Skeptizismus

[340] »Weshalb lächeln Sie darüber, Fräulein?!? Skeptizismus ist stets eine Art von Un-Weisheit, von[340] Un-Abgeklärtheit.« Es ist ein miserabler, würdeloser Versuch, die eigene Welt, die man zufällig mitbekommen hat, dem anderen, vollkommen fremden Organismus aufzudrängen. Der »Gentleman« wird gerade nur Interesse zeigen für Vorgänge, die ihm selbst vollkommen fremd sind und ferne liegen. Er wird sich zwar selbstverständlich nicht »hineinversetzen« können, aber er wird vor den merkwürdigen Komplikationen des Daseins eine Art von natürlichem Respekte empfinden, und vor allem keine Dinge ironisch lächelnd oder brutal abweisend negieren, die seinem eigenen Leben zufällig fremd und unfaßbar sind! »Gerecht sein wollen« wird sein ewiger geistig-seelischer Drang sein, der die Vorurteile seines eigenen zufälligen Daseins mit merkwürdigem Wohlwollen zu besiegen suchen wird, selbst wenn es scheinbar für ihn unmöglich zu sein scheint. Darin besteht eigentlich die Kultur, in der »milden Gerechtigkeit« anderen Lebens-Führungen gegenüber, die ihren Grund in uns völlig unbekannten »inneren Ereignissen« haben. Beraten ist eine Art von »heiliger Sache«. Da muß man wirklich fast schon selbst ein Heiliger sein. So über allen Dingen thronend, und sein eigenes Sein vergessend!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 340-341.
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Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]