Die Tartarfürstin

[255] Aus einer Handschrift mitgetheilt von H.D. Hinze.

Ein in Preussen sehr gewöhnliches Volksblatt: Der im Jahre 1656 geschehene Einfall der Tartarn in Preussen, von Johann Melitor, aus dem Polnischen ins Deutsche übersezt. Elbing giebt in Versen einen Bericht, der aber ohne Einzelheit auf alle kriegerische Einfälle paßt.


Was wollt ihr aber hören,

Was wollt ihr, daß ich sing?

Wohl von der Tartarfürstin,

Wie's der zu Neumark ging.


Nach Bresselau in Schlesien

Ein große Reiß sie macht,[255]

Nach Neumark kam sie gefahren

Und blieb allda zur Nacht.


Da sprach der Wirth zum andern:

»Ein Heydin wohnt bey mir,

Sie hat Gold, Edelsteine,

Die laß ich nicht von hier.«


»Gut Nacht, O Fürstin schöne,

Ihr lebt nicht bis zum Tag.«

Und wandte sich behende,

Gab ihr den Todesschlag.


Und all ihr Hofgesinde

In tiefem Schlaf er fand,

Und würgt sie groß und kleine

Mit seiner eignen Hand.


Mit seinen eignen Händen

Begrub er sie allzumal

Gar tief in kalten Keller,

Ihr Gold und Gut er stahl.


Er zeigte drauf den andern

Sein Hand von Blut so roth,

Von Gold und Edelsteinen

Die Hälft er ihnen bot.


Die nahmen sie so gerne

Und schwiegen von der That,

Doch was nicht früh gerächet,

Das straft der Himmel spat.[256]


Der Tartarfürst, der hörte

In Neumark ist mein Kind

Gemordet und beraubet,

Den Körper man noch findt.


Da rief er seinen Haufen:

»Auf nehmet Spieß und Schwerd,

Nach Schlesien wir ziehen,

Es ist des Ziehens werth.«


So kamen sie in Schaaren

Ins ganze Schlesier Land,

Und sengten, brannten, stahlen,

Der Welt ists wohlbekannt.


Der Fürstin Tod zu rächen

Bey Wahlstadt ging es trüb,

Zur Ehr der Heidenfürstin

Der Christen Herzog blieb.


So ward am Land gerächet

Was Neumark hat gethan,

Herr Gott mich selbst regiere

Fang ich allein was an.


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 2, Stuttgart u.a. 1979, S. 255-257.
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