Zweiter Auftritt.

[19] SANG. Zum andern Male: Guten Morgen! – Guten Morgen, liebe Hanna! – Wie schön, daß Du hier bist. Ein wahres Glück! – – Einen solchen Morgen, so voll Sang und Duft, – habt Ihr so etwas in Amerika? Das gibt's ja auf der Welt nicht wieder!

KLARA. Und – meine Blumen?

SANG. Weißt Du, was mir heut' begegnet ist, Klara?

KLARA. Du hast sie fortgeschenkt?

SANG. Nein! Haha! »Nein, diesmal nicht«, sagte Tordenskjold. Du bist aber gar nicht artig! Nun haben wir auf diesen entsetzlichen Dauerregen gescholten und gewettert und uns vor Bergsturz und Erdrutsch und allerlei andern Heimsuchungen gefürchtet ... und nun hat der Regen ein Wunderwerk von Segen geleistet! Als ich heut endlich die Sonne sah und in die freie Natur ging ... welche Flora fand ich da! So etwas habe ich bis auf den heutigen Tag nicht gesehen! Ich[19] wanderte durch eine überströmende Fülle von Duft und Farbe, ... ja, plötzlich kam ich so in Stimmung, daß es mir fast ein Verbrechen schien, meinen Fuß in das Grüne zu setzen, das mir diese Wonnen verschaffte. Und so schlug ich einen Seitenpfad ein und ging fürbaß und schaute hinab in die feuchtglänzenden Augen der Blumen und Pflanzen. Welch ein Gewimmel und in dem Gewimmel was für ein Selbsterhaltungstrieb! Und dieses zum Lichte streben! Die Kleinsten gar versuchten ihren Hals der Sonne entgegenzurecken. So frei, so begehrlich! Da hatten sich einige wirklich so früh ans Werk gemacht, daß die Schelme gewiß ihren Blütenstaub auf die Freite senden, noch ehe der Tag um ist! Sogar etliche Hummeln sah ich schon! Sie wußten nicht aus noch ein in diesem Rausch von Duft. Denn das eine Tausend duftete noch verführerischer und hitziger als das andere Tausend, – und das ging in die tausend mal tausend! Und nun frag' ich: Ist nicht auch Individualität in dieser Heerschar von Millionen! Sicherlich! Und deshalb hielt ich's für Sünde, Blumen zu brechen. – Aber etwas andres bring' ich Dir heute!

KLARA die, während er sprach, ihrer Schwester Zeichen gemacht hat. So?

SANG. Auch ich will versuchen, den Kelch zu öffnen.

KLARA. Was meinst Du damit, lieber Sang?

SANG. Du traust mir zwar nicht die Bosheit zu, Dir etwas zu verheimlichen, – aber ich kann es doch.

KLARA. Ich habe längst gemerkt, daß da irgend etwas –?

SANG. So? Wirklich? Und ich war doch diesmal verschwiegen wie das Grab. – Wenn ich mir wegen Deines Siechtums nicht solche Sorgen gemacht habe wie die andern, so hatte das seinen guten Grund.

KLARA. Was ist es denn nur?

HANNA. Ja, was ist es? Sie ist schon ganz aufgeregt.

SANG. Ich will mich beeilen! – Ich habe so vielen geholfen[20] und kann ihr nicht helfen, weil ich nicht ordentlich beten kann mit ihr, der eigensinnigen! Und ich richte nichts aus, wenn der Kranke nicht mitbetet, – vorausgesetzt, daß er beten kann. Drum hab' ich unseren Kindern geschrieben, sie sollten kommen. Und gestern abend – sie suchten zeitig ihr Zimmer auf und ich folgte ihnen – erfuhren sie den Zweck ihrer Reise. Ich sagte ihnen, sie sollten nur hübsch ausschlafen, und mir dann heut um sieben Uhr helfen, an Mutters Bett zu beten!

KLARA. Du lieber, lieber Mann!

SANG. Wir wollen Dich mit einer Kette von Gebeten binden! Der eine Dir zu Füßen, die andere Dir zu Häupten und ich an Deiner Seite! Und wir wollen nicht eher ruhen, als bis Du in sanften Schlaf gefallen bist! Nicht eher! Nein, nicht eher! Und dann wollen wir von vorn anfangen, bis Du aufstehst und gehen kannst wie wir.

KLARA. Du lieber Mann!

HANNA. Was sagten die Kinder?

SANG. Du hättest sie nur sehen sollen! Sie waren ganz erschüttert. Ich versichere Dir, sie wurden so weiß wie dieses Laken. Und dann sahen sie einander an. – Ich verstand, – sie wollten allein sein. – Ich sehe: auch Du bist bewegt. Du schließt die Augen. Vielleicht willst auch Du jetzt allein sein? – Ja, wir bekommen bald Besuch. Hohen Besuch! Da heißt es: sich vorbereiten! – Was ist die Uhr?

HANNA. Es ist über sieben.

SANG. Nein, das kann nicht sein; denn sonst wären sie hier. – Du hast vergessen, die Uhr nach unserer Zeit zu stellen.

HANNA. Doch, – das habe ich getan.

SANG. Nun, dann hast Du sie nicht richtig gestellt, meine Liebe. Wär's möglich, daß erwachsene Kinder, die an Mutters Bett beten sollen, sich verschlafen?

HANNA. Ich will hinaufgehen.[21]

SANG. Nein, nein, nein! Diese letzten Augenblicke müssen sie für sich haben! Ich kenne das.

HANNA. Ich will ganz still sein. Nur ins Zimmer will ich sehen. Ab.

SANG. Aber recht, recht leise!


Quelle:
Björnson, Björnstjerne: Gesammelte Werke. Berlin [1911], Band 5, S. 19-22.
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