Rückblick

[169] 14. Dezember 1814.


Ja, weine nur und schau' zurück

In goldne Jugendferne,

Ja, suche nur das alte Glück,

Die alten hellen Sterne,

Den alten Lenz im Blütenkranz –

Was blieb von jener Wonne ganz?

Ach ferne! Ach ferne!


Wie hast du jenes edle Gut,

Das dir der Herr vertrauet,

So frische Kraft, so kühnen Mut

In Arbeit durchgebauet?

Auf! Vorgezeigt das Kapital,

Gemehret zehn- und hundertmal!

Dir grauet? Dir grauet?


Mir graut, und eine Träne fällt

Ins Saitenspiel des Lebens,

Wie sind die Töne weggeschnellt,

Die Klänge höchsten Strebens

In Träumerei und Narretei!

Und fernher tönt ein dumpfer Schrei:

Vergebens! Vergebens!


Vergebens! O vergebens! klingt

Es durch des Busens Saiten,

Und aus der Seele Tiefen singt

Der Spruch der Ewigkeiten:

»Knie nieder, Mensch, und werde klein!

Gott, der dich schuf, wird gnädig sein:

Beim Schreiten ist Gleiten.«
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O frommer Spruch, wohl machst du klein

Und machst doch stark im Streiten;

So wandr' ich wohlgemut hinein,

Wo's schreiten gilt und gleiten.

Ein Spruch singt noch, und der macht frei:

»Gott ist dabei, Gott stehet bei

Im Schreiten, im Gleiten.«

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 169-170.
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