280. Der Schuster und das Gespenst.

[263] Im dreißigjährigen Kriege war Krailsheim vom Feinde verheert und von seinen Einwohnern verlassen[263] worden. Unter denjenigen, die nachmals dahin zurückkehrten, befand sich ein armer Schuhmacher mit Frau und Sohn, welchem ein Häuslein an der Brücke bei der Armenhäuserkapelle zugetheilt wurde. In der ersten Zeit spürten die Schustersleute in dem Häuslein nichts Unheimliches, aber gegen Weihnacht, als eines Abends der Mann, wie gewöhnlich, allein war, kam ein gespenstiges Männlein in die Stube und setzte sich stillschweigend neben ihn. Es hatte ein gutmüthiges, freundliches Gesicht und schneeweiße Haare, trug einen grünen Rock mit großen Taschen, einen kleinen dreieckigen Hut und unterm Arme ein Barbiersäcklein. Dem Schuhmacher fehlte der Muth, das Männlein anzureden. Dieses ließ auch keine Silbe hören, und verschwand bei der Heimkunft der Hausfrau. Ebenso ging es bei dessen fernerem Erscheinen, welches nach und nach sich so vermehrte, daß zuletzt das Männlein nicht allein jeden Abend, sondern auch jede Nacht kam und bis zu Tagesanbruch an des Schusters Bette sitzen blieb. Endlich offenbarte dieser alles seiner Frau, welche das Gespenst nicht zu sehen vermochte. Sie befragten nun über die Sache den Pfarrer, der ihnen den Rath gab: dieselbe ganz geheim zu halten, und vorerst zu beichten und zu kommuniziren; wenn alsdann das Gespenst wieder komme, solle der Schuhmacher es unerschrocken anreden, aber nicht mit »du« oder »er«, sondern mit »man«, auch was es ihn thun heiße, ihm selbst zu thun überlassen. Sie folgten diesem Rath, und als am Ehevorabend von Weihnacht das Männlein zu dem Schuster kam und sich neben ihn setzte, sprach dieser: »Was begehrt man?« Da winkte ihm das Männlein, mitzugehen, und als er folgte, dünkte es ihn, er werde in einen langen, unbekannten Gang[264] geführt. Hier blieb das Männlein stehen, holte aus seinem Barbiersäcklein eine kleine Hacke, steckte sie an einen Stiel und hielt sie dem Schuhmacher hin mit den Worten: »Man kann scharren!« Dieser erwiederte: »Man kann selbst scharren!« worauf das Männlein emsig den Boden aufhackte, bis der Deckel eines großen Kessels zum Vorschein kam. Da sagte es zu dem Schuster: »Man kann abheben!« der aber entgegnete: »Man kann selbst abheben!« Mit großer Anstrengung hob nun das Männlein den ganzen Kessel aus dem Boden und streckte alsdann, »gratias« sprechend, dem Schuhmacher die Hand hin, worein dieser sein Schnupftuch legte, das augenblicklich zu Pulver verbrannte. Darauf verschwand das Männlein, welches erlös't war; der Schuster aber fiel in Ohnmacht. Hierin fand ihn noch seine Frau, als sie aus der Spinnstube heimkam, auf dem Boden der Nebenkammer liegen; es gelang ihr jedoch, ihn bald wieder zu sich zu bringen. Am nächsten Morgen holten sie den Pfarrer herbei, erzählten ihm alles, und öffneten den Kessel, den sie mit alten Gold- und Silbermünzen bis oben angefüllt fanden. Unter denselben war ein Zettel, worauf in griechischer Sprache stand: das Geld gehöre dem Schuhmacher, welcher zur Erlösung des Männleins bestimmt gewesen; derselbe werde nur noch sieben Jahre leben, und vor seinem Tode dürfe die Sache nicht bekannt werden, sonst komme der Schatz wieder in die Erde, und der Schuster müsse dabei so lange umgehen, bis ein gewisses, noch nicht gebornes Kind, das ihn erlösen könne, so alt sei, als er gegenwärtig. Wegen dieses Verbots hielten sie die Sache ganz geheim, ließen jedoch, zur großen Verwunderung der Leute, ihr Häuslein sehr vergrößern und verschönern, auch an die Armen[265] reichlich Almosen vertheilen. Ihr Sohn, welcher bisher die Schafe gehütet, wurde Geistlicher. Der Schuhmacher lachte in seinem ganzen Leben nicht wieder und starb nach Verfluß der sieben Jahre.

Quelle:
Bernhard Baader: Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 1, Karlsruhe 1851, S. 263-266.
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