Erste Scene.


[225] Fähnlein sitzt auf dem Schreibbocke hinter dem Pulte rechts, Schrauber am großen Schreibtische links. Im Hintergrunde sind an den Pulten nenn Schreiber beschäftigt.

Leise Musik, unter welcher es sechs Uhr schlägt, die Viertel rascher und heller, die Stunde langsamer und dumpfer.


ERSTER SCHREIBER legt die Feder hin und summt. Vergnügte Feiertage!

ZWEITER SCHREIBER ebenfalls die Feder weglegend und einfallend. Vergnügte Feiertage!

DIE ANDEREN rüsten sich gleichfalls zum Aufbruche, es werden Lampen abgedreht, die Ueberröcke angezogen, es fallen darunter immer mehr Stimmen ein, so daß zuletzt unter dem Brummchor: »Vergnügte Feiertage!« alle sich entfernen. Die Musik wird dabei immer schwächer und klingt aus.[225]

SCHRAUBER korpulenter, junger Mann, etwa nahe den Dreißigern, mit dichtem, schwarzem Haar und starkem Vollbart, als der letzte an Fähnleins Pult hinantretend, im Baß summend. Vergnügte Feiertage!

FÄHNLEIN altes, glatzköpfiges, kümmerliches Männchen, gereizt. Sie haben es not, Herr Schrauber, daß Sie da mitsummen, wo Sie doch wissen, wie ich denke!

SCHRAUBER. Pah, ich bin der Vertraute dieser Ihrer Gedanken seit Jahren. Sie sehen schwarz.

FÄHNLEIN. Das thut der Schütze auch, der Zentrum schießt. Wenn nun doch würde, was ich lange gefürchtet?

SCHRAUBER. Es wird nicht. Wetten wir?!

FÄHNLEIN. Eh, Unsinn – wetten! Wenn ich gewinne, so haben wir alle miteinander nichts. Mit was zahlen Sie denn dann?

SCHRAUBER. Eben, ich wette ja nur auf Gewinn. Zu verlieren habe ich nichts, als höchstens bißchen Fett und um das thäte es mir leid, es kleidet mich so hübsch Meinen Sie nicht?

FÄHNLEIN. Schrauber, was gäbe ich darum, Ihren Leichtsinn zu besitzen!

SCHRAUBER. Bedaure, der ist mir nicht feil.

FÄHNLEIN. Ja, ihr jungen Leute habt es noch gut, aber mich alten, halbinvaliden Menschen bringt die Unruhe ganz aus dem[226] Haus. Freund Schrauber, lassen Sie mich Ihnen meine Besorgnisse zuflüstern. Indem er sich mit den Schreibbocke herumdreht und hinabklettert, streift er Lineal, Trockenrolle etc. vom Pulte; er steht einen Augenblick über das verursachte Geräusch verdutzt.

SCHRAUBER. Na, hören Sie, zum Zuflüstern treffen Sie ziemlich lärmende Anstalten.

FÄHNLEIN ganz nahe an Schrauber herantretend und ihn anfassend. Schrauber – wenn es nun schon da ist – wenn auf diese Feiertage kein Werktag mehr folgt?!

SCHRAUBER ernst, nach der Kabinettthüre rechts deutend. Sie meinen, der Doktor wäre ruiniert?

FÄHNLEIN nickt ängstlich.

SCHRAUBER. Wie oft haben Sie das schon behauptet, sich bisher immer geirrt und nur sich selbst gequält. Das thun Sie wohl diesmal wieder.

FÄHNLEIN schüttelt den Kopf. Er zieht ein buntes Sacktuch aus der Tasche, trocknet sich die Stirn, den linken Arm nach der Kasse ausstreckend. Was, glauben Sie, ist da drinnen?

SCHRAUBER. Weiß nicht. Ich habe nicht die Kasse zu führen.

FÄHNLEIN schüttelt die Hände und bläst dann durch die Finger. Nichts!

SCHRAUBER. Dann weiß ich nicht, warum Sie sie heute so sorgfältig versperrt haben wie sonst.

FÄHNLEIN. Gewohnheit, leidige Gewohnheit, durch die dreißig Jahre her, die ich hier im Hause bin.[227]

SCHRAUBER. Doktor Hammer führt die Kanzlei ja erst seit zehn Jahren?

FÄHNLEIN. Aber ich habe früher volle zwanzig Jahre da auf dem selben Platz unter seinem Schwiegervater, dem alten Doktor Zänker gedient und in der ersten Hälfte des zweiten Decenniums tauchte der Herr dort drinnen Zeigt nach der Kabinettthüre. hier auf – nebenbei bemerkt, erledigte er seine Arbeiten an Ihrem Schreibtische, Herr Schrauber; nach kaum zwei Jahren hatte er sich durch sein agiles, nobelthuerisches Wesen bei dem Zänker und dessen Tochter einzuschmeicheln gewußt, so daß der Alte ihm das Kind zur Frau gab und vor zehn Jahren sich zur Ruhe setzend, auch die Kanzlei überließ. Nach dem Tode Zänkers trieb er es Er bewegt beide Hände langsam mit spielenden Fingern aufwärts, oben in einem spitzen Winkel schließend. immer nobler, immer vornehmer – immer kavalieremanerer und bald waren wir oben an der Spitze, und da ging es nimmer weiter, sondern herunter – immer schneller und schneller. Macht eine Handbewegung nach einer breiten Basis unten zu, sehr rasch.

SCHRAUBER hält ihn an der rechten Hand fest. O, so weit sind wir doch wohl noch nicht.

FÄHNLEIN sich bückend und mit dem Zeigefinger auf der Diele tippend. Wir sind bereits da!

SCHRAUBER. Beweise?!

FÄHNLEIN. Kann Ihnen auch damit dienen. Sagen Sie, haben Sie, solange Sie hier sind, jemals erlebt, was wir heute mit angesehen haben, als die Partei, der er den Prozeß Heigl contra Weigl gewann, ihre dreihundert Gulden verlangte, mit deren Inkasso er betraut war? Er schickte den Diener zur Gnädigen und ließ ihr die Bagatelle, Bitter lachend. ja, Bagatelle, sagte er – von dem Wirtschaftsgelde abverlangen –.[228]

SCHRAUBER. Aber, mein Bester, wenn er das nicht bemerk wissen sollte, brauchte er sich nur selbst zur Gnädigen hinüber zu bemühen.

FÄHNLEIN. Dazu war er zu feig. Hat er sich nach jenem Auftritte vor uns, vor dem Personale, auch nur mit einem Auge blicken lassen? O, er hat ein schlechtes Gewissen und kein Herz. Ich weiß das kleine Häuschen draußen in Erdberg, wo er geboren wurde und sich von seiner Mutter, einer armen Witwe, und dem jüngern Bruder durch die Studien lind zum Doktor hungern ließ. Zum Danke dafür durften die beiden mit keinem Fuße sein vornehmes Haus betreten. Ich hätte es mir ja denken können, daß solch ein Mensch keine Rücksicht auf meine grauen Haare nehmen würde.

SCHRAUBER. Das kann er ja auch in der That nicht, Fähnlein.

FÄHNLEIN verlegen über seine Glatze streichend. O, Sie sind auch so ein herzloser Spaßmacher.

SCHRAUBER. Thun Sie mir nicht unrecht, ich woll te Sie nur aus einer Stimmung bringen –

FÄHNLEIN. Von der Sie keine Ahnung haben, Schrauber, keine Ahnung haben können. Ich war so unvorsichtig, auch mein Erspartes in seinen Händen zu lassen, das Geld, das mir die wenigen Bedürfnisse meiner letzten Tage sichern sollte und wofür ich anständig zu Grabe gebracht zu werden hoffte! Damit ist es nun vorbei, an seinen Gesellschaftsabenden mit Schmarotzern vergeudet – verjubelt – vertanzt – ver – was ich unter Entbehrung, mit Versagung jedes Vergnügens zusammengescharrt in dreißigjähriger Sklavenarbeit! Ach, zum rasenden Tiger könnte ich werden, wenn ich den Mann so vor mir hätte. Er stürzt auf Schrauber zu und faßt ihn an den Rockklappen, läßt aber sogleich beschämt los.[229]

SCHRAUBER. Mich verlangt zwar nicht danach, an seiner Stelle zu sein, nach dem, was Sie von ihm voraussetzen, aber wenn es Ihnen Erleichterung gewährt bitte – bedienen Sie sich.

FÄHNLEIN. Sie sind ein guter Mensch, Schrauber.

SCHRAUBER. Ich bin nur ein dicker.

FÄHNLEIN mit einer raschen Wendung gegen das Kabinett. Aber ich will zu ihm – ich will es ihm selbst –

SCHRAUBER hält ihn zurück. Fähnlein, seien Sie vernünftig!

FÄHNLEIN. Lassen Sie mich.

SCHRAUBER. Nein, entschieden nein! Daß ich den rasenden Tiger in die Höhle des Löwen laufen lasse, das können Sie von mir nicht verlangen!


In dem Kabinett wird heftig geschellt.


FÄHNLEIN. Er verlangt nach jemanden. Wir waren zu laut!

SCHRAUBER. Kann sein.

FÄHNLEIN flüsternd. Gehen Sie!

SCHRAUBER gegen die Thüre gehend, halblaut. Der rasende Tiger schickt das Lamm. Oeffnet die Thüre rechts. Haben Herr Doktor einen Wunsch?

HAMMER von innen, die Stimme klingt müde. Sie sind's, Herr Schrauber? Ich möchte Sie doch bitten, etwas weniger lärmend zu sein.[230]

SCHRAUBER zur Thüre hineinsprechend. Entschuldigen Sie, Herr Doktor, ich habe nur meinem Freunde Fähnlein aus einem alten Zeitungsausschnitte einen Bericht über eine kroatische Landtagssitzung vorgelesen. Wir sind schon zu Ende. Vergnügte Feiertage, Herr Doktor! Schließt die Thüre wieder, nach vorne kommend. Er sieht ganz menschenfresserisch aus.

FÄHNLEIN hat seinen Ueberrock von Haken genommen. Ich werde gehen.

SCHRAUBER hilft ihm in den Rock. Ich denke auch daran.

FÄHNLEIN. Halten Sie mich deswegen nicht gleichfalls für feig.

SCHRAUBER. O, bewahre, wir leben eben in keinem Heldenzeitalter, fast jeder von uns besitzt innern Mut, aber der äußere fehlt uns, das ist wie mit der Ueberzeugung, man hat sie, aber man braucht sie nicht immer zu bethätigen.

FÄHNLEIN. Das ist richtig.

SCHRAUBER. Und wie kommod!

FÄHNLEIN. Ich werde essen, als ob nichts vorgefallen.

SCHRAUBER. Recht. Desto besser bekommt es Ihnen.

FÄHNLEIN. Und trinken – warum soll nicht auch ich trinken?

SCHRAUBER. Ja, ich wüte keinen Grund dawider.

FÄHNLEIN. Daß mir auch so warm und gut wird.[231]

SCHRAUBER. Ich fürchte nur, da Sie es nicht gewohnt sind, erzielen Sie die entgegengesetzte Wirkung.


Beide sind unter den obigen Reden gegen die Thüre, Hintergrund rechts, geschritten.


FÄHNLEIN. Und dann will ich unter den erleuchteten Fenstern dies Hauses auf und ab gehen und die Musik, die herunterschallt, soll mein Promenade- Konzert sein und der Gedanke soll mich kitzeln, daß niemand von all den scharmanten Leuten da heroben eine Ahnung hat, daß da unten ein armer, alter, zerrackerter Mann herumschleicht, dessen Spar- und Notpfennig sie auffressen halfen –

SCHRAUBER ihn am Arme fassend. Fähnlein, wenn er nochmal läutet, gehe ich nicht wieder hinein.

FÄHNLEIN sich von ihm losmachend. Eh, gehn Sie mir, Sie sind auch feig! Geht vor ihm ab.

SCHRAUBER folgt.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Stuttgart 31898, S. 225-232.
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