CCXIX. Der stehlende und bestohlne Dieb.

[470] Brandezze war aus einem guten Geschlecht der Landschafft Guyenne / von einem ehrlichen Vater. Als aber sein Vaters todsverblichen / ward er einem seiner Vettern / der völlige Gewalt über ihn genommen / zu versorgen untergeben. Doch währete dieses nicht lang /angesehen / er bald seinen Ernst sincken / auch bald hernach ihn nach seines Willens Begierden lauffen ließ. Brandezze / solcher Freyheit bereits gewohnet /sahe / daß ihn sein Vetter eines Tages zwingen wolte /da nahm er ihm vor / eine Reiß nacher Bordeaux zuthun / dieselbe Stadt zubesehen / stahl ihm eine grosse Summa Geldes / und begab sich heimlich aus dem Hauß / daß niemand / als ein kleiner Lackey / seiner gewahr wurde / zur Wiedervergeltung aber dieses Diebstals muste er in vielerley Unglück / wie wir vernehmen werden / gerahten. Der erste Orth / dahin er zu reisen vor hatte / war Bordeaux / alldieweil er in seinem Vaterland davon hatte reden hören / als er daselbsten eine Zeitlang zubrach / bekam er eine Lust nacher Pariß zu reisen. Unterwegs aber kehrete er in ein Wirths-Hauß ein / darinnen einer wohnete / welcher gemeiniglich[470] die Wandersleut erbärmlich erwürgete. Solcher Orth war nahe an dem Fluß Loyre gelegen. Brandezze / der weder des Wirths / noch der Herberg wegen einigen Argwohn gefasset / nahm seine Mahlzeit zu sich / und geschahe ungefehr / daß er daselbst einen Priester / so von Paris kommen war /antraff / und verkürtzeten sie den Weg mit gutem Gespräch. Als sie aber beyde zu Nacht gegessen / wolte ein anderer Kauffmann von Orleans kommend /gleichfals darinnen seine Herberg suchen / und hatten wegen der Untreu / so man an ihnen vernehmen wolte / zumahl keinen Argwohn. Nachdem sie nun ihr Abendmahl eingenommen / begehreten sie sämptlich schlaffen zugehen / man führet sie alle drey in eine Kammer / darinnen drey Bette stunden / und erwehlete ein jeder eines vor sich / darauf sie dann / als sie die Kammer-Thür zugeschlossen / sich zur Ruhe begeben. Der Wirth aber hatte eine verborgene Thür /die in besagte Kammer gieng / durch welche dieser grausahme Lycaon seine Gäste zu ermorden eingieng. Wie nun die Mitternacht vorüber / und der Schlaff die empfindlichkeit der Männer gefangen hielte / kam der Wirth unvermerckt durch seine verborgene Thür in die Kammer / und besiehet ein Bett nach dem andern /Brandezze war eben damahl ungefehr wacker / und vermochte wegen des Getümmels / so er die gantze Nacht durch gehöret / nicht zuschlaffen / er erblickte den Hauß-Wirth sambt drey andern / welche gantz leiß in der Kammer herumbgiengen / und an dem nechsten Bett sich aufhalten thäten. Dieses setzte ihn in Zweiffel / ob sie etwan was thätliches wieder sein Leben vornehmen möchten / darumb fieng er an sich zu stellen / als wann er schnarchete / und in einem tieffen Schlaff lege / doch empfund er in seiner Seelen gewaltige Stiche / von wegen / daß er in dieser Stund sich seines Leben befahren /[471] und in eine so starcke Zubereitung zu dessen Verlust vor Augen sehen muste. Als nun dieser Tyrann die Bette seiner Gesellen besichtiget hatte / kam er auch zu dem seinen /und betastete sein Fleisch / umb zusehen / ob dasselbe fett und zart wäre. Brandezze wuste nicht / wie er sich in solchem Fall recht verhalten solte / dann er durffte nicht Athem schöpffen / und muste sich jedoch stellen / als wann er schlaffen thäte. Nachdem sie ihn nun wohl betastet / sagten sie untereinander / daß er nicht von guter Matery / der andern Fleisch aber viel besser und frischer wäre / giengen derowegen wiederumb zu dem Beth seiner Gesellen / und erwürgeten gantz elendiglich so wol den Priester als den Kauffmann / die da schlieffen. Brandezze war / solch Unglück anzusehen / sehr bestürtzt / die Furcht nam ihm das Hertz ein / und wuste nicht / ob er / weilen die Thür offen war / die Flucht nehmen solte / dieweil er befürchtete / man möchte ihm nachlauffen. Wartete also auch eben dergleichen / wie seinen Gesellen / so er hinweg tragen sahe / wiederfahren / zu empfangen /wie er dann nicht verhofte zu entgehen / doch war ihm der Wirth viel gnädiger / dann den andern / indem er ihn aus dem Beth steigen heist / auch nach dem er ihm seine neuntzig Kronen abgenommen / führete er ihn unten über eine Gallery / daselbsten hatte es eine Fallbrücke / in Gestalt einer Ratten-Fall / welche sich ab- und auffließ / da fiel er hinunter / und befand sich in einer wüsten Gassen. Nun war er wol sehr erschrocken / daß er in solchem elenden Zustand kein Losament hatte / doch war er auch wiederfroh / daß er einer solchen Gefahr entwischet. Wie er nun in solcher abgelegenen Gassen sein Elend / darin er gerahten war / bey sich selbst beweinete / höreten ungefehr zween Diebe sein Wehklagen / naheten sich derhalben zu dem[472] Orth / da sie das Seuftzen des Brandezze vermercketen und als sie seiner in einem Winckel / da er seinen Verlust betraurete / gewahr wurde / fragten sie ihn was die Ursache seines Klagens wäre / u warumb er so spaht sich an diesem Ort befünde? Er gab ihnen zur Antwort / wie ihn der Wirth des nechsten Wirths-Hauses solcher gestalt tractiret / nachdem er ihm auch das beste seines Gelds hinweg genommen hatte. Uber das erklärete er ihnen auch / welchermassen man einen Priester und Kauffmann / so in eben derselben Kammer gelegen / jämmerlich ermordet /ihn aber von oben herab an diesen Orth geworffen hätte. Sie thaten gleich als wann sie ihn trösten wolten / und sagten / daß man sich nicht also in Weinen und Seuftzen verzehren muste / nicht so wär es wohl /daß ihm das Unglück ein hartes versetzet hätte / die Gedult solte ihm aber gegen solche Wiederwertigkeit zum Schild dienen / und wann er mit ihnen gehen wolte / sie versuchten ihme zu bezeugen / daß er mit ihnen theil haben solte / gleich ihnen zu leben. Auf solch Versprechen folgete er ihnen / und wartete eine Zeitlang mit ihnen an einer Ecke / nicht wissent / was sie zu thun vorgenommen / angesehen / daß er bey Dieben zu seyn / ihm nicht einbilden konte. Nachdem sie aber lange Zeit verzogen / und niemand vorüber gieng / nahmen sie einen andern Weg mitten durch die Stadt / und stunden gerad gegen einen Brunnen über /da bekam er ein Lust sich zu erfrischen / dieweil aber die Eymer hinweg wahren / sprach einer zu Brandezze / daß er sich den Brunnen hinab ziehen lassen und ihm Wasser holen muste. Brandezze bedachte sich /ob er den Brunnen hinab steigē solte / befürchtete sich auch / daß es Mühe kosten würde / ihn herauf zuziehen /[473] oder ob man ihm vielleicht / wann er darunten sein würde / einen schlimmen Bossen reissen würde /dannoch ließ er sich durch des andern Bitten bezwingen / und machte sich zum Brunnen / man läst ihn biß auff den Grund hinab / nun begab sichs ungefehr /daß als bereits Wasser geschöpffet / gieng die Wacht vorüber (dann es war eben zur selben Zeit / da man von Empörungen redete) wie aber die zween der Runden ansichtig wahren / liessen sie das Seyl fahren /und lieffen davon / und wann Brandezze sich nicht auff einen Stein in dem Brunnen festgestellet / hätte er ersauffen müssen. Als er nun geruffen / und keine Antwort haben können / bildete er ihm ein / daß sie ihn mit Fleiß in dem Brunnen gelassen hätten. Wie nun die Wacht vorüber gieng / kam den Schersanten auch ein Lust zutrincken an / befiehlet demnach zween von seiner Rotte / ihme Wasser zu ziehen: Sie gehen dahin / und weil sie meynen / der Eymer sey unten im Brunnen / fangen sie an zu ziehen: Brandezze davor haltende / als wann seine Gesellen ihn auff ziehen wolten / ergriff alsobald das Seyl und ließ sich hinauff ziehen / diejenige / welche das Seyl zogen /liessen noch zween andere / ihnen zu helffen kommen / und sagten / es muste was sonderliches in dem Eymer seyn / weil er sonsten nicht so schwer wäre /zuletzt ziehet man Brandezze herauß / es hätte aber wenig gefehlet / daß er nicht währe wieder in den Brunnen gefallen / dann so bald die Soldaten ihn sahen / erschracken sie / und lieffen davon. Brandezze aber war inzwischen sehr froh / daß er aus dem Brunnen kommen / massen er auch so wolfeyl davon zukommen / nicht vermeynet hatte. Worauff er eine Zeitlang auff seine Gesellen wartete / wie sie dann entlich kamen / ihn antraffen / und wie er herauß kommen wäre / ihn frageten. Brandezze aber war noch zu einem weit grössern Anschlag bestimbt.[474] Darbey dann in acht zunehmen / daß vier oder fünff Tag zuvor /ehe er in die Stadt kommen / der Bischoff desselben Orths mit Todt abgangen / und wahren auch die Gesellen des Brandezze bey dem Begräbniß gewesen /hatten wahr genommen / daß man ihn mit seinem Bischoffs-Stab und einem Ring / von grossem Werth /beygeleget hatte. Diese Beute erhitzete sie / und hatten bereits beschlossen / den Grabstein auff zu heben / und ihme seinen Ring zu sambt dem Bischoffs-Stab hinweg zunehmen. Noch mehr aber waren sie darzu angetrieben / als sie sich in des Brandezze Gesellschaft befanden / wie sie ihm dann auch andeuteten /daß er sie nothwendig in einem Anschlag / so sie zu Gemüht gefasset / begleiten müste. Brandezze / welcher lieber aus ihrer Gesellschaft gewesen wäre / war gezwungen / ihnen zufolgen / darauff führeten sie ihn zu der Kirchen / die nahe an das Wasser gebauet ist /in welche besagter Prälat begraben worden / machten mit ihrem Diebs-Instrumenten die Thür auff / und liessen nach eröffneter Thür / Brandezze in die Kirche gehen / und sprachen zu ihm / daß man nicht mehr als den Stein aufheben dürffte / auch daß ein Gewölb daselbst wäre / nur allein / daß er den Ring und Bischoffs-Stab mit sich bringen muste / oder aber / daß er in Todesgefahr wäre. Brandezze mehr über ihren Dräu-Worten erschrocken / als durch den Gewinn angetrieben / wolte ihnen in solchem Stück gehorsamen / gienge derowegen in die Capell / darinnen des Bischoffen Leichbare stunde / mit den Eysen / so sie bey sich hatten / hebten sie den Stein / der den Eingang des Gewölbs bedeckte / hinweg: Da war Brandezze aufs neue bestürtzet / er möchte nicht in besagte Höle gehen / aber seine Gesellen bedroheten ihn des Todes / unterdessen blieb er im Zweiffel / und durfte weder forth / noch zurück gehen / entlich aber hatte das[475] so offt wiederholte Gebot seiner Mitconsorten so viel Gewalt über ihn / daß er hinein gieng. Als er aber biß auff den Grund der Hölen kommen war / legte er seine Hände an den Leichkar des Prälaten / und nahm den Diel hinweg. Darbey man dann abnehmen kan wie gefährlich es ist / sich zu böser Gesellschaft zu machen /dann das veruhrsachet offtmahls / uns an solche Sachen zu machen / die wir sonst verworffen hätten. Als nun Brandezze den Bischoffs-Stab und den Ring bekommen / machte er sich wieder zu seinen Gesellen /die seiner mit steiffen Fuß am Eingang des Grabes warteten / mit vorwenden / daß er zwar den Bischoffs-Stab mit bringe / aber der Ring währe nicht in dem Leichkar (dann er wolte den Ring vor sich behalten /und damit das Geld / so ihm der Wirth geraubet / wieder ersetzen) sie hingegen / als welche wusten / daß der Ring mit in das Begräbnüß eingeschlossen worden / gaben ihm zur antwort / daß derselbe unfehlbahrlich darinnen währe / muste demnach zum andernmahl hinein steigen. Wie er nun hinein kommen war / giengen zwo Personen vor der besagten Kirchen nechst über / und als sie dieselbe offen fanden / hielten sie sich ein wenig auff / umb zusehen / was darinnen vorgehe. Die Diebs Vögel wurden dessen innen /liessen derowegen den Stein allgemach niedergehen /und schlossen damit das Grab zu. Damahlen meinete Brandezze vor Furcht zu sterben / daß er also in dem Grab sich muste eingeschlossen sehen. Dann immittelst die Diebe die Flucht genommen / hatte Brandezze die Kräffte nicht den schweren Stein aufzuheben /muste derwegen biß Morgends darinnen verbleiben /da dann das Volck / die es gewahr wurde / daß der Stein verrücket / das Grab aufthat / und den Dieb /der den gantzen Handel bekante / darinnen stecken fand.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 470-476.
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