Die Aussicht nach Jerusalem.

[329] Ein Brunnen in der Wüste, an welchem ein weiblicher Kopf in Marmor aus einem Röhrlein das Wasser ausströmen läßt. Ein Zug Mahomedaner und ein Zug Christen begegnen sich dort und, während sie ihre Kameele trinken lassen, unterreden sie sich, so weit sie einander in aller Kürze verstehen können.


MAHOMEDANER. Wohin, wohin ihr Fremdlinge?

CHRISTEN. Nach Jerusalem zum heilgen Grabe.

MAHOMEDANER. Bald seid ihr da, schon könnt ihrs sehen.

CHRISTEN. Gelobt sei Gott, der Anblick stärkt die Müden.

MAHOMEDANER. Uns stärkt er nicht, die schwarze Kirche macht uns traurig, wir eilen nach der Herrlichkeit.

CHRISTEN. Wohin geht ihr?

MAHOMEDANER. Nach Mecca, zum Grabe des Propheten, da duftet Weihrauch aus den Felsenspalten, die Häuser sind mit Gold gedeckt, sein Sarg hängt an dem Himmel, getragen von unsichtbar ewger Kraft.

CHRISTEN. Wunderbar ist stets die Lüge, doch[329] die Wahrheit wunderselten und doch überall, Wahrheit ist das größte Wunder.

MAHOMEDANER. Was ist Wahrheit ohne Glauben?

CHRISTEN. Was ist Glauben ohne Wahrheit?

MAHOMEDANER. Wer für seinen Glauben stirbt, hat Wahrheit.

CHRISTEN. Wer für seine Wahrheit lebt, hat Glauben.

MAHOMEDANER. Lebt wohl.

CHRISTEN. Sterbt selig.


Sie ziehen nach entgegengesetzter Richtung beide fort. Ein hagrer Mohr kommt mit der Theorbe aus einer Höhle, setzt sich auf einen Stein vor dem Bilde am Brunnen nieder und singt.


MOHR.

Weiße Schöne, ach erwache,

Schlage deine Augen auf,

Sieh ich hielt so lange Wache,

Ließ dem Wasser seinen Lauf.

Ewig kühles Wasser springet

Aus dem süßgespitzten Mund,

Doch der Sonne Feuer dringet

Nimmer in der Linien Rund.


Alle Sinne sind geschlossen,

Doch die Seele ist ein Hauch,

Wo das Wasser ist geflossen,

Fühl ich deinen Athem auch;

Kommen Morgens erste Strahlen

Klinget er mit süßem Ton,

Doch für alle meine Qualen

Giebst du nie der Liebe Lohn.[330]


Schöne Nonne in der Wüste,

Die du alle mild getränkt,

Ach versteinert sind die Brüste,

Und dein Herz ist Gott geschenkt.

Ach ich möcht wie du versteinen,

Meine Augen thränen helle,

Und die Thränen die sie weinen,

Mischen sich mit deiner Quelle.


Sie schlägt die Augen auf, sie lebt, sie lebt, ich sterb vor Freuden. Er stirbt.


Ein Einsiedler kommt aus einer andern Höhle, berührt den Sterbenden.


DER EINSIEDLER. Der Liebende fand seines Leidens Ende, doch ich, der von der Lieb zu Christus brenne, ich finde nicht mein Himmelreich, täglich scharr ich Todte ein, wann werd ich lebendig sein. Er begräbt ihn und singt.

Hast mich oft gestöret,

Als du warst bethöret

Von der irdschen Lieb,

Wenn ich Bücher schrieb,

Doch will ich dich legen

In der Liebe Segen;

Die lebendge Quelle

Fließ um dich so helle,

Mag dein Grab umspühlen,

Um dein Haupt zu kühlen.

Ermattet sink ich in den Sand, als sollt ich mein Grab gleich finden, ich sinke immer tiefer es löschet[331] aus der Sonne Schein, o nimm mich auf Herr Jesu Christ, weil du für uns gestorben bist.


Bei diesen Worten entschläft er in Verzückung, Jesus sinkt vom Himmel herab mit blutenden Wunden am Kreuz, er senkt sich auf ihn, berührt ihn mit seinem Munde und mit seinen Wunden, denen sich gleiche Wunden an dem Körper des Mönchs öffnen, Christus erhebt sich langsam in unendlicher Herrlichkeit von Engeln, der Einsiedler erwacht.


DER EINSIEDLER.

Was öffnet meinen inneren Sinn,

Was öffnet meine Augen,

Der Heiland schwebt verkläret hin

Und alle Hügel rauchen:

Was ich erflehet gab er mir,

Die Wunden sein die trag ich hier.


Mich zeichnet seine Gnadenhand

Mit seinen bittern Schmerzen,

Ich bin durch gleichen Schmerz verwandt,

Ich fühl mich kühn im Herzen,

Ich kenn ihn in der blauen Höh

Und mich erkenn ich an dem Weh.


Der Nägel Wunden allzumal,

An Händen und an Füßen,

Und in der Seit des Speeres Qual,

Fühl ich frisch blutend fließen,

Doch in dem Herzen fließt die Gnad,

Die mich mit Blut bezeichnet hat.


Wasch mir nicht meine Wunden aus

Du frommer Quell mit Thränen,

Dies ist der schönste Blumenstrauß

Und Lohn vom süßen Wähnen,[332]

Ich lächle meiner innern Lust

Und bin der Wahrheit mir bewußt.


Gar wunderbar gestalten sich

Die Berge meinen Blicken,

Ganz anders sehen sie auf mich,

Seit Wunden mich beglücken,

Sie legen alle Flügel an

Und tragen mich schon himmelan.


Er sinkt in Ermattung nieder.

Der Bube mit dem Kreuze, Ahasverus, Cardenio und Celinde schleichen mühsam nach der Quelle.


CELINDE. Gelobt sei Gott für diese Tropfen Wasser, doch noch umsonst ergießet sich ein Strom in meinen Mund, er löschet nicht den Durst, er schwindet wie ein Tropfen auf dem glühend heiße Stein. Ich kann nicht weiter, hier muß ich den Geist aufgeben!

CARDENIO. O nimm mich mit zu jener ewgen Ruhe.

CELINDE. Ein Fieber dürret meinen Mund wie Leder aus, die Füße sind voll Schwielen, Disteln haben mich zerrissen, ich bin in unserm Büßungsjahre des Gehens fast entwöhnt, ein jeder Schritt zieht mir mit Schmerz den Hals zusammen, wie welke Blätter deren Zweig gebrochen.

BUBE. Ich weiß nicht wie ihr also klagen könnt, ich fühle nichts von Müdigkeit, ich meine daß wir wenig erst gegangen sind.[333]

AHASVERUS. Du trägst das Kreuz unschuldig, dich stärkt der Herr, ich muß auf meinen Knieen mühsam weiter kriechen, so tief bin ich herabgedrückt, doch find ich hier noch einen größern Leidenden, seht hier den Schwerverwundeten an Händ und Füßen, in der Seite, doch schaut er uns noch kräftig an.

MÖNCH. Ein großes Wunder ist an mir geschehn, ihr seid gesendet um es zu verkünden.

CARDENIO. Ehrwürdges Haupt, wir werden hier verschmachten, wir werden nicht zu Menschen dringen, wir werden nicht am heilgen Grabe Gnade uns erflehen, wir sind verstoßne Sünder, Gott hört nicht wenn wir beten.

DER EINSIEDLER. Er höret auch den schwersten Sünder, er hat auch mich erhört, er hat mit seinen Wunden mich bezeichnet, zum ewgen Zeichen daß ich sein geworden, verkündet das in aller Welt, an meinem Grabe sollen große Wunder noch geschehen, an euch zuerst. So wahr ich sterbe sehet ihr das heilge Grab. Er stirbt.

AHASVERUS. Sein Athem ist entflohen.

CARDENIO. Er ist schon kalt, als war er lange abgestorben und seine Worte schon ein Ruf aus jener Welt. O Wunder der Liebe.

CELINDE. Es dringen Flammen aus dem Boden von blauem Glanz.

AHASVERUS. Es sind der Wüste Ätherquellen.[334]

CARDENIO. Es scheinen Himmelsflammen die den ewgen Geist verkünden, durch ihn wirken, sie zehren schnell den heilgen Leichnam auf und tragen ihn zur Auferstehung in den Himmel.

CELINDE. O wunderbarer Geist. Welch eine wunderbare Liebe.

CARDENIO.

Verschließ mich nie der Liebe,

Verschließ mich nie dem Geist,

Der alle unsre Triebe

In seinen Willen reißt.


Der alle kann vereinen

Und die Beschwerde löst,

Und uns nach langem Weinen

Vom öden Ufer stößt.


Der uns geführt durch Wüsten

Den Heiligen zu schaun,

Er schrecket in den Lüsten,

Bewachet das Vertraun.


Wir sehn viel Inseln scheinen

Im milden Abendstrahl,

Und sie sind voll der Seinen,

Bald sind wir in der Zahl.


Gestärket wir erstehen

Von unsern Knieen auf,

Und muthig weiter gehen

Zum Grab im raschen Lauf.


Es zeigen uns in Lüften

Die Seinen unsern Weg,

Sie führen den Geprüften

Mit Feuerkraft hinweg.[335]

BUBE. O folgt mir schnell, hier wird mir wunderbar im Herzen.

CELINDE. Das letzte Grün verschwindet auf der Felsenhöhe, dürr steht der Feigenbaum am Wege.

BUBE. Nie war der Himmel mir so nah.

CARDENIO. Kaum glaub ich meinen Augen, im ernsten Thale schimmert eine Christenstadt, bezeichnet mit dem Kreuz auf weiten Trümmern, und jeder Berg scheint schmerzlich hohem Angedenken lang geweiht, denn jeden Gipfel krönen die Kapellen. In ernstlicher Betrachtung schweifen Männer durch das Feld. Es ist schon lang daß ich der Menschen Städte nicht gesehen, doch dieses scheint mir eine Gottesstadt.

BUBE. Ich kann mein Kreuz von dieser Stelle nicht erheben, es wurzelt fest an dieser Erde und ist verzweigt dem Himmel; hier will ich leben, hier will ich sterben, in jenes frommen Mannes Fußstapfen treten, seine Wunden rühmen, zu diesem Kreuze beten das uns zum heilgen Grab geführt.

CARDENIO. Wo wir auch sterben, ist Christus hülfreich nah, die ganze Welt ein heilig Grab.

AHASVERUS. Doch hier ist er gestorben, hier ist sein Grab, hier wird sich alles lösen, was noch dein Dasein umhüllet, seht nach Jerusalem, die lang ersehnte Stadt, dort ziehen wir bald friedlich ein.

CARDENIO. Du scheinst verklärt.

AHASVERUS. Erfüllet ist was ich gelobt, erst[336] wenn ein Kind in eines Heiligen Fußstapfen sei getreten aus eignem Trieb, da dürfe ich der Sünde frei sein, da dürfte ich dir alles sagen mein Sohn, mein Sohn, o mein Cardenio, du Frucht meiner Sünde. Du heilger Gott, hier laß mich noch nicht sinken wie Moses in dem Anblick des gelobten Landes, mein Sohn, mein Sohn, mit dir möcht ich zu jener Kirche ziehen, es glänzt ihr Kreuz im rothen Abendstrahl; Jerusalem wie ist dein Anblick groß und traurig in des Sünders Brust. Komm an mein Herz du Sohn, du vielgeliebter, dir möchte ich ein lieber Vater sein und dir muß ich die frühe Schuld bekennen.

CARDENIO. Verwundert ruhe ich an deiner Brust und tiefgerührt, es freuet mich daß du so herzlich wirst, mir süße Namen giebst; es thut mir wohl Vater dich zu nennen und deines Alters schwere Träume von der Seele fortzuschmeicheln. Gieb deinen Segen mir.

AHASVERUS. Geliebter Sohn, was ich dir sage ist kein Wahn des Alters, du bist mein Sohn, von mir in frevelnder Gewalt erzeugt an dieser Stelle.

CARDENIO. O wehe mir daß ich nur der Gewalt mein Leben danke, darum war so gewaltsam auch mein Leben.

AHASVERUS. Beschau dies Marmorbild das[337] einen milden Strahl ins Marmorbecken sendet, auch ihr habt dieser Wohlthat all genossen und habt sie nicht erkannt in euern Schmerzen.

CARDENIO. Alte Zeit kommt mir zurück, ich denke Olympiens bei diesem Bilde, doch denke ich noch mehr der wunderbaren geistigen Gestalt, die mir den Ring in jener Nacht verehrte.

CELINDE. Sie ists, die mir mein todtes Kind mit tröstlich sanftem Wort genommen.

CARDENIO. O sprich du edles Bild, wie nenn ich dich, wie soll ich dich begrüßen?

AHASVERUS. O nenn sie Mutter, sie ists die dich geboren, du hast in deinem Herzen von ihrer Unschuld und von meinem Frevel. Zu deiner Mutter kannst du beten doch mich verfluche nicht mein Sohn.

CARDENIO. Hast du mich nicht zur Besserung geführt? Es stammt der Geist aus sich, was er verbrochen muß er selber büßen, nie trägt der Vater Schuld des Sohnes; ich fleh zu dir in kindlichem Vertrauen, erkläre mir das Räthsel meines Daseins.

AHASVERUS. Mir wird so schwer die Reihe meiner Sünden, meiner Leiden dir Sohn zu beichten, ich fürchte dich von meinem Herzen zu verscheuchen.

CARDENIO. Nur dieses eine gieb an, wenn Jene meine Mutter war die mir als Geist erschienen, ist auch Olympie dein Kind und meine Schwester?[338]

AHASVERUS. Wohl ist sie deine Schwerer doch nicht mein Kind.

CARDENIO. O welchem Abgrund hat der Zufall mich entrissen; was sag ich Zufall, wo unter höchster Weisheit Lebende und Todte wandelten. Gelobt sei Gott.

AHASVERUS. Kannst du noch Gottes Führung loben so kann ich dir vertrauen. Anthea, deine Mutter, eine griechische Pilgerin zum heilgen Grabe, ward hier das Opfer meiner wilden Lust, ungläubig ihrer christlichen Gesinnung begriff ich kaum die Unthat, ich zog mit ihr die ich als Frau erkannte, weit nach Georgien, wo ein versprengtes Judenvolk in abgelegnen Bergen hauset, aus dem auch ich entsprossen. Der Russen Kriegsglück führte sie unser Thal und deine Mutter sammt dir ward mir geraubt. An ihr hing meine Seele, ich folgte ihr durch alle Welt, doch erst als sie nicht mehr auf Erden wandelte da fand ich ihre Spur. Dich hatt ich früher schon an einem Feuermal erkannt, ein Prediger hatte deiner sich erbarmt als schwärmende Kosacken dich auf der Flucht zurückgelassen; ich lohnte reichlich ihm was er an dir gethan, ich sah dich oft und freute mich an mancher Ähnlichkeit mit deiner Mutter, doch deine wilden Augen machten mich besorgt.

CARDENIO. O der Erfahrung die uns treulich warnt und niemals retten kann.[339]

AHASVERUS. In mancherlei Verkleidung ging ich umher und fand auf einem Grab Antheas Bild, ich hörte wie ein edler Mann sie den Kosacken abgekaufet und mit ihr vermählt gewesen. Olympie, Viren und Gyron, sie waren dieser Ehe Frucht. Nun weißt du alles. Dies Denkmal hab ich ihr erbaut, ich habe ihren Glauben angenommen, ich bin Christ, doch wagte ich mich nie zum heilgen Grabe, es hielt mich ein Gefühl unheiliger Gesinnung des alten Judentums Gewalt, das noch in zweifelhaften Augenblicken den Christus in mir kreuziget. Antheas Stimme mahnte mich zum Guten, und wenn es mir gelingt zum heilgen Grab zu dringen, es ist ihr Werk. Darum laß uns nach dieser großen Stunde rascher eilen.

CARDENIO. Wo ist Celinde?

AHASVERUS. Sie gehet schon voran zum Grabe neu gestärkt, bald gehen wir mit hellen Sternen ein, leb ewig wohl geliebtes Bild.


Beide ihr nach.


DER BUBE.

Meerstern ich dich grüße,

Gottes Mutter süße,

Allzeit Jungfrau reine

Mit dem Gnadenscheine.


Ein großer Zug Engländer unter Sidneys Anführung stimmt in den Gesang dieses Liedes vorüberschreitend ein. Olympie[340] geht neben einem Kameele, worauf Lysander liegt der das Kind trägt.


OLYMPIE. Geliebter Freund du hast wohl Durst, ich hol dir einen frischen Trunk.

LYSANDER. Sieh, dort bringt der Knabe schon den Becher klar gefüllt. Wer bist du Kind?

BUBE. Ich bin Einsiedler bei diesem Brunnen, der Reisenden zu dienen ist verpflichtet, auch geb ich jedem auf den Weg ein Wort ders hören will.

OLYMPIE. Du scheinest mir nicht fremd, sprich gutes Kind.

BUBE. Ihr werdet finden an dem heilgen Grabe was ihr längst aufgegeben.

OLYMPIE. Hab Dank, doch wag ich nicht das Wort zu deuten.

LYSANDER. Sieh unser Kind streckt seine Hände nach dem Kopfe an dem Brunnen aus, und macht ein freundliches Gesicht wie es nur dir zu zeigen pflegt, der Kopf ist ähnlich dir.

OLYMPIE. Und meiner Mutter noch viel mehr, sie war in diesen Gegenden, es ist ein wunderbares Land. Der Zug geht fort.

DER BUBE singt.

Lehr durch reines Leben

Nach dem Weg zu streben,

Daß wir Jesum sehen

Aus dem Grab erstehen.


Der Lord mit dem Zeichenbrette, der Waisenhäuser und der Lichterzieher setzen sich auf den Felsen.[341]


WAISENHÄUSER. Nun sind wir doch noch morgen zum großen Feste am heilgen Grabe.

LORD. Gewiß nicht.

WAISENHÄUSER. Gnädger Herr, das ist ja das Ziel unsrer Wallfahrt.

LORD. Was wollt ihr da?

WAISENHÄUSER. Man hat doch so viel davon sprechen hören.

LORD. Thoren, wo tausende ihr Ziel gefunden da sucht ihr Spaß, wir gehen nicht hin, wir sind Protestanten.

WAISENHÄUSER. Wir können aber alles mitmachen wie die andern.

LORD. Elender, deiner Neugierde zu gefallen willst du deinen Glauben verläugnen, mitmachen was wir für leere Thorheit halten, ich will dich zwingen daß du kein Schurke wirst.

LICHTERZIEHER. Aber Herr, ich muß wegen meiner Profession nothwendig hinreisen.

LORD. Dir ists erlaubt, ihr aber seht noch einmal recht dahin, denkt aller Mühe die wir überstanden, eh wir hieher gelangt; seht hin, nicht wahr es ist doch alles nichts und Sokrates und Plato haben uns viel Besseres gelehrt und Christen sind doch nur verdorbne Juden, und Christus ist ein guter Mann gewesen, doch daß er auferstanden, das sei um gar nicht mehr zu glauben, so sprecht ihr ja Herr Waisenhäuser,[342] es giebt noch viele gute Menschen in der Welt die auch nicht auferstanden, was kümmert euch dies eine Grab.

WAISENHÄUSER. Herr Jesus, ich habe ja das alles nicht so böse gemeint, es waren so Redensarten, denn sehe ich auf den Geist des Protestantismus, so braucht er eigentlich nichts von all dem zu behaupten was ich so gesagt habe, weil ich die Herren Engländer immer für Freigeister gehalten.

LORD. Wollt ihr nun wegen eurer Neugier nach dem heilgen Grabe den Geist, der so viel tausende belebte, auf einen neuen Leisten eurer Dummheit schlagen, seht euch nur an, auf welchen Leisten ihr geschlagen, von allem Herrlichen was das Christenthum dem Menschen war, ist nichts an euch geblieben mit schwachem Witz dreht ihr der Bibel Goldgewebe auf, um alle Löcher euerer Systeme erst zu flicken und zeigt uns dann, daß so durchlöchert sei das heilge Wort und predigt ihr dann eure eignen Worte, so weiß man nicht, ob mehr gesündigt durch die Zeit, die man so leer bei euch vollbracht, ob mehr gesündigt durch verruchte Lüste die einem bei der Langeweile eingefallen. Es muß noch Strafe für euch geben in der Welt. Marsch in die Wüste.

WAISENHÄUSER vor sich. Das ist doch ein infamer Kerl, man möchte fast katholisch bei ihm werden,[343] aber was hilft es einem, die Katholiken sind jetzt alle protestantisch geworden.

BUBE.

Dulcis Jesu, pie deus,

Ad te clamo licet reus,

Praebe mihi te benignum,

Ne repelas me indignum

De tuis sanctis pedibus.


Ein Schäferknabe und ein kleines Schäfermädchen kommen weinend gelaufen.


SCHÄFERMÄDCHEN. Ich kann mich gar nicht umsehen so muß ich weinen.

SCHÄFERKNABE. Wenn ich nur wüßte was wir unserm Herrn gethan; daß er dich geschlagen verzeih ich ihm nimmermehr.

BUBE. Ihr Kinder, wie geziemt sich solche Bosheit.

SCHÄFERMÄDCHEN. Ja seht nur, heut hatten wir wie uns der gute Alte hier befohlen, ein viertel Stündlein nur gebetet als die Glocken gingen, ein Schaf war uns in dieser Zeit entlaufen, wir riefens aller Orten, es war nicht aufzufinden und als wir ihm das Unglück klagen ...

SCHÄFERKNABE. Da sagt er uns von dies und das, wir hätten uns wohl wieder viel geküßt daß wir nicht um uns sehen können.

BUBE. Wie, küßt ihr euch so viel?

SCHÄFERMÄDCHEN. Wir thun's so viel wir[344] können, doch diesmal wars, weil wir gebetet hatten, daß wir der Heerde nicht gedenken konnten.

SCHÄFERKNABE. Da schlägt er uns und jagt uns aus dem Hause, morgen ist das große Fest, ach nehmt uns auf in eure Klause diese Nacht, wir suchen morgen einen andern Herrn.

BUBE. Ich will euch einen andern Herrn sagen, der nimmt euch gern in seinen Dienst.

SCHÄFERMÄDCHEN. Dienst du ihm auch?

BUBE. Je freilich dien ich ihm von ganzer Seele.

SCHÄFERKNABE. Doch seh ich deine Heerde nicht.

BUBE. Ich bin ein Lamm in seiner Heerde, er treibt mich zu der besten Weide in den Himmel.

SCHÄFERMÄDCHEN. Das muß ein gut Leben sein, könnt ich ein Lamm sein in einer Heerde, es nährt der Mutter Brust und süßer Kräuter Spitzen, und ist es müde, so trägt der Schäfer es in seinen Armen und bringet es zur Mutter.

SCHÄFERKNABE. Ich werd ein hüpfend Böcklein, das ist prächtig, o sag, wann fängt das an?

BUBE. Ihr seid es schon, was fragt ihr lange, da oben in der freien Luft, da zieht die ganze große Heerde, da ziehen wir mit, das wollen wir in den Gebeten von unserm süßen Hirten flehn, laßt uns ein Lied zu seiner Ehre singen, singt mir nach:

Jesus süßer Seelenhirte,

Ach ich armes Schäflein irrte,[345]

Doch ich ging dir nicht verloren,

Freundlich hast du mich gerufen,

Und zu deinen Himmels Thoren,

Treff ich weidend schon die Stufen.


Die drei Kinder küssen sich und blicken ins Wasser.


Quelle:
Achim von Arnim: Sämmtliche Werke. Band 16, Berlin 1846, S. 329-346.
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