Sechste Scene

[37] Sobald die Uhr ausgeschlagen, erscheint.


GERTRUD. Neun Uhr – Das Reich der finstern Nacht beginnt, die Geister lüften ihre Schwingen. Man hört aus weiter Ferne zum Abendgebet läuten. Walpurgisnacht bricht an. Einst ruhte ich wohl im Frieden, wenn diese Glocke durch die Mainacht drang, und gedachte ich zufällig, daß es Walpurgis sei, so drückte ich schaudernd das Haupt in die Kissen, und im ruhigen Schlummer fand mich der erwachende Tag. Damals röthete die Gluth der Gesundheit meine Wange und der Glanz der Unschuld strahlte aus meinem Auge. Sie bedeckt das Gesicht. Wohin bist du verschwunden, unvergeßliche, selige Zeit? Wilde unbefriedigte Wünsche im Busen, grauenvolle Pläne im düstern Sinn, wandle ich jetzt durch die Nacht. Schauder und Entsetzen sind mir fremd geworden; denn finstre Mächte schützen mich. Jahre entflohen; doch meine Liebe zu Rudolph steht fest in der Brust, ob er mich auch um Elsens Willen von sich stieß. Er ist's, der mich elend machte, er hat mich in den Abgrund gestürzt, er muß mich erheben zum höchsten Glück, dann will ich sterben, vergehen in Leid! Doch wie ich's erringe – gräulich ist's – thu' ich's? – unterlaß ich's? – Ach immer weiß ich meines Jammers kein Ende.[37]

ELSE singt im Hause.

Herzenskindlein schlaf nur zu;

Denn Dein Englein wacht –

Reines Herz giebt sanfte Ruh,

Ist's auch finstre Nacht.

Gott verläßt die Seinen nicht;

Er ist uns're Zuversicht!

GERTRUD erschüttert. Sie singt das Kind in den Schlaf. Zum letzten Male – ich muß, ich darf nicht zögern. – Das Schwerste ist gelungen. – Ich hatte keine Macht an sie, da sie noch jeden Gedanken an die unsichtbare Macht mit Abscheu von sich wies, jetzt aber gab sie ihre Neugier in meine Hand; schnell nun vollendet, was so glücklich begann! Was stockt mein Fuß? Ist die Welt nicht groß und schön? Glücklich sein kann man überall – und war sie es nicht lange genug? Hat sie ihn geliebt, wie ich? O nie, niemals! Sie eilt rasch zum Haus und klopft leise an's Fenster.

ELSE von innen, erschrocken. Was ist's, klopft man draußen?

GERTRUD freundlich und mild. Ich bin's, gute Else – ich komme, Euch Wort zu halten –

ELSE öffnet das Fenster. Ihr seid's, noch so spät? Eben wollte ich zu Bette gehen. Gleich komm' ich, ich will nur erst das Mieder wieder zunesteln. Verschwindet.

GERTRUD. Sie kommt! Wie schlägt mein Herz! Wird mein Werk gelingen? – wird sie mir folgen? Was will, was wünsche ich! Wehe mir, ich verliere die Besinnung.[38]


Quelle:
Charlotte Birch-Pfeiffer: Gesammelte dramatische Werke, Band 9, Leipzig 1863, S. 37-39.
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