Wie ich Übersetzer wurde

[138] Monsieur Henry trug im Kabarett »Nachtlicht« ein Lied vor: »Son amant«. In früher Morgenstunde sagte ich zu ihm: »Schreibe mir dieses Lied auf. Es enthält die Kraft eines wirklich menschlichen Herzens!«

Als ich es dann in meinem Zimmer wieder durchlas, konnte ich innerlich die etwas übertriebene Art, mich auszudrücken, verantworten. Ja, uns, uns Besiegten der Seele ist es aufgebürdet, zu tragen die wirkliche Last des Daseins! Und wir tragen! Titanische Kräfte sind in unseren schwächlichen Herzen! Wir können tragen, tragen. In dieser Stunde des Siegesgefühles unserer unerschöpflichen und dennoch armseligen Herzenskräfte ward ich zum Übersetzer eines Liedes, das diese Dinge ausspricht in schlichter Tiefe.

Das Lied heißt: »Son amant« und ist gedichtet von Edmond Teulet, Kabarettier von den »Noctambules«, Paris.


Ihr Liebhaber

Du fragst, woran ich sterben muß,

Bei Arzt und Freunden rund herum?!?

Ein Leid, Geliebte, das du schufst, bringt mich nun um!

Und keiner kennet meines Leidens Wesen.

Drum sagt ein jeder banal und dumm:

»Wer weiß, er kann vielleicht doch noch genesen –!?«


Ich glaubte, daß ich hätt' die Kraft,

Das Sterben in mir zu besiegen,[138]

Das nun zwei Jahre lang in mir tobt und schafft.

Mein Herz war stark, dennoch mußt' es erliegen.

Dich zu verlassen, Süße, ist mein einziger Gram –

Nun sag' ich dir, wieso es kam – – –.

Ich sage dir, geliebteste Geliebte,

Nun, in der Stunde des Verscheidens,

Das wirkliche Geheimnis meines Leidens!

Ich sah dich eines Abends in den Garten

Hinabsteigen, ängstlich-eilig, und ich sah dann

Einen zweiten Schatten – – – einen fremden Mann.

Und diese Zwei kamen sich näher, näher – – –

Der Büsche Dunkelheit entführte sie dem Späher.


Mein Herz stand still, ich hätte können weinen wie ein Kind,

Geliebte, ich konnte von dem allen nichts verstehen –

Ich wollte und ich wollte euch nicht übersehen –

Ich hatte Furcht, da zu euch hinzugehen – – –!


Denn dann hätt' ich mit meinem Messer

Durchbohrt deinen geliebten Hals, Geliebteste,

Dich an die dunkle Erde der Allee genagelt;

Ich hatte Furcht, dich dann ganz zu verlieren!

So, so war es noch immer besser!

Ich hatte Furcht. Ich liebte dich. Was konnte ich erreichen?!?

Und ich gewann die Kraft, mich fortzuschleichen!


Kleinweis bin ich zugrund' gegangen nun durch dich.

Du siehst, Geliebte, ich hab' dich nie belogen,

Wenn ich dir sagte: »Ich liebe dich – – –«

Geliebtestes Geschöpf, nun ist es aus – – –


Leg' auf mein Grab einen Blumenstrauß![139]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 138-140.
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