gedanken vor seine Seele.

»Beliebt es meinem gnädigen Herrn?« weckte ihn eine feine, wohlklingende Stimme. Er fuhr mit einem Seufzer auf und sah ein liebliches Mädchen vor sich stehen, in der einen Hand eine silberne Schüssel, in der andern eine silberne Kanne: ein weißes Linnentuch hing über ihrem Arm. Indem sie Wasser in die Schaale goß, überzog Stirn und Wangen eine helle Röthe.

Joachim tauchte die Finger in die Schale und netzte sie, wie mit Wohlgefallen, in dem Wasserstrahle, den die Jungfrau darüber träufelte. Er sah ihr freundlich in das blaue Auge, aber es war kein Liebesblick.

»Möge der Strahl der Gnade so klar auf Dich und mich perlen, als dieses Wasser über meine blutige Hand.«

»Sie ist nicht blutig, gnädigster Herr!« Aber ihr Gesicht ward blutroth, daß sie sich das zu sprechen unterstanden.

»Nicht, Jungfrau? Mir scheint doch, der Fleck will nicht abgehen.«[231]

»Wahrhaftig, sie ist rein. Das ist nur der Wiederschein vom Fackellicht, durchlauchtigster Herr. Morgen, bei Tageslicht, da werdet Ihr sehn, sie ist ganz rein.«

»Rein, wie Dein Antlitz, und klar, wie Dein blaues Auge? O daß es immer Tageslicht wäre!«

Der Fürst brach auf.

Das Tagewerk der guten Frau von Bredow war damit nicht geendet. Was der Tag war gewesen, und was sie am Abend bis spät in der Nacht noch gethan und geschaffen, davon ließe sich wieder ein Buch schreiben, und will's Gott, und giebt mir Kraft dazu, und meine Leser werden nicht müde, so wird's Frau Brigitte ihnen selbst noch ein ander Mal erzählen, wie sie's ihren Enkeln und den Gästen, die brave Frau, so oft erzählt hat von ihrem Ehrentage; und das Hauptstück davon ist, wie sie das Bett in die Halle geschafft, und ein Himmeldach darüber aufgeschlagen, ohne daß der Fürst es merkte. Und als er sich niedergelegt und schlief, wie sie da ohne Geräusch und Klappern den Abendtisch mit Flaschen und Schüsseln, mit Kerzen und Fackeln, mit Kesseln und Sesseln heimlich hinausgeschafft, und die Halle eingerichtet mit Teppichen und Vorhängen, mit Geschirr und Ampeln, mit allen Bequemlichkeiten des Lebens, daß Joachim, als er erwachte, in seinem eigenen Schlafgemach zu sein vermeinte, und dann dachte er an Zauberei, denn mit natürlichen Dingen konnte das nicht zugehn. So hat Frau von Bredow es oft erzählt und ihr Auge leuchtete dabei. »Ich war die Zauberin, allergnädigster Kurfürst, so ich es mich unterstehen darf,« hatte sie, ihre Knie bis zur Erde senkend, und die Augen niederschlagend, gesprochen.

Was der Kurfürst geträumt im Bernsteindufte der Halle von Hohen-Ziatz, das weiß ich nicht. Er schlief fest. Der rechte Arm hing vom Lager herab. Wenn die Burgfrau auf den Zehen die Treppe herunterschlich, eine Hand frische Bernsteinkörner und Weihrauch auf die glimmenden Kohlen zu streuen, und die Kohlen flackerten auf, dünkte es auch sie, als wenn die Hand blutig roth sei. Leise schlich sie zur Thür hinaus, wo die Wacht stand, auf die Hellebarde gelehnt. Die Burgfrau brauchte ihn nicht zur Wachsamkeit zu ermuntern. »Keinen Fremden laß ich nicht ein; da soll Keiner ihm ein Haar krümmen, bis er mag für sich selbst stehen.« So sprach Hans Jürgen, und wie kleidete ihn jetzt die Stahlhaube, die er nicht mehr verkehrt aufgesetzt, der verblichene Wappenrock seines Vaters, der Küraß und das lange Schwert an seiner Seite.[232] Die Base hatte es ihm aus dem Schrank gereicht und gesprochen: »Nun thu Deinen ersten guten Dienst.« Er hatte laut geantwortet: »Das will ich, Base.« Für sich hatte er hinzugesetzt: »Aber vor den Hosen steh ich nun nicht mehr Wache!«

Es war lange nach Mitternacht, als die gute Frau von Bredow endlich zur Ruhe kam, wenn das Ruhe war. Oben im Erkerstüblein ihres Herrn, das zur Nothdurft trocken geworden, lag sie jetzt im Bette, das sie mit ihrer Eva theilen wollte, die noch das Abendgebet vor dem Crucifix sprach. Zwei hatten gut Platz, aber wo fanden ihn alle die Gedanken, die in ihr arbeiteten und hin und her schwankten, wie die Fahne des Hohenlohers über dem Kopfkissen, wenn der Wind durch die zerbrochenen Scheiben strich. – Ob sie wohl Alle gut untergebracht waren? Ach Gott, der Herr von Holzendorf lag in der Scheune! Zwar auf ihren besten Betten, aber doch immer in der Scheune, und solcher Herr! Ob er es ihr wohl nachtragen würde! – Aber er hatte es ja nicht anders gewollt. – Und Ihr Herr! Wo mochte der wohl liegen? Vielleicht bei den Vettern im Havellande. Da kriegt er genug; es schadete denn auch nichts, wenn der Kaspar ihn nicht mehr getroffen. Der Kaspar würde wohl für sich die Blutwürste essen. Ausverschämt war er nicht, die Gans würde er wohl wieder mitbringen. – Und welch ein Glück es noch war. Wenn Götz in's Scheuern gefahren wäre, das hätte ein Unglück gegeben. Es war am besten, daß alles so gekommen, wie es kam. – Der Kurfürst war doch ein sehr feiner Herr! – Vielleicht war er auch kurzsichtig, und hatte nicht Alles so gesehen. – Wenn doch ihr Götz auch so wäre! – Na, man muß zufrieden sein, wie man's hat. – Ob wohl im kurfürstlichen Schloß auch gescheuert wurde? Denken konnte sie sich's nicht recht, aber es mußte doch wohl sein. Der Gedanke wollte ihr gar nicht aus dem Kopf. Und wenn der Kurfürst dann zu früh nach Hause kehrte, und die Treppen schwammen, – und die Kurfürstin – Dummes Zeug! Sie wandte den Kopf: Die Kurfürstin würde nicht scheuern lassen, und es gab ja gar keine Kurfürstin. Aber nun wollte ihr die Kurfürstin nicht aus den Augen, wie sie oben auf der Treppe stand, und ängstlich ihrem heimkehrenden Herrn entgegen sah, und die Kurfürstin sah gerade aus, wie ihre Tochter Eva.

Sie faltete ihre Hände: »Ach Jungfrau Maria, bewahre mich vor der Sünde.« Die Käuzchen, die beim Scheuern hinausgejagt waren, heulten vor dem Fenster. Da kam ein neuer Gedanke, der ihr Angstschweiß entlockte: Ach, der arme Herr von[233] Lindenberg! Vom Gefolge des Fürsten hatte sie endlich von der Geschichte gehört, wenigstens den notdürftigsten Zusammenhang und das schreckliche Ende. Damals hatte sie keine Zeit, darüber zu denken, sie hatte sich's aufgespart, bis sie allein wäre. So ein lieber, guter, feiner Herr, und ihr Verwandter, und so schrecklich zu enden! Sie sah die Raben flattern, sie hörte sie krächzen; sie schloß die Augen, und steckte den Kopf unter die Decke. Aber eigentlich taugte er auch nicht viel; er hatte eine glatte Zunge und glatte Haut, aber kein Herz für Freundschaft. Hatte er sich um sie gekümmert, bis Wind und Wetter nach langen Jahren ihn in ihr Haus verschlugen? Und da war er's ja, der die Geschichte angezettelt. Wie Vieles wurde ihr da mit einem Male klar. Ihre Ziehkinder wollte er verführen, ihren Götz hatte er in's Unglück gebracht; er allein. O, er war ein grundschlechter Mann, vom Teufel besessen. Sie hatte es ihm auch schon angesehen, als er, noch ein schöner, junger Herr, um alle Fräulein scharwenzelte. O, er verdiente nein ein so schreckliches Ende gönnte ihm die gute Frau doch nicht. Hätte er nur Gottesfurcht gehabt, und dann das Hofleben! Ihr Hans Jochem hatte auch gar zu gern an den Hof gewollt. Den hatte Gott dafür gestraft, und wie gnädig! Nun war die Gottesfurcht mit dem zerbrochenen Beine ihm mit einem Male aufgegangen. Und die arme Agnes! Nun, die wird für sie Alle im Kloster beten. Das Kloster war arm. Ob ihr wohl das viele Fischessen bekommen würde? Daß das zur Gottesfurcht gehöre, konnte sich Frau von Bredow nicht denken. Die Aebtissin war keine strenge Frau, man könnte ja dem Kinde dann und wann was Eingesalzenes schicken. Und der Dechant wollte ja der heiligen Agnes einen Altar stiften. Sie hatte das Sündengeld zwar zurückgewiesen, aber ob es denn nun nicht besser sei, schlechtes Geld zu einem guten Zwecke zu nehmen, als daß er's zu schlechten Zwecken durchbringe? Das Geld konnte ja nichts dafür, daß der Dechant es dem Lindenberg abgenommen. Sie kam zu einem Vergleich zwischen ihrem Gewissen und ihren Wünschen. Wenn von dem Lindenberg'schen Gelde ein Altar der heiligen Agnes gestiftet würde, so sollten vor demselben täglich drei Seelenmessen für den todten Herrn von Lindenberg gelesen werden.

So legten sich die Stürme, so verglichen sich die widerstrebenden Gedanken, und nur der an Hans Jürgen quälte sie noch, als ihre Augenlider sich immer fester schlossen, ihre Brust immer ruhiger athmete. Was sollte aus dem Jungen werden?[234] Seinen Trotz konnte ihm der Fürst nimmermehr hingehen lassen. – Er wird wohl noch ein kläglich Ende nehmen! –

Der Fürst wälzte sich und röchelte. Der Bernsteindampf erstickte ihn. Vergebens rief sie, er möge nicht sorgen, der Zug durch Schlott und Treppen werde die böse Luft forttreiben. Eine unsichtbare Gewalt hielt sie fest und schnürte ihre Kehle. Sancta Katharina, er erstickt in unserm Haus, und uns schelten sie Mörder. Der Fürst war nicht erstickt, er war aufgesprungen, die Thür hatte er aufgerissen und fand seinen Wächter schlafend. O der freche Bube, er widersetzte sich, er schlug auf seinen Fürsten. »Hans Jürgen! Hans Jürgen!« Noch versagte ihr die Stimme. Aber jetzt sprang das Band: »Gnade, Barmherzigkeit! Mein armer Hans Jürgen! – Ach am Galgen!«

»Hans Jürgen!« schrie eine andere Stimme, aber nicht mit der durchdringenden Ängstlichkeit. Hell und froh rief sie: »Hans Jürgen, so fange doch!«

Da saßen Mutter und Tochter aufgerichtet im Bette und sahen sich verwundert in's Gesicht beim Schein der Lampe, die Eva auszulöschen vergessen. Sie hatten beide geträumt, beide von derselben Person, und beide doch wie anders! »Ach der arme Junge, und der war dir so gut,« sprach die Mutter. Eva rief: »Das ist er, aber es war wohl ein Traum! Er spielte mit dem Kurfürsten Fangen, und sie warfen sich rothbackige Aepfel zu.« – »Ihm wird's schlimm gehn,« sagte die Mutter. »Nein, gut«, erwiederte Eva. Beide stritten in Güte und hatten doch keine Gründe, bis sie Beide lachen mußten. Und dann plauderten sie noch lange fort, und Eva erzählte der Mutter, was Hans Jürgen auf dem Heimweg vom Vorwerk ihr erzählt, wie er mit dem fremden Jäger zusammengetroffen, und noch mancherlei, bis die Mutter sanft entschlief. Das Lächeln auf ihren Lippen küßte Eva verstohlen weg, und selbst mit einem himmlisch frohen Lächeln, das ich Einem gegönnt hätte, daß er's gesehen, streckte sie ihr Köpfchen unter die Decke.

Quelle:
Willibald Alexis: Die Hosen des Herrn von Bredow. Vaterländische Romane. Berlin 9[1881], Band 3, S. 221-235.
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