III

[43] Es waren einige Tage nach der Verbindung des jungen Grafen verflossen und das neue Ehepaar sowohl, als der alte Vater schickten sich an, nach Schloß Hohenthal abzureisen, denn es war verabredet worden, daß sie dort wohnen sollten, weil von allen Gütern des Grafen dieß die anmuthigste Lage hatte und das Schloß selbst vollkommen darauf eingerichtet war, eine Familie in sich aufzunehmen und ihr alles zu gewähren, was zur Bequemlichkeit des Lebens[43] gehört. Der Graf Robert wollte auch seiner Mutter vorschlagen, mit den Schwestern bei ihm zu wohnen, und er hoffte dann dieser guten, geduldigen Frau, die vom Leben beinah nichts, als das Leiden kennen gelernt hatte, wenigstens das herannahende Alter zu versüßen, denn er wußte, Therese würde ihr eine liebevolle Tochter sein. Auch zweifelte er nicht daran, daß die junge Gattin in allen ihr neuen Verhältnissen Rath und Hülfe bei der sanften, erfahrnen Frau finden würde. Auf die Ausbildung der Schwestern konnte der Umgang mit Therese nur vortheilhaft wirken, und so sollte Schloß Hohenthal, welches eine Zeitlang ernst und schweigend auf dem Hügel geruht hatte, von wo aus es das liebliche Thal beherrschte, von Neuem ein heiteres, bewegtes Leben in sich aufnehmen.

Die Unvollkommenheit alles irdischen Glückes wird dem Menschen dann am Fühlbarsten, wenn seine liebsten Wünsche befriedigt werden, denn es gibt keine Freude ohne die herbe Beimischung des Schmerzes, und in das Lächeln des Entzückens fließt die Thräne der Wehmuth. Diese Wahrheit erfuhr die junge, glückliche Gattin. Denn wenn ihre Phantasie in lieblichen Träumen das schöne Leben der nahen Zukunft auf Schloß Hohenthal ausbildete und sie unbewußt die glänzenden Bilder des Glückes anlächelte, so fühlte sie in demselben Augenblick die warmen Thränen auf ihren Wangen,[44] denn um dieß Glück zu erreichen, mußte sie die Gräfin und Emilie verlassen, und dieser Gram breitete einen leichten Wolkenschatten über den heiteren Himmel ihrer Zukunft.

Ehe noch die Abreise der Neuvermählten erfolgt war, traf ein Brief des Predigers aus Hohenthal ein, der sich ernstlich über den Arzt beschwerte und den Grafen bat, ihm nicht die Schuld davon beizumessen, daß der Bau des Hauses auf dem Gute desselben noch nicht begonnen wäre, obgleich der Sommer schon großen Theils verstrichen sei. Er habe zwar versprochen die Leitung dieses Baues zu übernehmen, jedoch natürlich nur in so weit, als seine Kenntnisse dazu ausreichten. Er habe also einen Riß entworfen, wonach das Gebäude größer und bequemer als das Pfarrhaus hätte werden können, aber der Hochmuth des Arztes sei damit nicht zufrieden, er wolle durchaus, daß sein künftiger Wohnsitz ein kleines Schloß werden solle, und bestehe vor allen Dingen auf einem auf Säulen ruhenden Balkon. Ueber diesen Gegenstand sei so viel hin und her gestritten worden, daß man die Zeit darüber verloren habe und er, der Prediger, sich nun genöthigt sehe, sein Versprechen zurückzunehmen, da er sich nicht darauf einlassen könne, Paläste erbauen zu lassen, weil so weit seine Kenntnisse nicht reichten und er auch nicht nothwendig fände, weder für den Arzt, noch für dessen künftige Schwiegermutter, daß sie Paläste bewohnten. Eine große[45] Empfindlichkeit gegen den Arzt war in diesem Schreiben nicht zu verkennen, und der Prediger erwähnte es kaum, daß seinen eigensinnigen Freund oft das lange Ausbleiben seiner künftigen Schwiegermutter beunruhige, um so mehr, da er keine Briefe von ihr erhielte, welches doch, wie der Geistliche mit Bitterkeit bemerkte, nicht zu verwundern sei, denn diese Dame, ob sie gleich jetzt einen Palast mit einem Balkon bewohnen sollte, werde gewiß noch so viel von ihrem früheren demüthigeren Stande an sich haben, daß ihr das Schreiben als eine unnütze Beschäftigung erschiene. Der Graf sah aus diesem Briefe deutlich, daß der tägliche ungestörte Umgang zwischen dem Arzte und dem Geistlichen nachtheilig auf Beide gewirkt hatte, und daß sie sich wahrscheinlich für ihr ganzes Leben entzweien würden, wenn nicht bald ein Anderer vermittelnd dazwischen träte. Es war ihm also auch aus diesem Grunde angenehm, daß sein Vetter dahin zurückkehrte, von dem er hoffen durfte, daß er die kleinen Feindseligkeiten in der Hohenthaler Gesellschaft noch im Keime unterdrücken werde. Er ließ einen Riß eines artigen Landhauses mit einem auf Säulen ruhenden Balkon anfertigen, und sein Vetter, der auch mehr als der Geistliche durch seine mathematischen Kenntnisse dazu geeignet war, versprach den Bau desselben zu leiten. Nach zwei Tagen war die Abreise der Neuvermählten und des Obristen festgesetzt, als man durch[46] die Ankunft der Frau Professorin überrascht wurde. Obgleich gewandt in Geschäften und auch nicht durch weibliche Schüchternheit in der Ausführung gehindert, hatte sie doch mehr Hindernisse gefunden bei dem Bemühen, das nachgelassene Vermögen ihres verstorbenen Mannes zusammenzubringen, als sie vermuthet hatte. Jetzt war nun Alles glücklich beendigt und ihr Gesicht strahlte vor Freude, als sie ihre Tochter erblickte, die sich eben bei der Gräfin befand, und vernahm, daß auch der junge Graf mit seiner Gemahlin nach der geliebten Heimath zurückkehren wolle. Kaum geringer war die Freude der Tochter, denn wenn auch der Aufenthalt in Berlin vortheilhaft auf ihre Sitten und Bildung gewirkt hatte, so sehnte sie sich doch herzlich nach dem freieren Leben in der Natur. Die Herrlichkeiten der Hauptstadt, ob sie sie gleich mit der heiteren Unbefangenheit eines Kindes genoß, hatten keinen so tiefen Eindruck auf ihr Gemüth gemacht, daß sie ihr dadurch Bedürfniß des Lebens geworden wären, und die zierlichen jungen Männer, die zuweilen den Kreis ihres Umgangs berührten, waren nicht glücklicher, denn sie stellte unaufhörlich Vergleichungen zwischen ihnen und ihrem Vater und Bräutigam an, und gewiß würden die jungen Herren auf's Höchste überrascht gewesen sein, wenn sie beide Personen gekannt und gewußt hätten, daß diese Vergleichungen zu ihrem Nachtheil ausfielen.[47] Die junge Marie betrachtete die liebenswürdige Jugend mit einiger Geringschätzung. Sie vertraute ihrer Freundin Therese, zu der sie ein besonderes Vertrauen hatte, zuweilen, die jungen, zierlichen Herren, die so viel Sorgfalt auf ihre Haarlocken und Halsbinden verwendeten, nach allen Wohlgerüchen der Erde dufteten, sich immer einem Spiegel gegenüber zu halten suchten, schienen ihr oft verkleidete Mädchen, und sie käme zuweilen in Versuchung, ihnen zur Unterhaltung eine weibliche Arbeit anzubieten, wenn sie die große Langeweile bemerkte, die auf ihren Gesichtern ruhte, und sie überzeuge sich nur dann wieder, daß diese geputzten Wesen keine Mädchen wären, wenn sie auf einmal mit großer Heftigkeit über die Nothwendigkeit sich zum Kriege zu erheben sprächen und Buonaparte vom Throne stoßen wollten; höchst lächerlich aber käme es ihr alsdann wieder vor, wenn sie mit derselben Heftigkeit für oder wider eine Schauspielerin stritten, und die gleiche leidenschaftliche Begeisterung für die eine oder andere an den Tag legten, die sich in den nächst vorhergehenden Gesprächen für ihren Lieblingshelden Schill offenbart hätte. Ja, schloß sie ihre Bemerkung, ich glaubte, alle diese für das Vaterland Begeisterten würden nun mitziehen und die Thaten ausführen helfen, die sie für nothwendig erklären; aber mir scheint, sie sind alle hier geblieben.[48]

Therese scherzte mit dem angenehmen Kinde zuweilen über ihre große Abneigung gegen die jungen Herren und fragte, ob sie denn gar nichts an dem Arzte auszusetzen fände?

O, ich bin nicht so blind, erwiederte die Kleine dann ernsthaft. Ich sehe es wohl, daß ihm die Kleider nicht so gut sitzen, wie den hiesigen jungen Herren, und wenn ich seine Frau bin, werde ich es ihm abgewöhnen, daß er beim Tanze so hoch mit einwärts gebogenen Knieen springt, oder noch besser, er unterläßt das Tanzen ganz, denn es kleidet ihn nicht und er kümmert sich dabei nicht um den Takt. Aber ist es denn nicht natürlich, daß er diese Künste nicht so gut zu machen versteht, wie die hiesigen jungen Herren, die, wie es scheint, nichts Anders zu thun haben? Kann er seine Aufmerksamkeit auf solchen Tand richten, da er Tag und Nacht studirt, wie er den Menschen, die an irgend einem Gebrechen leiden, helfen könne. Gewiß sind schon Viele durch ihn gesund geworden und glücklich, und blicken ihm dankbar und freundlich entgegen, wenn sie ihn kommen sehen, ohne darauf zu achten, wie er seine Füße setzt, und das, denke ich, ist mehr werth, als alle die Possen, die man hier in der Stadt treibt.

Therese hütete sich in solchen Fällen der Ansicht ihrer jungen Freundin zu widersprechen, denn da die Tochter eben[49] so entschieden, wie die Mutter, eine Verbindung mit dem Arzte als das Ziel ihres Lebens betrachtete, so wäre es ein Unglück gewesen, wenn das junge Mädchen ihren Geschmack für äußere Vorzüge des männlichen Geschlechts verfeinert hätte.

Der Graf theilte der Frau Professorin die Zwistigkeit zwischen ihrem künftigen Schwiegersohne und dem Geistlichen mit, und indem er ihr die Veranlassung dazu sagte, zeigte er ihr zugleich den Riß des künftigen Wohnhauses, den er hatte entwerfen lassen, und bat sie, so lange im Schlosse zu wohnen, bis sein Vetter, der junge Graf, diesen Bau würde ausgeführt haben.

Mit leuchtenden Augen betrachtete die Wittwe des Professors den Plan des Hauses, den ihr der Graf erklärte, und je mehr sie die Zweckmäßigkeit und Bequemlichkeit der Einrichtungen erkannte, je höher stieg ihr Entzücken, bis sich zuletzt die Freude in dankbare Rührung auflöste, und die großen auf das Papier niederströmenden Tropfen die Zeichnung zu verderben drohten. Ja, sagte sie endlich, zum Grafen gewendet, Sie handeln gegen alle Menschen, wie einer, der hoch über ihnen steht, aus dessen Herz nur Wohlwollen, aus dessen Händen nur Segen kommt, und Gott verzeihe mir meine Sünden, ich fühle eine Art Andacht, wenn ich an Sie denke. Wären alle hohen, großen Edelleute in Frankreich so gewesen, wie Sie sind, die Revolution hätte gar nicht[50] kommen können, denn Wer hätte dann wohl Hand an einen Edelmann legen mögen, und Buonoparte müßte es sich dann vergehen lassen, uns zu drücken und alles, was ihm einfällt, uns zu verbieten.

Der Graf wollte das Gespräch ablenken und sagte lächelnd: Es freut mich, daß Ihnen der Plan zum Hause gefällt, und noch größere Freude wird es mir machen, wenn ich Sie erst darin besuchen kann.

Nun, rief die Professorin entzückt, wenn Sie mir die Ehre erweisen, so werde ich Sie bei mir so aufnehmen, daß Sie meine Dankbarkeit erkennen werden, und in dem schönen Hause, fuhr sie fort, indem sie die Hand auf die Zeichnung legte, werde ich das können. Mein Vetter, bemerkte sie, indem sie den Riß von Neuem betrachtete, ist ein hochmüthiger Mensch, daß weiß ich von Alters her; aber warum sollen wir denn keinen Balkon haben? Das sehe ich denn doch auch nicht ein. Von dem Prediger ist es doch auch nur Neid, wenn er sich dem widersetzt. Er will nicht, daß wir es besser haben sollen, als er, und wenn Sie es uns gönnen, warum sollen wir dann das Gute nicht genießen? Mag er sich ärgern, wie er will; ich freue mich selber auf den Balkon, ich kann da oben sitzen wie auf einem kleinen Thurme und von der einen Seite einen großen Theil der Wirthschaft übersehen, und ich läugne auch nicht, daß es mir[51] angenehm ist, wenn mein Vetter, der Schulze, sieht, was aus seiner Muhme geworden ist. Der nimmt gewiß den Hut schon auf dem Hofe ab, wie vor dem herrschaftlichen Schlosse, wenn er zu uns kommen will und dieß Gebäude erblickt.

Die Zuhörer der Professorin waren zu gutmüthig, als daß das Lächeln auf ihren Gesichtern etwas Anderes als Wohlwollen ausgedrückt hätte. Man gönnte es der ehemaligen treuen Dienerin, daß sie auf ihre Weise glücklich war, und der Graf Robert nahm sich sogar vor, ihr noch manche angenehme Ueberraschung zu bereiten, da er bemerkte, daß sie nicht ganz unempfindlich gegen Anmuth und Zierlichkeit war, wie er früher geglaubt hatte. In dieser wohlwollenden Stimmung wurde die Reise nach Hohenthal von allen Personen angetreten, die ihre Bestimmung dahin führte, und dem Grafen, der Gräfin und Emilie wurde die Einsamkeit fühlbar, nachdem sie den Schmerz des Abschiedes überstanden hatten.

Auf Schloß Hohenthal dagegen regte sich Leben und Thätigkeit. Der Graf Robert hatte seine Mutter von seiner Abreise aus Berlin benachrichtigt, und er hatte die Freude, sie den Tag nach seiner Ankunft auf Schloß Hohenthal mit den Schwestern zu begrüßen. Der Obrist hatte nichts gegen den Plan einwenden wollen, den in reiner Freude eines[52] dankbaren Sohnes der Graf Robert entworfen hatte, mit der Mutter vereinigt zu leben. Aber er fürchtete im Stillen für das Glück seines Kindes, denn er hatte im Laufe seines langen Lebens die Erfahrung gemacht, daß selten die Mutter des Mannes die junge Gattin desselben mit Liebe betrachtet; ja, daß oft, je mehr der Sohn selbst von der Mutter geliebt wird, um so deutlicher eine seltsame Abneigung gegen dessen Gattin sich zeigt, die sich nicht anders erklären läßt, als, daß eine eigensüchtige Neigung eifersüchtig die Liebe des Sohnes ausschließend auf sich lenken möchte. Er wurde daher angenehm überrascht, als er bald gewahr wurde, daß in dieser sanften, demüthigen Frau seine Tochter nicht nur eine Mutter, sondern er selbst eine treue Freundin gewann, die ihm die Beschwerden des Alters zu erleichtern und die letzten Jahre seines Lebens zu verschönern suchte.

Da auch diese Besorgniß verschwunden war, die ihn auf der Reise geängstigt hatte, so fühlte der Greis sich vollkommen glücklich. Wie ein Patriarch thronte er im Lehnsessel in der Mitte seiner Lieben. Jeder suchte ihm seine Liebe und Achtung zu beweisen, Niemand reizte ihn durch Widerspruch, wie er ihn in Berlin erfahren hatte, denn der Arzt, der sogleich pflichtgemäß die Sorge für seine Gesundheit übernahm, untersagte es allen Hausgenossen, durch lebhafte[53] Anregungen die schwachen Lebenskräfte des sich dem Grabe zuneigenden Greises zu zerstören, dessen Tage auf diese Weise im süßesten Frieden der Seele und in aller Behaglichkeit eines sorgenlosen Lebens dahin schwanden. Und kam der Abend, der ihm jedes Mal die Sehnsucht nach einer l'Hombre-Partie brachte, so fehlten seine beständigen Mitspieler, der Prediger und der Arzt, niemals, und wurde ja einer von ihnen durch seinen Beruf ein Mal abgehalten, so nahm die Mutter des Grafen Robert willig die Karten und verkürzte dem Greise die Stunden durch seine gewohnte Unterhaltung.

Der Prediger und der Arzt hatten sich durch die Vermittelung des Grafen Robert leicht mit einander versöhnt und betraten von Neuem den Pfad der ihnen zum Bedürfniß gewordenen Freundschaft. Der Prediger war geneigt, die Zwistigkeiten mit dem Freunde zu vergessen, denn er fühlte sich im Grunde in allen Verhältnissen des Lebens durch seinen klaren Verstand und richtigen Blick so sehr über den Arzt erhaben, daß er alles, was er dessen Thorheit nannte, ruhig verachtete, und der Arzt war zu glücklich, als daß er ein feindliches Gefühl im Herzen hätte bewahren können.

Er betrachtete mit Entzücken die gänzliche Veränderung, die der Aufenthalt in Berlin mit dem Aeußeren seiner[54] Braut hervor gebracht hatte. Ein schüchternes, blödes, sich oft linkisch benehmendes Kind war hingegangen, und eine junge Dame kam zurück, die sich in Kleidern nach der letzten Mode ohne Zwang bewegte, ohne Verlegenheit an allen Gesprächen Theil nahm und wenigstens eine oberflächliche Kenntniß der Literatur verrieth, und dennoch ruhten, trotz aller dieser erlangten Vorzüge, die blauen Augen noch mit derselben Theilnahme auf ihm, wie früher, und wie zerstreut er auch war, so hörte er doch, daß der Klang ihrer Stimme gefühlvoller war, wenn sie mit ihm sprach, als wenn sie ihre Worte an Andere richtete. Das, ihm neue, beseligende Gefühl des Glücks, geliebt zu werden, gab seinem ganzen Wesen eine Weichheit, die ihn mehr, als je, geneigt machte, alles zu verzeihen, wodurch er sich beleidigt glaubte. Selbst abgesehen von dieser glücklichen Stimmung, wie hätte er nicht versöhnlich sein sollen, – er trug ja einen vollkommenen Sieg über den Prediger davon, – sein künftiges Wohnhaus wurde mit einem Balkon gebaut und die ganze Einrichtung desselben viel schöner, als er es hätte ersinnen können. Er hatte schon im Frühlinge einen Theil seines Gartens mit ausländischen Sträuchern und Gewächsen bepflanzen lassen, von denen ihn Bücher, die er zu diesem Behufe angeschafft, lehrten, wie sie behandelt werden müßten, wenn sie in unserm Klima gedeihen sollten, und er[55] nannte den Raum, auf dem diese Gewächse vereinigt waren, seinen botanischen Garten. Aber freilich gewährte dieser einen traurigen Anblick; denn da der Arzt den Gärtner in der Behandlung der Pflanzen unterrichtete und durchaus darauf bestand, daß sie ganz nach seiner Vorschrift gewartet werden sollten, so gingen die meisten aus, welches der Gärtner ganz natürlich fand, der sich oft äußerte, wenn der Arzt die Sache nur ihm überlassen und den armen Pflanzen Ruhe gönnen wollte, so würde sie Gott eben so gut wachsen lassen, wie andere unter seiner Pflege befindliche im Treibhause des Schlosses. Dieß Mißlingen seiner Anlage hatte den Arzt oft verdrüßlich gemacht und ihn dem Spotte des Predigers ausgesetzt. Aber nun richtete er die kleinen scharfen Augen im Gefühle des Sieges auf den spottenden Freund, denn es hatte ihm nur ein Wort gekostet und der Graf Robert hatte ihm versprochen, ein Treibhaus mit dem neuen Gebäude zu verbinden, und die Pflanzen aller Himmelsstriche konnten dann durch den geschickten Gärtner des Schlosses gezogen werden.

Mit dem Gefühle inniger Dankbarkeit überrechnete der Arzt oft sein Glück. Ein anständiges Auskommen; eine junge, schöne, ihn schwärmerisch liebende Braut; ein prächtiges, einem adlichen Wohnsitze ähnliches, schon im Entstehen begriffenes Haus, daran ein Treibhaus und ein botanischer[56] Garten, darin eine Bibliothek und ein Naturalienkabinet; für alle Genüsse des Leibes und Geistes also auf alle Weise gesorgt; dabei geachtet von seiner Umgebung, glücklich in seinen Launen. Dankend hob er nach solchen Betrachtungen die Hände zum Himmel empor; die kleinen Augen glänzten in Thränen seliger Rührung, und er versprach sich selbst, sein Glück würdig zu genießen, und bescheiden und dankbar zu bleiben.

Die Frau Professorin hatte freiwillig die Führung des Haushalts im Schlosse übernommen, weil der thätigen Frau Beschäftigung Bedürfniß war. Aber sie bemerkte oft, daß die Abwesenheit Dübois nur zu sichtbar sei, denn die Ordnung, die Ruhe, der Anstand und das vornehme Wesen, welches er zu erhalten verstehe, werde nie ganz ohne ihn erreicht werden, – eine Anerkennung, die den alten Mann entzückt haben würde, wenn er sie hätte vernehmen können.

So wohl und glücklich fühlten sich alle Bewohner des Schlosses Hohenthal, während die eigentlichen Besitzer manchem Kummer im Herzen Raum gaben.

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 3, Breslau 1836, S. 43-57.
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