Sie empfängt ihn und verwundert sich, daß er zu ihr kommt

[173] 1

Sei willkommen, liebster Freund,

Du hoch verlangter Gast,

Der du mich so treu gemeint

Und nicht verschmähet hast.

Sei willkommen, wahrer Gott,

Gebenedeites Brot,

Sei willkomm‘n in meiner Höhle,

Liebstes Leben, liebste Seele.
[173]

2

Allerhöchste Majestät,

Wie neigst du dich so tief!

Daß du kommst vons Himmels Stätt

In meines Munds Begriff!

Daß du dir, o Gottes Sohn,

In mir suchst einen Thron!

Daß du solche Gnad und Güte

Antust dieser irdnen Hütte!


3

Wie empfah ich dich, mein Licht,

Du ewger Herr und Gott?

Wie vergelt ich solche Pflicht,

Ich armer Staub und Kot?

Was für Ehr erzeig ich dir,

Daß du selbst kommst zu mir?

Daß ich dich nun gar kann küssen

Und dein Leib und Blut genießen.


4

Schau, ich beuge meine Knie

Und werfe mich vor dich,

Daß du mögest je und je

Gebieten über mich.

Nimm mein Herz, o Jesu, an

Und was ich hab und kann;

Denn mit hunderttausend Zungen

Wirst du nicht genug besungen.


5

Ach, mein liebster Seelenschatz,

Gib mir nun deine Kraft.

Wässre meines Herzens Platz

Mit deines Herzens Saft.

Hilf, daß meine Seel und Leib

Dir ganz vereinigt bleib.[174]

Ich verspreche, dich dort oben

Ewiglich dafür zu loben.


Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 173-175.
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