Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Du sollst nicht stehlen.

[255] Es war Nacht in Hohen-Ziatz.

Die gute Frau von Bredow stand im Dunkel an den Pfosten gelehnt und sah dem Knecht Kaspar zu, der in der kleinen Burgschmiede glühte, hämmerte und putzte. Er sah sie nicht, er hörte auch nicht, wie ihr Herz bang schlug, und wie sie in gedankenlosem Spiel die Finger rieb.

Es ist was los! flüsterten sie damals, als der Herr von Lindenberg ausritt. Es ist wieder was los und was schlimmeres! hatten sie heut geflüstert.

Der guten Frau von Bredow war es noch nie so schlimm ergangen in ihrem eigenen Hause. Was war in ihren Herrn gefahren die Tage über! Er sah in das Glas und trank es nicht aus. Er war brummig, wie allezeit, aber wenn die Eva ihm um den Bart kraute, lachte er nicht, wie, er doch sonst gethan. So schön hatte sie noch nie den Hirsebrei zugerichtet, mit Zimmt und Butter und Zwiebeln, die dampften. Er griff hinein, er aß und – seufzte. Was hatte ihr Herr zu seufzen? Wenn er recht brummig gewesen, dann ward er nachher immer freundlich, und war, wie um den Finger zu wickeln. Und Geheimes, das mußte sie ihm nachrühmen, Geheimes hatte Herr Götz nie vor seiner Frau gehabt.

Aber er ritt allein in den Wald, und letzthin zum Besuch, sie wußte nicht wo; er saß allein in der Stube, den Kopf im Arm gestützt, und dachte, sie wußte nicht was. Reiter kamen und sprachen mit ihm unter vier Augen, und er schickte Kaspar auf Botschaft aus, sie erfuhr nicht wohin.

Gestern aber waren spät noch Gäste gekommen, als sie auf Besuch ausgewesen. Reiter, die von einer Jagd im Schloß abgestiegen, hieß es, aber die Leute im Schloß kannten die wenigsten. Einige hatten sich ganz verhüllt. Dann hatten sie in der Halle gezecht, wie guter Leute Art ist, aber die Thüren waren verschlossen worden vor dem Gesinde, Kaspar hatte aufgewartet, kein Anderer war hineingelassen worden. Man hatte Becherklang, dumpfes Flüstern und wilde Verwünschungen gehört.

Als Frau Brigitte und ihre Tochter spät nach Hause kehrten, waren die Gäste schon fort, ihr Herr lag in seinem Bette. Aber es war Schweres zurückgeblieben. Sind Sorgen nicht[256] schwer? Und ist das keine, wenn eine Hausfrau fühlt, daß sie nicht mehr allein Herrin im Hause ist, wo sie's zwanzig Jahre gewesen?

Frau Brigitte wußte schon mehr, als sie wissen sollte. Drüben in Golzow hatte sie manches munkeln gehört, auf dem Rückweg hatten dem Knecht Ruprecht, der sie fuhr, die Dohlen und Krähen wunderbare Liedlein in's Ohr gesungen und als der Wagen in die Lichtung fuhr, hatten sie noch die Gäste ausreiten gesehen; die gefielen ihr gar nicht. Auch im Dorfkruge sah sie durch's helle Fenster einige Burschen zechen, und sie sprachen wirre Dinge, solche Bauernburschen, die ihr Herr vom Pfluge nahm, wo es was galt. Auch mit Andern waren sie wohl ausgeritten; um ein Handgeld oder auch nicht, die Leute sprachen nicht gern davon. Aber woher kamen die klingenden Guldenstücke in die Tasche der Büdnerssöhne?

Der Kaspar sang, als er den Helmsturz auf dem Ambos festklopfte, ein Spottlied, was sie damals sangen auf Herzog Hans von Sagan, der landflüchtig war und kaum in der Mark ein Unterkommen gefunden:


Wer bürgerlichen Krieg anstift,

Denselben das Unglück wieder trifft,

Und muß das Sein mit dem Rücken ansehn,

Wie Herzog Hansen ist geschehen.


»Was singst Du für ein häßlich Gassenlied, Kaspar?« sprach die gnädige Frau.

Er erschrak etwas, aber nicht sehr: »Einer stimmt an, der Andere singt nach, Gestrenge.«

»Wer muß Alles nachplärren, was die Gassenjungen vorsingen! – Hat's solche Eil', Kaspar?«

Der Knecht sah sie seitwärts an und nickte.

»Morgen schon, Kaspar?«

Er bedachte sich und nickte wieder.

»Kaspar, Du bist ein treuer Knecht; aber ein treuer Knecht muß Alles thun, daß sein Herr nicht zu Schaden kommt.«

»Ein Knecht muß thun, was sein Herr will.«

»Wenn der Herr aber –« sie hielt inne. »Der Herr ist anders worden, als er war.«

Er nickte.

»Wenn's nun zum Schlimmen ginge, wenn er auf schlimme Leute gehört hätte, wenn sie ihn wieder fingen! Kaspar, was würde aus Dir, was würde aus uns Allen! Das Liedlein vom Herzog Hansen, wenn sie's nun auf uns sängen?«[257]

Der Knecht legte den Helm weg und nahm ein Schulterstück, aber das legte er auch weg. Es ging auch in ihm was vor: »Gestrenge, es ist schon wahr, aber wir ändern's nicht, es muß sein.«

»Warum muß es denn sein? Kaspar, Du weißt was.«

»Ja, Gestrenge.«

»Daß es gegen den Kurfürsten losgeht, das darfst Du nicht sagen?«

»Nein, eben das darf ich nicht sagen.«

»Auch nicht, daß mein Herr bei ist?«

»Auch nicht, daß er sich versprochen hat und nun nicht los kann.«

»Kaspar! 'S wird nicht, wie damals. Damals war er unschuldig wie ein Lamm im Mutterleib. Kaspar, wer ihn abhalten thäte, der verdiente sich einen Gotteslohn.«

Kaspar fuhr mit dem Eisen in die Kohlen, daß die Funken umher flogen.

»Ach, Gestrenge, das ist's eben. Der Brei ist zu weit eingerührt, nun muß er über's Feuer. Was mußten wir ihn auch allein in's Havelland reiten lassen –«

Die gute Frau zupfte ihn am Hemdsärmel: »Kaspar, wir ziehen ihn wohl noch raus.«

»Der Stier rennt gradaus, wenn er 'nen Schlag hat.«

»Du und ich?«

»Ich nicht, Gestrenge.«

»Ein bischen wirst Du mir schon helfen.«

»Nein! Bin ihm geschworen.«

»Kaspar! 'S ist gottlos, mein' ich, gegen den Landesherrn; aber wenn's geht, i nu, da drückt Gott schon ein Auge zu. 'S ist ja der liebe Gott.«

Der Knecht schüttelte den Kopf: »'S wird gehen wie dazumalen. Er ist stärker.«

»Da muß er in den Thurm, und aus dem Thurm – Unser Haus reißen sie niede, oder schießen's nieder, und wir, wir müssen in's Elend, die Eva und ich.«

Kaspar wischte sich mit dem Aermel über das Auge: »Ich werd's nicht mit ansehen. Wenn sie die Herren köpfen, hängen sie die Knechte.«

Er ging wieder an die Arbeit, als wollte er die Gedanken forthämmern. Aber Frau Brigitten kamen unter den Hammerschlägen Gedanken.

»Du bist ein guter und treuer Knecht,« sprach sie. »An[258] Deiner Stelle thät ich auch wie Du. Aber ich bin seine Frau, ich muß für ihn sorgen, dazu sind wir am Altar geschworen, daß einer das Unglück vom Andern abwendet. Aber was Du weißt, das mußt Du mir sagen, ich bin Deine Frau und kann's Dir befehlen; nämlich, was er Dir nicht verboten hat. Und was Du denkst, damit mußt Du auch nicht hinterm Berge halten, wenn ich Dich frage, denn ein Knecht darf nur für seine Herrschaft denken.«

»Freilich,« sagte der Knecht Kaspar.

»Morgen früh schon reitet er aus?«

Der Knecht sah sie zweifelhaft an: »Das weiß ich nicht, ob ich das sagen darf.«

»Darum frag ich Dich auch nicht. Aber das mußt Du mir sagen: Bleibt mein Herr morgen daheim?«

»Ja das hat er mir nicht verboten. Nein er bleibt nicht daheim.«

»Und kommt auch morgen und übermorgen nicht zurück?«

»Das weiß Keiner, wenn er zurückkehrt.«

»Nimmt Dich mit, und den Wenzel, und aus dem Dorf den Jürgen, den Stephan, den Hans und die bei den Zwillinge?«

»Nun, so Ihr das wißt, Gestrenge, da braucht Ihr mich ja nicht zu fragen.«

»Und in der Rüstkammer hängen schon die Eisenhemden, Koller, Schirme, Hauben, die Spieße und Aexte, die Ihr anziehen werdet.«

»Das wißt Ihr also auch?«

»Was dächtest Du nun, Kaspar, wenn ich den Ruprecht und noch ein paar gute Bursche nähme, und ließe die ganze Rüstkammer raustragen ganz sacht, daß es Keiner merkt, und die Rosse aus dem Stall ziehen; wir packten Alles was scharf ist und von Eisen auf die Leiterwagen, und damit führen wir in der Nacht nach Golzow. Die Rochow's sind mir gut. Heuer wollen sie nicht mit. Bis er aufwachte, wären wir längst über alle Berge, und dann könnte er doch nicht ausreiten. Du sollst nicht dabei sein, Du sollst nur sagen, was Du dazu denkst.«

»Straf mich Gott, Gestrenge, da müßt ich ja dabei sein. Wenn ich's merken thäte, da sprüng' ich auf den Hof, und bis Ihr nur halb fertig wär't mit Aufpacken, riß ich das Fallgitter nieder und schrie aus Leibeskräften, bis er aufwachen thäte.«

»Schreien würdest Du? Dann müßten wir Dich also knebeln.«

»Würde mich aber verflucht wehren.«[259]

»Dann müßte man Dich einsperren.«

»Ich schriee durch; 's ist ja für meinen Herrn.«

»Nun, wenn's hier unten wäre in der Schmiede, da könntest Du Dir die Lunge ausschreien, bis er's hörte.«

»'S hülfe Euch auch nichts, Gestrenge! Er hat sich in den Handschuh gebissen und geschworen, das kann ich schon sagen vom Handschuh nämlich, das hat er mir nicht verboten. Da muß er's thun. Wenn er aufwacht, und die Bescheerung sähe, sobald er nur in den Hosen sitzt, springt er über die Mauer, wenn's nicht anders ist. Im Dorfe trifft er Pferde und die liederlichen Kerle da, denn's ganze Dorf könnt Ihr doch nicht mitnehmen nach Golzow. Er reitet fort, wie er ist, ich kenne ja meinen Herrn.«

»Wie er ist,« wiederholte nachdrücklich die Frau. »Wie ist er denn, Kaspar? Hat er 'nen guten Rausch?«

»I nu, die Treppe stieg er noch halbwege rauf. Nur auf den letzten Stufen mußte ich ihn unterfassen.«

»Hat er noch viel gesprochen?«

»Na! Nicht wie der Bischof von Brandenburg, wenn er einen guten Rausch hat, aber 's hörte sich doch so an1

»Als Du ihn verließest, schlief er?«

»Wie ein Maulwurf.«

»Und wann meinst Du, daß er aufwacht?«

Der Knecht blickte verlegen: »Wenn ihn die Sonne nicht aufweckt, dann – ich weiß nicht, ob ich das sagen darf –«

»Dann sollst Du ihn aufwecken. Vergiß das nicht, Kaspar. Aber ist das Deines Herrn Gebot, daß Du hier mit mir plauderst? Frisch, frisch an die Arbeit. Nicht aufgesehen, hast viel nachzuholen, bis Du ihn wecken gehst. Deine Frau befiehlt's!«

Als der Knecht gehorsam die Kohlen schürte und hämmerte, hörte er hinter sich einen Krach, drauf einen schweren Riegel rasseln. »Dacht' ich mir's doch gleich, sie sperrt mich ein.« Schnell war Helm und Hammer fortgelegt, und er kletterte nach dem kleinen Fenster hinauf, das von draußen zu ebener Erde war. Aber auch hier begegnete ihm schon das Gesicht der Burgfrau, welche die schwere Eichenklappe darüber fallen ließ, und die Krammen an der Wand befestigte.[260]

»Hast Du zu essen bei Dir?« fragte sie ihn durch das kleine Lugloch.

»Das hab' ich schon, Gestrenge; Rettig, Käse und Brod im Kober.«

»Dann spar's Dir auf, damit Du nicht hungerst.«

»Aber schreien, Gestrenge, thu' ich doch; 's ist meine Schuldigkeit.«

»Erst arbeiten und dann schreien,« antwortete ihm ihre Stimme, und sie warf ein paar Bund Stroh vor das Loch, und wälzte mit nicht geringer Anstrengung einen großen Stein davor. Die dicke schwere Thür würde er nicht erbrechen; dessen war sie sicher.

In der Nacht war die Frau von Bredow wieder Herrin im Haus, und wehe dem Knecht, der ihr nicht gehorchen wollte. Und wer sich etwa vorhin gefreut, mit auszuziehen mit dem Herrn, der konnte sich jetzt auch freuen, er zog mit der Frau aus. Und wer weiß, ob der Herr so gut hätte einschenken lassen, wie die Frau that, daß sie Muth und Lust kriegten. Bald war es auch, wie ein Fest, wie ein Fastelabendsspaß, wo es Jeder dem Andern wollte zuvorthun in Hurtigkeit und Stille. So schoben sie nicht, nein sie trugen den Wagen aus dem Schuppen; aus der Rüstkammer und der Halle holten sie die Schilde, Helme, Rüstungen, Spieße und Aexte, daß es keinen Klang gab. Stroh und Decken wurden dazwischen gepackt; und selbst die Rosse schienen zu merken, was es galt: so sächtchen ließen sie sich aus dem Stall zieh'n und vor die Wagen spannen und satteln. Kurz, es ging Alles still und schnell ab, wie in einem Mährchen. Nur die Katzen heulten, und dann und wann hörte man Herrn Gottfried vom Giebel schnarchen. Zwar schrie auch der Knecht Kaspar wie ein rechtschaffner Knecht alle fünf Minuten ein Mal, aber man mußte es ihm lassen, er schrie nur aus Schuldigkeit, wie ein Nachtwächter, der die Leute nicht wecken soll.

Nun war alles fertig, das Fallgitter aufgezogen, die Brücke niedergelassen, zum Ueberfluß hatten die Mägde Stroh darauf gestreut, daß die Wagen nicht rasselten, und die wenigen Lichter wurden ausgelöscht, die zum Packen geleuchtet. Nur die Sterne konnten sie nicht auslöschen.

Die gute Frau von Bredow schöpfte Athem. Wo nicht alles war sie in der einen Stunde gewesen, wo nicht alles hatte sie mit Hand angegriffen und angewiesen und angeordnet; wofür hatte sie nicht zu sorgen gehabt, für Fortziehende und für Bleibende! Und was mußte sie das angegriffen haben, ich[261] meine nicht, daß sie es thun mußte, sondern daß sie es ohne ein lautes Wort thun mußte. Sie war immer der Meinung, Gott habe dem Menschen die Stimme gegeben, daß er sie vernehmen lasse. Ach das Schwerste stand ihr doch noch bevor. Die Wagen fuhren schon zum Thor hinaus, als sie zu Eva leise sprach: »Nu komm rauf.« Wie ihrer Mutter Hand zitterte! Nur der Knecht Ruprecht blieb unten an der Treppe.

Sie waren oben, wo die kleine Ampel vor der Thür brannte. Eva's Herz pochte nur ein klein wenig, als sie durch das Schlüsselloch geblickt und leise die Thür aufklinken wollte. Die Mutter zog sie noch zurück:

»Bleib noch ein Bischen, Eva, mir ist doch bang.«

»Er schläft ganz fest.«

»Eva, nein, Du sollst es nicht.«

Sie nahm sie in ihre Arme und küßte sie ab. »Wenn's Sünde ist – ach Du mein Gott, das Leben wird Einem doch recht schwer gemacht! Was soll nicht alles Sünde sein! –«

»Es muß ja sein, hast Du gesagt, Mutter!«

»Freilich muß es sein.«

»Wir ziehen die Schuh aus.«

»Du liebe Unschuld, wär's damit gethan! 'Ne Mutter muß die Tochter nicht zum Bösen verleiten. Ich kann's auch besser in der Beichte vortragen.« Der edle Wettstreit ward endlich dahin geschlichtet, daß beide die Schuhe auszogen.

Der gute Knecht Ruprecht hatte die Angeln der Thür geschmiert, sie knarrten wenig, und Eva hielt die Hand so vor der Ampel, daß sie keinen Schein auf den Schlafenden warf. Das Licht ward vorsichtig in eine Blende hinter dem Bett gestellt, und Mutter und Tochter winkten sich, die Finger vor dem Mund. »Eva!« flüsterte jene noch, »wenn er auffährt, laufe fort; ich will's schon allein mit ihm abmachen.« Ich glaube, Eva wäre nicht fortgelaufen; das Kind hatte nicht geantwortet.

Wie ruhig er lag, wie in gemessenen, festen, ernsten Absätzen Herr Gottfried schnarchte! Den Richter, der ihn einst richten wollen um das Verbrechen, das geharnischt vor'm Thor stand, hätte ich an das Bett führen mögen und fragen: Kann ein Hochverräther so schlafen? Es waren keine Töne, die unregelmäßig wie der erstickte Athem des Schuldbewußtseins vorbrechen aus der geängstigten Brust; nein, es waren die ruhigen kraftvollen Pulsschläge eines gesunden Organismus. Aus tiefster Brust kamen sie, wie Boten, daß Alles da in Ordnung sei, daß[262] diesen Mann keine Träume ängsteten, und wenn Träume um ihn spielten, waren es Spiegelbilder der Selbstzufriedenheit mit einem von keinen Zweifeln zerrissenen Dasein.

Herr Gottfried schlief auf dem Rücken, die kräftigen Arme über den Kopf ausgestreckt. Ueber dem gewaltigen Deckbett hing noch ein bunter, schön gewebter Teppich bis zum Boden. Sein Ahnherr, der mit Ludwig dem Baiern in Tirol gewesen, hatte ihn mitgebracht, als ein Angebinde der durchlauchtigen Fürstin, Frau Margarethe, Maultasch genannt. Wenn der Ritter unruhig schlief, lag der Teppich, wohl auch das Deckbett, auf der Erde. Ein gutes Zeichen für die Frauen, daß heut die Decken lagen, als habe sie der Kaspar erst über seinen Herrn gebreitet. Aber wo nun suchen? – Da sahen sich plötzlich beide lächelnd an, und beide Fingerspitzen zeigten auf denselben Punkt. – Er lag mit dem Kopfe drauf! Ach, ein geschickter Dieb stiehlt auch das Pfuel unter dem Kopfe fort; aber die Beinenden hatte er sich um die Arme geschlungen und noch mit der Schnur fest an's Gelenk gebunden. Wer sollte sie ihm da stehlen! Im Lager und im Kriege möcht' ich das nicht rathen; wie will er aufspringen, wenn die Lärmtrompete dröhnt! Aber auch im eignen Hause half's dem guten Herrn Gottfried wenig, denn wo siegt nicht Weiberlist über Männerklugheit!

Da hielt die Mutter die Ampel etwas in die Höh' und Eva streichelte mit ihrem kleinen Finger des Vaters Bart. Er lächelte vergnügt: »Katze, was willst Du?« brummte er freundlich. Er drehte den Kopf, die eine Hand ward frei. Die Schleife des Riemens war gelöst.

Was beschreibe ich's nun, es ließe sich wohl besser malen, wie Eva mit verhaltenem Athem und mit einem Elfengriffe Herrn Gottfried den Kopf so sanft hielt, daß er im weichsten Pfuel nicht weicher liegen konnte, und die Mutter zog leise, leise unter dem Kopfe. Nun hielt sie's in der Hand, nun athmete sie wieder, nun ließ Eva den Kopf sanft auf das Kissen gleiten, und Beide sahen sich an. Es war gelungen.

»Auch das!« dachte Frau Brigitte, als sie den Degen des Ritters an der Wand sah; aber Eva griff ihr in den Arm: »Mutter, Du wirst doch nicht dem Vater sein Schwert nehmen!« Nein, ein freier Mann durfte nicht ohne sein Schwert sein, auch auf die Gefahr, daß er es gegen seinen Fürsten zog. Das war jedem damals klar, auch dem Fürsten, und die gute Frau von Bredow erröthete, daß es ihr nur auf einen Augenblick aus dem Sinne gekommen.[263]

Die Wagen rollten schon auf dem Damme, und die letzten Reiter harrten der Nachzügler, als die Edelfrau und ihre Tochter über den dunklen Hof kamen. Noch einmal schaute Frau Brigitte auf die großen Schatten der Thürme und Mauern, und die starke Frau zitterte etwas, als die lange, dunkle Gestalt des Knechtes Ruprecht stumm vorüberschritt, und, ihrer wartend, an das Fallgitter sich stellte. Da gelobte sie, wenn Alles gut abginge, der Mutter Gottes in Zehdenik ein neues Kleid mit Goldfranzen, und Eva sagte: »Und Schwester Agnes wird für uns beten, wenn es nicht recht war.«

Der Knecht ließ das Fallgitter sanft fallen und schloß das Thor von außen.

Auf ihren Knien, unter dem Mantel, hielt sie das gestohlene Gut. Nachts im Walde umschleichen uns unheimliche Gedanken. Die Natur verlangte ihr Recht, sie nickte ein. Da fuhr sie plötzlich auf, wenn der Wagen über eine Wurzel fuhr, und preßte das Kleid fest an sich. Hatte es ihr entgleiten wollen, wie eine Schlange, oder hatte ein langer, schwarzer Arm aus den entlaubten Bäumen danach gegriffen? – Wenn er nun erwachte vor der Zeit, über die Mauer sprang, ihr nachsetzte! Wie sollte sie ihn ansehen! Oder wenn die bösen Gesellen ihn abholen kamen, wenn sie ihnen jetzt begegneten! Wenn – hundert Wenn's ängsteten die arme Frau. Wenn sie nur erst die Hunde in Golzow anschlagen gehört, wenn ein guter Mann des Weges gekommen wäre, dem sie das Gut in sichere Hände anvertrauen dürfen! Es drückte sie wie Blei; sie mochte es nicht länger halten. Zuweilen dachte sie daran, es dem Knecht Ruprecht zu geben, daß er damit nach Golzow vorauf ritte. Aber was hätten die in Golzow dazu gesagt, wenn die Hosen des Herrn von Bredow angekommen wären, und nichts weiter!

Da hörte man durch den stillen Wald Hufschläge. Ein einzelner Reiter galoppirte vorbei. Gott sei Dank! dachte Frau von Bredow, er reitet vorüber. Er reitet gewiß nach Ziatz. Wenn er nur nicht umkehrt! – Was bog sich Eva nach dem Reiter um? »Hans Jürgen!« rief sie plötzlich in die Nacht hinein mit ihrer hellen, fröhlichen Silberstimme.

Hans Jürgen war umgekehrt, der liebe, gute Hans Jürgen. »Das Kind kann doch durch die Nacht sehn.« Wer hätte an den Hans Jürgen gedacht, der damals am Fließ Wache stehen mußte, wenn er jetzt sah, wie die Frau mit ihm Hände schüttelte, und so mußte er sich über die Leiter biegen, daß sie[264] ihm beim Kopf fassen und ihm einen herzhaften Kuß geben konnte. Und da er einmal sich über die Leiter gebogen, hielt er's für artig und anständig, auch seiner Muhme Eva einen Kuß zu geben, und nachdem er ihr einen Kuß gegeben, meinte sie, es schicke sich, daß sie ihm wieder einen Kuß gebe. Ein Freund in der Nacht und im Walde ist beinah wie ein Freund in der Noth.

Da war es, als schiene plötzlich ein helles Licht in dem dunklen Wald, während Hans Jürgen, der Kehrt gemacht, langsam neben dem Wagen ritt, und ihnen erzählte, was er wußte, und sie erzählten ihm, was sie wußten. Hans Jürgen war nicht mehr Hans Jürgen, den man in die Schwemme schicken konnte; sein Kurfürst hatte ihn nach Pommern, und dann nach Mecklenburg geschickt in besonderen Aufträgen, und jetzt kam er vom Schloß des Brandenburger Bischofs in Ziesar, um in die Lausitz zu reiten, und von da nach Berlin zurück, und alles, was ihm aufgetragen, hatte er gut verrichtet. Unterwegs hatte er ansprechen wollen bei seinen Blutsfreunden in Ziatz.

»Das kannst Du nun jetzt nicht, Hans Jürgen,« sagte nachdenklich die Frau, aber plötzlich blitzte in ihr ein Gedanke auf. Sie ließ den Ruprecht halten, sie stieg vom Wagen, und der Reiter vom Pferde, dann ging sie mit ihm ein Paar Schritte auf und ab, und sie sprachen, und schienen einig, und die Frau sehr vergnügt.

Gleich darauf packte sie die Lederbüchsen in einen Sack, und Hans Jürgen steckte noch da hinein das Kettenhemde und die Büffelhaube seines Ohms, schnürte alles fest zu, und legte es und band es auf sein Roß. Dann sprach sie zu ihm: »So also sprichst Du zum gnädigsten Kurfürsten, nämlich ich meine, die rechten Worte wirst Du schon unterwegs finden. Wenn böse Leute, wie dazumal, sagen sollten. Dein Ohm wäre mit ausgeritten, wo er nicht reiten soll, so kannst Du schwören, er ist nicht dabei. Du hast seine Haube und sein Hemde, und was er sonst nie vom Leibe thut. Das schicke ich alles Seiner Kurfürstlichen Gnaden, zum Zeichen, daß mein Herr unschuldig und verredet ist, und damit kein anderer böse Bube es anzieht, und mein Götz kommt darum in's Unglück. So kannst Du sprechen, und dann sprichst Du die Wahrheit.«

Nun saß er wieder auf dem Pferde, und die Frau auf dem Wagen. Ob er sich noch ein Mal über die Leiter gebogen, um auch zum Abschied, weil es anständig und artig, seine Muhme zu küssen, davon steht nichts in den Chroniken zu lesen.[265] Aber er ritt sehr vergnügt in den Wald, und Eva war es, als blühten die dürren Bäume, und die Nachtigallen sängen und Frau Brigitte sprach bei sich: »Gott sei Dank, nun bin ich sie los und Alles wird gut.«

Fußnoten

1 Der Bischof Scultetus von Brandenburg »war ein fürtrefflicher Redner, konnte drei Stunden lang Quinones halten, so er einen guten Rausch hatte und auch wann er nüchern war,« sagte Angelus.

Quelle:
Willibald Alexis: Die Hosen des Herrn von Bredow. Vaterländische Romane. Berlin 9[1881], Band 3.
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