Schöner Herbst (Lermoos 1907)

[316] Klar, kräftig, edler Wonnen voll ist dieser Herbst:

Ein stilles Fest für mich der späten Reifezeit.


Leer ist das Kornfeld, und die weite Wiese trifft

Der zweite Schnitt. Pan träumt nicht mehr im Rosenbusch.
[316]

Auf keinem schwanken Blütenaste schaukelt sich

Eros, der falterflügelige, leichte: still,

Doch munter lächelnd sitzt er auf dem Apfelbaum

Und reicht mir liebenswürdig Frucht auf Frucht. Ihm ist

Sehr wohl in diesem Herbst. – Wie mir. – Jetzt ist Halkyone

Die heitre Erde. Höher, blauer wölbt sich nun

Der klare Himmel. Keine Schwüle mehr bewegt

Die herbstlich fein gewordne Luft mit zitterndem

Gewelle sommerlicher Glut, die jedem Ding

Den scharfen Umriß raubte; klar, fest, rein

Und ruhig konturiert sich nun die reife Welt.


Doch bald, ich weiß es, füllt der Herbst mit Farben aus,

Mit brünstig satteren, als sie der Sommer sah,

Die klare Zeichnung dieses ruhesamen Glücks.

Es kommen tragisch Flammen rot und gelb. Und braun

Kommt heldisch großes Pathos. Tiefste Leidenschaft

Kommt in das ruheschöne Bild: In Purpur geht

Medea Sonne, geht das Leben in die Nacht.

Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, München 1921, S. 316-317.
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