V. Capitul.
Die Dam, welche sich Fidius nannte, erzählet Friderichen ihren Zustand. Der Diener Justin wird bestochen. Wilhelm, Wolffgang, Friderich und Philipp kommen auf dem Schloß Oberstein heimlich hinter die Wahrheit ihrer Liebe.

[508] »Mein Herr,« sagte sie darauf, »es ziehet sich mancher Mensch etwas zu Gemüte und besorget, was er doch ganz keine Ursache zu besorgen hat. Mancher betrauert seine Freunde, und da er meinet, sie seien schon längst in dem Grabe verfaulet, so trifft er sie ohngefähr und unverhoffterweise auf der Straße an, findet auch diese im Leben, die er schon lange tot zu sein gemutmaßet. Wieviel sind derer, die in Besorgung eines großen Ungewitters auf dem Meer schiffen, und da sie von Furcht gequälet ihren Untergang fürchten, sehen sie die Sonne scheinen und liebliche Winde in ihre Segel spielen. Ich muß Euch anitzo mit demjenigen, so viel mir von dem sogenannten Barthel auf der Heide wissend ist, trösten und gewiß erzählen, daß ihm kein Mensch, wieviel weniger eine adelige Jungfer, die Ihr so hoch gelobet habt, zugetan sei. Darum habt Ihr geringe Ursach, Eure falsche Einbildung länger zu unterhalten, und könnet wohl ohne Sorgen nicht allein heute, sondern auch hinfüro einschlafen. Mich anbetreffend bin ich zwar aus dieser Revier, wie Ihr wohl an meiner Sprache und Redenart abnehmen könnet, geboren; aber nichtsdestoweniger von der Luft dieser Landschaft so sehr gepeiniget, daß ich fast nicht auf meinem Orte wohnen kann, sondern andere Luft zu schöpfen, mich bald da, bald dort in ein fremdes Haus begeben und daselbsten meiner Gesundheit pflegen muß.

Mein Name, wie Ihr heute über der Tafel gehöret habt, heißet Fidius, und bin dermalen entschlossen, mich etliche Wochen allhier aufzuhalten, weil es dieser Orten eine recht gesunde Luft hat. Alsdann will ich etwan weitergehen oder mich nach Beschaffenheit der Zeit wieder nach Hause tragen. Doch ist dieses noch einzig zu fragen: Wie heißet diejenige adelige Jungfrau, in welche sich mein Herr so sehr verliebet hat?« – »Sie heißet«, sprach Friderich, »Amalia und[509] wird insgemein die Schöne genannt. Sie ist es auch in dem Grund der Wahrheit, nicht sowohl wenn ich alleine die äußerliche Lineamenten als vielmehr die innerliche Tugenden betrachte. Sie ist fähig und geschwinde, mit ihrem Verstande auch die Klügesten zu überwinden, und hat ein solches Gemüt, welches, ob es wohl nicht steinern sein kann, dennoch alle Kostbarkeit der Diamanten weit übertrifft.« – »Ihr seid«, sprach die Dame hierauf, »sehr höflich gegen das Frauenzimmer, darumen ich Euch billig loben muß, aber man gibt zuweilen einem Menschen, absonderlich, den man liebet, mehr Eigenschaften, als er besitzet. Doch zweifele ich nicht an Euren Worten, welche Eure verliebte Zunge so höflich vorzubringen weiß. Schlafet wohl!«

Mit diesen Worten schliefen sie ein, und Herr Friderich, wie er mir hernachmals erzählte, hatte tausend Vergnügung über diese unverhoffte Antwort, weil er die Jungfrau, so mit ihm deswegen geredet, mehr als zu wohl gekennet, daß sie nicht Fidius, aber wohl diejenige Amalia sei, von welcher er Meldung getan. Darum ließ er sich auch nichts Böses träumen und erwartete mit Verlangen, was ich gutes Neues mit mir aus dem Schlosse Herren Wilhelms von Abstorff bringen würde.

Er redete folgenden Tages alle seine Heimlichkeiten mit Philippen als seinem vertrauten Freunde haarklein ab, und »wer meinest du,« sprach er zu ihm, »daß dieser Cavalier sei, der sich, seinem Vorgeben nach, bei dir will auscurieren lassen? Du meinest zwar und bildest dir ein, ein Großes getan zu haben, daß du uns Schlafende ausgezogen und an Ketten gebunden hast, wie wäre es aber, wenn dich ein schwaches Weibsbild als einen Wachenden betrogen und dir ein Fell vor deine Augen gehangen hätte?« Indem Herr Friderich also redete, kam ich samt Herrn Wilhelmen, der mir auf der Straße tausend Possen erzählet hatte, in das Zimmer, und Philipp war wegen getaner Frage des Herrn Friderichs ganz bestürzet.

»Wieso,« sagte er nach unserer Bewillkommung, »ist dieses nicht Fidius, einer vom Adel aus diesen Landen?« – »Nein,« sagte Herr Friderich, »es ist niemand anders, als welchen[510] Bruder Wilhelm in seiner Kapelle auf dem Nebenaltar gemalet hat.« – »Wie,« sagte Wilhelm, »ist die Amalia hie?« – »Ja,« sprach Herr Friderich, »und in verdeckten Mannskleidern.« – »Hilf Himmel!« sprach Philipp, »was höre ich? Ist dieses die berufene und schöne Amalia?« – »Ja,« sprach ich, »sie ist die schöne Amalia, die dich viel mehr als du uns über den Tölpel geworfen und betrogen hat!« Hiermit lachten wir ihn aus und fingen, gleichwie er uns durch seine Leute tun lassen, bald wie die Katzen, bald wie die Hunde an zu schreien.

Und nach diesem eröffnete Herr Friderich seine Meinung, von welcher ich Herren Wilhelmen auf dem Wege alle Umstände erzählet habe. Man resolvierte sich darauf mit wenigem, ihren Diener mit Gelde zu bestechen, daß er von seinem Fräulein erforschte, was und wie sie eigentlich von dem Friderichen schlüsse. Brachten ihn demnach mit guter Manier an uns, und nachdem wir ihn mit großem Widerstand endlich zur Bekanntnis, daß diese verkleidete Person kein Mannsbild noch Fidius, sondern die schöne Amalia von Ocheim wäre, gebracht, überredeten wir ihn zugleich mit etlichen Ducaten, von dieser Materie etwas genauer mit seinem Fräulein zu reden und uns, sobald es möglich, ihre Meinung zu erklären.

Der Diener ließ sich hierzu als das beste Mittel gebrauchen, und damit wir desto besser hören könnten, was er mit ihr redete, und ob er, seinem Versprechen gemäß, das Seinige fleißig verrichten würde, sperreten wir uns insgesamt in eben das vorige Gefängnis, darinnen wir beide Personen, weil sie um den Betrug keine Kundschaft hatten, all dasjenige konnten reden hören, was etwan wegen des Friderichens Interesse vorübergehen möchte.

»Ihr seid glückselig,« sagte der abgerichtete Diener zu seinem Fräulein, »daß Ihr bis daher noch jederzeit von allen auf dem Schlosse vor eine Mannsperson angesehen worden; aber saget mir, wie gefället Euch Herr Friderich?« – »Herr Friderich«, sagte sie, »ist ein wackerer Cavalier, und ich muß aus dem erkennen, daß er mich vor einen seinesgleichen hält, weil er mir alle seine Heimlichkeiten als einem getreuen[511] Freund offenbaret hat.« – »Was sind es denn«, fragte der Diener, »vor Heimlichkeiten gewesen? Sind es Sachen, die wir zu fürchten oder über die wir uns nichts zu bekümmern haben?« – »O Justin,« sagte sie, »deine getane Frage kann ich nicht so leichtlich, wie du wohl meinst, beantworten. Herr Friderich ist verliebt.« – »Ja,« sagte der Diener, »das lasse ich zu, daß er verliebt sei, aber was gehet uns dieses an?« – »Nur mehr als zuviel!« antwortete Amalia. »In wen ist er denn verliebt?« sprach der Diener. »Eben in denjenigen,« antwortete die Jungfer, »der sich den Fidius heißet.« – »Hilf Himmel!« sagte der Diener, »was höre ich? Ist Herr Friderich durch seinen Fehler so weit, und zwar zu einer heimlichen Verträulichkeit gegen Euch verleitet worden?« »Es ist nicht anders,« sagte sie, »und ich mußte noch mehr wundern, daß er aus Furcht, als wäre ich dem Barthel auf der Heide, den ich doch niemalen, wie Ihr wisset, mit einem günstigen Auge anblicken können, allgemach schon verehlichet, so unruhig und im Herzen ungeduldig war.« – »Er ist«, sprach der Diener, »einer subtilen Complexion und dahero den Gemütsregungen trefflich unterworfen. Aber saget mir, schönstes Fräulein, habt Ihr auch eine Gegenaffection zu diesem tapferen Schottländer oder nicht?« – »Ihr seid«, sprach sie darauf zu ihm, »ein vorwitziger Justin, aber ich wollte wünschen ...«, damit seufzete sie und schwieg still. »Warum«, fragte Justin, »redet Ihr nicht fort?« – »Das ist dir genugsam bekannt,« antwortete Amalia, »daß ich wünschen wollte, nicht verkleidet zu sein, vielleicht könnte sich unsere Bekanntschaft miteinander weiter ausbreiten und ich dermaleins aus einem solchen Wirbelwind geraten, in welchem mich der verfluchte Barthel auf der Heide herumtreibet.«

Diese der Amalien Worte waren uns insgesamt genugsame Zeugnis, daß sie dem Friderichen nicht unhold wäre, »und«, sagte sie weiter zu dem Diener, »es ist doch auch gut, daß ich verkleidet bin, erstlich dem leichtfertigen Verfolger meiner Ehren und dann auch vor Philippen insonderheit verborgen zu sein, denn dieser ist ebenderjenige Einsiedler gewesen, zu dem ich, wie ich Euch vor etlichen Wochen erzählet habe, in den Wald gekommen, der mich hernachmals[512] auf ebendieses Schloß gewiesen, darinnen ich bald bin ausgekundschaftet worden.« Über dieses verwunderte sich Philipp von Herzen und machte ein großes Kreuz, daß er an diesem Ort so unverhofft hinter seine eigene Geschicht kam, die er kurz vorhero auf meinem Schlößlein erzählet hatte. Also machten wir uns zu Tische, und weil ein Verliebter gemeiniglich alle Tugenden an sich hat, wurde Herr Friderich gegen dem Justin so freigebig, daß es alle Anwesende verwunderte. Man trank über der Tafel allerlei Gesundheitstrünke, und wurde auch unter anderen der schönen Amalia gedacht. Herr Wilhelm, welcher ein ausgedrehter Kopf war, brachte tausend Verblümungen vor, darüber man sich zu ergetzen hatte. Weil aber der fremde Fidius seine Unpäßlichkeit vorschützte, wurde er mit dem häufigen Getränke übergangen; aber der Diener machte hinter der Amalia Sessel so wunderliche Blicke mit den Augen, daraus wir wohl abnehmen konnten, daß ihr unsere vorgenommene Unterredung trefflich wohl gefallen müsse. Denn wir schwätzten von nichts anders als von dem Lob dieses und jenes Frauenzimmers, gaben aber allezeit der schönen Amalia das meiste, wegen derjenigen Tugenden, welche sie häufig vor einer anderen besäße. Einer hieß sie eine würdige Kaiserin, der andere schrieb ihren Meriten ein Königreich zu, der dritte verglich sie mit einem glänzenden Stern, und Fidius selbsten hieß sie, dem Friderichen zulieb, eine unglückselige Liebhaberin, welches keiner außer demjenigen, auf welchen es geredet war, verstehen sollte. Aber wir wußten alle wohl, wohin diese Pfeile zieleten, ob wir schon den Schalk merklich verborgen und uns so eingezogen hielten, gleich als wüßte keiner, daß sie ebendiejenige wäre, von der wir so ein häufiges Lobgespräche führten. »Ich weiß«, sprach Wilhelm, »unter euch allen am allerbesten, wer und was sie ist. Es hält sich einer vom Adel im Lande auf, der heißet der Barthel auf der Heide.« – »Ha, ha,« sagte Philipp, »das ist der rechte Gesell!« – »Derselbe Barthel«, sagte Wilhelm weiter, »gibt sich allenthalben vor ihren Liebsten aus, aber er wird anlaufen wie ein blinder Ochs an die Stalltür. Die Früchte, welche auf ihrem Baume wachsen, sind vor ein solches Maul[513] viel zu delicat, wenn ich noch jünger wäre oder die Gestalt des Friderichs hätte, könnte ich noch etwas hoffen, das ihr euch leichtlich einbilden werdet, aber nunmehr ists mit mir als einem erlebten Witwer zu spat, auf das Angeln auszugehen, darum überlasse ich solche Gedanken denjenigen, die etwas röter als ich um den Schnabel aussehen.« Mit solchen Gesprächen vertrieben wir etliche Mahlzeiten, bis wir untereinander Anstalt machten, daß uns Herr Wilhelm auf sein Gut laden sollte, allwo Herr Friderich und wir insgesamt entschlossen waren, den Vortrag wegen der Heirat zu tun. Indessen kamen wir auf diesem Schlosse je länger je weiter in die Kundschaft der Amalia, welche, allem Ansehen nach, Herrn Friderichen herzlich liebte, denn als er etlichmal nur so zum Schein wegreisen wollte, wurde er von ihr mit allerlei Gründen, sein Vornehmen einzustellen, öfters zurückegehalten. Und dieses gab uns, nächst Versicherung des Dieners, genugsame Ursach, das Werk ernstlicher anzugreifen und mit ihr etwas mehrers aus der Schrift zu reden.

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 508-514.
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