1.

[117] Ich kniete am Altar inmitten

Der gläubigen Menge, die Gebet lallend

Auf ihren Knieen lag –

Und schwellende Orgeltöne

Wie ein entfesselt Meer

Umwogten mich, und holde Knabenstimmen

Mir in die Seele drangen –[117]

Auch meine Lippen hatten einst

Das heil'ge Lied erhoben

Wie eure, die ihr euch

Mir in die Seele stehlt

Mit jenen unschuldsvollen

Hinsterbenden Gesängen –

Auch meine Seele hatt' ich einst

Als reines Opfer hin auf den Altar gelegt,

So unberührt und unbefleckt.

Und höher stieg der Weihrauchduft empor

Zum Schiff die Sinne bannend.

Und von dem süßen Bangen

Der Kindheit, die zum ersten Mal

Sich schüchtern Gottes Altar naht,

Flog mir ein Hauch

Noch einmal durch die Seele,

Ich kostete noch einmal

Den heil'gen Taumel,

Gab mich noch einmal

Dem stillen Rausch der Hoffnung

Mit innig jauchzendem Herzen

Ergeben hin.

Ich blickte auf –

Durch spitze Fenster fielen

Die schrägen, gelben Sonnenstrahlen

Und woben um das Haupt dir

Dort an dem Kreuze mit der Dornenkrone

Hell flimmernd einen gold'nen Ring –

Und deine Züge lebten noch,

Ich sah noch einmal dir den Kampf

Hin durch den Leib, den müden, zieh'n,

Und deine Wunden flossen noch einmal

Wie blut'ge Zähren, die ein Gott

Um sein versunken Eden weint.

Der Kranz grub sich in deine Stirn,

Die alabasterweiße,

Mit purpurrothen Spuren.

Da griff es mich mit Geistermacht

Und öffnete mir das blöde Auge,

Das staunend nur an diesen Reigen hing,[118]

Derweil das Herz sich enge mir

Zusammenpreßte in der Brust

Mir war's, als könnt' ich alles fühlen,

Was du erlebt, da du am Kreuze hingst,

Als dir der Blick auf tausend Gaffer sank

Und ein'ge nur,

Die dich beweinten,

Doch nie verstanden.

Du Riesengeist, du fühltest dich allein!

– Das schmerzte. –

Du kanntest wohl das Menschenherz

In seinem Wollen, seinem Ahnen,

In seinem Fühlen, seinem Hasten

Nach leichtem Glück –

Du wußtest, was den Armen quält,

Und was dem Unglücklichen,

Der in den Ketten schmachtet, durch die Seele hegt,

Und was den Menschen packt und schüttelt,

Sieht er des Schicksals ehernen Schritt

Zu Boden treten unerbittlich,

Was er gebaut, entraffen

Das Liebste seinem Herzen,

Die Sichel durch die vollen Saaten gehn. –

Du sahst den fahlen Jammerblick,

Der mit Entsetzen hoffnungslos

Auf deine Tröstermiene starrte,

Wenn ihn, den Sterbenden,

Des Todes harter Arm

Auf seinem Lager niederrang,

Und er sich wand – –

– Doch war das Sünde,

Daß mich ein Weib gebar? –

Nein! – Sünde – wider die Natur –

Natur ist Sünde – –

Erlösung aus dem Labyrinth!

Ich irre, ich strauchle –

Erlösung für meinen Geist

Und für mein wehes Herz! –

Da sah ich die Züge,

Von Schmerzen eben noch verzerrt,[119]

Sich glätten, und ein leises Lächeln

Glitt über die verhärmten Wangen hin –

Mir war's als träfe mich ein tiefes Leuchten

Der Augen, die sich in das Herz mir senkten,

Wie Sonnenstrahl in eis'ge Gruft – –

O Liebe, begötternde Liebe!

So stirbt dein Held,

Dein kündender Prophet,

Dein höchster Gott,

Den seines Herzens Fluch

Dazu geweiht! –

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 117-120.
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