David im Schäferhute

[296] (Ein Gedicht auf Donatellos Bronzefigur im Bargello zu Florenz)


Die Dame:


Es rauscht der Wind.

Lauf, laufe geschwind

Zu mir, mein Kind,

Knabe im Schäferhute!

Nach deiner Schönheit ist mir heiß zumute.

O laß mein Herz an deinen Wangen kühlen!

Ich will, o Kind,

Ich will, ich Wind,

Ich will in deinen krausen Haaren wühlen.

Mein Herz ist schwer.

Lauf, laufe geschwind!

In meinen Schoß komm her!

Ich will deinen Frühling fühlen.


Der Knabe:


In einem hellen Saal,

Dame, sah ich dich einmal,[296]

Schön warst du, lauter Seide:

Rauschen, Glänzen, Licht.

Deine Augen, das lebendige Geschmeide,

Schöner als alles, das je ich sah,

Warben um einen Mann

Mit goldenen Blicken wie schwärmende Bienen.


Warum sahst du ihn so an?


Mich sahst du nicht.


Schön bist du mir, ach, und schändlich erschienen.


Und ein Mann ward ich da,

Nicht dir zu dienen.

Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, München 1921, S. 296-297.
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