331. Hochzeitsgebräuche von Reutlingen.

[389] Bis vor wenig Jahrzehnten wurden daselbst die Hochzeiten in dem Local je der betreffenden Zunft gehalten, in den sog. Zunftstuben, die eigens hiezu eingerichtet waren, und es fanden dabei verschiedene Förmlichkeiten statt, Reden wurden gehalten, Verse hergesagt etc., und es soll dabei äußerst heiter hergegangen sein. Die Zunftstuben existiren nun nicht mehr, und es werden, wie überall, die Hochzeiten in den Gasthäusern gehalten, und besteht aus der alten Zeit nur noch der Gebrauch, daß man von Verwandten und Bekannten über Tisch sog. »Sträuße« erhält, die in allerlei Sachen bestehen. Hiebei kommen oft ganz spaßhafte Geschichten vor, da jeder Hochzeitsgast verpflichtet ist, seinen Strauß der ganzen Gesellschaft vorzuzeigen. Diejenigen Personen, welche nur zum Kirchgang, nicht aber zum Essen geladen sind, erhalten ihre Sträuße auf dem Weg aus der Kirche, und es entsteht ein wahrer Wettstreit, wer die meisten Sträuße aufzuweisen hat. Auch besteht die eigene Sitte, die fast an Aberglauben grenzt, daß die Brautleute den Tag vor der Trauung das Elternhaus ja nicht verlassen dürfen.

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 389-390.
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